Im Blickfeld

Zeitbombe kommunale Schulden

Mehr Steuereinnahmen und trotzdem mehr Schulden. Die Entwicklung der kommunalen Finanzen offenbart schwerwiegende Mängel in der deutschen Fiskalpolitik, speziell in der Verteilung der öffentlichen Einnahmen auf Bund, Länder und Gemeinden. Vor allem Bund und Länder entledigen sich immer mehr Aufgaben zulasten der Kommunen, die zunehmend überfordert sind. Bereits im vergangenen Jahr hat nahezu jede zweite Gemeinde höhere Ausgaben als Einnahmen gehabt.

2013 rechnen laut einer aktuellen Umfrage der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft Ernst & Young 59 Prozent der Städte und Gemeinden mit einem Haushaltsdefizit. Jede zweite Kommune erwartet einen Anstieg ihrer Verschuldung in den kommenden Jahren. Befragt wurden 300 deutsche Kommunen mit mindestens 20 000 Einwohnern. Zusammen ächzen die deutschen Kommunen unter einem Schuldenberg von 135 Milliarden Euro.

Die Folgen sind dramatisch. Drei von vier Kommunen planen der Studie zufolge, ihre Steuern und Gebühren anzuheben. Allein im vergangenen Jahr haben 22 Prozent der Kommunen den Grundsteuerhebesatz erhöht. Für Kindertagesstätten und Ganztagsschulen werden die Gebühren angehoben, gleichzeitig an der Jugend- und Seniorenarbeit gespart. Die Investitionen in die Infrastruktur wurden allein im vergangenen Jahr um elf Prozent reduziert.

Doch die drastischen Maßnahmen fruchten kaum. Laut Ernst & Young rutschen die ohnehin finanzschwachen Kommunen noch tiefer ins Defizit. Die letzten verfügbaren Zahlen aus dem Jahr 2011 zeigen, dass bei 70 Prozent der Kommunen mit einer Pro-Kopf-Verschuldung von mehr als 2 000 Euro die Schulden weiter steigen werden. Für die nächsten drei Jahre erwartet jede zweite Kommune ein Anwachsen ihres Schuldenstands. Von den Kommunen, die aktuell bereits ein Haushaltsdefizit haben, gehen sogar 59 Prozent von einem weiteren Anstieg ihrer Schulden aus. Mussten in den vergangenen drei Jahren bereits 40 Prozent der Städte und Gemeinden ein Haushaltssicherungskonzept verabschieden, so dürften es in drei Jahren 53 Prozent sein.

Erst in diesem Jahr kommt der Bund den Kommunen zu Hilfe und übernimmt 75 Prozent der Kosten für die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, 2014 werden es sogar 100 Prozent sein. Für die nächste Legislaturperiode ist geplant, dass der Bund die Kosten für die Eingliederungsbeihilfe für Menschen mit Behinderung trägt. Darüber hinaus haben acht Bundesländer kommunale Rettungsschirme aufgelegt, die von immerhin 15 Prozent der Kommunen bereits in Anspruch genommen werden.

Angesichts der enormen Schulden und der geringen Möglichkeiten, diese abzutragen, konstatieren die Analysten jedoch: "De facto sind viele deutsche Kommunen längst bankrott." Mit der im Grundgesetz festgeschriebenen Schuldenbremse sollte die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte eigentlich unterstützt werden. Doch um die Vorgaben einzuhalten sparen die Länder auch an den Zuschüssen für die Kommunen und verschärfen damit deren Finanzprobleme. Dass die Kommunen ihren Kapitaldienst überhaupt noch leisten können, ist nach Einschätzung von Experten nur den derzeit extrem niedrigen Zinsen zu verdanken. Doch wie sollte das Schuldenproblem gelöst werden, wenn die langfristigen Zinsen anziehen?

Eine Lösung wissen auch die Berater von Ernst & Young nicht. Dabei liegen drei Möglichkeiten auf der Hand: Erstens könnten Bund und Länder im Sinne des Haftungsverbundes, wie er im Grundgesetz fixiert ist, (schrittweise) einen Teil der kommunalen Verbindlichkeiten übernehmen. Zweitens könnte der Konkurs von Kommunen durch Änderung des Grundgesetzes und des Insolvenzrechts zugelassen werden. Drittens hat der Souverän natürlich immer noch die

Möglichkeit eines Schuldenschnitts. Es ist und bleibt in jedem Fall die Wahl zwischen Pest und Cholera. Undenkbar ist jedoch keine der Alternativen. Doch will sich die deutsche Politik ein Griechenland-Szenario im eigenen Land antun? Leider kommen aus Europa keine Lösungsalternativen. Red.

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