Aufsätze

Aufgabe und Gewinn: Deutschland kontra Amerika

Nach den drei Vorträgen aus der Sicht der öffentlichen Hand und des Genossenschaftswesens kommt nun zum Schluss ein Banker aus dem privaten Sektor zu Wort. Fast bin ich geneigt zu sagen: endlich. Immerhin leben wir in einer Marktwirtschaft, die primär auf privaten Unternehmen basiert. Selbst im stark durch die öffentliche Hand geprägten deutschen Kreditwesen machen die privaten Banken ein Drittel des Ganzen aus. Sie sind es, die zu einem großen Teil das Bild prägen, das im Ausland vom deutschen Bankensystem herrscht. Besonders schön ist es, dass ich die Sicht des privaten Sektors ausgerechnet hier im Hermann-Joseph-Abs-Saal darstellen darf, der viele Erinnerungen an meine eigene Zeit in der Deutschen Bank weckt, ganz zu Beginn meiner international geprägten Karriere, bevor ich von Frankfurt aus in die Welt zog.

Ich möchte allerdings klarstellen, dass ich hier nicht als Vertreter der privaten Banken spreche. Ich rede auch nicht als Aufsichtsratsvorsitzender der Deutsche Börse AG oder der Hypo Real Estate AG, obwohl meine Erfahrungen in diesen beiden Unternehmen sicher in meine Sicht der Dinge einfließen. Vielmehr wurde ich eingeladen, um in die Diskussion den Aspekt Deutsch-land-Amerika einzubringen.

Der angelsächsische Vergleich

In der Tat ist es der angelsächsische Vergleich, der das Thema erst so richtig brisant macht und den viele beim Thema Aufgabe und Gewinn im Kopf haben. Es ist einerseits die Sicht Londons oder New Yorks, der Angelsachsen ganz allgemein, nach der die Bundesrepublik in Sachen Corporate Governance immer noch hinter den internationalen Standards der Gewinnorientierung her hinkt. Andererseits ist es die deutsche Sicht, nach der wir keine so genannte Amerikanisierung unserer Wirtschaft wünschen.

Hier spreche ich somit als Wanderer zwischen den zwei Welten Amerika und Europa. Viele Jahre habe ich in der Wall Street und damit in dem amerikanischen System gearbeitet, war dort erfolgreich, habe mich sehr wohl gefühlt und habe die Transparenz und Dynamik des Systems sehr geschätzt. Noch jetzt übe ich dort einzelne Mandate aus. Ende der Neunzigerjahre kam ich in die Bundesrepublik und bewege mich seitdem und ebenso gern im deutschen System. Ich kenne also beide Seiten und weiß, dass jede von ihnen Vor- und Nachteile hat. Und ich habe immer wieder erfahren, wie fruchtbar es sein kann, voneinander zu lernen.

"Typisch deutsch"

Lassen Sie mich mit dem Aspekt unseres Themas beginnen, wo Deutschland am stärksten kontra Amerika steht, wo die Unterschiede kaum größer sein könnten: Das ist der Bereich der Öffentlichkeit. Das Thema "Aufgabe und Gewinn" trifft mitten in die Seelenlage der öffentlichen Diskussion in der Bundesrepublik. Aus amerikanischer Sicht ist das Thema, über das wir hier sprechen, "typisch deutsch". Kein Veranstalter in den USA käme auf die Idee, zu solch einem Thema eine Konferenz zu organisieren. Es würden gar keine Zuhörer kommen.

Hier haben wir dagegen ein "full house" (was natürlich auch mit dem Renommee der Veranstaltung zusammenhängt). In Deutschland haben wir in der öffentlichen Meinung eine ganz ambivalente Haltung zum Bereich Wirtschaft, zu den Unternehmen, zur Unternehmensführung, zum Markt, zur Aktie und natürlich zum Gewinn. Von Shareholder Value will ich gar nicht reden. Wir alle wissen, dass Wirtschaft wenn ich so sagen darf zum "Broterwerb" gebraucht wird. Sie ist in der gesellschaftlichen Hierarchie der Werte aber eher unten angesiedelt. Das Bibelwort, dass der Mensch nicht vom Brot allein lebt, genießt hier besonders große Beliebtheit. Der Beruf, der in der Öffentlichkeit am höchsten bewertet wird, ist der des Professors, möglichst des Professors für Philosophie, weniger des Professors für Betriebswirtschaftslehre, in jedem Fall ist er aber nicht der des Unternehmers.

