Aufsätze

Geldmarkt im Wandel

Kaum ein anderer Finanzmarkt ist so schnell und sensibel wie der Geldhandel. Das kann nicht überraschen, angesichts der Beträge, die sich Banken untereinander über Nacht oder auch für Monate unbesichert ausleihen. Wie empfindlich der Markt ist, zeigte sich mit der Lehman-Pleite im Herbst 2008, und ebenso wie wichtig er ist, denn sonst hätten die Zentralbanken nicht so beherzt eingegriffen. All das hat den Geldhandel verändert. Aber diese Zäsur darf nicht den Blick dafür verstellen, dass der Markt schon zuvor begonnen hatte, sich grundlegend zu wandeln. Dieser Prozess ist noch nicht abgeschlossen.

Verhältnisse vor der Finanzmarktkrise

Klassischerweise umfasst der Geldmarkt den Handel mit Zentralbankguthaben zwischen Banken, vornehmlich auf unbesicherter Basis. Vor der Finanzmarktkrise kennzeichneten diesen Markt zwei Eigenschaften: Erstens die vermeintliche Abwesenheit von Kontrahentenrisiken. Dies mag aus heutiger Sicht verwundern, beruhte seinerzeit aber zum einen auf der Auffassung, dass die Marktteilnehmer durchweg der Bankenaufsicht unterlägen und Interbankengeschäfte daher prinzipiell weniger riskant seien als Geschäfte mit unregulierten Kontrahenten. Mit diesem Argument waren Interbankenforderungen in der Anrechung der Risikoaktiva nach dem damaligen Grundsatz I gegenüber sonstigen Krediten privilegiert. Außerdem wurden Interbankenforderungen infolge der "Too-big-to-fail"-Annahme auf Ebene der kreditnehmenden Bank als abgesichert angesehen.

Eine zweite Eigenschaft des klassischen Geldmarkts war, dass neben dem eigentlichen Liquiditätsmanagement auch die Gewinnerzielung durch Zinsarbitrage oder kurzfristige Fristentransformation ein selbstständiges Geschäftsmotiv bildete. Eine große Herausforderung stellte fraglos die Integration der nationalen europäischen Geldmärkte im Zuge der Euro-Einführung ab 1999 dar. Im Ergebnis wurde relativ schnell ein Liquiditätsausgleich über den gesamten Euroraum durch grenzüberschreitenden Geldhandel und grenzüberschreitende Zinsarbitrage erzielt. Infolge der Freistellung der Verbindlichkeiten aus Repogeschäften von der Mindestreservepflicht Ende 1996 wurden deutsche Banken zudem im besicherten Geldmarkt stärker aktiv. Im Euroraum überholte das Volumen des besicherten Marktsegments 2002 erstmals das Volumen des unbesicherten Segments.

Die Finanzmarkt- und Staatsschuldenkrisen haben den Geldmarkt ohne Zweifel tief greifend verändert. Tatsächlich ist die Finanzmarktkrise der Jahre 2007 und 2008 auch als Krise eines Geldmarktsegments, als ein "run on repo", charakterisiert worden (Gorton/Metrick 2012). Infolge von Informationsasymmetrien und des erhöhten systemischen Risikos trat eine ausgeprägte Vertrauenskrise der Banken untereinander ein, die den Interbankenmarkt ganz besonders getroffen hat. Im Ergebnis sehen wir folgende, einander verstärkende Trends:

Zusammenbruch des unbesicherten Geldmarkts

Durch die Neubewertung von Kontrahentenrisiken war und ist naturgemäß der unbesicherte Geldmarkt besonders betroffen. Seit Beginn der Krise sind die Umsätze in diesem Segment deutlich zurückgegangen. Im Jahr 2012 erreichten die durchschnittlichen täglichen Umsätze den niedrigsten Stand seit 2002.1) Gleichzeitig konzentriert sich die Marktaktivität im kurzfristigen Bereich, vornehmlich overnight (O/N), während längere Fristigkeiten - schon ab einem Monat - praktisch bedeutungslos sind.2) In der Tendenz war diese Entwicklung zwar schon früher sichtbar, wurde durch die Krise jedoch erheblich beschleunigt. Ein guter Indikator für die im unbesicherten Geldmarkt herrschende Einschätzung systemischer Kontrahenten- und Liquiditätsrisiken ist der Euribor-Eonia-Spread. Die explosionsartige Ausweitung dieses (und ähnlicher) Spreads im Zuge der Finanzmarktkrise strahlte vom Geldmarkt schnell in den Derivatemarkt aus und machte dort ein grundlegendes Umdenken im Pricing von Zinsderivaten erforderlich (vergleiche zum Beispiel Bianchetti/Carlicchi 2012).

