PROJEKTENTWICKLUNG

PROJEKTENTWICKLUNGEN ZWISCHEN INFLATION, LIEFERENGPÄSSEN, NACHFRAGE UND MIETSTEIGERUNG

Joanne Warren, Foto: Barings

"Es deutet alles darauf hin, dass der aktuelle Preisdruck lediglich vorübergehender Natur ist." So oder so ähnlich lauten die seit vielen Monaten zu vernehmenden Kommentare von Lagarde, Powell & Co. Das offensichtliche Problem daran ist, dass dieses Narrativ mit jeder weiteren Hiobsbotschaft von der Inflationsfront an Glaubwürdigkeit einbüßt. Der Dezember war erneut ein Paradebeispiel dafür: Sowohl in der Eurozone (plus 5,0 Prozent gegenüber Vorjahresmonat), als auch in den USA (plus 7,0 Prozent) überraschten die Preisdaten einmal mehr deutlich auf der oberen Seite. Das kann natürlich nicht ohne Auswirkungen auf die Immobilienwirtschaft bleiben. Vor allem die gegenüber konjunkturellen Effekten sensible Projektentwicklung bekommt die hohe Inflation bereits heute zu spüren. Der vorliegende Beitrag arbeitet die sich daraus ergebenden Chancen und Risiken heraus. Red.

Höhere Baukosten, längere Fertigungszeiten: Die Steigerung der Inflationsrate, Lieferengpässe und Fachkräftemangel haben in Deutschland im vergangenen Jahr einige Projektentwicklungen unter Druck gesetzt.

Stärkster Preisanstieg seit 29 Jahren

Laut den Daten des Statistischen Bundesamts wurde im September die 4-Prozentund im November die 5-Prozent-Marke geknackt. Ende des vergangenen Jahres stand die Inflationsrate bei 5,3 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat.

Damit sind die Preise in Deutschland so stark gestiegen wie seit 29 Jahren nicht mehr. Einen höheren Wert gab es zuletzt im Nachgang der Wiedervereinigung im Juni 1992 mit 5,8 Prozent. Der Anstieg soll sich laut einigen Experten allerdings im Jahr 2022 nicht weiter fortsetzen.

Die Europäische Zentralbank (EZB) geht in ihrer jüngsten Prognose zur Inflation im Euroraum indes von einer längeren Dauer als zunächst erwartet aus. Sie soll aber über 2022 fallen und bis Jahresende das Inflationsziel von unter 2 Prozent erreichen. Wir bei Barings glauben ebenfalls, dass diese hartnäckige Periode der Kostendruckinflation mangels solider Lohnsteigerung und bei vorübergehenden Basiseffekten letztendlich enden wird.

Was bedeutet die Inflation nun also für Projektentwicklungen? Immobilien bieten Cashflows mit indexgebundenen Eigenschaften - und damit einen gewissen Inflationsschutz. In kleinen Dosen können inflationäre Tendenzen den Immobilienmärkten deshalb sogar nutzen, da sie die Nachfrage der Anlegenden nach der Assetklasse anheizen können.

Indexierung schützt nur bis zu einem gewissen Grad

Eine übermäßige Inflation kann jedoch auch die Aussichten für die Immobilienmärkte eintrüben, insbesondere wenn sie zu steigenden Zinsen führt und sich die höheren Entwicklungskosten negativ auf die Bewertung der Bauvorhaben auswirken.

Steigende Baukosten und längere Projektzeiten durch Lieferengpässe von Baumaterialien wirken sich derzeit bereits negativ auf den internen Zinsfuß (Internal Rate of Return, IRR) von Bauvorhaben in ganz Europa aus. Eine Folge könnte ein Abflachen der allgemeinen Bautätigkeit in der Entwicklungspipeline vieler Unternehmen sein.

Gleichzeitig erhöht die Verknappung moderner Flächen die Renditeaussichten, insbesondere an Standorten mit langfristig positivem strukturellem Ausblick. Zu diesen "Hotspots für Bauträgergewinne" gehören vor allem die Immobiliensektoren, die vom Rückenwind für die voranschreitende Digitalisierung und von Umwelt-, Sozial-, und Governance-Faktoren (ESG) profitieren.

Das limitierte Angebot, strukturelle Engpässe, Grundstücks- und Flächenmangel sowie langwierige Planungsprozesse sorgen damit für ein erhöhtes Mietniveau. Unter diesen Voraussetzungen dürften Bauträger die Preise weiterhin bestimmen und Spitzenmieten verlangen können - und damit die Bewertung entsprechend hoch ansetzen.

Sind die Marktbedingungen allerdings nicht durch diese strukturellen Treiber bestimmt, werden einige Bauträger bei weiter anhaltender Inflation einige Pläne auf Eis legen müssen, da die gewünschten Renditeziele oder Rentabilität nicht erreicht werden können.