Wir Deutsche fühlen uns wohler, wenn wir eine Aufgabe erfüllen, wenn wir dem Gemeinwohl dienen, wenn wir für Gerechtigkeit in der Gesellschaft eintreten als wenn wir nach schnödem Gewinn streben. Da kommen auch alle Neidkomplexe im Zusammenhang mit dem Begriff Gewinn hinzu - wer traut sich schon von Profit zu reden? Die Probleme und Missverständnisse haben sich gerade in den letzten Jahren in Deutschland im Zusammenhang mit der Debatte um die Globalisierung im allgemeinen und in der schrecklichen Debatte über die Heuschrecken ganz spezifisch wieder einmal hochgeschaukelt. Ich kenne zum Beispiel kein Land, in der es so eine Heuschrecken-Debatte gab (obwohl die Private-Equity-Fonds auch anderswo tätig sind). Hier geißelte zu der Kapitalismus-Kritik Münteferings im Bundestag ein stellvertretender CSU-Vorsitzender, Seehofer, dann auch noch den "neu liberalen Zeitgeist".

Kein Unternehmergeist

Wenn wir dem Bereich Unternehmertum und Gewinn in Deutschland mit so viel Vorbehalten entgegentreten, sollten wir uns nicht wundern, wenn die Ergebnisse nicht so gut sind. Dann ist es nicht überraschend, dass nur wenige Menschen Unternehmer werden wollen. In Deutschland sind nur 4,5 Prozent der Bevölkerung Unternehmer. Dann bleibt natürlich auch das Wachstum niedrig. Dann werden - das wollen wir natürlich nicht, ist aber nur konsequent - weniger Arbeitsplätze geschaffen.

In den USA ist das ganz anders. Da sind Wirtschaft, Unternehmer und Gewinn mit positiven Werten besetzt. Dort werden mehr als doppelt so viele Menschen Unternehmer (11,3 Prozent). Da genießt der erfolgreiche Unternehmer eine hohe gesellschaftliche Wertschätzung. Hier spielt natürlich auch die calvinistische Tradition eine Rolle, nach der wirtschaftlicher Erfolg gottgefällig ist. Entsprechend besser sind daher auch die Ergebnisse: ein hohes, dynamisches Wachstum, starke Zunahme der Beschäftigung und eine niedrige Arbeitslosigkeit.

Es gibt den etwas zynischen Spruch: Von nichts kommt nichts. Eben das beweist die unterschiedliche Stimmungslage in Deutschland und Amerika. Wenn man die Wirtschaft nicht will oder ihr emotionell immer nur "Negatives" unterstellt oder sie einfach in eine Nebenrolle drängen möchte (nach dem Motto: der Staat macht's doch), dann wird sie auch nur diese Rolle erfüllen. Hier ist der erste Bereich, wo wir von den Amerikanern lernen können. Mehr Freude und Engagement in der Wirtschaft. Mehr Anerkennung für die Unternehmer, mehr Toleranz für Einkommen und Gewinn der anderen wären für unsere Wirtschaft sehr hilfreich und würden sich gesamtwirtschaftlich sicher auszahlen.

Theorie der marktwirtschaftlichen Ordnung

In der wirtschaftlichen und unternehmerischen Realität sieht die Sache natürlich differenzierter aus - es gibt keinen so großen Gegensatz zwischen Aufgabe und Gewinn und keine so großen Unterschiede zwischen Amerika und Deutschland. Das gilt auf jeden Fall für die Bereiche der Volkswirtschaft, die sich dem globalen Wettbewerb stellen müssen. Nennen wir sie die Dax- und M-Dax-Unternehmer.

