Aufsätze

"Wir sollten uns wieder über fundamentale Prinzipien einer offenen Gesellschaft verständigen"

Seit einem Jahr befinden wir uns in der Finanzkrise. Sie hat für alle sichtbar begonnen mit dem Zusammenbruch der Bank Lehman Brothers in New York. In Deutschland zeigt sich die anhaltende Krise in der schwierigen Lage einzelner Institute und in der Abwicklung ganzer Banken. Diese Finanzkrise ist eine tiefe und anhaltende Krise des westlichen Bankensystems. Diese Krise dauert an, und wir werden weitere Schockwellen der Krise sehen. Diese Krise ist längst nicht vorbei.

Richtige Prioritäten der Politik?

Die politische Aufmerksamkeit konzentriert sich dagegen mehr und mehr auf die Konjunktur, auf die Entwicklung des Arbeitsmarktes, auf die Frage nach Wachstum und Beschäftigung. Die politische Aufmerksamkeit führt weg von den systemischen Risiken der Banken, hin zu den Auswirkungen auf die sogenannte Realwirtschaft. Die Frage stellt sich, ob die Politik damit die richtigen Prioritäten setzt.

Lassen Sie mich zunächst einen Blick zurückwerfen auf die letzten 15 Monate. Ich meine, dass wir heute feststellen können, dass es zwei Entscheidungen gegeben hat, die verhindert haben, dass es eine noch größere Krise wird. Die erste Entscheidung war die kurzfristige Reaktion, weitgehend abgestimmt zwischen den großen Wirtschaftsräumen, insbesondere zwischen Europa und Amerika, nämlich die mit offenkundig weichen Knien abgegebene Sicherung der Einlagen der Kunden.

Die zweite richtige Entscheidung reicht weiter zurück. Stellen wir uns einmal einen kurzen Augenblick vor, wir hätten in der Krise den Euro nicht. Diese Krise hätte wahrscheinlich eine noch viel tieferreichende Wirkung gehabt. Wir hätten ziemlich sicher massive Währungsspekulationen innerhalb des heutigen Euroraums und innerhalb der gesamten Europäischen Union erlebt. Wahrscheinlich hätten die Staaten innerhalb der Europäischen Union der Versuchung nicht widerstehen können, auf die Krise mit Abwertungswettläufen zu reagieren. Gott sei Dank aber haben wir also auch und gerade in der Krise den Euro. Ich sage dies nicht zuletzt deshalb, weil ich in zwei Parlamenten, im Europäischen Parlament und im Deutschen Bundestag, zusammen mit allen Befürwortern der Einführung des Euro, zwei politische Versprechen gegeben habe.

Wir haben vor zehn Jahren bei den entscheidenden Weichenstellungen für die Euroeinführung der auch in unserem Land skeptischen Bevölkerung, zunächst das Versprechen gegeben, dass wir eine stabile Währung schaffen. Wir können heute feststellen, zehn Jahre danach, wir haben dieses Versprechen eingehalten. Besser ausgedrückt, wir haben dieses Versprechen einhalten können, weil wir institutionelle Vorkehrungen für eine stabile Währung getroffen hatten. Die Europäische Zentralbank hat ihren Sitz in Frankfurt. Sie atmet den Geist der Deutschen Bundesbank, jedenfalls was ihre prioritäre Verpflichtung auf das Ziel der Geldwertstabilität betrifft, und auch der Präsident der Europäischen Zentralbank hat gerade in der Krise mit Augenmaß und Vernunft Vertrauen geschaffen und nicht nur die Bank, sondern auch den Euro sicher durch die Krise geführt.

Der Euro als Lokomotive

Was viele auch in der Fachöffentlichkeit heute nicht mehr so genau in Erinnerung haben, war ein zweites Versprechen. Wir haben bei der Euroeinführung eine Diskussion über die Frage geführt, ob der Euro am Ende eines politischen Integrationsprozesses, sozusagen als Krönung der politischen Integration, eingeführt werden soll, oder ob er am Anfang eines solchen Prozesses stehen kann im Sinne einer Lokomotive, die die weitere politische Integration der Europäischen Union befördert. Wir haben uns damals aus vielen Gründen für den zweiten Weg entschieden, erst den Euro, dann die politische Integration. Und wir haben deswegen ein zweites Versprechen abgegeben, das da lautete: nach der Euroeinführung, nach der Einführung der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion, wird die politische Union folgen.

