Schwerpunkt Wohneigentum

Auswirkungen der Bildungspolitik auf die Wohnungsmärkte an Hochschulstandorten

Der Wohnungsmarkt an den deutschen Hochschulstandorten wird in den nächsten Jahren mit zwei nahezu parallel auftretenden Nachfrageschüben konfrontiert. Grund ist zum einen die Verkürzung der Gymnasialschulzeit von neun auf acht Jahre und die daraus resultierenden doppelten Abiturjahrgänge. Zum anderen trägt die Aussetzung der Wehrpflicht dazu bei, dass in den kommenden Jahren mehr Absolventen an die Universitäten drängen werden als üblich. Dieser kurz- und mittelfristig verstärkten Nachfrage steht allerdings die demografische Entwicklung gegenüber, die langfristig voraussichtlich zu einer geringeren Studierendenzahl führen wird.

Insbesondere im Hinblick auf die wachsenden Großstädte ist zu fragen, wie die bereits angespannten Wohnungsmärkte in den nächsten Jahren diesen Zulauf verkraften können. Aufschluss darüber gibt eine Untersuchung, die im Rahmen der Wohnungsmarktbeobachtung Baden-Württemberg 2011 durchgeführt wurde.1) Zugrunde gelegt wurde unter anderem eine empirische Erhebung, an der sich alle baden-württembergischen Studentenwerke beteiligt haben. Baden-Württemberg eignet sich als Beispielfall: Das Bundesland hat eine stark differenzierte Hochschullandschaft (mit Universitäten, Hochschulen für angewandte Wissenschaft, Dualer Hochschule und weiteren Sondertypen), aber auch unterschiedliche Standortkategorien (Großstädte unterschiedlicher Lage und Struktur sowie viele kleinere Hochschulstandorte).

Seit der Jahrtausendwende ist die Anzahl der Schulabgänger mit Hochschulzugangsberechtigung (inklusive Fachhochschulreife) in Baden-Württemberg stetig gestiegen und liegt mit rund 70300 im Jahr 2011 rund 57 Prozent höher als noch 2001. Mit der Kürzung der Gymnasialschulzeit auf acht Jahre im Jahr 2012 wird diese Zahl nach den bisher vorliegenden Berechnungen sprunghaft auf rund 93200 ansteigen. In den Folgejahren ist allerdings mit einem deutlichen Rückgang zu rechnen. Die Abgängerzahlen werden ab 2020 voraussichtlich wieder unterhalb des Niveaus von 2009 liegen. Auch wenn man eine steigende Studierneigung berücksichtigt, ist daher im Saldo mit einem Rückgang der Studierendenzahlen zu rechnen, den die Anbieter studentischen Wohnraums in ihren Investitionsplanungen berücksichtigen müssen.

Von entscheidender Bedeutung für die zu erwartende Wohnungsmarktbelastung eines Standorts ist die regionale Herkunft der Studierenden. Studierende, die einen Studienplatz in der Nähe ihres Heimatortes oder am Heimatort selbst belegen, können Verknappungen am Wohnungsmarkt dadurch ausweichen, dass sie zumindest vorübergehend zu Hause wohnen. Im Hinblick auf die regionale Herkunft zeigen sich erhebliche Unterschiede zwischen verschiedenen Hochschultypen. Insbesondere die Duale Hochschule Baden-Württemberg und die Gruppe der sonstigen Hochschulen sind durch einen überdurchschnittlich hohen Anteil an Studierenden aus anderen Bundesländern geprägt (siehe Abbildung 1). Im Fall der Dualen Hochschule ist dies allerdings auch darin begründet, dass Mannheim als einer ihrer größten Standorte im Dreiländereck von Baden-Württemberg, Hessen und Rheinland-Pfalz liegt.

Regionale Herkunftsmuster

Die potenzielle Wohnungsmarktbelastung der Hochschulstandorte wird durch die Struktur des Hochschulangebots am Standort und dessen weitere Entwicklung mitbestimmt. Im Rahmen des Programms "Hochschule 2012" wird dieser Nachfrageentwicklung durch den Ausbau von 20000 zusätzlichen Studienplätzen Rechnung getragen. Die Ausbauplanung orientiert sich dabei am erwarteten Bedarf des Arbeitsmarktes insbesondere in den mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächern. Davon profitierten die technisch ausgerichteten Hochschulen für die angewandte Wissenschaft und die Duale Hochschule überproportional, während die Kapazitätsausweitung an den Universitätsstandorten mit einem breiteren Fächerangebot deutlich geringer ausfällt.