Dabei waren es ausgerechnet die Deutschen, die sich bei der Entwicklung der Theorie der marktwirtschaftlichen Ordnung im 20. Jahrhundert so hervorgetan haben. Sie waren es, die gezeigt haben, dass es in einer marktwirtschaftlichen Ordnung den Gegensatz zwischen Aufgabe und Gewinn nicht gibt. Sie gingen dabei zurück auf den Altmeister der Ökonomie Adam Smith. Er hat nachgewiesen, dass die Verfolgung des Eigennutzes nicht dem Gemeinwohl widerspricht, sondern dass sie geradezu die Voraussetzung für die Erzielung des Gemeinwohls, des bonum commune ist. Nur dann, wenn Verbraucher und Unternehmer jeweils ihre eigenen Interessen verfolgen, kann durch die unsichtbare Hand des Wettbewerbs das Beste für die Gesellschaft insgesamt herauskommen. Das ist das Credo der marktwirtschaftlichen Ordnung, die wir nach dem zweiten Weltkrieg in Deutschland auch so beispielhaft etabliert haben.

Ich könnte dies auch moderner, manche würden sagen amerikanischer formulieren: Aufgabe und Gewinn sind solange kein Gegensatz, wie die Coporate Governance der Unternehmen stimmt. Wenn die Unternehmen so geführt werden, dass die Eigentümer es sind, die die Ziele definieren, dann funktionieren Marktwirtschaft und Wettbewerb, und dann kommt am Ende das optimale Ergebnis für alle heraus. Wenn aber die Öffentlichkeit oder gar die Regierung Aufgaben vorgibt, die die Unternehmen erfüllen sollen - und seien es noch so plausible Aufgaben wie die gut gemeinte Idee der Sicherung der Beschäftigung - dann bekommen wir Probleme. Dann mag es im besten Fall zwar so sein, dass in dem betroffenen Unternehmen die Beschäftigung höher ist. In der Volkswirtschaft insgesamt wird die Beschäftigung dann "Ala longue" aber niedriger sein.

Wer dies bestreitet oder kritisiert, kennt entweder nicht die Theorie, die hinter der Marktwirtschaft steht, oder er hat etwas gegen diese Ordnung insgesamt. In der Tat hat sich das marktwirtschaftliche Credo der deutschen Wirtschaftspolitik im Verlauf der letzten Jahrzehnte leider abgeschwächt. Das ist zu bedauern, und es wäre sehr erwünscht, wenn sich dies nicht fortsetzen würde. Die Amerikaner waren nie so ordnungspolitisch fixiert wie die Deutschen. In der Praxis der Wirtschaftspolitik waren sie aber stets marktwirtschaftlicher orientiert. Das Credo war und ist der Wille zur Eigenverantwortung und dem Wunsch nach der Chance, eigenverantwortlich zu leben.

Wille zur Eigenverantwortung

Nach der Theorie der Marktwirtschaft ist das Beste, was die Wirtschaftspolitik tun kann, so viel wie möglich dem Markt zu überlassen, sein Funktionieren nicht zu stören und lediglich die Regeln strikt zu überwachen. Eine wirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand sowie Eingriffe in das Grundprinzip der Wettbewerbswirtschaft kommen nur dann in Frage, wenn der Marktmechanismus in welcher Form auch immer nicht funktioniert, wenn es also Marktversagen gibt. In USA wird in diesem Zusammenhang immer sofort das staatliche Handeln daran gemessen, ob es die Eigenverantwortung der Bürger in ihren konkreten Realisierungsmöglichkeiten einschränkt oder nicht. Sicher kann man in diesem Zusammenhang in Deutschland fragen, ob es im Kreditwesen wirklich so viel Marktversagen gibt, ob die privaten Banken wirklich so viel zu wünschen übrig lassen, dass wir einen so großen öffentlichrechtlichen Bankensektor brauchen. Die Erfahrung Amerikas spricht nicht dafür. Aber das ist ein anderes Thema.

