Immobilienwirtschaft und Politik

Doppik: Mehr Wissen nutzt

Je enger die finanziellen Spielräume für die Kommune werden, desto dringender werden neue Steuerungsinformationen benötigt, um die städtischen Haushalte präziser steuern zu können - vielleicht vergleichbar mit einem Tanker, der auf der offenen See leicht zu lenken ist, aber eine Fahrt durch eine Schärenküste ohne präzise zusätzliche Informationen wie zum Beispiel die jeweilige Wassertiefe et cetera würde dieser wahrscheinlich keine Seemeile ohne Unfall überstehen. Ohne jeden Zweifel ist insbesondere die Einführung der Doppik eine aufwendige Angelegenheit, die selbst große Ressourcen beansprucht, da in der Regel - wie auch in Wiesbaden - damit ebenfalls die Einführung eines komplexeren EDV-Systems verbunden war, was die Vorbereitungszeit und Komplexität erheblich erhöht.

Verstärktes ökonomische Denken

Allerdings gibt es aber auch ganz interessante neue Erfahrungen: Mit dem sehr umfassenden Prozess der Einführung der Doppik ist zu registrieren, dass damit ganz automatisch ein stärkeres Denken in ökonomischen Zusammenhängen einhergeht. Nicht der schlechteste Nebeneffekt, wenn man auch im öffentlichen Bereich mit dem Umgang von knappen Gütern optimale Ergebnisse für die Bürgerinnen und Bürger einer Stadt erzielen will.

Nachhaltiges und verantwortungsvolles Wirtschaften mit Blick auf die zukünftigen Generationen ist die Aufgabe, die gerade auch die Finanzverwaltung meistern muss. Hinzu kommt, dass die Kommunen ihre Dienstleistungen den Bürgerinnen und Bürgern professionell und kostengünstig anbieten müssen. Diese Herausforderungen sind nicht mehr mit den klassischen Mitteln der Kameralistik zu bewältigen. Daher hat die Innenministerkonferenz beschlossen, dass die öffentliche Verwaltung ihre Buchführung bis 2011 von der Kameralistik auf die "Doppelte Buchführung in Konten Soll und Haben", kurz Doppik, umstellen soll.

Dazu kommt, dass es - wie vermutlich bei allen öffentlichen Verwaltungen ungenutzte und auch ungeahnte Effizienzreserven gibt, die es zu finden und zu nutzen gilt. Das in Wiesbaden daraus abgeleitete Konsolidierungsprogramm war bereits während der Vorbereitungsphase zur Einführung der Doppik ein Anwendungsfeld der neuen Ergebnisse und bildete ein kommunikatives Verfahren mit einer Vielzahl von Fachbereichen. Jedes Aufgabengebiet wurde untersucht. Im Rahmen einer Portfolioanalyse werden die Produkte der einzelnen Ämter, hinsichtlich deren Finanzwirksamkeit und Notwendigkeit bewertet. Dieses Vorgehen lieferte die notwendigen betriebswirtschaftlichen Grundlagen und unterstützte die Einführung der Doppik unter Verwendung einer hochintegrierten Rechnungswesensoftware zum 1. Januar 2007.

Hohe Eigenkapitalquote

Im Laufe des Einführungsprojektes, welches auch eine zwei-jährige Pilotphase in ausgewählten Ämterbereichen umfasste, wurde das Anlage- und Umlaufvermögen der Kernverwaltung erfasst und bewertet. Das Ergebnis der zum Teil sehr aufwendigen Recherchen lag in Form der Eröffnungsbilanz zum 1. Januar 2007 vor. Das Gesamtvermögen umfasst demnach unter anderem den aktuellen Wert von Gebäuden, Straßen, Beteiligungen wie auch Forderungen. Die Bilanz weist einen Bilanzwert von etwa zwei Milliarden Euro und eine Eigenkapitalquote von über 50 Prozent aus (siehe Abbildung 1).

