Immobilienmärkte in Ballungszentren - das Beispiel Rhein-Main

"Man hätte das Wohnen im Erdgeschoss verbieten müssen"

Der neue Henninger Turm - ein gutes Beispiel eines hybriden Hochhauses

Ist keine Fläche da, muss die Stadt eben in die Höhe wachsen. Damit muss sich vor allem Frankfurt als die deutsche Metropole mit der geringsten Fläche auseinandersetzen. Als Folge entstehen immer mehr sogenannte Wohnhochhäuser in der Stadt. Diese werden allerdings nur dann für Entspannung auf den Wohnungsmärkten sorgen, wenn sie richtig konzipiert sind, weiß Peter Schmal vom Deutschen Architekturmuseum. Wie ein "vertikales Quartier" müsse ein solches Hochhaus sowohl Gewerbeflächen anbieten als auch Büros und nicht nur Wohnungen. Sonst droht eine Verödung der gesamten Gegend um den Turm herum, da Kaufkraft und vor allem Frequenz fehlten. Ebenfalls skeptisch sieht er rein aus Renditezwecken errichtete Objekte, deren Wohnungen vornehmlich an reiche, ausländische Kapitalanleger verkauft würden und die somit die meiste Zeit des Jahres leer stünden. Red.

I&F Herr Schmal, in Frankfurt entstehen mehr und mehr Wohntürme: Wie ist diese Entwicklung zu bewerten?

Dieser Trend, der aus dem Ausland nach Deutschland herüberschwappt, liegt an Frankfurt-spezifischen Faktoren. Wohntürme entstehen in der Main-Metropole weil die Grund- und Bodenpreise hoch sind, weil die Stadt gemessen an ihrer Fläche klein ist, weil Hochhäuser als Gebäudetypus anerkannt sind und weil es somit seitens der Bewohner eine hohe Akzeptanz gibt, in solchen Wohnhochhäusern zu wohnen.

I&F Bleibt dieser Typus ein spezifisches Phänomen der Rhein-Main-Metropole oder könnten Sie sich Wohnhochhäuser auch in anderen deutschen Städten vorstellen?

Es wird sicherlich in anderen deutschen Städten ebenfalls versucht werden, diesen Gebäudetypus zu etablieren, so in Berlin, Hamburg oder Stuttgart. Die Akzeptanz in diesen Städten ist aber bei Weitem nicht so hoch wie in Frankfurt. Da wartet noch Arbeit auf die Entwickler und Planungsverantwortlichen.

I&F Läuft Deutschland damit aber nicht der weltweiten Bewegung hinterher? Warum dauert es so lange, bis die Entwicklungen aus Asien und den USA hier Fuß fassen?

In der Tat ist das Wohnhochhaus für das gehobene Wohnen in anderen Teilen der Welt längst eine voll etablierte Gebäudeklasse. In Deutschland stelle ich dagegen immer noch Reste der Vorurteile fest, die aus den Hochhauskästen des sozialen Wohnungsbaus der siebziger Jahre resultieren. Das schadet nach wie vor dem Ansehen der Typologie Wohnhochhaus. Allerdings lernen immer mehr Geschäftsreisende in Asien und den USA die Vorteile der Wohnhochhäuser kennen und bringen diese positiven Erfahrungen mit nach Deutschland. Das befördert die weitere Entwicklung hierzulande natürlich.

I&F Allerdings unterscheiden sich die Gebäude in Asien und den USA hinsichtlich ihrer Aufteilung und Nutzung von den meisten Frankfurter Türmen. Worauf sollte Ihrer Meinung nach bei der Planung der Wohnhochhäuser geachtet werden?

Das stimmt, im Ausland hat sich der Typus des hybriden Hochhauses durchgesetzt. Dieses besteht in der Regel in den Untergeschossen und den ersten Geschossen aus gewerblicher Nutzung, dann folgen meist Büros, darüber kommt das Hotel und erst ganz oben die Eigentumswohnungen. Diese Typologie gibt es in Deutschland nicht, obwohl sie große Vorteile hat.

Das Problem liegt auf der Investorenseite. Die Fonds haben sich in Deutschland noch nicht auf Investments in solch gemischt genutzte Objekte eingestellt. Es wird entweder in Handel oder in Hotels oder in Büros oder ins Wohnen investiert. Hybrid genutzte Objekte können von den Investoren in Deutschland schlicht noch nicht bewertet werden. Das geht völlig an der Entwicklung in der Welt vorbei und der erste Fonds in Deutschland, der sich an hybride Gebäude heranwagt, wird Erfolg haben, davon bin ich felsenfest überzeugt.

I&F Was sind die von Ihnen angesprochenen Vorteile dieser hybriden Türme?