Die Dichothomie von Aufgabe und Gewinn ist aber nicht nur theoretisch falsch. Sie entspricht auch nicht der unternehmerischen Realität in Deutschland und den USA. Die deutsche Wirtschaft ist - ich sage das bewusst aus der intimen Kenntnis der beiden Systeme - glaube ich in dieser Hinsicht besser als ihr Ruf. In den letzten fünf, sechs Jahren ist in der unternehmerischen Realität der Bundesrepublik viel geschehen. Hier hat sich eine kleine Revolution vollzogen, die niemand so erwartet hat, die in der Öffentlichkeit vielfach auch noch gar nicht so bewusst geworden ist. Sie hat wenig mit der Politik zu tun und wurde im Wesentlichen von den Unternehmen selbst initiiert. Natürlich sind wir noch nicht da, wo wir hin müssen. Es ist noch ein weiter Weg zu gehen. Trotzdem sollte man die Leistungen des Erreichten nicht gering schätzen.

Aktivere Aufsichtsräte

Die deutschen Unternehmen sind in ihrem überwiegenden Teil nicht mehr aufgabenorientiert, sondern markt- und gewinnorientiert. Die Zeiten des rheinischen Kapitalismus, der Deutschland AG oder wie man die Wirtschaftsordnung nach dem Krieg noch alles bezeichnet hat, sind zumindest zum großen Teil überwunden. Die Corporate Governance hat sich deutlich verbessert.

So ist die kapitalmäßige Verflechtung der Unternehmen geringer geworden und damit sind die Verantwortlichkeiten klarer. Aufsichtsräte sind viel aktiver als sie das früher waren. Als ich Ende der Neunzigerjahre wieder nach Deutschland kam, gab es in deutschen Aufsichtsräten kaum Ausschüsse und diese spielten (außer vielleicht dem Präsidialausschuss) kaum eine Rolle. Heute ist es üblich, dass der Aufsichtsrat für die wichtigen Bereiche des Unternehmens Ausschüsse bildet und diese die einzelnen Gebiete intensiv diskutieren. Die Zusammenarbeit zwischen Aufsichtsrat und Vorstand ist nicht durch Kumpanei, sondern durch wirklichen Rat und Kontrolle geprägt, und zwar durch einen quasi ununterbrochenen Rhythmus an AR- und Ausschusssitzungen. Die Mehrzahl der Aktiengesellschaften hat verstanden, dass sie sich um den Aktionär als dem letzten Eigentümer kümmern muss. Investor Relations wurden ausgebaut. Börsen- und Insiderregeln werden eingehalten.

Das deutsche Zwei-Board-System in der Unternehmensführung mit getrenntem Aufsichtsrat und Vorstand, das früher oft kritisiert wurde, wird heute auch in Amerika als ziemlich gleichwertig gegenüber dem angelsächsischen System des Boards of Executive and Non Executive Directors angesehen. Man kann, das habe ich selbst erfahren, in beiden gut und effizient arbeiten, das Kapitalmarktmodell muss eben in der Unternehmensführung geschickt, diplomatisch flexibel eingesetzt werden.

Durch Druck zum Erfolg

Im ganzen Bereich der mittelständischen Wirtschaft wird, wenn ich das richtig sehe, die Spannung zwischen Aufgabe und Gewinn überwiegend auch nicht als problematisch empfunden. Kleinere und mittlere Unternehmen werden wie die großen zum Teil sogar noch mehr - gesteuert durch gesundes Gewinnstreben. Das hängt auch damit zusammen, dass sich der Mittelstand heute bei der Refinanzierung viel stärker direkt an den Markt wendet und daher die Regeln des Marktes beachten muss, als dies früher der Fall war.

Die so genannten Heuschrecken, also die Hedgefonds-Private-Equity-Firmen werden in der unternehmerischen Realität weitaus realistischer gesehen als in der Öffentlichkeit. Wichtig für die Wirtschaft ist doch, dass Ausländer vor allem auch Amerikaner (sie haben mit Abstand die größten Hedgefonds- und Private-Equity-Firmen der Welt) ihr Geld in Deutschland anlegen, weil sie Vertrauen in die langfristige Ertragsfähigkeit der Unternehmen haben.

