Stadtentwicklung

Recycling von Industrieflächen durch Wohnungsbau

Nachhaltigkeitslabels wie DGNB, LEED, Breeam sollen Investoren und Bauherren dazu motivieren, nachhaltiger zu bauen. In der öffentlichen Wahrnehmung wird hierunter aber oft nur Energieeffizienz verstanden. Tatsächlich umfasst Nachhaltigkeit aber mehrere Ebenen: ökonomische, soziokulturelle und technische Aspekte ebenso wie Prozessqualität beim Bau und ökologische Kriterien.

Mit Blick auf den letztgenannten Aspekt spielt die Energieeffizienz zwar eine wichtige Rolle. Ein umfassenderer Blick ist jedoch nötig. Insbesondere der Freiflächenverbrauch muss viel stärker in den Fokus rücken. Denn die großzügige Neuinanspruchnahme von Freiflächen ohne die eingehende Prüfung von Alternativen ist seit Jahrzehnten ein Kernproblem der Raumentwicklung in Deutschland. In den vergangenen 60 Jahren hat sich die Fläche für Siedlungs- und Verkehrszwecke mehr als verdoppelt - und der Trend hält ungebrochen an.

Einer der Hauptgründe für diese Entwicklung ist, dass eine dreidimensionale Nutzung des Raumes weit höhere Erträge erzielt als eine zweidimensionale. Wenn Ackerland und Grünflächen zu Bauland werden, können sich die Grundstückspreise schnell verzehnfachen. Ist das Grundstück schließlich bebaut, kann sich der Wert noch einmal um ein Vielfaches erhöhen - je nach Standort und Gebäudeart. Auf den ersten Blick mag es daher verlockend erscheinen, weiterhin Freiflächen zu überbauen und damit Mehrwerte zu schaffen, doch sollte man diese Entscheidung differenzierter betrachten. Insbesondere in großen Metropolen kann so Bedarf auch kurzfristig abgedeckt werden. In vielen Fällen gibt es keine Alternative, als Freiflächen zu nutzen.

30 Hektar pro Tag als Ziel

Vergegenwärtigt man sich jedoch die sozialen und ökologischen Kosten, so sollte das Urteil häufiger für Flächen ausfallen, die recycelt werden können. Denn nutzt man bislang unbebauten Boden für Wohnen, Wirtschaft und Verkehr, wird er häufig so stark verändert, dass er in seinen natürlichen Funktionen substanziell geschädigt oder sogar unwiderruflich zerstört wird. Mit dem Flächenverbrauch geht nicht nur die Verdrängung von Lebensräumen einher.

Weitere Folgen sind die Reduktion der biologischen Vielfalt oder die Beschneidung von Erholungsräumen. Schließlich sind auch die langfristigen ökonomischen Auswirkungen zu bedenken. Insbesondere der Bau neuer Infrastrukturen wie neue Straßen oder Trassen für Ver- und Entsorgungsmedien sind mit enormen Kosten verbunden.

Zugunsten einer Schonung von außerstädtischen Freiflächen sollte deshalb eine Verdichtung in urbanen Stadtlagen angestrebt werden. Vordringlich sind hier der Bau im Bestand, Flächenkonversionen, Baulückenschließungen und eine Nachverdichtung durch eine höhere zulässige Geschossflächenzahl - und im Zweifel auch durch Grünflächenüberbauung. Denn eine Stadt darf Stadt sein, sprich kompakt bebaut sein, solange eine maßvolle Verdichtung mit einem vertretbaren Gleichgewicht zwischen Bauflächen und Grünflächen angestrebt wird.

Dass mit Blick auf den Freiflächenverzehr dringender Handlungsbedarf besteht, hat die Bundesregierung bereits im Jahr 2002 erkannt und erklärt, den Verbrauch bis 2020 um rund drei Viertel - von damals 129 auf 30 Hektar pro Tag - zu senken. Rund 18 Jahre hat sie sich zum Erreichen des Ziels gegeben. Die Hälfte der Zeit ist um, doch das Ziel noch immer in weiter Ferne. Aktuell beträgt der durchschnittliche Flächenverbrauch pro Tag rund 80 Hektar.

Vor allem brachgefallene Gewerbeflächen sollten daraufhin geprüft werden, ob man sie beispielsweise für den Wohnungsbau nutzbar machen kann. Bereits jetzt ist Leerstand auf dem deutschen Büromarkt ein Massenphänomen - und er wird in den nächsten Jahren an manchen Standorten voraussichtlich weiter steigen. Denn stärker noch als Wohnimmobilien werden Büroimmobilien vom demografischen Wandel betroffen sein. In einer alternden Gesellschaft sinkt automatisch auch die Zahl der Erwerbstätigen - und das wesentlich schneller, als die Gesamtbevölkerung sinkt. Anders ausgedrückt: Die Menschen hören früher auf zu arbeiten, als sie aufhören zu leben.

Auch veränderte Arbeitsplatzstrukturen wie beispielsweise eine vermehrte Nutzung von Home-Office-Möglichkeiten und mobilen, nicht personengebundenen Arbeitsplätzen führen tendenziell zu einer sinkenden Nachfrage an Büroräumen. Hinzu kommt, dass alte Gebäude häufig nicht mehr den Ansprüchen genügen. Gefragt sind vor allem besonders energieeffiziente Bürogebäude. Energie lässt sich jedoch leichter in Neubauten einsparen als in Bestandsobjekten, die aufwendig und kostenintensiv saniert werden müssten.

