Im Gespräch

"Die erklärte Zielsetzung der unablässigen Ausweitung der ultralockeren Geldpolitik wird nicht erreicht"

Dr. Alexander Erdland

Ein Rekordergebnis im Jahr 2015 erzielt, den Gewinn seit Amtsantritt vor zehn Jahren verzwölffacht und aus eigener Kraft mehr als eine Milliarde Euro an zusätzlichem Eigenkapital aufgebaut. Die Leistungen der W&W AG unter dem Vorsitzenden Alexander Erdland können sich wahrlich sehen lassen. Von der Aufnahme in den S-Dax verspricht sich Erdland nun eine stärkere Kapitalmarktpräsenz, ein Ende der ungerechtfertigten Unterbewertung der Aktie und bessere Refinanzierungsmöglichkeiten. Die Konsolidierung innerhalb der Bausparkassen sieht er weiter voranschreiten, W&W wird sich daran aber nicht beteiligen, da bereits drei Bausparkassen integriert wurden und eine solche Integration nicht einfach ist. Bausparkassen, so Erdland, müssten sich auf die neue Normalität aus niedrigen Zinsen und mehr Regulatorik einstellen. Mit dem flexiblen "Trend"-Tarif, bei dem sich Guthaben- und Darlehenszins der Zinsentwicklung im Markt anpassen, ist der Stuttgarter Konzern Vorreiter im Markt. Red.

I&F Herr Erdland, wie bewerten Sie den Jahresabschluss 2015, der wiederum ein Rekordergebnis darstellt?

Ich bin der Meinung, das Geschäftsjahr 2015 kann sich wirklich sehen lassen. In Anbetracht der nach wie vor schwierigen Situation an den Finanzmärkten haben wir uns sehr gut geschlagen. Es ist in der Tat nie zuvor gelungen, einen IFRS-Gewinn nach Steuern in der Größenordnung von 274 Millionen Euro zu erreichen.

I&F Was hat Sie besonders gefreut?

Ganz klar - die inzwischen erreichte Stabilität, verbunden mit einer Fähigkeit zur stetigen Veränderung.

I&F Als Sie 2006 bei W&W angetreten sind, war der Konzern ein Sanierungsfall, wie stolz sind Sie heute auf das Erreichte?

Wir konnten unser durchschnittliches Jahresergebnis gegenüber der gesamten Zeit zuvor verzwölffachen und aus eigener Kraft mehr als eine Milliarde Euro an zusätzlichem Eigenkapital aufbauen. Es liegt mir daran zu betonen, dass unsere Mitarbeiterinnen, Mitarbeiter und Außendienstpartner diesen Erfolg mit ihrem großen Einsatz überhaupt erst möglich gemacht haben. Auf diese Gemeinschaftsleistung können wir alle zusammen stolz sein.

I&F Hätten Sie in diesen zehn Jahren etwas anders/besser machen können?

Grundsätzlich gilt: Wer etwas unternimmt, macht auch Fehler. Das liegt in der Natur der Sache. Entscheidend ist jedoch, in der jeweiligen Situation unter den bekannten Gegebenheiten richtig zu handeln. Darum bemühe ich mich. Konkret: Neben einer Verdoppelung des Bausparneugeschäfts hätte ich auch das Kompositgeschäft gern noch zusätzlich durch externes Wachstum ausgeweitet.

I&F Wie verteilt sich der Erfolg auf die einzelnen Geschäftssparten? Welchen Stellenwert hat das Segment Bausparen noch im Konzern? Hat sich diese Bedeutung in den vergangenen Jahren verändert?

Unsere beiden Geschäftsfelder Bauspar/ Bank und Versicherung sind für uns gleichwertig und gleichwichtig. Natürlich haben beide ihre eigenen Charakteristika. Die Kompositsparte ist derzeit der Ertragsbringer Nr. 1 im W& W-Konzern. In der Öffentlichkeit sind wir besonders mit Immobilienthemen präsent. Das Bausparen hat für sich genommen durch die Zukäufe in der Vergangenheit an Stärke gewonnen. Mit dem neuen Wohnspartarif knüpfen wir daran an und machen das Produktangebot zukunftssicher.

