Aufsätze

Neue Wege der europäischen monetären Stabilisierungspolitik

Die Turbulenzen an den europäischen Finanzmärkten setzten schon im August 2007 massiv ein. Vereinzelte Stimmen hatten zwar vor einer möglichen Krise gewarnt, aber kaum einer hatte wohl erwartet, dass sie mehr als zwei Jahre dauern und mit gravierenden Auswirkungen nicht nur im monetären, sondern auch im realwirtschaftlichen Bereich verbunden sein würde. Im Verlauf der Störungen war die Insolvenz der amerikanischen Investmentbank Lehman Brothers im September 2008 dann eine Zäsur, nach der die Krise eine potenziell zerstörerische Dimension erreichte.

Konzertierte Krisenprävention durch Erkenntnisfortschritt

Zum Krisenverlauf und zu den Ursachen der Krise sind mittlerweile zahlreiche Veröffentlichungen erschienen (Financial Stability Forum, 2008; Kölbach/Macke/Schönwitz, 2009). Nun, da zum Jahreswechsel 2009/2010 der problematischste Teil der Krise als überstanden angesehen werden kann und die Finanzmärkte sich trotz noch bestehender Unwägbarkeiten erkennbar erholt haben, ist es an der Zeit, sich verstärkt mit der wissenschaftlichen Aufarbeitung der Krisenpolitik zu befassen. Die Krise hat gewiss enorme Wohlfahrtsverluste gebracht. Ihre Analyse und die systematische Auseinandersetzung mit den Reaktionen der Politik als Herausforderungen an die Wirtschaftswissenschaft wird jedoch den Erkenntnisfortschritt fördern (Weber, 2009, 1), sodass Vergleichbarem in Zukunft auch seitens der Zunft der Ökonomen in der Politikberatung konzertiert und nicht nur mit einzelnen warnenden Stimmen entgegengewirkt werden kann.

Zur Systematisierung des Geschehens bietet es sich an, auf die Einteilung der monetären Stabilisierungspolitik nach Görgens/Ruckriegel/Seitz (2006) zurückzugreifen. Danach können analytisch vier Ebenen unterschieden werden:

1. Instrumente der Zentralbank,

2. operative Zielsetzung,

3. Indikatoren zur Bestimmung der geldpolitischen Ausrichtung,

4. Endzielvorgabe.

Die Vorgehensweise zur Eindämmung der Finanzkrise hat zum einen entscheidende Auswirkungen auf der Ebene der Instrumente gehabt, indem unkonventionelle Maßnahmen ergriffen wurden. Zum anderen wurde im Hinblick auf die zweite Ebene die Frage aufgeworfen, ob es - wie vor der Krise - gemäß der theoretischen Annahme effizienter Finanzmärkte weiterhin alleiniges operatives Ziel bleiben kann, den Zinssatz auf dem Tagesgeldmarkt gemäß der Endzielvorgabe Preisstabilität zu steuern.

Weil einer der Verursachungsfaktoren für die Krise eine überreichliche Liquiditätsversorgung nach dem Platzen der New Economy Blase in Amerika zu Anfang dieses Jahrhunderts war, die in eine Hauspreisblase auf dem US-(Subprime-)Immobilienmarkt mündete (Schönwitz, 2008), wurde auf der Ebene der Indikatoren deutlich, dass eine vorbeugend ausgerichtete monetäre Politik auf die Analyse von Geldmengenaggregaten als Vorlaufindikatoren nicht verzichten kann. In Anlehnung an Milton Friedmans berühmte Feststellung bleibt festzuhalten, dass nicht nur Verbraucherpreisinflation sondern auch Vermögenspreisblasen ein monetäres Phänomen sind.

