Hypothekarkredit

Von wegen "Single Rule Book" - national divergierende Regelungen für Hypothekenkredite

Markus Petry

Trotz beabsichtigter Bündelung aufsichtsrechtlicher Regelungen in einem Single Rule Book herrschen in der Europäischen Union weiterhin deutlich abweichende Regelungen. Dafür sorgen national unterschiedliche Anwendungen von Öffnungsklauseln. Diese finden sich in ausgeprägter Form bei der Immobilienfinanzierung wider. Zur Vermeidung nationaler Asset Bubbles, die teilweise durch billiges EZB-Geld befeuert werden, etablieren Aufsichtsbehörden entsprechende nationale Regelungen. Diese stellen die Banken vor spürbare Probleme. Durch fehlendes Grandfathering bereits bestehender Kredite gibt es beispielsweise die Möglichkeit, dass ganze Teilportfolios ihre Rentabilität einbüßen. Red.

Wenn man gleichzeitig durch verschärfte Eigenkapitalregeln und national diskretionäre Maßnahmen zur Bekämpfung von Asset Bubbles den Banken die Anreize zum Betreiben des Kreditgeschäftes nimmt, stellt sich die Frage, über welchen Intermediationsmechanismus das Notenbankgeld überhaupt in die Realwirtschaft gelangen soll.

Die Europäische Union (EU) hat den Anspruch formuliert, alle für Banken relevanten aufsichtsrechtlichen Regelungen in harmonisierter Form in einem Single Rule Book zu bündeln. Den Kern dieses regulatorischen Kompendiums bilden die Capital Requirement Regulation (CRR) und die Captial Requirement Directive (CRD IV). Gegen die Grundidee einheitlicher und verbindlicher Regelungen für alle Banken in der EU im Sinne eines Level Playing Field ist wenig einzuwenden. Jedoch führen die national unterschiedlichen Anwendungen von Öffnungsklauseln im CRR/CRD IV Paket zu signifikanten Unterschieden in der Behandlung gleicher Geschäfte in verschiedenen Ländern.

Insbesondere im Bereich der Hypothekendarlehen zeigt sich in diesem Zusammenhang eine mehr als unglückliche Verquickung von Geldpolitik und Bankenaufsicht, die in einem Regelungsdschungel gipfelt, der trotz der Existenz eines Single Rule Book, fast in jedem Land zu de facto unterschiedlichen Regelungen führt. Bei der Euro-Finance-Week im November 2014 hat die Direktorin der Europäischen Zentralbank (EZB), Sabine Lautenschläger, zwar eine Harmonisierung aufsichtsrechtlicher Regelungen durch Streichung nationaler Sonderregeln angekündigt, von den in diesem Artikel thematisierten Maßnahmen war dabei jedoch nicht die Rede.

Bekämpfung von Asset Bubbles

Die EZB flutet die Märkte seit der Finanzkrise mit billigem Geld. Damit ist primär das Ziel verbunden, Investitionen zu fördern. Von der zur Verfügung gestellten Liquidität fließt jedoch nur ein Teil - aus Sicht vieler Marktbeobachter ein zu kleiner Teil - in die Realwirtschaft, während der Rest die Nachfrage auf den Aktien- und Immobilienmärkten befeuert.

In vielen europäischen Ländern sind aus diesem Grunde die Märkte für Wohnimmobilien überhitzt. Um einem Asset Bubble entgegenzuwirken, werden seit geraumer Zeit von einigen nationalen Bankaufsichtsbehörden zwei Typen von Regelungen erlassen: Kosten-/Preis-anreizbezogene Regularien zielen darauf ab, die Rentabilität des Kreditgeschäftes für die Banken zu reduzieren. In der Folge verteuern sich Kredite und die Kreditvergabe wird eingeschränkt. Darunter fallen direkte Maßnahmen wie zum Beispiel die Aktivierung und Erhöhung von Eigenkapitalpuffern (konkret antizyklischer Kapitalpuffer sowie Systemrisikopuffer), aber auch indirekte Maßnahmen wie beispielsweise die Erhöhung von Risikogewichten und Mindest-Loss-Given-Defaults (LGDs). Qualitative Verfahren entsprechen der Festlegung bestimmter Mindestanforderungen, die im Rahmen der Kreditvergabe einzuhalten sind, zum Beispiel Limite für Loan-to-Value (LTVs) oder Mindestwerte beim Zinsdeckungsgrad (Debt-to-Income-Ratio DTI).