Danach hat es neun Jahre gedauert, bis der Lissabonvertrag nun gerade in diesen Tagen endgültig ratifiziert wird und in Kraft treten kann. Der Lissabonvertrag ist ein Teil der politischen Union. Aber soweit die weitere Integration der Wirtschafts- und Finanzpolitik in der Europäischen Union betroffen ist, gibt er nur unzureichende Antworten. Dieses Versprechen, eine politische Union folgen zu lassen, war ein Versprechen auch und gerade im Hinblick auf die weitere Integration der Wirtschafts- und Finanzpolitik im Euroraum.

Unzureichende Koordinierung der Wirtschafts- und Finanzpolitik

Sie werden vielleicht an dieser Stelle die Frage stellen, was denn dieser Sachverhalt mit unserem Thema zu tun hat. Nun, ich zitiere dieses politische Versprechen, das wir damals abgegeben haben, weil mir auffällt, dass in der Bewältigung der Finanzkrise die Europäische Währungsunion nur eine untergeordnete Rolle gespielt hat. Und das hätte meines Erachtens anders sein müssen.

Die Europäische Zentralbank stand im Mittelpunkt des Geschehens. Aber wo war die gute und bessere Koordinierung der Wirtschafts- und vor allem Finanzpolitik im Euroraum? Ich will konkrete Themen ansprechen. Warum ist es uns nicht gelungen, in diesem Euroraum der 16 eine gemeinsame Bankenaufsicht zu etablieren? Warum ist es uns bis heute nicht gelungen, in diesem Euroraum der 16 eine zielführende Diskussion über ein eigenständiges europäisches Ratingsystem zu führen. Ich sage das aus einem ganz einfachen Grund: Wenn denn das amerikanische System der Ratingagenturen ein Teil des Problems ist, dann müssen wir doch wohl in der Lage sein, eine europäische Antwort darauf zu geben. Und warum führen wir bis heute keine zielführende Diskussion über die Vereinheitlichung der Standards der Einlagensicherung? Wohlgemerkt nicht einer einheitlichen Einlagensicherung, aber sehr wohl einer Vereinheitlichung der Standards im Euroraum. Wem das alles noch nicht reicht zur Begründung für ein stärkeres Engagement des Euroraums, dem möchte ich als viertes Thema sagen: Warum sprechen wir eigentlich im Raum unserer gemeinsamen Währung nicht über gemeinsame Standards der Eigenkapitalausstattung der Banken?

Wenn es uns nicht gelingt, in diesem Raum einer gemeinsamen Währung diese Anforderungen einer vertieften finanz- und wirtschaftspolitischen Integration zu erfüllen, dann wird der Euro auf Dauer, so wie wir ihn heute haben, kein Bestand haben.

Anhaltender Druck innerhalb des Euroraums

Es mag sein, das der eine oder andere diese Befürchtung als eine zu weitgehende Spekulation oder Vermutung empfindet. Aber der Druck innerhalb des Euroraums, bestimmte institutionell getroffene Entscheidungen zu überdenken, möglicherweise rückgängig zu machen, hält an. Wir haben in der Europäischen Union ein Schuldenaufnahmeverbot im Vertrag. Wir haben außerdem eine sogenannte non-bail-out-Klausel im Vertrag, die aber bereits im Lis-sabon-Vertrag durch die Beistandsklausel aufgeweicht wird. Wir haben innerhalb des Euroraums erhebliche Unterschiede in den Zinssätzen auf Staatsanleihen, die Spreads reichen mittlerweile auf über 200 Basispunkte. Einzelne Staaten sind zu früh und auf der Basis falscher Zahlen in den Euroraum eingetreten. Sie konfrontieren den gesamten Währungsraum heute mit ihren innerstaatlich ungelösten ökonomischen, sozialen und finanzpolitischen Problemen.

