Leitartikel

60 Jahre Solidität

Der eine will gehen, muss aber bleiben. Der andere will bleiben, muss aber gehen. Josef Ackermann hatte seinen Einstieg in den Ruhestand im kommenden Jahr schon lange avisiert. Nun verlängert er seinen Vertrag bis 2013. Unabhängig von all den Geschichten, die sich um diese überraschende Nachspielzeit ranken - für alle noch im Hause befindlichen Vorstände und Top-Manager ist das ein bitteres Signal. Heißt es doch nichts anderes als: "Ihr seid zwar gut im Geschäft, aber niemand traut Euch zu, diese Bank zu führen! " Dies ist mit allen internen Herausforderungen einer investmentbanklastigen Universalbank und den externen Anforderungen des weltweit operierenden deutschen Branchenprimus, der nach Ansicht der interessierten wie politischen Öffentlichkeit stets auch die heimischen Befindlichkeiten feinsinnigst berücksichtigen sollte, wahrlich eine Aufgabe der ganz speziellen Art. Dass es dafür keinen anderen als Josef Ackermann geben soll, man hört es wohl. Aber polarisiert doch gerade dieser Manager wie kaum ein anderer.

Eine Überraschung der ganz anderen Art erlebte LBBW-Chef Siegfried Jaschinski. Sein Ende des Jahres auslaufender Vertrag wird nicht verlängert. Doch noch nicht einmal so lange wird Jaschinski die Geschicke in Stuttgart lenken - was keinen Sinn machen würde, als Chef auf Abruf. Der designierte Nachfolger Hans-Jörg Vetter soll baldmöglichst von Berlin in die schwäbische Landeshauptstadt umsiedeln. Jaschinski machte im Zuge der Finanzkrise etwas mehr als zwei Milliarden Euro Verlust. Das ist absolut betrachtet viel, relativ gesehen liegt er damit keineswegs an der Spitze der deutschen Kreditwirtschaft. Dass er bei der Bekanntgabe des Übels nicht gleich mit der vollen Wahrheit herausrückte, sondern die Salami-Taktik vorzog, hat ihn viel Rückhalt bei den politisch Verantwortlichen in Baden-Württemberg gekostet. Die LBBW braucht als Konsequenz aus der Schieflage eine Kapitalerhöhung und eine staatliche Risikoabschirmung. Die Sparkassen wollen und werden die notwendigen Kapitalmaßnahmen mittragen - zähneknirschend. Es gäbe also einige Gründe für die Ablösung Jaschinskis. Und doch waren alle Anteilseigner zumindest nach außen für eine Vertragsverlängerung. Angefangen von der Mehrheit der CDU, die mit 44,2 Prozent stärkste Partei im Landtag ist, über die

Sparkassen, die ebenso wie das Land mit 35,6 Prozent an der LBBW beteiligt sind, bis hin zur Stadt Stuttgart, dem dritten großen Eigentümer mit 18,9 Prozent. Lediglich die FDP, so die offiziellen Verlautbarungen, sträubte sich mit Händen und Füßen, und gewann - als Koalitionspartner mit gut zehn Prozent der Stimmen. Man darf schon fragen, warum Ministerpräsident Oettinger angesichts solcher Mehrheitsverhältnisse den Banker dem Koalitionsfrieden geopfert hat - auch wenn er schon lange nicht mehr als Freund und Förderer Jaschinskis galt. Da hat es nicht geholfen, dass die LBBW in keiner Phase ihrer Schwierigkeiten dies auf die durchaus politisch forcierten Übernahmen der kaputten Sachsen LB und der strauchelnden Landesbank Rheinland-Pfalz geschoben hat.

Dieses Beispiel LBBW zeigt einmal mehr die unglückselige Verquickung von Landesbanken einerseits und Ländern als Eigentümern andererseits. Bemerkenswert ist auch, dass keine der großen Landesbanken, von München über Stuttgart, Frankfurt, Düsseldorf, Hannover bis hinauf nach Hamburg und Kiel, mehr den gleichen Vorstandsvorsitzenden hat wie vor zwei Jahren zu Beginn der Finanzkrise. Dabei gleichen lediglich die Wechsel in Frankfurt von Günther Merl zu Hans-Dieter Brenner und in Hannover von Hannes Rehm zu Gunter Dunkel halbwegs geordneten Übergängen.