Der große Vorteil ist, dass alles schon im Hause vorhanden ist. Die Einkaufsmöglichkeiten sind in den unteren Stockwerken untergebracht. Hier befindet sich auch ein gastronomisches Angebot, das ebenfalls zur Belebung beiträgt. So ist die Straßenebene und damit der öffentliche Raum nicht tot, sondern erfüllt von Leben. Darüber befinden sich Büros. Hier bieten sich Arbeitsmöglichkeiten für die Bewohner, gleichzeitig sorgen diese Büros aber auch für Menschen, die das gewerbliche Angebot in den unteren Etagen tagsüber nutzen. Auch das Hotel sorgt für ständige Frequenz und bietet den Bewohnern zusätzlichen Service. Die Besitzer oder Mieter der Wohnungen können das Angebot des Hotels nutzen, vom Reinigungs- über den Zimmerservice bis hin zu den Schwimmbädern oder Sportmöglichkeiten. Optimal wäre dann noch der direkte Anschluss an den öffentlichen Verkehr im Untergeschoss.

I&F Im Grunde genommen ist das dann doch nichts anderes als ein gut durchmischtes Stadtquartier?

Richtig, ein vertikales Quartier. Und das macht Sinn. Denn man muss diese hybriden Türme mit Blick auf die großen Metropolen mit der Alternative eines Einfamilienhauses in den Außenbezirken vergleichen. Hier hat man zwar einen Garten, mehr Grün, eventuell auch mehr Platz.

Aber eben auch extrem lange Wege zum Einkaufen und vor allem zur Arbeit. Für den Turm sprechen die kurzen Wege, die Präsenz mitten in der Stadt und die angesprochenen zusätzlichen Möglichkeiten der Nutzung eines halb-öffentlichen Angebotes wie beispielsweise der Hotels.

I&F Für welche Nutzergruppe sind diese Wohntürme attraktiv?

Es sind die Wohlverdienenden. Das ist ein Angebot, das sich an die Oberschicht, vielleicht noch an die obere Mittelklasse richtet. Und aus dieser Zielgruppe wohnen durchaus auch Familien in solchen Hochhäusern, keineswegs nur Singles oder kinderlose Paare.

I&F Bringen die Wohntürme unter den gegebenen Voraussetzungen überhaupt Entspannung auf dem Wohnungsmarkt oder sind sie nur ein Prestigephänomen im hochpreisigen Eigentumswohnungsbau?

Das Konstruieren eines Hochhauses ist teurer als das Errichten eines Flachbaus. Deswegen liegen die Türme, die in Frankfurt derzeit geplant werden, alle im hochpreisigen Segment. Allerdings ist der Preis nicht das einzige Problem. Denn selbst dieses hochpreisige Angebot könnte Druck vom Wohnungsmarkt nehmen, wenn die Türme denn von Einheimischen bezogen würden. Solange sie aber nur als Anlageobjekte für Ausländer dienen, die ihr Geld im sicheren Deutschland parken wollen, bringen die Türme gar nichts und töten das Stadtleben sogar. Denn ohne Bewohner und damit ohne Frequenz sorgen diese Immobilien für keinerlei geschäftliche Aktivitäten im Umfeld. Im Gegenteil, die Gegend verödet. Das muss verhindert werden, hier muss die Politik klare Regeln setzen.

I&F Sie haben das Problem der hohen Kosten angesprochen, wie könnte man die Projektkosten senken und damit die "Einsatzmöglichkeiten" erweitern?

In Asien wird sehr viel mit vorgefertigten Teilen gearbeitet. Das senkt die Baukosten erheblich. Zwar stehen die Türme dort vor anderen klimatischen Herausforderungen als in Deutschland, es gilt, die Wärme draußen zu halten und für eine gute Durchlüftung der Gebäude zu sorgen. Trotzdem glaube ich, dass mehr Vorfertigung auch hierzulande möglich wäre und zu sinkenden Baukosten führen würde.

I&F Der Frankfurter Planungsdezernent Olaf Cunitz fordert für die Wohntürme in der Main-Metropole die gleichen Bedingungen wie für andere Gebäude und Quartiere, nämlich das Ziel von 30 Prozent gefördertem Wohnraum. Ist das realistisch?

Es gibt zwei Arten von gefördertem Wohnraum. Das eine ist der klassische soziale Wohnungsbau. Das kann ich mir in der Tat in den Hochhäusern schlecht vorstellen. Das andere ist jedoch die Mittelstands- oder auch Mittelschichtförderung.

Dann wird es interessant, denn so kann verhindert werden, dass ein Wohnturm zu einem reinen Anlageobjekt verkommt. Wenn der politische Wille da ist, kann der Wohnturm auch für die Mittelschicht eine denkbare und attraktive Alternative werden.

I&F Gibt es gute Beispiele für Wohntürme in Frankfurt?

Zum Glück führen die hohen Preise auf dem Frankfurter Wohnungsmarkt derzeit dazu, dass die Wohnungen in den Hochhäusern tendenziell kleiner werden. Die 300 Quadratmeter Wohnungen, die sich nahezu ausschließlich an ausländische Kapitalanleger richten, werden seltener. Das verbreitert das Angebot, was absolut zu begrüßen ist. Denn ein ausschließlich hochpreisiges, auf internationale Kapitalgeber ausgerichtetes Angebot ist nur gut für die Rendite des Erbauers des Turms, aber nicht für die Stadt und deren Bewohner.