Die neue Kommission in Brüssel und auch die Mitgliedstaaten im Euroraum werden vor der Frage stehen, ob sie zu den festen Zusagen der Preisstabilität und der Haushaltsdisziplin auf Dauer stehen und ob sie die Staaten innerhalb des Euroraums, die den Anforderungen nicht mehr entsprechen, zu entsprechenden Korrekturen veranlassen können, ohne dass es dort zu schwersten sozialen Verwerfungen kommt. Dies sind Herausforderungen, die uns als Gesellschaften innerhalb Europas insgesamt betreffen, aber das sind auch Herausforderungen, die das Bankensystem als Teil eines offenen marktwirtschaftlichen Systems betreffen. Und ich sage dies alles vor dem Hintergrund der Tatsache, dass die Bundesrepublik Deutschland hier nicht mit gutem Beispiel vorangeht.

Erlauben Sie mir daher, sozusagen "vor der eigenen Haustür zu kehren": Herr Gerlach, bei allem Respekt, den ich vor den drei Säulen habe und vor dem, was die Sparkassen, die Volksbanken und Raiffeisenbanken und die Geschäftsbanken und privaten Banken leisten. Ich finde es unerträglich, dass die deutschen Banken und die Sparkassen mit den Landesbanken bis heute nicht in der Lage gewesen sind, ihren Bankenstreit zu lösen und stattdessen jede Woche neue Themen aus Deutschland kontrovers in Brüssel präsentiert werden. Ich zeige damit nicht mit dem Finger auf Einzelne. Mich begleitet dieses Thema, seitdem ich 1989 als junger Europaabgeordneter nach Brüssel gekommen bin. Kein anderes Land der Europäischen Union leistet sich in Brüssel einen solchen innerstaatlichen Streit, auf offener Bühne ausgetragen und seit so langer Zeit wie Deutschland.

Erpressbar

Wenn wir heute mit unseren amerikanischen Partnern über die Frage sprechen, wie wir denn das zukünftige Weltfinanzsystem gemeinsam ordnen sollen, und ich komme noch einmal zurück auf meine Eingangsbemerkung, die da lautet, die Finanzkrise ist eine Krise des westlichen Bankensystems, dann erwarten die Amerikaner und die Staats- und Regierungschefs der G20 zu Recht, dass wir nach gemeinsamen Lösungen suchen. Aber glaubt eigentlich jemand ernsthaft, dass die Amerikaner uns mit unseren Vorstellungen ernst nehmen, wenn wir noch nicht einmal in Europa eine gemeinsame Position formulieren?

Ich nehme eine Anleihe aus den Ereignissen der letzten Tage. Sie alle kennen die transatlantische Wirtschaftspartnerschaft, die vom früheren Präsidenten George Bush und der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel vor zwei Jahren ins Leben gerufen worden ist. Eine hochrangige europäische Delegation ist vor 14 Tagen in Washington gewesen, um die Diskussion um dieses Thema fortzusetzen. Die Amerikaner haben drittrangige Abteilungsleiter einzelner Ministerien in diese Runde geschickt. Warum machen sie das? Sie tun dies, weil sie vor uns Europäern keinen Respekt haben, dass wir ihnen auf gleicher Augenhöhe und mit gleichem Anspruch auf Gestaltung der großen Fragen der Gegenwart und der Zukunft begegnen.

Ich zitiere dies, weil wir eine Reihe von weiteren Themen miteinander erörtern müssen, die zur Lösung der Krise beitragen müssen. Wenn der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bank in diesen Tagen zitiert wird mit dem in London gesprochenen Wort auf die Banken bezogen: "If they are too big to fail, then they are too big", wenn die deutsche Bundeskanzlerin in diesen Tagen sagt: "Kein Unternehmen darf so groß werden, dass es den Staat erpressen kann", dann vermute ich, dass die meisten von uns beide Einschätzungen teilen. Ich möchte uns nun aber die Frage stellen, was daraus denn folgt? Welche Konsequenzen ziehen wir denn daraus? Und wenn ich "wir" sage, meine ich nicht die Politiker, sondern wir als Gesellschaft? Welche Antworten geben wir auf die Herausforderung, dass offenbar einige Banken und möglicherweise auch einige Unternehmen einfach so groß geworden sind, dass ihr Scheitern oder schon ihre Schieflage ein "systemisches" Risiko darstellt?