Was würden wir sagen, wenn die Private-Equity-Fonds einen weiten Bogen um unser Land machen würden, weil sie sich anderswo bessere Verdienstchancen ausrechnen? Wie sähe die Eigenkapitalsituation des Mittelstandes aus, wenn es keinen Kapitalzufluss aus dem Ausland gäbe? Die betroffenen Unternehmer klagen natürlich über den hohen Druck, unter den sie die Investoren setzen. Die einzelnen Schritte der Unternehmensstrategie werden viel rigoroser und konsequenter überwacht als das sonst häufig der Fall war. Aber die Unternehmen geben auch zu, dass dieser Druck am Schluss zum Erfolg führt.

Gemeinsames Ziel: Steigerung des Unternehmenswertes

In einem Blick zurück kann man heute auch klar argumentieren, dass erst das Konzept "shareholder value" die analytische und praxisbezogene Kontrolle über Stärken und Schwächen eines Unterneh-mens-Managements und die konsequente Überprüfung von Budget und Zielen mit dem IST auf die Wege gebracht hat.

Nebenbei bemerkt sollten wir uns ernsthaft Gedanken machen, warum plötzlich Private Equity (Beteiligungskapital) so attraktiv wird. Eine Antwort ist, dass Kapital und Managementtalente zuhauf dorthin ziehen, weil in börsennotierten Werten transparente Managementgehälter, gesellschaftliche Verantwortung sofort kritisch von der Öffentlichkeit analysiert werden, und mancher Manager wegen des kleinsten Versagens von der Gesellschaft sofort an den Pranger gestellt wird.

Taktische Fehler

Ich selbst bin bekanntlich Aufsichtsratschef eines Unternehmens, in dem Hedgefonds im letzten Jahr viel Wirbel verursacht haben. Ich kann Ihnen aus meiner Erfahrung berichten, dass wir in der Deutsche Börse AG mit den Vertretern der Hedgefonds gut zusammenarbeiten. Natürlich stellen sie manchmal Ansinnen, bei denen wir aus der besseren Kenntnis der Sachlage widersprechen müssen. Andererseits erhalten wir aber auch immer wieder Hinweise aus den globalen Marktvergleichen der Hedge Fonds, was wir besser machen können und wo wir konsequenter vorgehen sollten. Es ist ein fruchtbarer Dialog, geprägt von gegenseitigem Respekt und basierend auf gemeinsamen Zielen. Was Hedgefonds wie auch Vorstand und Aufsichtsrat der Deutschen Börse eint ist das Ziel, den Unternehmenswert zu steigern.

Es ist keineswegs so, dass die Vertreter der Fonds die Macht in dem Unternehmen übernehmen wollen. Das wäre für sie viel zu arbeitsaufwendig. Sie wollen vielfach nicht einmal in den Aufsichtsrat, weil sie wissen, dass man auch außerhalb des Aufsichtsrats ausreichend miteinander reden kann. Was sie wollen, ist Geld verdienen, so wie das jeder andere Aktionär auch will. Worauf sie dringen, ist Konsequenz und Konsistenz der Maßnahmen. Das liegt aber auch im Interesse des Unternehmens selbst.

Natürlich gibt es auch Negatives in der unternehmerischen Realität in Deutschland. Das sind die Dinge, an denen sich die öffentliche Meinung dann hochschaukelt. Etwa wenn Private-Equity-Fonds den Unternehmen in Fehleinschätzung des Marktpotenzials zu hohe Lasten aufbürden und sie daran zerbrechen. Oder wenn bei der Übernahme zu viel Schulden gemacht werden, die bei steigenden Zinsen zu einem Problem werden oder zumindest werden können. Auch unabhängig von den Fonds werden Fehler gemacht, viele aber taktischer Art. Etwa wenn die Deutsche Bank oder die Allianz einen Arbeitsplatzabbau just zu dem Zeitpunkt bekannt geben, in dem die Gewinne ein Rekordniveau erreicht haben. Oder wenn Siemens seine Handysparte an BenQ verkauft und die deutsche Tochter des taiwanesischen Unternehmens kein Jahr später insolvent wird. Die Kritik ist oft maßlos.