Strikte Unterscheidung zwischen Geld- und Liquiditätspolitik

Entscheidend ist, dass durch das Krisenmanagement der EZB die Endzielorientierung, das vorrangige Mandat zur Sicherung der Preisstabilität, nicht in Frage gestellt wurde. Vielmehr hat die konsequente Ausrichtung darauf zu einer Vorgehensweise geführt, die sich - insbesondere bis zur Zäsur durch die Lehman-Brothers-Insolvenz deutlich von der Strategie der US Federal Reserve Bank und der Bank of England unterschieden hat. Gemeinsam ist den großen Zentralbanken, dass sie unverzüglich und flexibel auf erste Anzeichen der Turbulenzen reagiert haben.

Der entscheidende Unterschied in der Vorgehensweise bestand darin, dass die EZB im ersten Jahr der Krise den Leitzins nicht senkte, sondern wegen drohender Inflationsgefahren sogar Mitte 2008 um 25 Basispunkte auf 4,25 Prozent erhöhte. Sie (ECB, 2009, 1) hat zu dieser Strategie eine aufschlussreiche Stellungnahme abgegeben: " ... betonte sie wiederholt, dass sie genau zwischen ihren geldpolitischen und allfälligen liquiditätspolitischen Maßnahmen differenziert, die zur Sicherung des reibungslosen Funktionierens der Märkte erforderlich sind. So blieb der geldpolitische Kurs darauf ausgerichtet, das Preisstabilitätsziel zu erreichen, während die Liquiditätspolitik im Zeichen der Bemühungen stand, das reibungslose Funktionieren der Geldmärkte durchgängig zu gewährleisten."

Die Erklärung für diese von manchen Zentralbankbeobachtern nicht richtig eingeordnete Vorgehensweise ist, dass die EZB die Finanzmarktkrise in ihrem Entstehen nicht als Lücke in der aggregierten Versorgung des Bankensystems mit Zentralbankgeld analysierte. Es war ausreichend Liquidität vorhanden. Die Krise war bis zur Lehman-Brothers-Insolvenz vielmehr eine Störung der Liquiditätsbereitstellung auf dem Inter-banken-Markt, verursacht durch massiven Vertrauensverlust. Bei schwindendem Vertrauen in die Werthaltigkeit von Anlagen und in die Solvenz von Geschäftspartnern neigen die Finanzmarktteilnehmer dazu, wie die Turbulenzen belegt haben, Entscheidungen auf der Grundlage von "worst case" Szenarios zu treffen. "Banks will therefore tend to hoard maximum liquidity, whatever it costs, to be able to meet any contingency, however improbable, regarding their own future liquidity needs and risk exposure." (Financial Stability Directorate, Banque de France, 2008) Remsperger (2007) konstatierte deshalb prägnant: "Interbank lending pretty much dried up."

Nach dieser Lagebeurteilung sowie Inflationserwartungen oberhalb von zwei Prozent des Harmonisierten Verbraucherpreisindexes und sich noch nicht abzeichnenden realwirtschaftlichen Auswirkungen der Finanzmarktturbulenzen in Europa war es somit nicht angezeigt, den geldpolitischen Kurs durch Zinssenkung zu lockern, und damit auf eine Erhöhung der aggregierten Versorgung mit Zentralbankgeld abzustellen.

Geldmarktstabilität als operative Notenbankaufgabe

Sicherung der Geldwertstabilität beruht im Eurosystem auf einer Lenkungsfunktion des Leitzinses der Notenbank, indem Leitzinsveränderungen auf den Interbanken-Geldmarkt und nachgelagerte Finanzmärkte übertragen werden (Abbildung 1). Bis zur Krise konnte ein in diesem Sinn reibungslos funktionierender und stabiler Euro Geldmarkt als gegeben betrachtet werden. Der Referenzzinssatz Eonia folgte mit nur marginalen Schwankungen den Veränderungen des Leitzinses und wich vor der Krise im längerfristigen Durchschnitt nicht mehr als zehn Basispunkte von diesem ab. "Allfälliges" Liquiditätsmanagement der EZB ergab sich deshalb vor der Krise ausschließlich als Folge der Leitzinsgestaltung und damit des geldpolitischen Kurses. Das änderte sich mit Beginn der Turbulenzen, indem es zu hohen Volatilitäten auf dem Geldmarkt kam.