Dem Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW Köln) zufolge wird die Nachfrage nach Büros in 14 der 20 größten deutschen Städte bis 2025 zum Teil drastisch zurückgehen. Nicht betroffen von diesem Trend sind unter den sieben Top-Standorten Hamburg, Köln und München. Betrachtet man die übrigen untersuchten Großstädte, so fällt die Nachfrageentwicklung bei Büros allerdings äußerst ernüchternd aus. Verglichen mit 2006 beträgt der Rückgang in Frankfurt am Main 2,6 Prozent, in Leipzig fünf Prozent, in Berlin 6,5 Prozent und beispielsweise in Magdeburg über 20 Prozent.

Bei Wohnimmobilien hingegen ist der Begriff "Leerstand" in den deutschen Metropolen geradezu ein Fremdwort. Die Nachfrage nach Wohnraum wird nur in vier der 20 größten Städte zurückgehen. München zählt laut IW Köln in beiden Kategorien zu den Städten mit steigender Nachfrage und ist jeweils führend. Aber auch in München zeigt sich, dass der Zuwachs im Büroimmobiliensegment (plus 7,2 Prozent) deutlich moderater ausfällt als im Wohnimmobiliensegment (plus 13,0 Prozent). Die Umwandlung ungenutzter Büroimmobilien in geeigneten Lagen in Wohnfläche kann folglich ein wesentliches Instrument darstellen, um den Bedarf zu decken.

Die bayerische Landeshauptstadt geht hier mit gutem Beispiel voran. Im Jahr 2011 wurden im Münchener Stadtgebiet rund 100000 Quadratmeter Bürofläche zu Wohnfläche erklärt - ein Wert, der in den Jahren zuvor nicht einmal annähernd erreicht wurde. Zugleich geht auch der Neubau von Büroräumen deutlich zurück. Wurden 2010 noch mehr als 300000 Quadratmeter fertiggestellt, so waren es 2011 nur rund 190000 Quadratmeter. Für 2012 und 2013 werden gerade einmal 128000 beziehungsweise 91000 Quadratmeter neu entstehende Bürofläche prognostiziert.

Münchener Beispiel

Die Umwidmung von Gewerbeflächen in Wohnraum ist auch bei der Bayerischen Hausbau ein zentrales Thema. Ein Beispiel hierfür sind die Welfen Höfe im Münchener Stadtteil Au-Haidhausen. Ursprünglich befand sich das Grundstück an der Welfenstraße im Besitz der Paulaner Brauerei und war vor allem durch einfache gewerbliche Nutzungen wie Lager, Autohändler und Reparaturwerkstätten geprägt. Im Jahr 2005 hat die Bayerische Hausbau einen Architekturwettbewerb für die Entwicklung des Areals ausgelobt. Im Zentrum stand das Anliegen, Historie und Moderne miteinander zu verbinden und neue Wohnflächen in ein lange ausschließlich gewerblich genutztes Gelände zu integrieren. Heute entsteht dort ein gemischtes Stadtquartier mit insgesamt 480 Wohneinheiten. Um Monostrukturen zu vermeiden, werden die Wohnungen um Einzelhandel, Büro, Gastronomie und zwei Kindertagesstätten ergänzt.

Ein weiteres Projekt der Bayerischen Hausbau, das vorsieht, brachliegende Gewerbeflächen in Wohnraum umzuwandeln, findet sich auf dem Areal des ehemaligen Togal-Werks in München Alt-Bogenhausen. Ab 2013 sollen hier auf 5100 Quadratmetern rund 60 neue Wohneinheiten sowie Büro- und Einzelhandelsflächen und eine Tiefgarage entstehen. Ein sensibler Umgang mit der denkmalgeschützten Architektur ist dabei ein zentrales Anliegen der Stadt München und der Bauherren.

So wird ein neobarockes Gebäude, das 1899 als Gastwirtschaft errichtet wurde und seit 1921 als Verwaltungsgebäude des Pharmaunternehmens Togal fungierte, vollständig erhalten bleiben und in die Neubebauung integriert. Unter Denkmalschutz stehen ebenfalls ein Brunnen aus dem Jahr 1901 im Innenhof sowie zwei historische Mauerpfeiler, die das Areal zur Straße hin abgrenzen. Die beiden Projekte zeigen beispielhaft, dass das Recycling von industriellen Brachflächen eine erfolgreiche Strategie zur Verminderung des Flächenverbrauchs und zur Revitalisierung von Städten ist - und der starken Nachfrage nach zusätzlichen Wohnungen Rechnung trägt.

Erfreulicherweise werden sich immer mehr Städte und Kommunen in ganz Deutschland darüber bewusst, dass die Umnutzung leer stehender Gebäude und gewerblicher Brachflächen notwendig ist, um den Flächenverbrauch nachhaltig einzudämmen. Der Anteil wiedergenutzter Brachflächen nimmt seit einigen Jahren kontinuierlich zu. Diesen Trend fortzusetzen und zu verstärken, muss Ziel der Landes- und Regionalplanung sein. Denn ohne eine konsequente Wiederverwertung von brachliegenden Flächen entziehen wir unserem Lebensraum buchstäblich den Boden - und werden das 30-Hektar-Ziel nicht erreichen können.

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