Erstmals ist es also möglich, zu betrachten, über welche Vermögenswerte die Kommune überhaupt verfügt. Durch den Vergleich der Bilanzen über die Jahre hinweg wird dann auch deutlich werden, ob die Stadt vom Tafelsilber lebt, oder ob es ihr gelingt, ihren Vermögensbestand zu halten. Der Ressourcenverbrauch, die Veränderung des kommunalen Vermögens im Hinblick auf die Belastung künftiger Generationen, wird erkennbar und somit steuerbar. Hiermit wird erstmalig das sogenannte Nachhaltigkeitsprinzip eingeführt. Die laufende Nutzung von Vermögenswerten wird durch Abschreibungen dargestellt und mit Rückstellungen (beispielsweise für unterlassene Instandhaltungen) künftigen Belastungen Rechnung getragen. Die Summe des Vermögens allein bildet jedoch noch kein Qualitätsmerkmal für die Prosperität der Stadt. Es stellt sich die Frage, ob es ihr denn auch gehört? Und dies wiederum drückt sich durch eine möglichst hohe Eigenkaptalquote aus.

Die Eröffnungsbilanz wurde gemäß den Vorschriften der Gemeindehaushaltsverordnung (GemHVO-doppik) und unter Anwendung der entsprechenden Sonderregelungen sowie der subsidiär anzuwendenden handelsrechtlichen Vorschriften aufgestellt. Da die Leistungen der Landeshauptstadt Wiesbaden zum überwiegenden Teil nicht der Umsatzsteuerpflicht unterliegen, ist die Stadt regelmäßig nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt. Mithin werden Anschaffungskosten und Aufwendungen grundsätzlich als Bruttowerte (einschließlich Umsatzsteuer) berücksichtigt.

Eine besondere Herausforderung stellte die Bewertung des Anlagevermögens dar. Die größte Position in der Wiesbadener Bilanz bildet das Sachanlagevermögen mit etwa 1,32 Milliarden Euro, welches sich wie in Abbildung 2 aufgliedert. Als anspruchsvoll erwies sich beispielsweise die Bewertung einer Straße. Für die Bewertung des Straßeninfrastrukturvermögens wurden die ursprünglichen Herstellungskosten durch Rückindizierung der aktuellen Herstellungskosten - differenziert nach Bauklassen wie Hauptstraße, Wohnstraße, Plätze - auf die Preisverhältnisse des Zugangzeitpunkts ermittelt. Die Nutzungsdauer richtet sich nach Erfahrungswerten - ebenfalls differenziert nach den verschiedenen Bauklassen. Und das Grundstück, auf dem die Straße gebaut wurde? Hat es überhaupt einen Wert? Zumindest hat es keinen Marktwert, denn die Straße kann schließlich nicht zu einer privaten Nutzung verkauft werden. Ein Wert analog der umliegenden Grundstückwerte? Das wäre schöngerechnet und würde den Prinzipien eines vorsichtigen Kaufmanns zuwider laufen. Die Lösung? Straßenflurstücke werden ebenso wie Wasser- und Naturschutzflächen mit einem Euro pro Quadratmeter bewertet. Ein Quadratmeter Straßengrundstück kostet damit übrigens ebenso viel (oder so wenig) wie ein Stück Denkmal.

Wenn Gebäude die Farbe wechseln

Neben einer Übersicht über die Entwicklung des Vermögens bietet die Doppik der Kommune jedoch noch weitere Vorteile. Die Kameralistik bildet lediglich den Geldverbrauch (Einnahmen und Ausgaben) wie ein Kassenbuch, die kaufmännische Buchführung hingegen den Ressourcenverbrauch ab. Am Beispiel städtischer Wohnhäuser oder auch Gewerbeimmobilien lässt sich dies gut verdeutlichen: In der Kameralistik schrieben viele städtische Objekte "schwarze Zahlen", weil im Wesentlichen nur die Mieteinnahmen und Nebenkosten den Instandhaltungs- und Betriebsausgaben gegenübergestellt wurden. In der kaufmännischen Welt jedoch müssen beispielsweise auch die Abschreibungen als Zeichen des Werteverzehrs und die sogenannten "eh-da-Kosten" zum Beispiel des mit der Bewirtschaftung betrauten Personals berücksichtigt werden, sodass unter kaufmännischen Aspekten viele städtische Objekte "tief-rote" Zahlen schreiben.

Man sieht also, dass mit dem neuen Rechnungswesen der Konsolidierungskurs unterstützt werden kann. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, dass es nicht bei einer Zeitpunktbetrachtung im Rahmen der Bilanzerstellung bleibt. Um erfolgreicher zu steuern, wurden präzisere Analysemethoden - als sie die übliche kamerale Rechnungslegung bietet - eingeführt. Unterstützt werden sie durch ein monatliches Controlling, mit dem die vereinbarten Zielvorgaben überprüft werden. Die Budgetzahlen werden zudem auf regelmäßigen Konferenzen erörtert und gegebenenfalls umgehend Gegensteuerungsmaßnahmen vorgenommen.