Geldmarktstabilität wurde zusätzlich zum Leitzins operatives Zwischenziel. Eine solche Aufgabenzuweisung kann als entscheidende Lehre aus der Krise betrachtet werden: Die Gewährleistung nachhaltiger Geldmarktstabilität ist - ebenso wie ein angemessener Leitzins - notwendige Vorbedingung zur Sicherung der Preisstabilität (Abbildung 2).

Als Antwort auf die aufkommenden Geldmarktverwerfungen ergänzte die EZB auf der instrumentellen Ebene ihre Haupt- und längerfristigen Refinanzierungsgeschäfte durch zusätzliche, unkonventionelle nichtstandard Tenderoperationen. Ziel war dabei weiterhin eine benchmarkorientierte Versorgung des Bankensystems mit Zentralbankgeld, nicht - wie in manchen Kommentaren irrtümlich ausgeführt - eine Flutung des Euro Geldmarktes mit Liquidität. Es ging also bei ausreichend vorhandener aggregierter Liquidität und gestörtem Interban-ken-Markt um die Aufrechterhaltung einer Liquiditätsversorgung, die unter Berücksichtigung von Mindestreserveverpflichtungen sowie Entwicklungen im Bargeldumlauf, in Fremdwährungsbeständen und in Einlagen öffentlicher Stellen beim Eurosystem geeignet ist, ausgeglichene Bedingungen am Geldmarkt herzustellen und den Geldmarktsatz in der Nähe des Leitzinses zu halten.

Flankiert durch intensive Ad-hoc-Kommunikation

Die EZB begleitete diese Neuerungen als vertrauensfördernde Maßnahme durch eine in der Literatur bisher kaum gewürdigte, intensive Ad-hoc-Kommunikation (ECB, 2009, 2). Dies entspricht dem Verständnis moderner monetärer Stabilisierungspolitik als "management of expectations" durch Offenheit und Kommunikation und nicht, wie in früheren Zeiten vor Errichtung des Eurosystems durchaus praktiziert, als "management by surprise". Das kommt in der ersten Stellungnahme der EZB zu Beginn der Finanzmarktkrise am Morgen des 9. August 2007 zum Ausdruck: "The ECB notes that there are tensions in the euro money market, notwithstanding the normal supply of aggregate euro liquidity. The ECB is closely monitoring the situation and stands ready to assure orderly conditions in the euro money market." Die Ankündigung der ersten Nicht-Standard-Tenderoperation folgte nur zwei Stunden später (Abbildung 3).

Für die EZB war die flexible Einführung der unkonventionellen Maßnahmen offenbar ein schrittweiser Lernprozess unter großem Zeitdruck. Die Logik der Strategie kann rückblickend durch drei Merkmale gekennzeichnet werden, wobei es nicht zuletzt darum zu gehen hatte, der erhöhten Unsicherheit der Finanzmarktteilnehmer hinsichtlich der Liquiditätsversorgung Rechnung zu tragen:

1. Im Verlauf des Liquiditätsmanagements wurde die Geltungsdauer der zusätzlichen nicht-standard Offenmarktgeschäfte deutlich ausgeweitet. Hatte die erste Operation noch eine Befristung von nur einem Tag, so wurden nach sechsmonatigen Geschäften im Juni 2009 sogar zwölfmonatige Tenderoperationen eingeführt.

2. Vor der Krise dominierten die Hauptrefinanzierungsgeschäfte mit einwöchiger Laufzeit die Liquiditätsversorgung der Banken mit etwa 70 Prozent. Ihre Bedeutung wurde im Verlauf der Krise drastisch reduziert, sodass das Gewicht längerfristiger Refinanzierungsgeschäfte auf über 80 Prozent der aggregierten Versorgung mit Zentralbankgeld stieg.