Nein, Banker zu sein, macht im Frühjahr 2009 keinen Spaß mehr. Dank haben die Manager noch seltener bekommen als verdient. Da ist es nachvollziehbar, wenn der ein oder andere beklagt, dass die Rolle der Banken für die Volkswirtschaft in dieser betriebsamen Zeit zu wenig gewürdigt wird. Zu Unrecht, wenn man den kurzen aktuellen Abriss dieser Tage außer Acht lässt und auf die Rolle der Finanzindustrie in den vergangenen sechzig Jahren seit Gründung der Bundesrepublik zurückblickt. Die Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen tut dies aus Anlass der Feierlichkeiten zu diesem Geburtstag und hat die Präsidenten aller finanzwirtschaftlichen Verbände um ihre Eindrücke gebeten (Seite 464 ff.). Einig sind sich alle Beteiligten, dass es ohne gesunde Banken, Sparkassen und Versicherungen keine solche Entwicklung, schon gar nicht in den Nachkriegsjahren, der Bundesrepublik Deutschland gegeben hätte. Dass die einen die "flächendeckende Versorgung" herausstellen, andere auf die Notwenigkeit "Gewinne zu erzielen" hinweisen, wiederum andere die Entwicklung "von Produkten und Sparten" mit der Entstehung steigenden Wohlstandes verknüpfen und manche auch Kritik am "Konkurrenten Staat" üben - all das ist richtig, sind Verbände doch in erster Linie Lobbyisten und Wegbereiter ihrer Mitglieder.

Ebenjene Mitglieder sind aber stets nur dienender Natur. In einer arbeitsteiligen Volkswirtschaft erzielen manche Marktakteure Finanzierungsüberschüsse, andere leiden unter Finanzierungsdefiziten. Das heißt, bei manchen Wirtschaftssubjekten übersteigen die Einnahmen temporär die notwendigen Ausgaben, und andersrum sind die geplanten Ausgaben nicht durch entsprechende Einnahmen gedeckt. Dies auszugleichen ist vorrangige Aufgabe der Finanzdienstleister. Wie wichtig dafür die Vorraussetzung des stabilen Geldes ist, hat der frühere Chefredakteur der Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen bereits 1948 im ersten Leitartikel - inspiriert vom Start der Deutschen Mark - geschrieben: "In diesen Sommerwochen ist uns mit der Deutschen Mark und ihren Wirkungen auf das tägliche Leben ein faszinierender Anschauungsunterricht über die sozialen Funktionen des Geldes in der menschlichen Gesellschaft zuteil geworden. [...] Die Rechenhaftigkeit des Lebens, seine Kommerzialisierung, die nur mit einem guten, das heißt mit relativ knappem Geld denkbar ist, bietet eine einzigartige Möglichkeit der gesellschaftlichen Integration, der Applanierung aller Klippen des Zusammenlebens, der Versachlichung und Entgiftung aller menschlichen Beziehungen und der Intensivierung von Arbeitsteilung und Wettbewerb als Wohlstandmehrenden Prinzipien. [...] Wir haben im Inneren mit dem neuen Geld von einem Tag zum anderen, wie mit einem Zauberschlag, den Anfang mit einer Remoralisierung des sozialen Lebens gemacht. [...] Je schlechter das Geld, desto loser der Zusammenhalt der Gesellschaft; je besser das Geld, desto inniger die Vereinigung der Individuen zum Sozialkörper."

Die Währungsreform und das stabile Geld schafften neue Geschäftsmöglichkeiten. In dieser Zeit sorgten Banken und Sparkassen für die Auszahlung des sogenannten "Kopfgeldes", stellten in einem bis Anfang der fünfziger Jahre dauernden Prozess die Konten von Reichsmark auf D-Mark um und ermöglichten so vielen Bürgern das Grundbedürfnis des Sparens und der Vermögensbildung, versorgten die investitionshungrige Wirtschaft mit Krediten und stellten vor allem die Versorgung der Bevölkerung mit ausreichend Wohnraum sicher. Dabei waren auch Banken und Sparkassen durch den Krieg in Mitleidenschaft gezogen worden. Die Dresdner Bank beispielsweise büßte 50 Prozent ihres Vor-kriegs-Geschäftstellennetzes vor allem im Herkunftsland Sachsen und Schlesien ein - 60 Prozent der Umsätze fielen quasi über Nacht weg. In Berlin verloren alle Großbanken ihre Hauptniederlassungen samt der anhängenden Depositenkassen. Der Plan der Amerikaner und Franzosen, das deutsche Bankwesen nach dem Krieg vollständig zu zerschlagen, scheiterte zum Glück am Veto der Briten. Doch 1947/48 folgte die Zerlegung und Aufspaltung der Großbanken, die aus Sicht der Alliierten eine "übermäßige Zusammenballung wirtschaftlicher Macht" darstellten. So entstanden in Westdeutschland aus der Dresdner Bank elf, der Deutschen Bank zehn und der Commerzbank neun organisatorisch und geschäftlich verselbstständigte Nachfolgeinstitute - verselbstständigt, aber ohne eigene Rechtspersönlichkeit. Hinzu kam: Viele Bankgebäude waren zerstört, die Zahl der Mitarbeiter erheblich dezimiert.