Kommunikationsfehler

Zum Teil sind es auch einfache Kommunikationsfehler, die aber andererseits die ungeheure Bedeutung der gesamten Unternehmenskommunikation in der heutigen Zeit mit den "stakeholdern" unterstreicht. Denn es ist natürlich absolut richtig, strukturelle Veränderungen dann einzuleiten, wenn es dem Unternehmen gut geht und nicht erst zu warten, bis die Krise da ist. Aber das ist natürlich schwierig, einem Publikum zu erklären, das jegliche Wirtschaftsthemen nur emotional nachvollziehen kann.

Auch Amerika, wo die Wirtschaft ganz ohne Zweifel mehr Gewinn- und Sharehold-er-Value orientiert ist, ist nicht alles Gold. Sicher gibt es dort eine große Anzahl von Firmen, die die wertorientierte Unternehmensführung konsequent praktizieren und damit Erfolg haben - etwa Firmen wie Pfizer, Exxon, Washington Mutual oder Microsoft. Es gibt aber natürlich auch die andere Seite. Ich denke dabei nicht an Fälle wie Enron, Worldcom oder Tyco. Das was sich dort abspielte war Betrug, der nichts mit dem System zu tun hat und den es überall gibt. Ich denke eher an Firmen wie Eastman Kodak, Xerox, Motorola, Manufacturer's Hanover Trust oder Ford, die alle nicht nur keinen Mehrwert für die Aktionäre geschaffen, sondern im Gegenteil Wert vernichtet haben.

Eine Firma wie Eastman Kodak ging so weit, dass sie sich am Schluss an den Staat wandte, um dort Subventionen für eine verfehlte Geschäftspolitik zu erhalten. Dabei war Kodak sogar der Erfinder der bahnbrechenden digitalen Fotographie. Das Management brachte diese Erfindung aber nur zögerlich an den Markt, weil es eine Kannibalisierung seines übrigen Geschäfts befürchtete. Auf diese Weise geriet die Firma auf Dauer in eine schwierige Schieflage.

Amerika hat seine Corporate Governance in den letzten Jahren durch Sarbanes Oxley als Antwort auf massive Missstände (Enron et cetera) sehr stark verändert. Auch dabei gab es erhebliche Probleme und Schwierigkeiten, so dass die Regelungen jetzt erneut auf dem Prüfstand stehen. Sie sind insgesamt viel zu kompliziert, zu aufwendig und zu kostspielig. Kein europäisches Unternehmen würde unter diesen Regeln arbeiten mögen. Und auch der Kapitalmarkt hat die neuen Vorschriften nicht unbedingt als vorteilhaft angesehen. Wir erleben das gerade bei der Deutsche Börse AG, wo der Plan von Euronext, mit der New York Stock Exchange zu fusionieren, bei den Kunden eben wegen der komplizierten aufsichtsrechtlichen Vorschriften auf Vorbehalte stößt.

Langfristorientierung

Ich erwähne das alles nicht, um meinerseits Amerika herunterzureden. Ich will vielmehr deutlich machen, dass das Bild auf beiden Seiten des Atlantik gemischt ist, und dass es auf beiden Seiten Lernbedarf gibt. Was die Amerikaner von uns lernen können, das sind Dinge wie die Langfristorientierung anstelle eines vielfach dominierenden kurzfristigen Blicks auf das nächste Quartal (obwohl ich klar für Quartalsberichte bin - sie verhindern, dass man Probleme einfach vor sich herschiebt). Oder es ist die stärkere Berücksichtigung der Interessen anderer Stakeholder (wie etwa der Umwelt). Oder es betrifft die bessere Beteiligung der Arbeitnehmer am Unternehmenserfolg, die in den USA in den vergangenen Jahren zu sehr vernachlässigt wurde mit der Folge, dass der Durchschnittsamerikaner in den letzten zehn Jahren nicht viel oder nicht genügend von dem ökonomischen Boom abbekommen hat. Da wir hier in Deutschland sind, möchte ich auf diese Aspekte jetzt nicht näher eingehen, sondern mich mehr mit dem befassen, was die Deutschen von den Amerikanern lernen können. Ich möchte hier sechs Punkte nennen, die mir aus meinen Erfahrungen in Amerika und Deutschland besonders wichtig erscheinen:

