Im Blickfeld

S&P stresst Europa

Da schau einer an, in der Eurozone kriselt es. Politisches Handeln ist notwendig, wenn der gemeinsame Währungsraum und die fiskalische Handlungsfähigkeit erhalten bleiben sollen. Diese Erkenntnis ist alles andere als neu. Neu ist jedoch, dass Standard & Poor's (S&P) es jetzt auch schon gemerkt und insgesamt 15 Länder der Eurozone und damit auch den Europäischen Stabilisierungsfonds EFSF auf "Credit Watch Negative" gesetzt hat. Dieser Erkenntnisblitz überraschte Märkte und Börsen offensichtlich weit mehr als die hinlänglich bekannten Krisentatbestände.

Dabei sollte man es besser wissen. Schließlich kann der Ratingagentur nun wahrlich nicht vorgeworfen werden, dass sie sich an den Stimmungen der Stammtische orientiere. Sie hatte schon beim ersten Rettungsschirm für das faktisch insolvente Griechenland das ungute Gefühl beschlichen, dass die milliardenschweren Kredite und Garantien die

Haushalte der übrigen Eurostaaten über Gebühr belasten dürften. Denn durch die Hilfen für die eigenen Banken waren die nationalen Schuldendienste bereits arg strapaziert worden. Als dann in noch größerem Umfang als gedacht die Hellenen gestützt werden mussten, war die volkswirtschaftliche Schmerzgrenze erreicht. Griechenland aufzufangen, mag in einem gemeinsamen europäischen Kraftakt vielleicht gelingen, für Spanien oder Italien, die ohnehin mit dem Rücken zur Wand stehen, müssen andere Lösungen her.

Insofern mag es beruhigen oder beunruhigen, dass Ratingagenturen weder Orakel noch Prognostiker sind, sondern in aller Regel nur das zu diagnostizieren vermögen, was inzwischen ohnehin jeder weiß. Sie dokumentieren also quasi Allgemeinwissen und agieren prozyklisch. Müßig zu erwähnen, dass Verbriefungen von faulen Hypothekenkrediten erst dann ihre Top-Ratings verloren, als die Risiken schlagend wurden, dass Lehman herabgestuft wurde, als die Bank längst pleite war, oder die Bonitätsnoten für griechische Staatsanleihen sanken, als die Investoren höhere Spreads verlangten.

Nun also will S&P die Euro-Staaten 90 Tage lang stressen und anschließend die Ratingnoten senken oder auf dem bisherigen Niveau belassen. Für beides wird - wie banal - jeweils eine Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent genannt. Fünf hinlänglich bekannte Fakten werden als Gründe genannt: Erstens lähmen schlechte Kreditportfolios, strengere Eigenkapitalregeln und eine teure ungedeckte Refinanzierung die Banken. Zweitens avancieren supranationale Institutionen wie der IWF zu privilegierten Staatsgläubigern, die andere Investoren in den Nachrang treten lassen. Drittens agiert die Politik zu langsam, um die Staatsschuldenkrise zu bewältigen. Viertens sind Staaten und Private zu hoch verschuldet und fünftens ist das Wirtschaftswachstum zu gering, um die Defizite abzubauen.

All das ist längst bekannt. Bekannt ist ebenso, dass S&P gern politische Akzente setzt. Schon in der US-Schuldenkrise wollte die Agentur Präsident, Senat und Repräsentantenhaus vor sich hertreiben, indem unmittelbar vor den entscheidenden Sitzungen damit gedroht wurde, das Rating herabzustufen, sollten die Beschlüsse andere sein, als von S&P erwartet. Konkret will die Agentur gegenseitige Budgetkontrolle der Euro-Staaten und mehr Möglichkeiten der Staatsfinanzierung durch die EZB, vor allem aber eine Art europäischen Länderfinanzausgleich.

Beeindruckt haben die Drohungen der Ratingagentur bislang weder die Märkte noch die Mächtigen dies- und jenseits des Atlantiks. In den USA konnten oder wollten sich die Parteien nicht einigen. Deutschland lehnt Euro-Bonds ebenso ab wie Staatskredite durch die EZB und platzierte trotz negativem Ratingausblick eine fünfjährige Anleihe von mehr als vier Milliarden Euro zu einem Zins von 1,11 Prozent - nur minimal mehr als für eine vergleichbare Emission im November. L. H.

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