Expo Real Special

Strukturelle Wachstumstreiber gewinnen gegenüber zyklischen Trends an Bedeutung

Matthias Naumann, Head of Strategy Europe, Deutsche Asset Management, Frankfurt am Main

Quelle: Deutsche Asset Management

Im neunten Jahr des laufenden Investmentzyklus am europäischen Immobilienmarkt gestaltet es sich für Anleger zunehmend schwierig, ihre Portfolios wunschgemäß zu erweitern. Die begehrten Spitzensegmente in den Topstädten sind praktisch leergefegt und selbst die Märkte aus der zweiten Reihe sind mittlerweile von einem intensiven Wettbewerb geprägt. Sich in diesem komplexen Investitionsumfeld strategisch günstig zu positionieren, ist wahrlich keine einfache Aufgabe. Der Autor gewährt im folgenden Beitrag Einblicke in die aktuellen Überlegungen eines großen Vermögensverwalters. Unter anderem rät er dabei zu einer starken Absicherung gegenüber potenziellen Veränderungen von Inflation und Zinsen. Vielversprechend sei in diesem Zusammenhang eine Übergewichtung in langfristige Wachstumssegmente, welche ihre Wertsteigerungen vor allem mit Hilfe struktureller Trends erzielten. Red.

Die europäischen Immobilienmärkte haben sich im vergangenen Halbjahr sehr dynamisch entwickelt. Ungeachtet der historisch hohen Kapitalwerte und der Anzeichen, dass die Geldpolitik weltweit vor einer Phase der Straffung steht, gibt es zu diesem Zeitpunkt kaum Hinweise auf ein abruptes Ende des aktuellen Zyklus. Auch wenn die Renditen in den kommenden Jahren moderat ausfallen könnten, scheint der europäische Immobiliensektor zumindest mittelfristig nicht überbewertet.

Das häufig bemühte Argument, dass Immobilien gegenüber dem risikolosen Zinssatz einen deutlichen Renditeaufschlag bieten, bleibt unverändert richtig. Zudem sollte hervorgehoben werden, dass sich die Rahmenbedingungen am Vermietungsmarkt nicht nur weiterhin positiv entwickeln, sondern der Ausblick aufgrund der über Erwarten starken wirtschaftlichen Erholung in der Eurozone zuletzt noch einmal angehoben wurde. Angesichts dieser Entwicklung hält die Nachfrage nach Immobilienanlagen unvermindert an. Dennoch, aufgrund des hohen Preisniveaus in nahezu allen europäischen Märkten, fühlt sich eine wachsende Anzahl von Investoren bei Zukäufen im Spitzensegment zunehmend unwohl.

Langfristiges Zinsumfeld als große Unbekannte

Nachdem weitere Preisanstiege über Jahre hinweg Marktkonsens waren, fällt es vielen Anlegern nun schwer, die Preise, insbesondere im historischen Kontext, als nachhaltig zu bewerten. Statistisch gesehen, wäre eine Korrektur ohnehin überfällig. Wir befinden uns mittlerweile im neunten Jahr des Investmentzyklus und die jüngere Vergangenheit hat gezeigt, dass Superzyklen über zehn Jahre und länger, bisher nur isoliert auf Länderebene aufgetreten sind.

Anleger sollten sich jedoch bewusst sein, dass eine wachsende Zahl von Märkten wie Deutschland, Frankreich und sogar Spanien - die in den vergangenen Jahren zu den wichtigsten Zielen ausländischer Investoren zählten - allmählich (zu) teuer erscheinen. Stattdessen bieten mittlerweile Märkte wie Brüssel, Amsterdam oder Helsinki, in Relation zwar ein etwas günstigeres Investitionsumfeld, jedoch steigen auch hier die Preise sukzessive an. Zudem ist in diesen Märkten die Zahl der investierbaren Objekte deutlich geringer, weswegen vielen Investoren eine empfohlene Übergewichtung im Portfolio in der Praxis nicht gelingen dürfte. Antizyklische Strategien können wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht empfehlen, allerdings werden die Märkte in London und Warschau sehr genau beobachtet. Sobald Risiken besser kalkulierbar werden, empfiehlt sich ein Wiedereinstieg in den Markt.