Auch der besicherte Interbankenmarkt hat sich der Krise nicht entziehen können. Nach anfänglichem (starken) Rückgang 2008 konnten jedoch bis 2011 wieder steigende Umsätze beobachtet werden, ein Trend, der sich allerdings im Jahr 2012 nicht fortsetzte.3) Im Unterschied zum unbesicherten Markt ist auch eine signifikante (im zweiten Halbjahr 2012 allerdings wieder abnehmende) Aktivität in überjährigen Fristigkeiten festzustellen.4) Insgesamt ist der besicherte Markt durch höhere Umsätze und längere Fristigkeiten als der unbesicherte Markt gekennzeichnet und bleibt damit das größte Segment des Geldmarkts der Eurozone. Die Marktentwicklung reflektiert zu einem nicht unbeträchtlichen Teil eine Geschäftsverlagerung vom unbesicherten in den besicherten Interbankenmarkt.

Als Besonderheit des besicherten Marktsegments erwies sich die mögliche Korrelation zwischen dem Ausfallrisiko des Kontrahenten und dem Marktrisiko der zugrundeliegenden Sicherheiten. Dieses "wrong way risk" zeigte sich besonders im Verlauf der Staatsschuldenkrise, als Marktteilnehmer aus Peripheriestaaten infolge der engen Koppelung von Budgetdefiziten und Bankbonitäten Probleme hatten, mit lokalen Sicherheiten am Repo-Markt zu partizipieren. Innerhalb der Banken führte dies zur Entwicklung differenzierter Limitsysteme, die seither sowohl die akzeptablen Volumina als auch die akzeptablen Sicherheiten granular begrenzen (sogenannte Collateral-Matrizen). Im Ergebnis dürften die Akzeptanzkriterien der meisten Banken inzwischen deutlich strenger sein als diejenigen der Zentralbanken.

Fragmentierung des Interbankenmarkts und Bedeutung der Kontrahentenlimite

Viele Marktteilnehmer sahen sich überdies mit der Situation konfrontiert, dass Interbankgeschäfte mit Kontrahenten unterhalb einer bestimmten Ratingschwelle aus Gründen der internen Risikolimitierung überhaupt nicht mehr möglich waren. Banken mit Liquiditätsüberschüssen bevorzugten eine Hortung ihrer Gelder, statt ausfallrisikobehaftete Ausleihungen im Interbankenmarkt zu gewähren. Banken mit Liquiditätsdefiziten mussten umgekehrt feststellen, dass die Mittelaufnahme im Interbankenmarkt unter Umständen keine Frage des Preises mehr war. Dies führte zu einer Fragmentierung des Interbankenmarkts nach Bonitäten.

Mit dem Übergang der Finanzmarktkrise in die Staatsschuldenkrise verläuft diese Bonitätsfragmentierung vermehrt entlang nationaler Grenzen. Dies reflektiert einerseits die zunehmend differenzierte Einschätzung der Unterstützungsmöglich keiten des jeweiligen Sitzstaates im Falle eines Ausfalls der kreditnehmenden Bank, andererseits aber auch eine Präferenz kreditgewährender Banken (beziehungsweise deren Regulatoren) für Kontrahenten innerhalb der eigenen Jurisdiktion. Dieser "home bias" ist insbesondere im unbesicherten Geldmarkt beobachtbar: Im Jahr 2012 fanden 43 Prozent aller Transaktionen mit nationalen Kontrahenten statt, verglichen mit 31 Prozent im Jahre 2011 und 25 Prozent im Jahr 2006, also vor der Finanzkrise.5)

Ähnlich hat sich die Cross-Country-Standardabweichung der Eonia-Zumeldungen im Zuge der Staatsschuldenkrise enorm ausgeweitet. Im Verlauf des Jahres 2011 erreichte dieser Wert (im gleitenden Fünf-Tages-Durchschnitt) Höchststände von über 50 Basispunkten und kehrte erst nach den außerordentlichen Langfristtender-Maßnahmen (LTRO) der EZB um den Jahreswechsel 2011/2012 auf stabilere Niveaus zwischen zehn und 20 Basispunkten zurück.6) Obschon gegenüber dem Vorkrisenniveau immer noch deutlich erhöht, wird dieses Niveau von der EZB als Erfolg bei der Eindämmung der geografischen Fragmentierung des Geldmarkts gesehen.