3. Man ging zum sogenannten "frontloading" über. Das bedeutet, dass man zu Beginn der Mindestreserveperioden mehr als den Benchmarkbetrag bereitstellte und den Überhang - auch mit Hilfe von liquiditätsabsorbierenden Feinsteuerungsoperationen - im Verlauf der Perioden reduzierte.

Neu an der EZB-Politik war auch, dass man Liquiditätsbedarf in Fremdwährungen durch Swapabkommen mit anderen Zentralbanken befriedigte.

Zum Erfolg ihres benchmarkorientierten Liquiditätsmanagements stellte die EZB (2008) fest, dass es im Allgemeinen gelungen sei, die durchschnittliche Höhe der Geldmarktsätze in einer Phase hoher Volatilitäten näher am Leitzins zu halten. Das galt bis zum drohenden Finanz-Tsunami (Axel A. Weber) infolge der Lehman-Broth-ers-Insolvenz. Die EZB reagierte danach bei Ausweitung der Krise zu einer realwirtschaftlichen Weltwirtschaftskrise und nunmehr niedrigen Inflationserwartungen - sowohl geldpolitisch, indem sie den Leitzins in mehreren Schritten von 4,25 Prozent bis auf ein Prozent senkte, als auch liquiditätspolitisch expansiv.

Liquiditätspolitisch wurde die Benchmarkorientierung aufgegeben (Abbildung 3), indem nunmehr bei unterschiedlichen Laufzeiten zu Festzinstendern zum Leitzins mit voller Zuteilung der gewünschten Liquidität im Rahmen der notenbankfähigen Sicherheiten übergegangen wurde. Der Spielraum für die bietenden Banken wurde durch eine Senkung der Ratinganforderungen an die Sicherheiten für Tendergeschäfte erhöht. Die auf diesem Weg nunmehr deutlich ausgeweitete Notenbankbilanz führte zu einer ebenso deutlichen Erhöhung der Geldbasis, das heißt der aggregierten Versorgung mit Zentralbankliquidität. Jetzt wurden die Finanzmärkte wirklich mit Liquidität geflutet.

Grenzüberschreitung durch aktive quantitative Lockerung

Von Kommentatoren wird dies auch als "passive quantitative Lockerung" oder mehr umgangssprachlich als "all you can eat Strategie" bezeichnet (Schaaf, 2009). Passiv, weil die Zentralbank die Liquiditätswünsche der Banken aus einer abwartenden Position heraus befriedigt. Die EZB wurde damit zunächst zum zentralen Anbieter auf dem Geldmarkt. Verteilung von Zentralbankliquidität über den unbesicherten Inter-banken-Geldmarkt fand speziell in den längeren Fristen praktisch nicht mehr statt.

Später einsetzende Erholungstendenzen bestätigen die Angemessenheit dieser neuen Maßnahme. Mit der Entwicklung hin zu einem deutlich höheren Gewicht längerfristiger Refinanzierungsgeschäfte in der Bereitstellung von Zentralbankgeld ist für diese Beurteilung nicht so sehr der Verlauf des Eonia Zinssatzes, sondern die Tendenz beim Euribor - vor allem bei den Sechs- und Zwölfmonatslaufzeiten - maßgeblich. In diesen Segmenten entwickelte sich der Euribor während des Jahres 2009 hin zum Leitzins.

Noch einen Schritt weiter geht die aktive quantitative Lockerung. Sie wurde von der US Notenbank und der Bank of England während der Krise in großem Stil praktiziert. Auch dies ist ein deutlicher Unterschied zur Strategie der EZB, die sich spät und in vergleichsweise geringem Umfang auf diesen neuen Weg einließ. Er bedeutet, dass man die Grenze der bisherigen europäischen monetären Stabilisierungspolitik insofern überschreitet, als es nicht mehr um a priori zeitlich fixierte Tendergeschäfte und Initiierung von monetären Impulsen über den Geldmarkt geht. Nun wird "aktiv" Liquiditätsbereitstellung durch Ankauf von Wertpapieren direkt vom Emittenten oder auf Sekundärmärkten betrieben.