Steigen die Zinsen stärker als erwartet, nimmt das Risiko einer signifikanten Marktkorrektur ab einem bestimmten Zeitpunkt deutlich zu. Investoren sollten sich zukünftig möglichst stark gegen ein sich potenziell verändertes Inflations- und Zinsumfeld absichern. Dies dürfte am besten gelingen, indem eine Übergewichtung in langfristige Wachstumssegmente erzielt wird, die ihre Wertsteigerungen vor allem mithilfe von strukturellen und nicht zyklischen Trends erzielen.

Neue disruptive Technologien und Trends, wie E-Commerce und Automatisierung, aber auch direkte städtebauliche Trends in den Bereichen Demografie und Urbanisierung dürften zwar die Werte in bestimmten Immobiliensegmenten weiter unter Druck setzen. Unserer Meinung nach bieten diese Megatrends aber mindestens genauso viele Chancen für Investoren, um langfristig besser abzuschneiden als der Gesamtmarkt.

Auf Büros in Innenstadtnähe konzentrieren

Vor allem die Nachfrage nach urbanen und innenstadtnahen, jedoch außerhalb der klassischen Central Business Districts (CBD) gelegenen Bürogebäuden, dürfte weiter zunehmen. Technologieunternehmen und neue Arten von Dienstleistern treiben hier die Nachfrage. Deren Mitarbeiter bevorzugen kurze Wege zwischen Wohnort, Freizeit- und Arbeitsstätte. Aufstrebende Stadtteillagen wie London Kings Cross haben bereits bewiesen, dass auch innerstädtische Randlagen durchaus hohes Mietwachstum erzielen können. Mittelfristig sehen wir ähnliche Wachstumspotenziale an urbanen Bürostandorten wie etwa Paris North-East, Barcelona @22 oder Berlin Friedrichshain.

Der Vorteil dieser Investitionen ergibt sich aus den vergleichsweise niedrigen Mieten, die allein langfristig aufgrund von Basiseffekten hohe Wachstumspotenziale aufweisen. Häufig sind die Wiederherstellungskosten pro Quadratmeter bereits deutlich höher als die Marktmiete. Aufgrund der hohen Durchmischung stehen die Nutzungsarten hier zudem in einem starken Wettbewerb.

Projektentwickler haben sich hier in den letzten Jahren vor allem auf den Wohnungsbau konzentriert, da man in diesem Sektor bei häufig höheren Mieten, geringeren technischen Anforderungen, minimalen Vermietungsrisiken und politischer Unterstützung, eine deutlich attraktivere Marge erzielen kann. Dadurch werden Büroflächen langfristig verknappt, wodurch die Mietwachstumspotenziale deutlich zunehmen.

Einzelhandel unter Druck

Über die vergangenen Jahre hat der Einzelhandel Phasen der Stärke und Phasen der Schwäche durchlaufen. Momentan scheint sich die Stimmung wieder in Richtung des Letzteren zu bewegen. Auch wenn die Ereignisse in den Vereinigten Staaten die Stimmungslage beeinflussen, herrscht insgesamt ein gewisser Pessimismus vor. Paradoxerweise geschieht dies zu einer Zeit, in der die Voraussetzungen für den Einzelhandel wieder günstiger sind: Nicht nur das Verbrauchervertrauen ist hoch, auch die Einzelhandelsumsätze legen in weiten Teilen Europas kräftig zu.