I&F Der W&W-Konzern ist jetzt in den S-Dax aufgenommen worden, was versprechen Sie sich davon?

Die Aufnahme in den S-Dax ist in der W& W-Geschichte ein historischer Moment. Damit wird für unsere Aktie ein neues Kapitel aufgeschlagen. Die Notierung im S-Dax steigert das Interesse an unserer Aktie und hilft uns, unsere Kapitalmarktpräsenz zu stärken und die ungerechtfertigte Unterbewertung der Aktie, die gegenwärtig nur zum halben Buchwert notiert, aufzulösen. Außerdem hilft sie uns, unsere Refinanzierungsmöglichkeiten zu stärken. Mit einer Marktkapitalisierung des Streubesitzes von rund 360 Millionen Euro und einem monatlichen Orderbuchumsatz von über 26 Millionen Euro schließt die W& W AG zu den größeren Werten im S-Dax auf und wird damit auch in den diversen Indexfonds entsprechendes Gewicht erhalten.

I&F Aber sind damit nicht auch Risiken verbunden, noch mehr Transparenz, noch mehr Berichtspflichten, noch mehr Öffentlichkeit?

Sehr viel ändert sich hierdurch nicht, sind wir doch bisher schon durch verschiedenste rechtliche Rahmenbedingungen in der Pflicht. Transparenz ist für uns im Übrigen auch ein eigener Anspruch.

I&F W&W erfreut sich als Bank, als Versicherung und als Bausparkasse in besonderem Maße der aufsichtlichen Zuneigung: Wie sehr hat sich das Miteinander zwischen Instituten einerseits und Aufsichtsbehörden andererseits in den vergangenen Jahren verändert? Wie sind Ihre Erfahrungen mit einer immer stärkeren europäisch geprägten Aufsichtspraxis?

Bausparkasse und Bank haben den Bankenstresstest und die Bilanzprüfung der Aktiva-Qualität seitens der EZB ohne weitere Auflagen bestanden. Sie fielen jedoch letztlich nicht unter die direkte EZB-Aufsicht, was erheblichen zusätzlichen Regulierungsaufwand erspart. Für ihr spezifisches Ratingsystem erhielten beide Unternehmen zudem die Zulassung der BaFin. Damit werden ihre typischen Kreditrisiken angemessen bewertet, was ebenfalls zu einer wesentlichen regulatorischen Eigenkapitalentlastung führt.

Auch bei der Versicherung sind wir gut unterwegs, was die Anforderungen nach Solvency II betrifft, das am 1. Januar 2016 in Kraft trat. Dies gilt sowohl für die Kapitalausstattung als auch für das Risikomanagement und die Berichtspflichten.

Was die europäische Aufsicht angeht, müssen wir aufpassen, dass die Finanzdienstleistungsbranche insgesamt nicht zu einem Opfer einer Regulierungskonkurrenz zwischen unterschiedlichen Institutionen wird. An der einen oder anderen Stelle ist durchaus zu erkennen, dass sich Behörden verselbstständigen und Regeln aufstellen oder vorbereiten, ohne dafür ein politisches Mandat zu haben.

I&F Welche Regelungen begrüßen sie, auf welche könnten Sie verzichten?

Gute Regulierung stärkt die Reputation. Inzwischen gibt es aber die unterschiedlichsten Regulierungsinstanzen. Grundsätzlich wäre eine Konsolidierung der

verschiedenen Anforderungen geboten. Bei Solvency II kommt es jetzt darauf an, das System erst einmal wirken zu lassen und Erfahrungen zu sammeln, bevor schon wieder über Regeländerungen nachgedacht wird. Außerdem muss das sogenannte Proportionalitätsprinzip bei der Umsetzung von Solvency II strikt beachtet werden. Es darf nicht sein, dass beispielsweise übermäßige Dokumentations- und Berichtspflichten zu Wettbewerbsnachteilen für kleinere Unternehmen führen.

