Leitartikel

Verunsicherte Versicherungen

Seit Jahren kündigen die deutschen Versicherer an, ihre Immobilienquote zu erhöhen. Laut einer Umfrage von Ernst & Young soll der aktuelle Immobilienanteil in den Kapitalanlagen der Assekuranz von durchschnittlich 6,1 Prozent innerhalb der kommenden zwei Jahre auf neun Prozent steigen. Feri Euro Ratings ist nicht ganz so optimistisch, prognostiziert aber für 2011 einen Anteil von immerhin 7,5 Prozent. Doch bei genauerer Betrachtung ist festzustellen, dass den schönen Worten bislang wenige Taten folgten. So stieg die Immobilienquote der von Ernst & Young befragten Versicherer binnen Jahresfrist nur um magere zehn Basispunkte. Von daher sollte man lieber den Angaben des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) folgen, wonach die direkten und indirekten Immobilienanlagen im Anlageportfolio der Erstversicherer 3,3 Prozent erreichen. Eine Quote, die laut Verband seit Jahren weitgehend konstant ist. Auch die Ankündigung, stärker von direkten in indirekte Immobilienanlagen umzuschichten, hält der Überprüfung nicht stand. Immer noch entfallen etwa zwei Drittel auf unmittelbar gehaltene Immobilien und nur gut ein Drittel steckt in Fonds. REITs und Immobilienaktien sind zu vernachlässigen.

Ein Grund für die Diskrepanz zwischen der in Aussicht gestellten und der realisierten Immobilienquote dürfte die Markteinschätzung sein. Denn nur jedes dritte Versicherungsunternehmen meint laut Ernst & Young, dass die Immobilienmärkte ihren Boden erreicht hätten, während 44 Prozent von einem weiteren Abschwung ausgehen und sich mit Investitionen noch zurückhalten. Aber auch hinsichtlich der Inflationserwartungen gehen die institutionellen Anleger von anderen Annahmen aus als die privaten. Während Letztere die Entschuldung des Staates durch Inflation fürchten und ihr Kapital in Immobilienanlagen (vermeintlich) in Sicherheit bringen, halten zwei Drittel der von Ernst & Young befragten Versicherer dieses Szenario für unwahrscheinlich. Ein anderer Grund für die Zurückhaltung der Assekuranz bei Immobilieninvestitionen dürften die zukünftigen regulatorischen Anforderungen sein. Vor allem Solvency II hat für Verunsicherung gesorgt. Seit Jahren wird an dem Regelwerk gefeilt. Vier Auswirkungsstudien hat es schon gegeben - die letzte 2008. Im vergangenen Jahr hat das Europäische Parlament die Einführung im Grundsatz beschlossen, doch die Umsetzung in nationales Recht ist erst für 2013 vorgesehen. Diese Zeit wird aber auch nötig sein, denn Abstimmungsbedarf ist noch reichlich vorhanden.

Im Juli nun initiierte die Europäische Kommission den fünften Praxistest (QIS 5). Würden diese Vorgaben eins zu eins umgesetzt, dann wären vor allem Immobilienaktien/REITs sowie Immobilien-Private-Equity-Gesellschaften unattraktiv, weil hier die Eigenkapitalanforderungen mit 45 beziehungsweise sogar 55 Prozent besonders hoch sind. Für Immobilienfonds müssten 25 Prozent Eigenkapital unterlegt werden, was den Markt spürbar einengen dürfte. Entsprechend der Studie von Ernst & Young bestehen die Immobilienanlagen der Versicherer aktuell zu einem Viertel aus Offenen Immobilienfonds, vorwiegend Spezialfonds, zu 27 Prozent aus Geschlossenen Immobilienfonds, zu fünf Prozent aus Private-Equity-Gesellschaften und zu 43 Prozent aus Direktbestand. Gesellschaften, die Engpässe in der Eigenkapitalunterlegung haben, könnten künftig geneigt sein, ihre indirekten Immobilienanlagen durch direkte zu ersetzen. Deshalb wird es für die Fondsmanager darauf ankommen, die höheren Eigenkapitalkosten durch niedrigeren Managementaufwand und/oder höhere Fondsrenditen zu kompensieren. Das eine dürfte zu Lasten der Dienstleistungsqualität gehen, das andere mit der von Versicherern bevorzugten Risikoorientierung auf Core- und Core-plus-Immobilien in den Sondervermögen kaum zu bewerkstelligen sein. So oder so: Die Risiken drohen zuzunehmen. Ist das so gewollt?

Von den jüngsten Modifikationen in Solvency II sind aber auch Pfandbriefe betroffen. Laut GDV hatten Pfandbriefe zu Jahresbeginn einen Anteil am Anlageportfolio der Erstversicherer von 25,3 Prozent beziehungsweise 255,3 Milliarden Euro. Damit ist die Assekuranz der mit Abstand wichtigste Pfandbriefinvestor. Von den insgesamt 719 Milliarden Euro umlaufenden Pfandbriefen halten die Versicherungsunternehmen 37 Prozent. Deshalb hatten sich die Pfandbriefbanken und die Versicherungen vehement dafür eingesetzt, dass Pfandbriefe nicht wie Unternehmensanleihen, sondern wie Staatspapiere in der Eigenkapitalanforderung eingestuft werden. Ganz erfüllt hat sich dieser Wunsch nicht, denn nach aktuellem Stand müssten 5,5 Prozent Eigenkapital reserviert werden. Das entspricht der Quote, die auch für Unternehmensanleihen mit AAA-Rating gilt. Hier kann und sollte noch nachgebessert werden. Als Erfolg der Verbandsarbeit darf dagegen gewertet werden, dass die Versicherer künftig nicht mehr verpflichtet sein sollen, eine hinreichende Schuldnerdiversifikation in den Deckungspools der Covered Bonds nachzuweisen. Ebenfalls positiv ist die Bevorzugung der Covered Bonds bei der Berechnung des Spreadrisikos zu sehen. Während für Unternehmensanleihen mit AAA-Rating 0,9 Prozent Wertverlust pro Laufzeitjahr unterstellt werden, sind es bei Covered Bonds mit Bestrating nur 0,6 Prozent.

Politisch motiviert - und deshalb problematisch - ist, dass für Staatsanleihen von EWR-Ländern unabhängig von der Bonität kein Eigenkapital zu unterlegen ist. Höher verzinste griechische Staatsanleihen werden also gegenüber deutschen Bundesanleihen attraktiver. Damit würde sich jedoch das eben erst gesehene Euro-Dilemma wiederholen: Indem sich die Länder mit geringerer fiskalischer Disziplin zu gleichen Bedingungen wie die sparsameren Gemeinschaftsmitglieder refinanzieren können, wird übermäßige Verschuldung belohnt. Hat Europa so wenig aus den jüngsten Staatskrisen gelernt? Unerklärlich ist zudem, warum auch für öffentliche Pfandbriefe, die mit Staatskrediten unterlegt sind, Eigenkapital vorgehalten werden muss. Welche Auswirkungen die Vorschriften auf den Pfandbriefmarkt tatsächlich haben werden, muss die im August beginnende Testphase zeigen. Im November wird man dann hoffentlich genauer wissen, was realisierbar ist, ohne den Pfandbrief und die Immobilienfondsanlage nachhaltig zu beschädigen. Das letzte Wort sollte in dieser Frage noch nicht gesprochen sein. L. H.

Noch keine Bewertungen vorhanden


X