In einer feineren Analyse wurde die Herkunft der Studierenden auf Kreisebene analysiert und der Anteil der Studierenden, die ihre Hochschulzugangsberechtigung am Studienort selbst oder aber in Pendelentfernung erworben haben, berechnet. Als kritische Distanz wurde eine maximale Fahrtzeit von 30 Autominuten für den einfachen Weg unterstellt. Diese Analyse wurde für die acht größten Hochschulstandorte in Baden-Württemberg durchgeführt, auf die etwa 75 Prozent aller Studierenden entfallen.

In Abbildung 2 sind die Ergebnisse dargestellt. Für die Hochschulstandorte Freiburg im Breisgau, Heidelberg, Konstanz, Mannheim, Tübingen und Ulm zum Beispiel liegt der Anteil der Studierenden, die entweder am Hochschulstandort selbst oder in einem Umkreis in Pendelentfernung ihre Hochschulzugangsberechtigung erhalten haben, zwischen 14 Prozent und gut 20 Prozent. An diesen Standorten sind also bis zu 86 Prozent der Studierenden auf zusätzlichen Wohnraum am Hochschulstandort angewiesen. Durch den hohen Anteil an Studierenden, die weder aus dem Studienort noch aus einem Ort mit Pendelentfernung stammen, werden insbesondere in Freiburg im Breisgau, Heidelberg, Konstanz und Tübingen zusätzliche Belastungen am Wohnungsmarkt auftreten.

Lage und Entwicklung an den Wohnungsmärkten

Um die aktuelle Lage und die weitere Entwicklung an den lokalen Wohnungsmärkten der Hochschulstandorte zu beurteilen, wurden drei Knappheitsindikatoren betrachtet: das aktuelle Mietpreisniveau und die Mietpreisentwicklung in den letzten Jahren, die Einschätzung der Wohnungsmarktlage durch die lokalen Studentenwerke und der regionale Wohnungsbedarf, basierend auf der aktuellen Wohnungsbedarfsprognose des Statistischen Landesamtes Baden-Württemberg für den Zeitraum 2009 bis 2015.

Die Angebotsmieten an den großen Hochschulstandorten liegen mit Ausnahme von Mannheim deutlich über dem Landesdurchschnitt. Die Standorte zählen auch bundesweit zu den teuersten (und attraktivsten) Standorten für Wohnimmobilien. Bei der Dynamik der Mietpreise zeigt sich ein ähnliches Bild. Die großen Hochschulstandorte in Ba-den-Württemberg weisen über den Zeitraum von 2008 bis 2010 eine im Landesvergleich überdurchschnittliche Mietpreisdynamik aus. Für keinen der großen Hochschulstandorte besteht nach Einschätzung des jeweils zuständigen Studentenwerkes ein Überschuss am lokalen Wohnungsmarkt für Studierende.

Lediglich für Mannheim und Tübingen wird die aktuelle Lage als ausgeglichen eingestuft. Tübingen ist der einzige Markt, für den nach Einschätzung des örtlichen Studentenwerks in den nächsten Jahren mit keinem Defizit am studentischen Wohnungsmarkt gerechnet wird, obwohl andere Indikatoren durchaus auf ein künftiges Defizit hindeuten. Starke Defizite bestehen dagegen in Heidelberg sowie Konstanz und werden in den nächsten Jahren auch in Freiburg im Breisgau und Stuttgart erwartet. Nur in Heidelberg ist aufgrund einer besonderen Entwicklung bei bisher militärisch genutzten Konversionsflächen mit einer Entspannung zu rechnen.

Die Wohnungsbedarfsprognose des Statistischen Landesamtes Baden-Württemberg sieht insbesondere an den Wohnungsmärkten in Freiburg im Breisgau, Konstanz, Tübingen und Ulm einen erhöhten Bedarf in Relation zum aktuellen Wohnungsbestand. An fast allen kleineren Standorten zeigt sich die Situation dagegen entspannter. Das Mietpreisniveau ist deutlich geringer und auch die Mietpreisentwicklung ist eher stabil und seitwärts gerichtet.