Doch ungeachtet dieser Verbesserungen wandern die Umsätze unvermindert zum Online-Handel ab, was ganze Geschäftsmodelle infrage stellt, Margen schmälert und schließlich zu einer verminderten Flächennachfrage führt. Erneut sorgen diese Voraussetzungen für ein Auseinanderdriften der Wertentwicklungen. Während sich B-Lagen meist schwer tun, ziehen die gefragtesten Standorte - die Shoppingmeilen der Großstädte sowie führende Einkaufszentren - zusätzliche Nachfrage an und verzeichnen Mieten in Rekordhöhe. Allerdings gilt das nicht unbedingt für alle Märkte. So kam es in Deutschland und den Niederlanden trotz der stärkeren Konjunktur zu einem Anstieg der Leerstände in Einkaufszentren und einem entsprechenden Rückgang der Mieten.

Und nachdem Zentral-London in den vergangenen zehn Jahren zu den Innenstadtlagen mit der stärksten Performance zählte - mit Spitzenrenditen, die sich über diesen Zeitraum verdoppelt haben und überproportional hohen Immobiliensteuerabgaben im West End - zeigen einzelne Beispiele, dass sich erste hochkarätige Mieter abseits der allerteuersten Standorte nach Alternativen umschauen.

Logistik: die "letzte Meile" gewinnt an Bedeutung

Die Megatrends Urbanisierung, Demografie und technologischer Wandel erweisen sich für den Einzelhandel und den Logistiksektor nach wie vor als zerstörerische Kräfte. Sie alle tragen zu den Veränderungen der Konsumgewohnheiten bei, die sich im Erfolg von Online-Handel, Fast Fashion oder dem Convenience-Store-Konzept manifestieren. Hersteller, Einzelhändler, Online-Händler und Logistik-Drittanbieter sehen sich ihrerseits gezwungen, die Beschaffungsketten agiler und effizienter zu gestalten, um die Erwartungen der Endkunden im Hinblick auf Geschwindigkeit und Flexibilität zu erfüllen. Deshalb fassen in den unterschiedlichsten Branchen viele Mieter mittlerweile ihre Distributions- und Auftragsabwicklungsaktivitäten zu immer größeren, infrastrukturnahen XXL-Standorten zusammen, die sich entweder in nationale Verkehrsknotenpunkten oder im Einzugsgebiet großer Ballungszentren befinden.

Europaweit ist die Verfügbarkeit an den besten Standorten mittlerweile erheblich geschrumpft, mit Leerstandsquoten von unter 6 Prozent, was zu steigenden Mieten und in einigen Märkten zu einer verstärkten Entwicklungsaktivität führt. Darüber hinaus ist in den Stadtgebieten auch eine wachsende Mieternachfrage zur Versorgung der "letzten Meile" festzustellen. Omnichannel- und Online-Händler, Paketdienste und Lebensmittelhändler sind bestrebt, eine Präsenz am Stadtrand aufzubauen oder Baulücken zu entwickeln, um Ladenketten zu beliefern, Click-and-Collect-Systeme oder Lieferschließfächer effizient zu bestücken oder direkt an den Kunden liefern zu können. Nachdem sich dieser Trend in den Ballungsräumen bereits fest etabliert hat, ist er jetzt in ganz Europa zunehmend auch in Kleinstädten zu beobachten. Tatsächlich führen die breite Mieternachfrage und der Wettbewerb durch alternative Flächennutzungskonzepte mittlerweile zu einem Aufwärtsdruck bei den Mieten.

Entstehung neuer Mietermärkte in Europa

Auf dem europäischen Wohnungsmarkt hat sich der Trend zu einer stärker institutionalisierten Anlageklasse in der ersten Jahreshälfte 2017 fortgesetzt. Das Investorenuniversum ist größer und gleichzeitig vielfältiger geworden, wobei immer mehr Anleger international ausgerichtet sind. Dieser Trend spiegelt sich auch in den wachsenden Transaktionsvolumina wider, die sich auf den 21 größten europäischen Wohnungsmärkten zwischen 2009 und 2016 von 7,5 auf 36 Milliarden Euro mehr als vervierfacht haben.