1957 schließlich wurde die Aufspaltung der rechtlich verselbstständigten Großbanken wieder aufgehoben. 1959, vor genau 50 Jahren, folgte schließlich die Einführung des Privatkredits, der endlich auch dem "kleinen Mann" einen Finanzierungsrahmen ermöglichte, und damit als eine der Wegmarken auf dem Weg zum Wohlstandsstaat Deutschland angesehen wird. Das standardisierte Privatkundengeschäft wurde in der Folge durch die Euroscheck-Karte und die private Hypothek ebenso vorangetrieben, wie die zunehmende Internationalisierung der deutschen Wirtschaft von Banken und Landesbanken begleitet wurde. Die engen Verbindungen zwischen Kreditwirtschaft und Industrie, die Deutschland AG, hielt bis in die neunziger Jahre hinein. Die Herstatt-Pleite Mitte der Siebziger erschütterte die Bankenszene, warf sie aber nicht um. In der Folge nahm die Kapitalmarktaffinität der Banken und ihrer Kunden weiter zu: Das Investmentbanking amerikanischer Prägung hielt zunächst in den Großbanken, dann auch den Landesbanken und dem genossenschaftlichen Spitzeninstitut Einzug. Anlässlich der Wiedervereinigung 1990 fand sich mancher zurück ans Ende der vierziger Jahre versetzt. Menschenschlangen vor den Bankniederlassungen warteten darauf, ihre DDR-Mark in D-Mark umtauschen zu können. Die Euro-Einführung, der Jahrtausendwechsel - es wurde bewältigt, von Politikern, Bankern und Bürgern.

Im Abriss einer solch langen Zeit mag mancher Ausreißer dieser Tage weniger schlimm wirken, gleichwohl es eine Bankenkrise wie die heutige in den sechzig Jahren Bundesrepublik nicht gegeben hat. Wer trotzdem folgernd nach mehr Regulierung ruft, vergisst, dass Banken von jeher stark reglementiert sind. Man erinnere sich daran, dass Kreditinstitute bis 1958 nur dann Filialen eröffnen durften, wenn zuvor von den Aufsichtsbehörden der Bedarf geprüft und positiv beschieden wurde. Man denke zurück an die staatliche Zinsverordnung für Soll- und Habenzinssätze, die bis in das Jahr 1967 hinein wirkte. Genauso lange herrschte das staatlich sanktionierte Wettbewerbsabkommen, das den Instituten Werbung in eigener Sache und für die Produkte nur sehr eingeschränkt gestattete. Man nehme das Gesetz über das Kreditwesen zur Hand, das sich von einem überschaubaren Erstlingswerk zu einem allumfassenden Paragrafendschungel entwickelt hat. Und man sehe die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, die längst das Finanzgewerbe insgesamt ständig im Blick haben muss. Nicht zu vergessen ist natürlich die europäische Komponente: Aufgrund der zahlreichen Sonderregelungen für die deutsche Finanzbranche bei den nach Einheitlichkeit strebenden Brüsseler Wettbewerbshütern ist klar, dass sich die heimischen Banken und Versicherer stets einer besonderen Aufmerksamkeit erfreuen dürfen. Mehr Regulierung bedarf es wahrlich nicht. Aber zielführenderer! Man kann das Risiko des Investmentbanking nicht mit dem Retailgeschäft einer Sparkasse oder dem Mittelstandsgeschäft der Volksbank vergleichen. Differenzierende Regeln würden allen helfen - Bankern wie Aufsehern.

Deutschland ohne Banken - das geht nicht. Banken ohne Deutschland - das geht zur Zeit leider nicht. Doch Banken mit weniger Staat können dem Staat mehr helfen.

Die Geschichte hat es gezeigt. P. O.

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