Erstens müssen wir dafür sorgen, dass wieder mehr Gewinne an die Aktionäre gehen und weniger an den Staat. Das ist das ganze Thema Unternehmenssteuern, das ja derzeit auch auf der politischen Agenda in Berlin ganz oben steht. Niedrigere Unternehmenssteuern helfen nicht nur den Unternehmen, indem sie mehr Geld für Investitionen zur Verfügung haben. Es hilft auch den Aktionären und damit den Sparern, weil sie dann eine bessere Rendite erzielen und mehr zum Beispiel für ihre Altersvorsorge tun können. Und es hilft am Ende auch dem Staat, weil durch mehr Aktivitäten der Unternehmen der Steuertopf insgesamt größer wird.

Stiftungskultur weiterentwickeln

Ich denke hier aus amerikanischer Perspektive sogar noch etwas weiter. Wenn Unternehmen und Aktionäre mehr Geld zur Verfügung haben, dann kaufen sie sich nicht unbedingt eine zweite Yacht am Mittelmeer. Sie stiften auch mehr für öffentliche Zwecke. Wir reden hierzulande viel darüber, wie viel die Sparkassen für das kulturelle Leben in den Kommunen tun. In den USA hat sich hier eine hervorragende Mä-zenaten-Kultur herausgebildet, die eben vieles aus Privatinitiative ermöglicht, was hierzulande der Staat machen muss. Es wäre im Interesse aller, wenn sich manches aus diesem US-Modell für Deutschland übertragen ließe.

Zweitens müssen wir weiter an unserer Corporate Governance arbeiten. Es geht dabei weniger um gesetzliche Maßnahmen des Staates, sondern um die Verwirklichung der Corporate Governance in der unternehmerischen Wirklichkeit. Nach wie vor schielen Unternehmen immer noch zu viel auf den Beifall der Regierung oder der Öffentlichkeit und bekennen sich zu volkswirtschaftlichen Aufgaben statt klar und deutlich zu sagen, dass sie unternehmerische Ziele und Gewinn anstreben. Hier sind uns die Amerikaner weit voraus. Man muss sich in Deutschland nur den ganzen Bereich der Energie- und Versorgungswirtschaft anschauen, wo so viel von der Sicherstellung der langfristigen Versorgungssicherheit die Rede ist, die hohe Gewinne erfordere.

Auch im Energiesektor gibt es Marktwirtschaft und werden die Investitionen nach unternehmerischem Kalkül getätigt. Wenn die Unternehmen dort aus Sicht der Öffentlichkeit zu hohe Gewinne haben, dann liegt das nicht an volkswirtschaftlichen Aufgaben, sondern ganz einfach daran, dass der Sinn für neue, etwas riskantere Investitionen nicht ausgeprägt genug ist. Wir sollten uns mal die Frage stellen, warum es kein deutsches Erdölunternehmen mehr gibt - und das für die immer noch drittgrößte Volkswirtschaft der Welt!

Weniger Subventionen

Drittens müssen die Unternehmen weniger auf Subventionen zielen, sondern mehr auf wirklichen Ertrag am Markt. Natürlich ist es klar, dass sich Unternehmen um Subventionen bemühen, wenn der Staat sie ihnen anbietet. Es wäre im Sinne der Aktionäre fahrlässig, wenn sie dies nicht täten. Aber wenn es weniger Subventionen gibt, dann müssen und werden die Unternehmen ohne sie auskommen und sich mehr um den Markt kümmern. Subventionen kosten den Staat Geld, verfälschen die Marktkräfte und schwächen in den Unternehmen die Kundenorientierung. Der Staat sollte sie konsequent reduzieren. Politiker beklagen immer, wie schwer das ist und wie heftig sich die Lobbyisten dagegen wehren. Hier müssen wir von den Politikern mehr Mut einfordern. Auch in den USA gibt es Subventionen. Aber sie sind, wenn ich das richtig sehe, geringer als in Deutschland.