Entwicklung des Wohnraumangebots

Die geschilderten Entwicklungen rufen vonseiten der Studentenwerke und vonseiten privater Investoren unterschiedliche Reaktionen hervor. Die Studentenwerke planen den Ausbau ihrer Wohnheimkapazitäten. Neben Neubauten von Studentenwohnheimen, die mit Ausnahme von Stuttgart an allen großen Hochschulstandorten in Baden-Württemberg geplant sind, beabsichtigen die Studentenwerke in Freiburg im Breisgau und Mannheim, auch Bestandsimmobilien zu kaufen und umzubauen. Weiterhin mieten die Studentenwerke in Heidelberg, Konstanz, Mannheim, Stuttgart und Ulm von Investoren zusätzlichen bestehenden Wohnraum an. In Konstanz und Stuttgart wird außerdem die Kooperation mit externen Investoren zur Erstellung neuer Bauten genutzt. An einigen Standorten (Freiburg im Breisgau, Karlsruhe, Mannheim) sind private Investoren neben Studentenwerken und Einzelvermietern auch eigenständig in größerem Stil am Markt für studentischen Wohnraum aktiv.

Um die erforderliche Flexibilität zu erhalten, werden auslaufende Mietverträge an einzelnen Standorten mittelfristig gegebenenfalls nicht verlängert. Im Zusammenhang mit den Neubauplanungen gaben insbesondere die Studentenwerke in Freiburg im Breisgau, Heidelberg, Konstanz und Mannheim an, bei der Planung bereits spätere Drittverwendungsmöglichkeiten zu berücksichtigen. Den Verkauf alter Bestände erwägen die Studentenwerke in Mannheim und Tübingen, während in Freiburg im Breisgau und Heidelberg auch der Abriss alter Bestände erwogen wird.

Engpässe eher an großen Hochschulstandorten

Die studentischen Wohnungsmärkte in Baden-Württemberg werden in den kommenden Jahren angespannter sein. Sowohl das Studienplatzangebot als auch die Studienplatznachfrage nehmen zumindest temporär erheblich zu. Die Ausbauplanungen der Studentenwerke erweitern das Angebot an studentischem Wohnraum zwar deutlich, können diese Belastungen aber nicht vollständig kompensieren. Besonders die großen Hochschulstandorte, unter ihnen vor allem Stuttgart, Freiburg im Breisgau und Konstanz, werden voraussichtlich starke Defizite im studentischen Wohnungsmarkt aufweisen.

Angesichts des im Allgemeinen geringen Anteils von Ortsansässigen und potenziellen Pendlern bleiben Entlastungen durch Ausweichreaktionen auf die elterliche Wohnung begrenzt. Schwer abzusehen ist allerdings, in welchem Umfang zusätzlicher Wohnraum temporär, zum Beispiel durch Untervermietung von Zimmern und Einliegerwohnungen, aber auch durch Verringerung des Gebäudeabgangs (Verlängerung der Nutzungsdauer ansonsten nicht mehr vermietbarer Immobilien) geschaffen werden kann. Angesichts einer hohen Präferenz der Studierenden für das Leben in der eigenen Wohnung ist auch mit einer Belastung des allgemeinen Wohnungsmarkts und mit entsprechenden Verdrängungseffekten - vor allem durch zahlungskräftige Wohngemeinschaften - zu rechnen. Allerdings bleiben deutliche Anspannungen voraussichtlich auf die genannten großen Standorte begrenzt. Die Wohnungsmärkte der zahlreichen kleineren Hochschulstandorte, die vorwiegend durch Hochschulen der angewandten Wissenschaft geprägt sind, werden die zusätzliche Nachfrage dagegen voraussichtlich ohne größere Probleme verkraften.

Fußnote

1) L-Bank (Hrsg.) 2011: Wohnungsmarktbeobachtung Baden Württemberg, Karlsruhe 2011. Download: http://www.l-bank.de/allg/linkarchiv/100410 (9. August 2011). Die Analyse wurde durch das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung GmbH (ZEW), Mannheim, in Zusammenarbeit mit dem Lehrstuhl für Wirtschaftsgeographie der Universität Mannheim durchgeführt.

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