Antwort: "Wettbewerb"

Die Väter der Sozialen Marktwirtschaft haben darauf eine Antwort gegeben, die Antwort lautete schlicht: "Wettbewerb"! Den Wettbewerb so zu organisieren, dass möglichst keiner zu groß und zu stark wird und andere dominieren kann. Funktioniert dieser Wettbewerb aber noch so, wie er ständig zitiert wird und wie ihn diejenigen wollten, die Wettbewerb als zentrales Element eines nicht in erster Linie aus ökonomischen, sondern aus gesellschaftspolitischen Erwägungen heraus konzipiert haben?

Ich komme daher noch einmal zurück auf die Lage in Deutschland. Das Bankensystem in Deutschland erlebt zurzeit wie in anderen Ländern der westlichen Hemisphäre neben der Finanzkrise auch eine tiefe Vertrauenskrise. Ist es dann aber wirklich eine abschließende Antwort zu sagen, wir versuchen jetzt durchzukommen, ändern ein wenig die Bonussysteme, lassen aber ansonsten alles wie es ist, teilen uns die Märkte und die Nischen auf, und am Ende wird alles gut? Herr Gerlach, ganz offen die Frage auch an Sie als Vertreter des öffentlich-rechtlichen Sektors. Reicht das zu sagen, wir haben mit den Landesbanken nichts zu tun? Ich sage es Ihnen als jemand, der heute im Berufsleben steht und der täglich Erfahrung auch mit Banken in Deutschland sammelt. Wir haben nicht zu viele, wir haben eher zu wenig Banken im Wettbewerb. Und Sparkassen allein werden die Kreditversorgung der Bundesrepublik Deutschland auf Dauer nicht gewährleisten können, so gesund sie sein mögen.

Die Landesbanken, deren Funktion es einmal war, aus dem öffentlich-rechtlichen Sektor heraus einen Teil der Versorgung mit Bankdienstleistungen zu gewährleisten, haben heute vielleicht bis auf ein oder zwei Ausnahmen allesamt kein Geschäftsmodell. Glaubt aber irgendjemand von uns im Ernst, dass aus der Fusion von mehreren Fußkranken ein gesundes Institut werden kann?

Eine gesellschaftspolitische Aufgabe ersten Ranges

Die Wiederherstellung einer auf Wettbewerb ausgerichteten Ordnung im deutschen Bankenmarkt ist keine Aufgabe für Landespolitiker allein oder für die Betroffenen in dem jeweiligen Sektor. Das ist eine gesellschaftspolitische Aufgabe ersten Ranges. Denn wenn wir über Kreditversorgung sprechen, wenn wir über eine moderne Volkswirtschaft sprechen, die moderne Bankdienstleistungen braucht, dann brauchen wir auch Banken, die das leisten können. Ich komme aus Nordrhein-Westfalen. Früher gab es einmal am Standort Düsseldorf jeweils zweite Kopfstellen. Ich habe einen Ihrer Vorgänger, Herr Kopper, in Düsseldorf kennen gelernt, nicht in Frankfurt, der dort eine feste Infrastruktur unterhielt. Was ist denn heute aus dem Bankenplatz Düsseldorf geworden? Wir könnten alle miteinander sagen, dass es uns herzlich gleichgültig ist, so ist die Marktwirtschaft halt. Aber wer tritt denn an die Stelle derer, die da plötzlich fehlen in der Versorgung der Volkswirtschaft mit Bankdienstleistungen?