Positiv ist auch, dass derzeit zwei Objekte in Frankfurt entstehen, die dem Konzept des hybriden Hochhauses schon sehr nahe kommen. Das eine ist der Neubau des Henninger Turms. Hier entsteht auf den unteren Stockwerken ein Geschäftszentrum, es gibt Büros im Turm, es gibt ein gastronomisches Angebot und es gibt Wohnungen. Dieser liegt zwar nicht im sogenannten Central Business District, aber es ist meines Erachtens das erste hybride Hochhaus in Deutschland. Der zweite hybride Turm wird das Hochhaus auf dem Metzler-Areal von Tishman Speyer sein, der mitten in der City liegt und darüber hinaus auch noch Wohnungen beheimaten wird.

I&F Welche Möglichkeiten hätte die Politik, um reine "Anlage-Wohnhochhäuser" zu verhindern?

Eine Möglichkeit wäre beispielsweise eine hohe Zweitwohnungssteuer, wobei nicht sicher ist, ob diese angesichts der hohen Liquidität und der Suche nach Anlage private ausländische Investoren wirklich davon abhalten würde, sich Wohnungen zur Kapitalanlage zu kaufen.

Die Politik könnte sich auch ein Beispiel an der Schweiz nehmen, wo eine gewisse Mindestaufenthaltsdauer im Jahr in dem Objekt vorgeschrieben ist und so leerstehender Wohnraum aktiv unterbunden wird. Das würde zumindest zu einer gewissen Belebung und zu einer höheren Frequenz führen.

Drittens spielen natürlich auch die Mietgesetze eine Rolle. Die Käufer solcher Wohnungen werden diese nicht vermieten, wenn es der Kündigungsschutz auch künftig so schwer macht, Mieter aus den Objekten zu bekommen, sei es, weil der Besitzer selbst einziehen möchte oder sei es, weil die Wohnung verkauft werden soll.

Und zu guter Letzt kann die Stadt über die Zulassung bei den Baugenehmigungen und Nutzungsbeschränkungen Einfluss nehmen. Es gibt da also schon Möglichkeiten, natürlich immer vorausgesetzt, der politische Wille ist da. Die Beispiele London und New York zeigen doch, dass falsch konzipierte Wohntürme das Stadtgebiet schädigen.

I&F Gibt es solchen Entwicklungen auch schon in Frankfurt?

Nicht direkt bezogen auf Wohntürme. Aber nehmen Sie das Europaviertel. Dieses ganze Quartier leidet darunter, dass es zu wenig Gewerbe im Erdgeschoss gibt. Man hätte das Wohnen dort im Erdgeschoss verbieten müssen. Und das nicht nur in Hochhäusern sondern überhaupt in solch neu errichteten Vierteln. Das ist nicht nur nicht bedingt attraktiv für die Bewohner. Sondern es verhindert auch die Entstehung eines belebten Straßenraums, von attraktiven Einkaufs- und Aufenthaltsmöglichkeiten wie Bäckereien und Cafés oder einem Dienstleistungsangebot wie Reinigungen.

I&F Wie viele Wohntürme können in Frankfurt überhaupt noch entstehen, denn Grund und Boden ist sehr knapp in dieser Stadt, erst recht in den begehrten Innenstadtlagen?

Ich denke schon, dass noch ausreichend Platz für viele weitere Türme ist. Man darf nur nicht immer gleich in der Kategorie Neubau denken. Es gibt in Frankreich das Architekturbüro "Lacaton & Vasall", das sich auf die Transformation der Wohnhochhaus-Ghettos der siebziger Jahre spezialisiert hat. Es entsteht so zum einen sehr attraktiver Wohnraum mit Balkonen und Wintergärten. In den Erdgeschossen werden Läden untergebracht und neu errichtete Parkgaragen bringen die Autos von den Flächen. Zum anderen wird in diesen Vierteln über Nachverdichtung neuer Wohnraum geschaffen, ohne Anwohnerproteste. Denn die klassischen Grünflächen zwischen den sozialen Wohnungstürmen taugten schon damals nur zum Wäscheaufhängen.

Diesen Ansatz von "Lacaton & Vasall" halte ich für ein ausgesprochen gutes Konzept, denn aus unattraktiven Siebziger-Jahre-Quartieren entstehen moderne Viertel von heute und das Angebot richtet sich an eine breite Mittelschicht, was wiederum für eine bunte Durchmischung sorgt. Das ist ein Typus Wohnhochhaus, den ich mir für Frankfurt gut vorstellen könnte und für den es in dieser Stadt noch genug Möglichkeiten gibt.

Zur Person

Peter Cachola Schmal Leitender Direktor, Deutsches Architekturmuseum DAM, Frankfurt am Main

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