Viertens brauchen wir mehr Privatisierungen. Die staatliche Tätigkeit sollte sich auf die Bereiche beschränken, in denen der Markt nachweislich nicht funktioniert. Warum braucht der Staat noch eine so große Beteiligung an Volkswagen? Warum benötigt er Aktien der Deutschen Telekom (ich glaube viele Probleme dieses Unternehmens resultieren daraus, dass dort noch eine starke Beamtenmentalität herrscht)? Es kann doch nicht sein, dass jeder Staatssekretär neben seiner Tätigkeit im Ministerium und jeder Landrat und Bürgermeister noch über eine Reihe von Aufsichtsratsposten verfügt? In Amerika kommt der Staat jedenfalls mit sehr viel weniger Beteiligungen an privaten Unternehmen aus.

Fünftens und direkt zur Corporate Governance: Wir brauchen eine Reform des Mitbestimmungsrechts in Deutschland. Die Mitbestimmung wird nicht nur in der globalen Konkurrenz, sondern auch innerhalb Europas und in Deutschland selbst zu einem Wettbewerbshemmnis. Ich kann aus eigener Erfahrung sagen, dass kleinere Aufsichtsräte effizienter arbeiten, weil sie besseren Dialog und mehr Transparenz ermöglichen. Natürlich bin auch ich der Meinung, dass in der unternehmerischen Wirklichkeit die Interessen der Beschäftigten berücksichtigt werden müssen. Der Dialog mit den Arbeitnehmern ist für jeden verantwortlichen Unternehmer eine Selbstverständlichkeit. Aber das muss nicht unbedingt im Aufsichtsrat und vor allem nicht mit betriebsfremden Gewerkschaftsvertretern erfolgen.

Flexibilisierung der Arbeitsmärkte

Sechstens schließlich brauchen wir mehr Deregulierung und Flexibilisierung auf den Märkten, vor allem auf den Arbeitsmärkten. Lange Zeit haben die Politiker gesagt, dass das angesichts des Mangels an Beschäftigung nicht möglich sei und dass beispielsweise eine Verringerung des Kündigungsschutzes zu noch mehr Arbeitslosen führen würde. Das war damals vermutlich auch richtig. Jetzt aber ist die Zeit eine andere. Jetzt werden wieder Leute in den Unternehmen gebraucht und eingestellt. Jetzt muss man die Bremsen lockern, gerade um noch zu mehr Beschäftigung zu kommen.

Die Angst vor einem amerikanischen "hire and fire"-System ist gerade in Zeiten des gesamtwirtschaftlichen Aufschwungs nicht gerechtfertigt. Wer die Verhältnisse in den USA kennt, weiß im übrigen, dass das "hire and fire" auch dort keineswegs so radikal angewandt wird wie viele so sagen. Stabile Beschäftigung erreicht man nicht durch rigide Beschäftigungsgesetze, sondern durch eine rentable und wachsende Wirtschaft. Auch müssen wir unserer Öffentlichkeit endlich erklären, dass im 21. Jahrhundert Beschäftigung im ganzen Arbeitsleben in einem Unternehmen nicht mehr möglich ist, dass die wachsende Welt der Dienstleistungen "Jobwechsel" eher ermöglicht.

Das sind einige Punkte, mit denen man die Dichothomie zwischen Aufgabe und Gewinn und den Gegensatz zwischen Deutschland und Amerika abbauen kann. Das hilft den Unternehmen, den Aktionären, den Beschäftigten und letzten Endes dann auch der Volkswirtschaft insgesamt - und dafür sollten wir uns weiter einsetzen.

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