Ich nehme das Wort in den Mund, wir haben eine Kreditklemme. Nicht für die kleinen und mittleren Unternehmen, sehr wohl aber für die großen Unternehmen und auch schon für den industriellen Mittelstand. In Deutschland fehlt in diesem Segment ein beträchtlicher Teil an Bankdienstleistungen, die wir einmal hatten.

Und wenn Sie erneut die Frage stellen, was das denn alles mit unserem Thema des heutigen Tages zu tun hat, dann will ich auf meinen letzten Punkt zu sprechen kommen. Wir werden wahrscheinlich im Februar des nächsten Jahres erleben, dass in den Banken für das Jahr 2009 mit die höchsten Boni aller Zeiten gezahlt werden. Darf ich uns einmal die Frage stellen, was wir denn vermuten, wie ein Teil der interessierten Öffentlichkeit in Deutschland darauf reagieren wird? Nicht nur die Mittelständler oder die größeren Unternehmen, die vielleicht erfolglos Verhandlungen mit ihren Banken geführt haben, sondern auch große Teile der Bevölkerung? Diejenigen, die in einer krisenhaften Zuspitzung der volkswirtschaftlichen Lage mit minus sechs Prozent in der volkswirtschaftlichen Leistung im Jahre 2009 mit weitreichenden Folgen für den Arbeitsmarkt, für die öffentlichen Haushalte, plötzlich sehen, dass da eine elitäre Kaste eines kleinen Teils der Banken in einem Umfang verdienen, wie es jenseits jeder Vorstellungskraft des durchschnittlichen Mitglieds unserer Gesellschaft liegt?

Abnehmende Zustimmung zu Demokratie und Marktwirtschaft

Sie werden vielleicht etwas überrascht sein, dass ich dies aus meiner Sicht so sage. Ich gehöre bekanntlich nicht zu denen, die sich an Rhein und Ruhr zum Arbeiterführer ausrufen, aber ich mache mir schon erhebliche Sorgen um die Zukunftsfähigkeit unseres Gesellschaftsmodells und um die Akzeptanz des politischen und ökonomischen Systems unseres Landes. Denn mit dem, was wir Finanzkrise nennen, ist eine tief greifende Vertrauenskrise verbunden. Die Zustimmung der Bevölkerung in Deutschland zu Demokratie und Marktwirtschaft ist selten - und wenn ich die Statistiken richtig lese - nie nach dem Zweiten Weltkrieg so niedrig gewesen, wie in der Mitte dieser Finanzkrise. Im Westen sind es gerade einmal noch 50 Prozent, die auf die Frage, glauben Sie, dass Marktwirtschaft und Demokratie die Probleme der Gegenwart lösen können, noch mit Ja antworten. In Ostdeutschland sind es mittlerweile unter 25 Prozent.

Wir brauchen uns deshalb nicht darüber zu wundern, dass das deutsche Parteiensystem zerfasert und auseinanderfällt, dass wir keinen gesellschaftspolitischen Konsens in den großen Fragen mehr finden und dass die Ablehnung unseres Gesellschaftsmodells umso größer wird, je stärker diese einzelnen, ich betone einzelnen, Exzesse, aber ich betone auch Exzesse, in einzelnen Banken zutage treten. Wenn wir also über Banken und Werte sprechen, dann müssen wir uns wieder über Grundsätze und Prinzipien unterhalten. Ich bin in diesen Tagen Zeuge der Verabschiedung des langjährigen Mitglieds eines gemeinsamen Beirats einer großen Bank hier in Frankfurt geworden. Der Mann ist bekannt, stammt aus dem Handel und hat sich bei seiner Bank bedankt für eine mehr als 20-jährige gemeinsame Geschäftsbeziehung. Er hat bei dieser Gelegenheit berichtet, dass nach wenigen Jahren des Beginns dieser Geschäftsbeziehung er die Chance gehabt habe, für sein Unternehmen eine große Akquisition zu machen, die damals zwei Milliarden DM gekostet habe. 500 Millionen DM hätten ihm gefehlt. Derjenige, den er übernehmen wollte, habe ihm aber angedroht, wenn der Name irgendwo auftauche, und sei es bei einer der beteiligten Banken, sei die Transaktion sofort beendet. Er ist also zum Vorstand seiner Bank gegangen und hat gesagt, ich brauche 500 Millionen DM für eine Transaktion, die unser Unternehmen einen großen Schritt weiter in Europa bringt, aber ich kann ihnen nicht sagen, wer es ist. Kann sich irgendjemand hier im Saal vorstellen, dass irgendeine Bank in Deutschland heute eine solche Finanzierung zusagt? Damals hat diese Bank ihrem Kunden vertraut, hat die Finanzierung gegeben und erst hinterher erfahren, was und wer damit erworben wurde.