Bewährungsprobe für die Notenbankautonomie

Aktive quantitative Lockerung kann in zwei Varianten unterschieden werden. Werden Wertpapiere von Nichtbanken angekauft zielt dies unmittelbar auf den Ausgleich einer Kreditklemme als Folge einer Finanzkrise. Unter Umgehung des Bankensystems wird die Liquiditätsversorgung in der Realwirtschaft und damit unmittelbar auch das kaufkraftwirksame Geldmengenaggregat M3 erhöht. Beim Ankauf von Wertpapieren von Banken setzt die Zentralbank dagegen weiterhin auf das Bankensystem als Kreditvermittler und darauf, dass die bereitgestellte Liquidität im Sinne eines "enhanced credit support" (Jean-Claude Trichet) zur verbesserten Kreditvergabe in der Realwirtschaft beiträgt. Die EZB hat sich im Unterschied zur Federal Reserve und zur Bank of England auf die zweite Variante konzentriert und im Juni 2009 angekündigt, dass sie bereit ist, von Banken im Euroraum emittierte gedeckte Schuldverschreibungen im Ausmaß von 60 Milliarden Euro anzukaufen.

Deutlich wird bei aktiver quantitativer Lockerung, dass mit ihr die Intention in den Vordergrund tritt, realwirtschaftliche Auswirkungen der Finanzmarktkrise abzufedern. Bei Inflationserwartungen im Euroraum unterhalb der Endzielquantifizierung wird Gleichklang mit anderen politischen Entscheidungsträgern praktiziert. Aktive quantitative Lockerung ist dann im Sinne der strikten Unterscheidung der EZB eine geldpolitische Maßnahme zur Unterstützung der allgemeinen Wirtschaftspolitik der Regierungen. Aus dieser "Nähe" zur Politik könnte, wie später gezeigt wird, zum Ende der Krise Konfliktpotenzial entstehen, wenn das Primärziel Preisstabilität bei zunehmenden Inflationserwartungen wieder in den Vordergrund tritt.

Mit der Aufgabe der Benchmarkorientierung wurde zweifellos Inflationspotenzial geschaffen. Deswegen und zur anhaltenden Revitalisierung des Interbanken-Geldmarktes stellt sich die Frage nach dem rechtzeitigen Sterilisieren der überschüssigen Liquidität. Der Zeitpunkt zum Ausstieg aus den Stabilisierungsmaßnahmen ist Ende 2009/Anfang 2010 in Europa noch nicht gekommen. Die verbesserte Lage im Finanzsystem ist noch fragil (Kotz, 2009). Immer häufigere Stellungnahmen aus der EZB zur Notwendigkeit eines angemessenen Exits sowie die Ankündigung, dass im Jahr 2010 längerfristige Operationen auslaufen sollen, deuten jedoch darauf hin, dass das Procedere eines umfassenden Rückzugs diskutiert und durch entsprechende Kommunikationspolitik vorbereitet wird.

Zutreffend ist, dass die Umsetzung des Ausstiegs technisch nicht schwierig ist, erstens weil man alle Nicht-Standard- Operationen sukzessive beenden kann und zweitens weil aktive quantitative Lockerung nur in vergleichsweise geringem Umfang eingeleitet wurde. Insofern waren die von der EZB auf der Ebene des Instrumenteneinsatzes während der Krise beschrittenen neuen Wege "exit-freundlich" (Weber, 2009, 2) ausgestaltet.

Man sollte jedoch das künftige politische Konfliktpotenzial nicht unterschätzen, zumal erstens mit dem Abbau überschüssiger Liquidität auch die Frage von rechtzeitigen Leitzinserhöhungen verbunden ist und zweitens die in der Krise entstandene Nähe zur allgemeinen Wirtschaftspolitik zu Gewöhnungseffekten geführt haben könnte. Es wird darum gehen, wann mit Blick auf die zu erwartende gedämpfte konjunkturelle Erholung und einen in den nächsten Jahren unsicheren Wachstumspfad ein restriktiver Kurs der monetären Stabilisierungspolitik begonnen werden kann. Bei der Ausrichtung der allgemeinen Wirtschaftspolitik auf Wachstumsimpulse ist nicht auszuschließen, dass Forderungen nach "ex ante" Koordinierung von allgemeiner Wirtschaftspolitik und monetärer Politik wieder dringlicher gestellt werden.

