Gedämm(pf)te Stimmung

Das Thema hat durchaus das Zeug zum großen Kino. Je nach Genre kann man sich aussuchen, welche der beiden Varianten - "Kollaps durch eine Klimakatastrophe" oder "Zusammenbruch der weltweiten Energieversorgung aus Ressourcenmangel" - die wahrscheinlichere und aufregendere ist. Plötzlicher Knall mit Feuer und Geschrei oder schleichendes Ende. Im Kern geht es bei allen Filmen, Büchern und Serien um das gleiche. Aus welchem Grund auch immer bricht die Stromversorgung zusammen, mit gewaltigen Folgen für die Menschen: Bahnen fahren nicht mehr, Kühlschränke kühlen nicht mehr, Heizungen und Licht fallen aus, das ganze Leben, wie es die modernen Gesellschaften kennzeichnet, steht plötzlich still.

Alles Utopie? Ein bisschen vielleicht schon. Denn weder droht in absehbarer Zeit der große Klimakollaps, auch wenn die Erderwärmung stetig voranschreitet. Noch sind die Energiereserven all zu schnell endlich. Im Jahr 2012 leisteten Erdöl, Erdgas, Steinkohle und Braunkohle mit 79 Prozent den mit Abstand größten Beitrag zur Deckung des deutschen Primärenergieverbrauchs. Einer Studie der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) zufolge, droht (noch) keine Gefahr: Kohle ist der Energieträger mit den weltweit größten Vorkommen, die noch für viele Jahrhunderte die Versorgung sicherstellen können, heißt es dort. Erdöl dagegen kann voraussichtlich nur noch über wenige Jahrzehnte den weiterhin steigenden weltweiten Bedarf vollständig decken. Aber Erdgas wird noch viele Jahrzehnte als Rohstoff zur Verfügung stehen. Variante 2: Erderwärmung: Der Klimawandel sei real und der Mensch sei Hauptverursacher, heißt es im jüngst vorgelegten fünften Klimabericht des IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change), der die Basis für den Klimavertrag darstellt, mit dem Staats- und Regierungschefs aus aller Welt 2015 in Paris verbindliche Schritte gegen den Klimawandel beschließen wollen. Der Ausstoß von Treibhausgasen sei zwischen 2000 und 2010 rasant gestiegen, heißt es weiter. Sollte dies so weitergehen, drohe eine Erderwärmung um vier Grad Celsius, warnt der Klimarat. Dies werde neue Risiken schaffen und bestehende verstärken.

Wie sich die Politiker im kommenden Jahr entscheiden werden, ist offen, ob wirklich die drastischen Schritte eingeleitet werden, ist dagegen mehr als fraglich. Denn natürlich zählen nicht nur für die Entwicklungsländer, sondern auch für die Industrienationen Wirtschaftswachstum und Investitionsklima mehr als Erderwärmung und Polkappenschmelze. Leider, muss man hinzufügen. Deutschland versucht den Wandel hinzubekommen. Mit all den Problemen. Beispiel Energieeinsparverordnung. Seit dem 1. Mai 2014 regelt die EnEV 2014 den Energieausweis und Anforderungen an Bauteile wie Dach, Fassade, Fenster. Wer als Hausbesitzer eine Sanierung plant, kommt an der EnEV nicht mehr vorbei. In erster Linie will man so dafür sorgen, dass die Kosten für Heizung und Warmwasser bei bestehenden Gebäuden deutlich sinken, vor allem bei den "Energieschleudern" Altbauten. Doch auch Energie sparen ist teuer. Die Kosten für eine Komplettsanierung werden von Experten auf bis zu 70 000 Euro geschätzt. Viel Geld.

Und der Nutzen? Der ist sowohl was die Einsparungen als auch den Energieausstoß betrifft umstritten. Während die Befürworter von Heizkosteneinsparungen bis zu 50 Prozent ausgehen, kontern Gegner des "Dämmwahns", dass Häuser mit ungedämmter Massivwand einen niedrigeren Jahresbrennstoffverbrauch aufweisen als Gebäude mit zusätzlicher Dämmung der Außenwand. Die Wahrheit liegt wohl irgendwo dazwischen. Eine Studie der Eliteuniversität Cambridge fand heraus, dass in älteren Gebäuden mit geringer Dämmung der tatsächliche Verbrauch an Gas oder Öl um 30 bis 40 Prozent unter den auf theoretischer Basis errechneten Werten liegt. Hingegen wies die Mehrzahl neuer Niedrigenergiehäuser höhere Verbrauchswerte auf als kalkuliert. Ist das Schlechte also besser als gedacht, und das Gute schlechter? Futter für die Gegner lieferte auch ein Langzeitvergleich eines gedämmten und eines ungedämmten Mietshauses mit massiven Ziegelsteinwänden durch Professor Jens Fehrenberg. Das gedämmte Haus wies den höheren Energieverbrauch auf. Und nun wurde auch noch herausgefunden - siehe da, siehe da - dass die Brandgefahr mit dem Einsatz von Polystyrol steigt. Fakt ist: Dämmen muss sich lohnen. In allererster Linie für den, der dämmt. Und das ist offensichtlich noch nicht unbestritten der Fall, sonst würden mehr Menschen ihr Haus einpacken. Ganz gleich ob die Klimaerwärmung oder der Energieausfall drohen.

Philipp Otto , Geschäftsführer, Verleger, Chefredakteur , Verlag Fritz Knapp, Verlag Helmut Richardi, Verlag für Absatzwirtschaft
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