Leitartikel

Das haben wir gar nicht gewusst!

Unwissenheit schützt vor Strafe nicht. So weiß es schon der Volksmund. Wenn man sich die gegenwärtigen Regulierungsbemühungen von Politikern und vermeintlichen Experten für die Banken- und Finanzdienstleisterbranche anschaut, dann muss man zum einen konstatieren, dass ganz offensichtlich ein gutes Stück Unwissenheit mit an Bord ist. Natürlich müssen Banken besser überwacht werden. Natürlich muss auch die Finanzwirtschaft ihren Beitrag für ein künftig stabileres Finanzsystem leisten. Das steht außer Frage. Doch entscheidend ist, was hinten rauskommt. Und bei all den - wir unterstellen es - gut gemeinten Maßnahmen sind die Wechselwirkungen noch lange nicht bedacht.

Beispiel 1: Vertreter von Pfandbriefbanken merken dieser Tage nur zu gerne und süffisant an, wie groß mitunter das Staunen bei Gesprächspartnern aus Stadt und Land ist, wenn diesen die Konsequenzen aus den vielen verschiedenen Regulierungsvorhaben erläutert werden. Eine Leverage-Ratio, die die Risikotragfähigkeit der Institute verbessern soll, hat nämlich direkte Konsequenzen für die Kreditvergabe an Kommunen. In einem Geschäft, in dem mit Bruchteilen von Basispunkten kalkuliert wird, können höhere Risikokosten sehr schnell zum Ende des Spiels führen. Ein Blick in die Statistiken zeigt die Bedeutung: Der Marktanteil der Pfandbriefbanken bei der Finanzierung der öffentlichen Haushalte in der Bundesrepublik beläuft sich nach Verbandsangaben auf über 43 Prozent. Allein in den ersten fünf Monaten des laufenden Jahres wurden neue Öffentliche Pfandbriefe im Volumen von 19,2 Milliarden emittiert, knapp die Hälfte des gesamten Refinanzierungsbedarfs der Pfandbriefemittenten insgesamt. Die Folge: Kommunen bekommen weniger und vor allem teureren Kredit. Den Pfandbriefbanken fehlt eine wichtige Refinanzierungssäule, denn die Hypothekenpfandbriefe können das fehlende Volumen sicher nicht kompensieren. Dann wiederum ist zu befürchten, dass es aufgrund mangelnder Mittel auch an anderen Stellen zu einer Finanzierungsverknappung kommt. Leidtragender ist die KfW Bankengruppe: Deren Vorstandsvorsitzender Ulrich Schröder mag sich mitunter wie der Zauberlehrling fühlen, der die Geister, die er rief, nun nicht mehr los wird. Noch 2009 sah Schröder für die KfW in der Kommunalfinanzierung großes Potenzial. Nun versucht er alles, um die Mittelvergabe an Städte und Dörfer zu begrenzen - und scheitert. Zu groß ist der Finanzierungsbedarf der öffentlichen Haushalte und demzufolge zu groß der Widerstand im politisch besetzten Verwaltungsrat der KfW. Nur: Dass sich bei Weitem nicht alle Kommunen allerbester Bonität erfreuen, ist schon lange kein Geheimnis mehr. 2010 lag das Defizit bei stolzen 7,7 Milliarden Euro. Sollten hier Wertberichtigungen anfallen, trägt der Verwaltungsrat als Kontrollgremium eine Mitschuld. Das darf dann nicht vergessen werden.

Beispiel 2: Basel III und die verschärften Vorschriften für die Versicherer, Solvency II, stellen die gesamte Bankenbranche vor gewaltige Herausforderungen bei der künftigen Eigenmittelbeschaffung, sind die Wirkungen doch absolut kontraproduktiv. Den Vorschriften zufolge werden Versicherer künftig Investitionen mit kurzer Laufzeit bevorzugen, da lange Durationen die Kapitalanforderungen erhöhen. Banken brauchen Eigenkapital aber langfristig, damit es unter Basel III anerkannt wird. Hinzu kommt das Bonitätsproblem: Solvency II stellt hohe Ansprüche an die Qualität der Schuldner, folglich wird die Assekuranz künftig nahezu ausschließlich im Investmentgrade-Bereich investieren. Noch ist das kein Problem, da bei vielen Banken-Ratings ein staatlicher Support berücksichtigt ist. Doch in spätestens zwei Jahren werden nur noch die Stand-Alone-Bewertungen als Maßstab dienen. Es drohen Herabstufungen um bis zu drei Stufen ("Notches"), was viele Banken aus dem Investmentgrade-Bereich herausfallen ließe. Versicherer werden also ganz zwangsläufig ihre Engagements im Bankenbereich zurückfahren und sich auf Anlagen in Staatsanleihen, die laut Solvency II nicht mit Eigenkapital unterlegt werden müssen (Griechenland lässt grüßen! ), oder "AAA"-geratete Covered Bonds beschränken.

Genau auf diese werden aber auch Banken verstärkt zurückgreifen müssen, denen andere Finanzierungsquellen fehlen. Die "Neukunden" ING-Diba und einige Sparkassen sind erste Anzeichen der Bemühungen um eine Verbreiterung der Refinanzierungsbasis. Das wirft Fragen auf: Wie viel Pfandbrief verträgt der Markt? Es ist schwer vorstellbar, dass der gesamte Refinanzierungsbedarf so abgedeckt werden kann. Denn das erfordert ja auch ausreichend gutes Geschäft für die Deckungsstöcke. Was passiert eigentlich mit den Ratings der Pfandbriefe, wenn die Bewertungen der Emittenten sich verschlechtern? Und wer verkauft den Kunden dann endlich, dass Kredite teurer werden müssen, weil die Politik einmal neue Regeln beschlossen hat?

Das haben wir gar nicht gewusst, kann dann als Ausrede nicht mehr gelten!

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