Auf mögliche negative Konsequenzen derartiger Bestrebungen hat schon Issing (2002) hingewiesen, indem er auf die Gefahr makroökonomischen Missmanagements verwies und davor warnte, spezifische Rollenzuweisungen, Mandate und Verantwortlichkeiten der in Frage stehenden politischen Handlungsbereiche zu vermischen. Insofern wird sich die Unabhängigkeit der Notenbanken des Eurosystems gegen Ende und nach der Krise bewähren müssen. Koordination, so eine weitere skeptische Stimme mehrere Jahre vor dieser Krise, "... can easily become an euphemism for pressuring the central bank." (Alesina, 2003)

Monetäre Stabilisierungspolitik nach der Krise

Aufgrund der bisherigen Erfahrungen lassen sich unter Rückgriff auf die vier Ebenen der monetären Stabilisierungspolitik abschließend erste Hinweise auf deren Ausgestaltung nach der Krise geben:

1. Instrumente der Zentralbank: Es ist angezeigt, die bis vor der Krise vor allem im US-amerikanischen Raum vertretene Meinung, dass man das Platzen einer Vermögenspreisblase abwarten und danach mit einer Politik des leichten Geldes Schadensbegrenzung betreiben müsse, zu überdenken. Rückblickend auf die Dynamik der Hauspreisblase in den USA hat de Grauwe (2007) darauf hingewiesen, dass das Argument, dass man die nicht fundamental gerechtfertigte Steigerung von Vermögenspreisen nicht rechtzeitig erkennen könne, nicht immer sehr überzeugend ist. Eine Politik des "leaning against the wind of an incoming bubble" als Alternative würde bedeuten, dass man geldpolitisch bereits einen restriktiveren Kurs einleitet, wenn die Entwicklung der Konsumgüterpreise noch keine Handlungsnotwendigkeit signalisiert.

Im Instrumenteneinsatz muss das nicht notwendig über alleinige und somit einschneidende Zinssatzerhöhungen mit potenziellen Schäden für die Gesamtwirtschaft geschehen. So hat der Internationale Währungsfonds in einer empirischen Analyse verschiedener Vermögenspreiszyklen nachgewiesen (IMF, 2009), dass diesen oft eine starke Zunahme der Kreditvergaben durch die Banken vorausgeht. Diesem Typus "credit boom bubble" (Mishkin, 2009) könnte, so der Währungsfonds, durch eine prophylaktische Anhebung der Mindestreserveanforderungen begegnet werden. Dies würde eine Reaktivierung der von der Deutschen Bundesbank in den sechziger und siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts betriebenen Mindestreservepolitik bedeuten, die im Vorfeld der Einführung einer europäischen Geldpolitik von Kritikern als überholt und durch andere Instrumente ersetzbar betrachtet wurde (Görgens/Ruckriegel/Seitz, 2004). Die Verzinsung der Mindestreserve könnte den Banken die Akzeptanz erleichtern.

Längerfristige Refinanzierungsgeschäfte haben in der Krise zur Vertrauensbildung und Stabilität auf dem Geldmarkt beigetragen. Es ist deshalb zu untersuchen, ob es angebracht ist zu der Dominanz der Hauptrefinanzierungsgeschäfte mit einwöchiger Laufzeit wie vor der Krise zurückzukehren. Sie ermöglichen zwar ein flexibles Liquiditätsmanagement "auf Sicht", tragen aber einem durch die Krise gestiegenen Risikobewusstsein der Banken weniger Rechnung als zum Beispiel standardmäßig betriebene dreimonatige Geschäfte.