I&F Welchen Wunsch hätten Sie an eine Europäische Zentralbank und deren Geldpolitik? Entstehen nicht dramatische Verwerfungen, wenn Menschen nicht mehr sparen und sich durch die fehlenden Zinseszinseffekte immer größere Lücken in der Vorsorge aufbauen?

Die unablässige Ausweitung der ultralockeren Geldpolitik muss dringend überprüft werden. Die erklärte Zielsetzung wird nicht erreicht, gleichzeitig türmen sich die Gefahren auf, unter anderem für die Altersvorsorge. Angesichts der demografischen Entwicklung in Deutschland steht die ganze Generation der Baby-Boomer vor einer Versorgungslücke. Diese Lücke wird durch den Zinsverfall vergrößert. Mit der Politik in Berlin müssen wir die betriebliche und die private Altersvorsorge stärken, durch Vereinfachung und verbesserte Anreize.

I&F Kann man da als Finanzdienstleister seinen Aufgaben, das Geld der Menschen sicher zu verwahren und zu vermehren, überhaupt

noch richtig nachkommen? Welche Antworten hat W&W? Die W& W-Gruppe ist hier besonders gefragt. Wir haben nicht in Panik gemacht, sondern schon seit Jahren unterstellt, dass die Zinsen lange niedrig bleiben könnten. Die Herausforderung als Vorsorgespezialist ist, gerade in dieser Zeit konsequent vom Kunden her zu denken. Vorsorgen muss Sinn machen und passen. Wir haben einzelne Produkte und unser Produkt-Mix entsprechend verändert und auf die Zins- und Kapitalrelevanz angepasst. Wir senken Kosten, verändern unsere Kapitalanlagestrategie und bilden zusätzliche Reserven. Grundsätzlich geht es um Einfachheit, Verständlichkeit und Flexibilität. Mit Angeboten für Wohnen, Vermögensaufbau, Schutz und Sicherheit sprechen wir einen dauernden, unerschöpflichen Bedarf der Menschen an. Niedrige Zinsen und ein immer längeres Leben verstärken diesen Bedarf.

I&F Wie bewerten Sie in diesem Zusammenhang das neue Bausparkassengesetz? Wo hilft es, wo geht es Ihnen nicht weit genug?

Wir begrüßen die Novellierung des Bausparkassengesetzes sehr und halten sie insgesamt für sachgerecht und angemessen. Aus der Novellierung ergeben sich dringend erforderliche Erleichterungen für die Bausparkassen. Diese umfassen etwa eine maßvolle Ausweitung der Geschäftsmöglichkeiten und Finanzierungsaktivitäten. Die Novellierung trägt in hohem Maß dem Umstand Rechnung, dass die bereits seit einem Vierteljahrhundert geltenden gesetzlichen Vorgaben für Bausparkassen an das anhaltend niedrige Kapitalmarktzinsniveau anzupassen waren.

I&F Welche Zukunft haben Bausparkassen angesichts niedriger Zinsen, Digitalisierung, ungünstiger Demografie und Kostendruck überhaupt?

Das Ziel des Bausparens ist unverändert modern: Zwecksparen für eine wohnwirtschaftliche Verwendung. Sei es Kauf, Umbau oder vor allem Modernisierung: Bausparen ist der Türöffner zur Erfüllung von Wohnwünschen. Auch wenn Hypothekendarlehen derzeit günstig sind: Es gibt außer dem Bausparen keine andere Vorsorgeform, die die Menschen durch den gesamten Lebenszyklus des Wohnens begleitet - vom Jugendbausparvertrag über das Sparen auf ein Eigenheim bis hin zur altersgerechten oder energiesparenden Renovierung einer Immobilie.

I&F Würden Sie heute noch einmal eine Bausparkasse gründen? Wenn ja, warum?

Für Wohneigentum zu planen, auf sicherer Finanzierungsbasis, dafür besteht weiter wachsender Bedarf. Dazu steht Wüstenrot als erste Bausparkasse mit zeitgemäßen Angeboten bereit. Auch wenn wir uns in der heutigen Zeit ein Stück neuerfinden müssen, noch einmal gründen müssen wir uns nicht.