Ein Viertel mehr Logistikfläche für Westeuropa benötigt

Der europäische Logistiksektor hat außerordentlich von der Pandemie profitiert. Die strukturelle Verlagerung zugunsten des Onlineshoppings wurde durch die Lockdowns und weitere Sicherheitsvorkehrungen im öffentlichen Leben zusätzlich begünstigt. Das hat die Nachfrage für Logistikflächen enorm angeheizt.

Barings geht bei seinen internen Schätzungen davon aus, dass allein aufgrund der Nachfrage des Einzelhandels bis ins Jahr 2024 in Westeuropa 20 bis 25 Prozent mehr moderne Logistikflächen benötigt werden. Gleichzeitig ist der Flächenmangel im Sektor bereits heute endemisch.

Die Nachfrage wird nur unzureichend durch neue Bauvorhaben gedeckt und in den meisten Märkten stehen nur sehr wenige Grundstücke für die weitere Entwicklung zur Verfügung. Das Mietwachstumspotenzial im Logistiksektor ist entsprechend hoch.

Bei den Entwicklungsprojekten des vergangenen Jahres erwiesen sich vor allem steigende Stahlkosten und Schwierigkeiten bei der Materialbeschaffung als problematisch. Einige Zulieferer hatten Berichten zufolge ihre Auftragsbücher auf unbestimmte Zeit geschlossen oder waren nicht in der Lage, Materialien vor dem zweiten Quartal 2022 zu liefern.

Durchschnittliche jährliche Fertigstellung von Bauvorhaben in den vergangenen 20 Jahren (in Prozent des benötigten Bedarfs) Quelle: Barings, EZB

Beträchtliche Mietaufschläge sollten kein Problem sein

Bei anhaltender Materialknappheit und steigenden Baukosten werden sich Projektstarts so weiter verzögern und Bauzeiten verlängern - und sich damit der bereits herrschende Angebotsdruck bei modernen Logistikflächen weiter verschärfen.

Um die höheren Baukosten abzufedern und die erforderlichen Projektrenditen zu erzielen, können Bauträger mit Objekten in Vorzugslage einen beträchtlichen Mietaufschlag verlangen.

Nach unserer Analyse der Break-Even-Mieten von Bauträgern gehen wir davon aus, dass Mieten für moderne Logistikzentren für die Zustellung auf der sogenannten "letzten Meile" oder für Objekte an überregionalen Verkehrsknotenpunkten um bis zu 30 Prozent steigen könnten.

Investoren, die derzeit die Nachhaltigkeit der Renditen für erstklassige Logistikimmobilien infrage stellen, könnte das zum Umdenken bewegen - auch wenn die Definition von wirklich "erstklassigen" Immobilien nach der Pandemie vielleicht enger gefasst werden wird.

Wohnimmobilien: kein Ende des Booms in Sicht

Der europäische Wohnimmobiliensektor hat sich in den vergangenen Jahren zu einem Investorenliebling entwickelt - insbesondere für Anlegende, die einen stabilen Cashflow oder eine Alternative zum Einzelhandel suchen.

Die Immobilienpreise steigen nachhaltig, gestützt durch niedrige Zinsen und einen Mangel an Wohnraum, vor allem in den Ballungsgebieten. Der Markt zeigt keinerlei Hinweise auf eine Abkühlung. Wohneigentum ist zunehmend unerschwinglich und die Mietnachfrage wird entsprechend angefacht.

Die weit verbreitete Wohnungsnot und die wachsende Mieterschaft in Verbindung mit großen Unterschieden bezüglich der Größe und des Reifegrads der institutionellen Märkte einzelner Länder bietet nach Ansicht von Barings eine Vielzahl interessanter Chancen im Wohnungsbau im ganz Europa.

Enorme Herausforderungen durch Holzverknappung

Die Fundamentaldaten für Investitionen in Wohnimmobilien sind nach wie vor solide, doch auch hier haben sich höhere Baukosten und Engpässe bei den Baustoffen negativ auf die IRRs einiger Projekte ausgewirkt.

Insbesondere die Holzverknappung - ein nachwachsender Rohstoff, der gerade im Hinblick auf ESG-konforme Entwicklungen immer wichtiger wird - stellt die Branche vor große Herausforderungen (siehe Abbildung). Nach unserer Schätzung könnten die Break- Even-Mieten der Bauträger für erstklassige Projekte eine Prämie von 10 bis 15 Prozent enthalten, die es nun freizusetzen gilt. Wir glauben, diese höheren Mieten und Verkaufspreise lassen sich aber nur an den Standorten erzielen, an denen der Druck durch die Wohnungsnot sehr hoch ist.

Die Inflation hat im vergangenen Jahr die Popularität einzelner Assetklassen im Immobiliensektor also weiter vorangetrieben. Es ist davon auszugehen, dass der Inflationsdruck über das Jahr 2022 hinweg nachlassen wird - eine gute Nachricht für Entwickler.

Auf Immobilienseite bleibt die Nachfrage bei Logistik- und Wohnimmobilien sowie bei erstklassigen Bürogebäuden in sehr guten Lagen an strukturell starken Standorten hoch.

Joanne Warren , Associate Director, Real Estate Research , Barings Real Estate, London

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