Exit-freundliches Krisenmanagement

Krisenmanagement sollte im Hinblick auf das Endziel Preisstabilität "exit-freundlich" gestaltet sein. Das bedeutet, dass geldpolitische Maßnahmen der aktiven quantitativen Lockerung als ultima ratio des Instrumenteneinsatzes zu betrachten sind.

2. Operative Zielsetzung: Neben den Leitzins als operatives Ziel ist Geldmarktstabilität, die wegen der Interdependenzen der Märkte als Finanzstabilität zu interpretieren ist, getreten. Es wurde deutlich: "Finanzstabilität weist die Kennzeichen eines öffentlichen Gutes auf. Sie kann daher nicht rein privat gewährleistet werden." (Kotz, 2009) Die weitere Konkretisierung dieser zweiten operativen Zielsetzung muss noch erfolgen.

Aus ihr abzuleitende Konsequenzen weisen über monetäre Politik im bisherigen Sinn sowie deren Möglichkeiten hinaus und beziehen Regulierung, Bankenaufsicht und institutionelle Vorkehrungen zum laufenden Informationsaustausch über Finanzmarktindikatoren ein, die national und international eine möglichst umfassende Systemsicht gewährleisten. Weber (2009, 3) weist in diesem Zusammenhang auf die Schaffung des European Systemic Risk Board (ESRB) hin, der auf der Makroebene eine Schnittstelle zwischen Zentralbanken, Regulierern und Aufsichtsbehörden darstellt. Auf internationaler Ebene wurde die Systemsicht und Frühwarnfunktion durch die Aufwertung des Financial Stability Forums (FSF) zu einem Financial-Stability-Board (FSB) verbessert.

3. Indikatoren zur Bestimmung der geldpolitischen Ausrichtung: Der originär von der EZB entwickelte Zwei-Säulen-Ansatz mit einer prominenten Rolle der monetären Analyse wurde bestätigt. Nicht nur die Finanzmarktkrise, sondern auch empirische Untersuchungen zuvor haben signifikante Beziehungen zwischen Liquiditätsanstieg und späteren Vermögenspreiserhöhungen nachgewiesen (ECB, 2005). Dieser Strategie der EZB war vor der Krise insbesondere von Vertretern des "inflation targeting" mangelnde intersubjektive Nachvollziehbarkeit vorgehalten worden. Sie bietet in ihrer die wirtschaftliche Wirklichkeit widerspiegelnden Differenziertheit jedoch bereits einen geeigneten und ausbaufähigen Rahmen, um Fehlentwicklungen an den Finanzmärkten zu identifizieren (Weber, 2009, 2).

4. Endzielvorgabe: Die konsequente Unterscheidung von geldpolitischen und liquiditätspolitischen Maßnahmen hat sich bewährt. Sie gibt bei Geldmarktstörungen Spielraum für eine strikte Orientierung an der Endzielvorgabe Preisstabilität.

Zweidimensionale Reaktionsfunktionen künftig nicht geeignet

Bereits diese Hinweise auf Lehren aus der Krise belegen erheblichen Diskussionsbedarf über Grundannahmen, Methoden und strategische Ausrichtung der Geld- und Liquiditätspolitik. So hat die Krise und mit ihr Finanzstabilität als operative Notenbankaufgabe auf der Ebene der Indikatoren Reaktionsfunktionen, die sich, wie die Taylor-Regel (Fendel/Frenkel, 2002), mechanistisch nur auf Inflationszielabweichungen und Abweichungen vom gesamtwirtschaftlichen Wachstumspotenzial stützen, für künftige Anwendungen disqualifiziert. Monetäre Stabilisierungspolitik nach der Krise wird komplexer und daher aller Voraussicht nach - mehr als zuvor - bei Wahrung einer eindeutigen Endzielvorgabe auf diskretionäre Entscheidungsspielräume ihrer Gremien im Rahmen des Zwei-Säulen-Ansatzes angewiesen sein.

Der Verfasser gibt ausschließlich seine persönliche Meinung wieder.

Literaturhinweise

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