Ich sage dies nicht aus Gründen der Nostalgie. Ich weiß, dass das nicht zurückkommt und dass wir heute andere gesetzliche, vertragliche und regulatorische Anforderungen haben. Aber ohne jedes Vertrauen zueinander nützt auch die beste Due Diligence, nützt die bestformulierte MaRisk und nützen die besten Gesetze nichts. Wenn wir in unserer Gesellschaft nicht wieder ein Minimum an Vertrauen zueinander finden, dann werden wir die Probleme der Gegenwart und der Zukunft niemals lösen.

Richtige Schlussfolgerungen ziehen

Der Verfassungsrichter Ernst-Wolfgang Böckenförde hat einmal für die Demokratie und das Grundgesetz gesagt: "Die Demokratie lebt von Voraussetzungen, die sie selbst nicht schaffen kann". Ich würde dieses Wort gerne auf Marktwirtschaft und Banken übertragen. Unsere offene Gesellschaft, die marktwirtschaftliche Ordnung, Banken in der marktwirtschaftlichen Ordnung, leben von Voraussetzungen, die sie selbst nicht schaffen können. Das gilt für den Gesetzgeber, das gilt aber auch für alle, die im Markt tätig sind. Dies ist wahrscheinlich die größte Herausforderung, vor die unsere offene Gesellschaft in ihrer jungen Geschichte jemals gestellt wurde. Und ich wage die These, wenn es uns nicht gelingt, gemeinsam mit denen, mit denen wir doch Werte teilen, also mit unseren amerikanischen Partnern, aus dieser Krise die richtigen Schlussfolgerungen zu ziehen - und wir sind nach meiner Einschätzung ziemlich weit davon entfernt, dies zu tun - wenn wir daraus nicht die richtigen Schlussfolgerungen ziehen, dann werden durch die Krise die ohnehin stattfindenden tektonischen Verschiebungen in den ökonomischen und politischen Machtzentren dieser Welt eine erhebliche Beschleunigung erfahren. Amerika kommt vielleicht schneller aus der Krise. Das hängt mit einer zum Teil naiven Fortschrittsgläubigkeit und dem grundlegenden Zukunftsoptimismus der Amerikaner zusammen. Wir könnten, wenn wir es richtig machen, in Europa und wenn wir es vor allen Dingen gemeinsam machen, besser aus der Krise herauskommen. Große Teile Asiens sind aber gar nicht in der Krise. Deswegen sollten wir die Chance der Krise wirklich nutzen, um uns wieder über fundamentale Prinzipien einer offenen Gesellschaft und einer marktwirtschaftlichen Ordnung zu verständigen. Und wenn dies mit den Banken, bei den Banken und untereinander nicht gelingt, dann werden die Folgen dieser Krise viel weitreichender sein, als nur "ein bisschen weniger Wachstum und ein bisschen mehr Arbeitslosigkeit", dann steht das gesamte Gesellschaftsmodell unserer Zivilisation auf dem Prüfstand. Herzlichen Dank für die Idee, diese Tagung einmal unter diese Überschrift zu stellen, "Banken und Werte". Es gibt erheblichen Diskussionsbedarf!

Der Beitrag basiert auf einer Rede des Autors bei der 55. Kreditpolitischen Tagung der ZfgK am 6. November 2009. Die Zwischenüberschriften sind teilweise von der Redaktion eingefügt.

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