I&F Welche Bedeutung hat der Bausparvertrag überhaupt noch - das außertarifliche Geschäft dominiert längst im Übermaß?

Die ultralockere Geldpolitik wirkt sich hier aus. Grundsätzlich bleibt aber richtig: Der Bausparvertrag trägt dazu bei, dem Wohnimmobilienmarkt in Deutschland in Boomphasen Stabilität zu verleihen. Denn eine solide Finanzierung profitiert von einer stetigen Eigenkapitalbildung. Außerdem bietet er Planbarkeit und Flexibilität in der Spar- und Darlehensphase sowie kostenfreie Sondertilgungsmöglichkeiten. Der Bausparvertrag hat zudem eine positive sozialpolitische Wirkung. Einkommensschwächere und junge Menschen kommen in den Genuss der attraktiven staatlichen Förderung des Bausparens durch Wohnungsbauprämie, Arbeitnehmersparzulage und Vermögenswirksame Leistungen. Ihnen soll so der Weg hin zum Vermögensaufbau und zur privaten Altersvorsorge über selbstgenutztes Wohneigentum geebnet werden. Zudem: Auch Bausparern kommt die Riester-Förderung zugute.

I&F Wird die Konsolidierung innerhalb der Bausparkassen anhalten? Stünde W&W im passenden Fall bereit?

Wir haben in den letzten 15 Jahren drei Bausparkassen integriert und sind heute die Nummer 2 im Markt, mit einem breiten Vertriebswegemix. Das reicht insoweit. Sinnvoller wäre es, neue Vertriebswege in der Kompositversicherung zu erschließen. Aber da ist leider zurzeit nicht viel im Angebot. ###I&F Sie haben bereits einige Bausparkassen erfolgreich übernommen und integriert: Wie sind die Erfahrungen?

Die Integration einer anderen Bausparkasse ist schwierig, weil unterschiedliche Kollektive, Vertragsbestände und Tariflandschaften zusammengeführt werden müssen. Im Prinzip weiß man das schon vorher, wenngleich natürlich im Detail immer wieder einmal unerwartete Probleme auftauchen können. Wir haben die Systemintegration sofort nach den Zukäufen angepackt und zügig abgeschlossen. Heute freuen wir uns darüber, dass die hinzugewonnenen Vertriebswege unsere Erwartungen zum Teil übertreffen.

I&F Die BaFin steht Überlegungen der Branche, Tarife bei Bedarf etwas zu flexibilisieren, wohlwollend gegenüber: Welche Bedeutung hat das für die Zukunftsfähigkeit?

Wüstenrot hat vor kurzem seinen neuen Bauspartarif, das Wüstenrot Wohnsparen, auf den Markt gebracht. Der neue Tarif bietet mit seinen vier Varianten passgenaue Angebote für jeden Kundenwunsch und enthält bereits eine flexibilisierte Variante Trend. Guthaben- und Darlehenszins passen sich hier der Zinsentwicklung im Markt an. Dies ist bisher einzigartig in der Branche und wird vermutlich bald Nachahmer finden.

I&F Was wollen Sie noch alles erreichen?

Den Kurs für das kommende Jahr und darüber hinaus haben wir klar vor Augen: Unser 2015 initiiertes Wachstumsprogramm "W& W@2020" weist uns den Weg. Wir werden unser Geschäftsmodell im Kern weiter stärken und wert- und kundenorientiertes Wachstum vorantreiben, forciert über Produkte mit geringer Zins- und Kapitalabhängigkeit. Kundenzufriedenheit, Mitarbeitermotivation und die Attraktivität unserer Aktie sind unsere Maßstäbe, für die wir investieren. Neue Kundenwünsche, die Chancen durch die Digitalisierung und die stärkere Innovationsdynamik sind unsere Antriebskräfte. Unser neues Wachstumsprogramm ist modular und nach vorne offen ausgelegt, also bewusst unabhängig von einzelnen handelnden Personen.

Zur Person Dr. Alexander Erdland Vorsitzender des Vorstands, Wüstenrot & Württembergische AG, Stuttgart
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