Auch wenn in Deutschland bis dato noch keine entsprechenden Überlegungen publik geworden sind, so haben doch einige andere nationale Aufseher innerhalb (und außerhalb) der EU bereits entsprechende Regelungen umgesetzt beziehungsweise geplant.

Konkrete Regelungen im Markt für Hypothekendarlehen

In Belgien hat die Notenbank festgestellt, dass die Risikogewichte belgischer Wohnimmobilienkredite im internationalen Vergleich relativ niedrig sind. Dies liegt insbesondere an relativ niedrigen LGD-Schätzungen (siehe Abbildung), während die PDs etwas höher liegen als im europäischen Durchschnitt.

Aufgrund des deutlichen Anstieges der Wohnungspreise in Belgien befürchtete die belgische Notenbank, dass die ohnehin schon niedrigen LGD-Schätzungen potenzielle Verluste systematisch unterschätzen und hat daher verfügt, dass alle den IRBA anwendenden Banken ihren Berechnungen der Risikogewichte für in Belgien gelegene Immobilien pauschal fünf Prozentpunkte hinzufügen müssen. Die Regelung ist nur gültig für Banken mit Sitz in diesem Land.

In Schweden hatte die Riksbank zur Abkühlung des überhitzten Immobilienmarktes Anfang 2014 die Geldversorgung verknappt. Aufgrund der resultierenden ökonomischen Folgen (wirtschaftlicher Einbruch in Verbindung mit einer Erhöhung der Arbeitslosenquote) wurden die Zinsen in der Folge wieder angehoben. Stattdessen hat sich die Notenbank dazu entschlossen, zwei Kapitalpuffer zu aktivieren - den Systemrisikopuffer für systemrelevante Banken und den Kapitalerhaltungspuffer. Letzterer soll nach neuesten Veröffentlichungen am 13. September 2015 aktiviert werden und zunächst auf ein Prozent festgelegt werden. Während der Systemrisikopuffer sich nur auf vier schwedische Institute bezieht, gilt der Kapitalerhaltungspuffer für alle Institute, die in Schweden Geschäft betreiben, also auch für ein deutsches Kreditinstitut, das Kredite in Schweden vergibt.

Darüber hinaus hat Schweden eine Regelung der norwegischen Nationalbank, die LGD-Floors für in Norwegen gelegene Immobilienkredite von 10 Prozent auf 20 Prozent heraufzusetzen, übernommen. In den Niederlanden wurden bisher Systemrisikopuffer für sieben Banken (je nach Bedeutung der Bank ein, zwei oder drei Prozent) aktiviert.

Entsprechende Regelungen finden sich auch in Kroatien. Eine Gruppe von Banken hat einen Systemrisikopuffer von 1,5 Prozent einzuhalten, während eine zweite Gruppe 3 Prozent vorzuhalten hat. Dort sind jedoch zusätzlich die Kriterien für die Nutzung eines Risikogewichts von 35 Prozent für Wohnimmobilienkredite im Kreditrisikostandardansatz (KSA) verschärft worden. Dieses Risikogewicht darf seit 1. Januar 2014 unter anderem nur noch dann angewendet werden, wenn der Eigentümer beziehungsweise Vermieter einer Wohnimmobilie eine natürliche Person ist und der Kreditnehmer nicht mehr als zwei Wohneinheiten besitzt.

Auch Länder außerhalb der EU haben teilweise umfangreiche Maßnahmen zur Stabilisierung ihrer Märkte für Wohnimmobilien erlassen. Neben den bereits genannten Regelungen Norwegens hat in Europa vor allem die Schweiz reagiert und neben einer Aktivierung des antizyklischen Kapitalpuffers auch eine Reihe qualitativer Maßnahmen getroffen. Eine von der schweizerischen Aufsicht FINMA angestoßene Selbstverpflichtung der Schweizerischen Bankiersvereinigung beinhaltet zum Beispiel Mindesttilgungssätze und den Verzicht auf die Anrechnung von Zweiteinkommen bei unverheirateten Paaren.