Infolge dieser Zwänge haben viele Banken den unbesicherten Interbankenmarkt faktisch durch die Zentralbank ersetzt. Banken mit Liquiditätsüberschüssen nutzen die Einlagenfazilität der EZB zur Anlage dieser Mittel. Banken mit Liquiditätsdefiziten nutzen umgekehrt die Refinanzierungsfazilitäten der EZB, begünstigt durch die seit Oktober 2008 bestehende Vollzuteilungspolitik und die begleitende Absenkung der Sicherheitenstandards bis hin zur verstärkten Nutzung der von den nationalen Zentralbanken bereitgestellten Emergency Liquidity Assistance (ELA).7) Praktisch ist die Zentralbank damit zum Intermediär beziehungsweise zum Clearinghaus des Interbankenmarkts geworden.

Dies wird auch in der enormen Ausweitung bestimmter Bilanzpositionen der EZB sowie der nationalen Zentralbanken seit Beginn der Krise deutlich. Verstärkt wurde diese Entwicklung durch die Zahlungsbilanzungleichgewichte innerhalb der Währungsunion, die als systematischer Faktor auf die Liquiditätsüberschüsse oder -defizite der Banken innerhalb der Eurozone wirkten.

Unter den Bedingungen des fragmentierten Geldmarkts konnten diese Ungleichgewichte nur durch Intermediation des Zentralbanksystems beseitigt werden, das heißt durch Zentralbankgeldschöpfung in den Krisenländern und Zentralbankgeldabsorption in den Kernländern. Die daraus folgende massive Zunahme der EZB-Einlagenfazilität und besonders der Target-2-Forderungen der Deutschen Bundesbank hat im Jahr 2012 eine intensive Debatte über die monetäre Alimentierung von Zahlungsbilanzdefiziten ausgelöst, die auch eine breitere Öffentlichkeit erreichte.

Wiederherstellung des Vertrauens?

Kontrahentenrisiken am Geldmarkt entstehen aus Assetrisiken der teilnehmenden Banken. Ein systemisch hohes Niveau von Assetrisiken verbunden mit asymmetrischer Information über die Verteilung dieser Risiken unter den Marktteilnehmern kann zum Ausschluss bestimmter Marktteilnehmer und sogar zu einem völligen Zusammenbruch des Geldmarkts führen (siehe auch Heider/Hoerova/Holthausen 2009). Für eine Wiederbelebung des Geldmarkts wird es daher entscheidend darauf ankommen, das Niveau der systemischen Assetrisiken zu verringern und die Transparenz über solche Risiken bei den einzelnen Marktteilnehmern (inklusive der Schattenbanken) zu erhöhen.

In Europa hängt die Wiederbelebung des Geldmarkts damit maßgeblich an der Lösung der Staatsschuldenkrise und der Kreditwürdigkeit der Finanzinstitute. Eine "Flutung" des Geldmarkts mit Liquidität wird Symptome mildern, die Ursache des Problems aber nicht beseitigen können. Zumindest mittelfristig scheint sich damit die Prophezeiung des Gouverneurs der Bank of England zu erfüllen: "But the age of innocence - when banks lent to each other unsecured for three months or longer at only a small premium to expected policy rates - will not quickly, if ever, return" (King 2008, Seite 5).

Die Bedeutung von Sicherheiten hat infolge der Krise deutlich zugenommen. Unterstützt durch regulatorische Anforderungen, insbesondere zur Nutzung Zentraler Kontrahenten im Derivategeschäft (Emir) und zum Vorhalten von Liquiditätspuffern (Basel III LCR), ist die Verfügbarkeit von Wertpapieren ausreichender Qualität nicht nur im besicherten Geldmarkt unabdingbar. Für die einzelne Bank stellt sich daher die Frage der effizienten Nutzung vorhandener Wertpapiere für konkurrierende Verwendungen. Wie im Liquiditätsmanagement wird auch im Collateral Management der Trend zu möglichst zentralen In-house-Sicherheitenpools gehen, um eine aus GuV-Sicht optimale Sicherheitenstellung zu ermöglichen. Parallel dazu werden Instrumente zum Management der benötigten Wertpapierqualitäten (Collateral upgrade/downgrade Trades) verstärkt genutzt werden. Ob ein bereits postulierter marktweiter Mangel geeigneter Wertpapiere (Collateral Shortage) sich tatsächlich einstellen wird, ist derzeit noch nicht absehbar (vergleiche Levels/Capel 2012).