Nach wie vor entfallen mehr als 50 Prozent aller Transaktionen im Wohnungsmarkt auf große Länder wie Deutschland und Großbritannien, doch Märkte wie die Niederlande, Dänemark und Finnland holen mit großem Tempo auf und erreichen heute bereits beträchtliche Investitionsvolumina. 2016 haben insgesamt neun europäische Länder beim Transaktionsvolumen die Schwelle von einer Milliarde Euro übertroffen, verglichen mit nur fünf im Jahr 2015. Andererseits blieben die Transaktionsumsätze in einigen Ländern schwach, was auf ein begrenztes Investitionspotenzial hinweist.

Erhebliche nationale Unterschiede

Entsprechend dem wachsenden Interesse institutioneller Investoren und dem allgemeinen Anstieg der Marktgängigkeit wird das Marktsegment zudem, insbesondere im Mehrfamilien-Teilsegment, allmählich auch transparenter. Doch trotz der zunehmenden Transparenz wird der Zugang zum europäischen Wohnungsmarkt im Vergleich zu gewerblichen Märkten durch nationale und regionale Unterschiede erschwert. Zum einen können regulatorische Einschränkungen, insbesondere im Hinblick auf Steuer-, Investitions- und Vermietungslösungen, für Neuinvestoren erhebliche Hindernisse beim Markteintritt darstellen.

Zum anderen unterscheiden sich die Märkte auch im Hinblick auf ihre Größe insgesamt, vor allem aber im Hinblick auf den Mietwohnungsmarkt. Angesichts einer Gesamtzahl an Mietwohnungen, die von 200000 bis zu 19 Millionen reicht und nicht zuletzt von der Eigentumsquote abhängt, die ebenfalls sehr unterschiedlich ausfällt und europaweit zwischen 45 und 95 Prozent schwankt, unterscheidet sich die Größe des investierbaren Markts von Land zu Land ganz erheblich. Hinter diesen nationalen Unterschieden verbergen sich zudem regionale Diskrepanzen, da insbesondere in städtischen Ballungsräumen die Mieternachfrage nachhaltig hoch ist.

Hier treten die Ungleichgewichte von Angebot und Nachfrage besonders stark zutage, wenngleich die Zahl der Baugenehmigungen für Mehrfamilienhäuser in ganz Europa zugenommen hat. Doch auch an dieser Stelle war das Bild auf nationaler Ebene uneinheitlich. Während die Pro-Kopf-Entwicklungsaktivität in Südeuropa gering blieb, fiel sie in der Schweiz, in Österreich, Finnland und Frankreich besonders stark aus. Letztlich bleibt festzuhalten, dass Ballungsräume infolge einer anhaltenden Urbanisierung überdurchschnittliche Bevölkerungsgewinne und eine erhöhte Mieternachfrage verzeichnen und gleichzeitig infolge hoher Kosten die Nachfrage im Mietsegment tendenziell stärker wächst.

Anspruchsvolles Marktumfeld bietet noch Chancen

Auch wenn das Investieren von Kapital in den vergangenen Jahren komplizierter geworden ist, bieten sich für Anleger aus unserer Sicht immer noch gute Investitionschancen, ohne auf einen umsichtigen Risikoansatz verzichten zu müssen.

Die Deutsche Asset Management plädiert weiterhin dafür, dass Anleger, die ins Core-Segment investieren, auf dreierlei achten: (1) einen starken Fokus auf zielgenaue Investitionen in übergewichteten Märkten und/oder an aufstrebenden Standorten, (2) ein waches Auge auf die Risiken in den Märkten und (3) die Optimierung der bestehenden Portfolios.

Der Autor: Matthias Naumann, Head of Strategy Europe, Deutsche Asset Management, Frankfurt am Main
Matthias Naumann , Chief Investment Officer, Europe, Head of Strategy, Europe, DWS Group, Frankfurt am Main
Noch keine Bewertungen vorhanden


X