Die Zahlen des Rechnungswesens bilden außerdem die Datenbasis für die Haushaltsberatungen. Im Rahmen der Aufstellung eines Haushaltsplans werden die wichtigsten finanzpolitischen Weichen für das nächste Jahr - bei der Landeshauptstadt Wiesbaden für die nächsten zwei Jahre - gestellt. Gerade weil die Kommunen durch die große Anzahl von Pflichtaufgaben in der Verteilung der Mittel stark gebunden ist, gilt es, diesen fixen Kostenbestandteilen große Aufmerksamkeit zu schenken.

Unter anderem muss darauf geachtet werden, dass sich das Sachanlagevermögen nicht aufgrund einer nachlässigen Investitions- und Instandhaltungstätigkeit immer mehr aufzehrt. Dass dies in der Kameralistik kein überragend wichtiger Punkt war, lässt sich an öffentlichen Gebäuden durch bloßen Augenschein in den allermeisten Fällen feststellen. Betrachtet werden also zunächst die gebuchten Abschreibungen der vergangenen Jahre.

Mit geeigneten Simulationsverfahren werden zudem die Abschreibungen der nächsten Jahre kalkuliert. Dabei werden sowohl die vorhandenen Anlagen einbezogen, als auch die bereits im Investitionsprgramm geplanten Bau- und Beschaffungsprojekte. Aus den ermittelten Werten können dann Rückschlüsse gezogen werden auf das Investitions- und Instandhaltungsvolumen, welches zur Erhaltung des Vermögens erforderlich ist.

Wertkorrekturen

Die Einführung der Doppik verändert die Sicht nicht nur auf das kommunale Anlagevermögen. Schon bei der Aufstellung der Eröffnungsbilanz wird eine Weichenstellung vorgenommen, die möglicherweise für viele Jahre die zukünftigen Bilanzen positiv oder negativ beeinflussen kann - so zum Beispiel wenn ertragloses Vermögen zu hoch bewertet wurde. Eine große Zahl von Gebäuden, die hoch bewertet werden, schaffen natürlich auf der einen Seite hohe Eigenkapitalquoten, aber auf der anderen Seite auch hohe Abschreibungsnotwendigkeiten, die erst einmal dargestellt werden müssen. Schon deswegen empfiehlt es sich, vor der ersten testierten Bilanz sehr genau über heutige Bewertungen und in der Zukunft daraus erwachsende Folgen nachzudenken. Man mag dies als gut oder schlecht bewerten, aber die mit der Doppik verbundenen Steuerungsinformationen versetzten die Entscheidungsträger eigentlich erstmals in die Lage, präzisiere und über den Tag hinausgehende Strategien zu entwickeln, gerade für den Umgang mit städtischen Immobilien. Bei der Frage, welche Immobilien in städtischem Besitz sein sollten oder nicht, gibt es so eine neue und wesentliche betriebswirtschaftliche Entscheidungskomponente, die bei vernünftigem Umgang damit eine Menge von Ressourcen für wichtigere Zwecke freischaufeln hilft.

An dieser Stelle spielt dann noch eine Besonderheit des öffentlichen Haushaltsrechts eine wichtige Rolle: Kredite darf die Kommune nur zur Finanzierung von Investitionen aufnehmen und nicht für laufende Zwecke. Ein Aspekt, dem zu Zeiten der Kameralistik zwar auch schon Aufmerksamkeit geschenkt wurde, der jedoch unter kaufmännischer Betrachtung zu dem Dilemma führt, dass die Kommune sich aus finanzwirtschaftlicher Sicht zwar noch Kredite leisten könnte (ohne die Netto-Neuverschuldung zu erhöhen), es jedoch nicht darf, weil ihre Baumaßnahmen das Kriterium der Aktivierungsfähigkeit nicht erfüllen.

Hier ist ein Umdenken bei Politik und Verwaltung erforderlich: Maßnahmen sind stärker zu bündeln und gegebenenfalls muss man kurzfristig mehr Geld in die Hand nehmen, um die Substanz des Infrastrukturvermögens zu halten. Die Bilanzen der nächsten Jahre werden zeigen, ob es gelingen kann.

Georg Müller , Senior Manager bei Plenum AG Managementberatung, Frankfurt am Main
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