Zinskommentar

Draghinomics

Mit seiner Rede in Jackson Hole hat EZB-Präsident Mario Draghi viele Erwartungen an den Märkten geweckt. Mit der ersten Targeted Long Term Refinancing Operation (TLTRO) sowie der Ankündigung des Kaufs von Pfandbriefen und ABS-Papieren unterstreicht die EZB ihre "Whatever it takes"-Einstellung.

Die Ergebnisse der TLTRO sind allerdings mehr als ernüchternd und erhöhen den Druck auf Draghi. Statt der erhofften rund 130 Milliarden Euro nahmen 255 Banken gerade mal Zusagen in Höhe von gut 82 Milliarden Euro in Anspruch. Das zeigt das Problem der Notenbank, die mit dieser Maßnahmen keinen direkten Einfluss auf die Mengenseite nehmen kann. Insofern kann sie die Nachfrage und damit auch die tatsächlichen Liquiditätseffekte nur mittelbar steuern. Analysten der Nord-LB sehen dieses Problem auch bei den Ankäufen von ABS-Verbriefungen - welche im Oktober an den Start gehen sollen - zum Tragen kommen. Sie sehen den Markt für ABS-Strukturen, die den Anforderungen der EZB gerecht werden, relativ klein an, sodass die Effekte auf die Kreditvergabe - die über dieses Programm angekurbelt werden soll - ebenfalls vernachlässigbar bleiben sollten.

Das wirft natürlich die Frage auf, wie realistisch die insgesamt von der EZB angekündigte Summe von 800 Milliarden Euro, die sie über sämtliche nun auf den Weg gebrachte Maßnahmen an den Markt zu geben gedenkt, wirklich ist. Und damit ist natürlich auch das primäre Ziel der EZB infrage gestellt, nämlich die Preise endlich wieder steigen zu lassen, indem die Kaufkraft wächst und so eine höhere Nachfrage entsteht.

So war der Plan, doch die Realität sieht weiterhin anders aus: Im August hatten sinkende Energiepreise die Inflation im Euroraum weiter auf 0,3 Prozent gedrückt - den niedrigsten Stand seit Oktober 2009. Für dieses Jahr erwartet die EZB eine Inflationsrate von 0,6 Prozent, im nächsten Jahr 1,1 Prozent und für 2016 1,4 Prozent. Damit liegen auch die Prognosen deutlich unterhalb der Zielmarke der EZB von knapp unter 2,0 Prozent. Die geringe Teuerungsrate schürt die Angst vor einer Deflation, also einer Abwärtsspirale aller Preise. Als Folge könnten Unternehmen und Verbraucher ihre Investitionen und Anschaffungen in die Zukunft verschieben, weil sie auf weiter sinkende Preise hoffen und die Wirtschaftsleistung noch stärker abnimmt.

Aktuell ist die Konjunktur im Euroraum bereits schwächer, als es optimistisch gestimmte Ökonomen noch zu Jahresanfang glauben wollten, und die wirtschaftlichen Folgen der Sanktionen gegen Russland in der Ukraine-Krise sind noch nicht abschätzbar. Schon im Frühjahr hatte die Wirtschaftsleistung vieler Länder in der Eurozone stagniert: Griechenland, Portugal und Spanien leiden unter den harten, aber zwingend erforderlichen Reformen, den damit verbundenen rigiden Sparauflagen und der hohen Arbeitslosigkeit. Frankreich und Italien kämpfen ebenfalls mit Konjunkturschwächen.

Allerdings teilt nicht jeder Experte die Sorgen der EZB. Otmar Issing, ehemaliger Chefvolkswirt der Deutschen Bundesbank, der EZB und einer der Gründungsväter der Währungsunion und des Euro, bezeichnete in einem Vortrag vor der Börse Stuttgart die Deflationsgefahr als eine "Chimäre", mit Blick auf die Preisstabilität als zentrales Ziel der Geldpolitik.

Durch die Schwierigkeiten der Zentralbank dürfte aber gleichzeitig auch die Wahrscheinlichkeit für ein "echtes" Quantitative Easing seitens der EZB gestiegen sein. Die jüngsten Kommentare ranghoher Notenbanker haben bereits in diese Richtung gedeutet. Mit der nun realistisch bestehenden Gefahr, dass die ergriffenen beziehungsweise beschlossenen unkonventionellen Maßnahmen nicht den erhofften Effekt nach sich ziehen, wird die Riege der Befürworter von direkten Wertpapierankäufen im EZB-Rat weiter steigen.

Die Nachrichten für Bauherren bleiben dagegen gut: Nach einem Zwischentief Mitte Juli sind die Baufinanzierungszinsen Ende August erneut auf ein neues Rekordtief gesunken.

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