Sogar China und Singapur haben teilweise drastische Maßnahmen ergriffen. So hat Singapur beispielsweise den maximalen LTV seit 2009 von 90 auf 40 Prozent gesenkt und China ein LTV-Limit von 80 Prozent eingeführt sowie maximale Zinsdeckungsgrade vorgeschrieben. Die Maßnahmen in diesen asiatischen Ländern hatten eine derart positive Wirkung auf die Stabilisierung der Preise von Wohnimmobilien, dass der Baseler Ausschuss derzeit prüft, ob entsprechende Kriterien bei der Überarbeitung der Regelungen des KSA eingeführt werden sollen.

Erhebliche Probleme für Banken

Die aus der Sorge um die Entstehung nationaler Asset Bubbles im Wohnimmobilienbereich getriebene Aktivierung landesindividueller Regelungen stellt die Banken vor erhebliche Probleme. Selbst wenn man davon ausgeht, dass Banken frühzeitig darüber informiert sind, welche Regelungen nationale Aufsichtsbehörden treffen, so ist doch jeweils zunächst eine Analyse erforderlich, ob diese Regelungen lediglich Kredite von in diesen Ländern beheimateten Banken betreffen oder über die in der CRR kodifizierte Reziprozitätsklausel auch für Banken beispielsweise mit Sitz in der Bundesrepublik Deutschland Gültigkeit haben. Die potenziell unterschiedliche Auslegung existierender Regelungen innerhalb der EU (Eurozone versus nicht künftig von der EZB beaufsichtigte Bankensysteme) wird dieses Problem gegebenenfalls noch verschärfen.

Da das Grandfathering bei bereits bestehenden Kreditbeziehungen nicht sichergestellt ist, besteht die Möglichkeit, dass ganze Teilportfolios ihre Rentabilität einbüßen. Dies hat wiederum strategische Implikationen für die internationale Kreditwirtschaft, die mit dieser offensichtlichen Abkehr vom Single Rule Book-Gedanken implizit dazu aufgefordert wird, ihre Strategie auch an zu erwartenden individuellen nationalen Regelungsverschärfungen zu orientieren und dementsprechend Regulierungsarbitrage zu betreiben. Derzeit werden offenbar die unerwünschten Konsequenzen der von der EZB festgelegten Geldpolitik auf nationaler Ebene mitigiert. Dies soll wohl dazu führen, dass alle Ventile für das Entweichen von in den Wirtschaftskreislauf gepumptem Notenbankgeld verstopft werden sollen. Das einzige Ventil, das offen bleibt, soll die Realwirtschaft sein, sodass die gewünschten Wachstumsimpulse auch dort ankommen, wo sie ansetzen müssen.

Diese Politik der Flutung der Märkte mit billigem Geld und gleichzeitiger nationaler Maßnahmen zur Lenkung der Geldströme weg vom Immobilienmarkt mag durchaus gut gemeint sein. Die Nachfrage der Realwirtschaft nach Kredit wird dadurch derzeit aber nicht angekurbelt. So ist der Bestand an Krediten an inländische Unternehmen und wirtschaftlich selbstständige Privatpersonen in Deutschland derzeit trotz aller Aktivitäten der Zentralbank so niedrig wie seit 2007 nicht. Wenn man gleichzeitig durch verschärfte Eigenkapitalregeln und national diskretionäre Maßnahmen zur Bekämpfung von Asset Bubbles den Banken die Anreize zum Betreiben des Kreditgeschäftes nimmt, stellt sich die Frage, über welchen Intermediationsmechanismus das Notenbankgeld überhaupt in die Realwirtschaft gelangen soll.

Der Autor

Prof. Dr. Markus Petry Hochschule RheinMain, Wiesbaden Business School, Wiesbaden

Weitere Artikelbilder

Noch keine Bewertungen vorhanden


X