Ein zunehmender Anteil von Transaktionen im besicherten Geldmarkt wird über elektronische Handelsplattformen mit Zentralem Kontrahenten (CCP) abgewickelt, zum Beispiel Euro GC Pooling. Im Jahr 2012 betrug der Anteil 62 Prozent gegenüber 56 Prozent im Jahr zuvor.8) Auch dieser Trend setzte bereits früher ein (nicht zuletzt infolge der Nullanrechnung von CCP unter Basel II), wurde aber durch die Krise beschleunigt. Aber auch bei CCP besteht ein residuales, dafür jedoch hoch konzentriertes Ausfallrisiko. Aus dieser Erwägung wird auch die bisherige Nullanrechnung unter Basel III voraussichtlich durch eine Unterlegungspflicht sowohl für Positionen gegenüber dem CCP als auch für mögliche

Beiträge in den Default Fund des CCP ersetzt.

Die Krise hat gezeigt, dass Finanzmarktstabilität vor allem Vertrauenssache ist. Die Lösung - auch für den Geldmarkt - wird nur dann kommen, wenn wieder Vertrauen herrscht, sowohl in die Kreditwürdigkeit der Banken als auch in die Gestaltungskraft der Politik. Im Moment ist das Vertrauen untereinander dadurch ersetzt, dass alle dem Kontrahenten EZB vertrauen beziehungsweise den institutionellen Regeln des Repo-Marktes. Ohne Vertrauen hat der Geldmarkt aber keine Zukunft.

Der Artikel gibt die persönliche Meinung der Autoren wieder. Er reflektiert nicht notwendigerweise Positionen der Commerzbank AG.

Literatur

Bianchetti, M./Carlicchi, M. (2012): Markets evolution after the credit crunch. MPRA Paper No. 44023, 19. Dezember 2012

Bloomberg (2012): "Frozen Europe means ECB must resort to ELA for banks", 25. Mai 2012

European Central Bank (2007): Euro money market study. February 2007 European Central Bank (2012): Euro money market study. December 2012

European Commission (2013): Impact assessement financial transaction tax. SWD (2013) 28 final, dated 14. Februar 2013

Gorton, G./Metrick, A. (2012): Securitized banking and the run on repo. Journal of Financial Economics, Vol. 104, S. 425-451

Heider, F./Hoerova, M./Holthausen, C. (2009): Liquidity hoarding and interbank market spreads: The role of counterparty risk. ECB Working Paper 1126, December 2009

International Capital Market Association (2013): European repo market survey #24, März 2013 King, M. (2008): Speech to the CBI, Institute of Directors, Leeds Chamber of Commerce and Yorkshire Forward at the Royal Armouries, Leeds, 21. Oktober 2008

Levels, A./Capels, J. (2012): Is collateral becoming scarce? Evidence for the Euro area. Journal of Financial Market Infrastructure, Vol.1, S. 29-53

Fußnoten

1) ECB Money Market Study 2012, S. 17, Chart 2.

2) ECB Money Market Study 2012, S. 20.

3) ICMA European Repo Market Survey 2013, S. 8.

4) ICMA European Repo Market Survey 2013, S. 21.

5) ECB Money Market Study 2012, S. 21, und ECB Money Market Study 2007, S. 12.

6) ECB Money Market Study 2012, S. 57-58.

7) Siehe auch "Frozen Europe means ECB must resort to ELA for banks", Bloomberg, 25. Mai 2012.

8) ECB Money Market Study 2012, S. 26.

9) Diese Prognose wird von der EU Kommission geteilt: "Taxing 'overnight' repurchase agreements ... would make this business model unattractive, even when taxing them as one transaction only. Indeed, repurchase agreements would in all likelihood either be replaced by securitised lending operations or by transactions with a central bank, ..." (European Commission 2013, S. 29).

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