Aufsätze

Ausfallraten im Mittelstand

Der Mittelstand wird allenthalben als wichtige Ziel- und Kundengruppe der Kreditwirtschaft betrachtet. Mittelständische Unternehmen haben zudem in den letzten zweieinhalb Jahren eine wachsende Bedeutung für den Kapitalmarkt erlangt. Derzeit sind zirka 60 Anleihen größerer mittelständischer Unternehmen an den neu geschaffenen Börsensegmenten gelistet. Das Emissionsvolumen beträgt aktuell rund 2,8 Milliarden Euro. Drei Ausfälle verzeichnet der Markt bislang. Von den Ausfällen betroffen sind derzeit ausschließlich Unternehmen der Branche "Erneuerbare Energien", die einer gravierenden Umstrukturierung unterliegt. Unabhängig von der Situation einzelner Branchen oder Unternehmensgruppen ist die Kenntnis der empirischen Ausfallraten im Mittelstand eine entscheidende Voraussetzung dafür, Risiken adäquat einordnen zu können.

Ermittlung der empirischen Ausfallraten

Die Ergebnisse basieren auf Selektionen der Creditreform Firmendatenbank mit Informationen über Unternehmen einschließlich Bilanz- und Jahresabschlussdaten. Die Firmendatenbank umfasst für Deutschland derzeit rund drei Millionen wirtschaftsaktive Unternehmen und enthält aktuell recherchierte Informationen aus den relevanten Registern (Handelsund Gewerberegister), Zahlungserfahrungen, Branchendaten, Finanzdaten sowie plausibilisierte Ergebnisse aus Befragungen der Unternehmen. Die Zahlungserfahrungen basieren auf Rückmeldungen und Auswertungen von Offenen-Posten-Listen der Nutzer der Informationen. Dies sind insbesondere Finanzdienstleistungsunternehmen sowie Unternehmen aus dem Handels- und Industriebereich.

Die Daten haben einen sehr hohen Aktualitätsgrad. Als Indikator dafür mag die Zahl von 75 000 Datensätzen dienen, die täglich bearbeitet werden. Das Ausfallkriterium der Analysen wird abgeleitet aus dem Creditreform Bonitätsindex, einem Scorewert, der auf der Basis von Daten beziehungsweise Merkmalen einzelner Firmendatensätze berechnet wird. Seine Berechnungsparameter unterliegen einer regelmäßigen Validierung und Optimierung.

Der Bonitätsindex kann Werte zwischen 100 und 600 annehmen. Ein Bonitätsindex von 600 weist auf harte Negativmerkmale (Insolvenz und Haftanordnung zur eidesstattlichen Versicherung) hin, ein Wert von 500 zeigt gravierende Zahlungsüberfälligkeiten. Insofern ist das Ausfallkriterium vergleichbar mit einem Basel-II-adäquaten Ausfall. Im Folgenden werden einjährige Ausfallraten dargestellt.

Ende 2011 waren in Deutschland über alle Rechtsformen insgesamt 2,902 Millionen Unternehmen wirtschaftsaktiv. Wirtschaftsaktiv bedeutet, dass die Unternehmen Finanzmittel nachfragen und aktiv Wirtschaftsbeziehungen unterhalten. Wirtschaftsinformationen werden für diese Unternehmen nachgefragt.

Die Ausfallrate deutscher Unternehmen über alle Größenklassen hinweg lag im Jahr 2011 bei 1,77 Prozent. Bei genauerer Betrachtung wird allerdings deutlich, dass sich diese Ausfallrate über einzelne Größenklassen der Unternehmen verändert. Im Mittelstandssegment "Unternehmen größer 20 Millionen Euro Jahresumsatz" war die durchschnittliche Ausfallrate 2011 mit 0,67 Prozent relativ gering. Die Zahl der Unternehmen insgesamt in dieser Größenklasse lag über die letzten Jahre bei zirka 26 500. Tabelle 1 zeigt die Verteilung von Unternehmen in den einzelnen Größenklassen zum Stichtag 31. Dezember 2011 sowie die entsprechenden Ausfallquoten.

Hohe Stabilität

Betrachtet man die Ausfallraten im Zeitreihenvergleich (siehe Tabelle 2), zeigt sich zudem, dass die Ausfallraten mit Ausnahme des Jahres 2009 über die letzten Jahre eine hohe Stabilität aufweisen. Deutlich wird, dass die Ausfallquote nach der Finanzkrise im Jahr 2009 anstieg, danach aber wieder abfiel. Die geringen Veränderungen der Ausfallquoten für das erste Halbjahr 2012 (Betrachtungszeitraum Juni 2011 bis Juni 2012) deuten allerdings auf eine leichte Erhöhung der Ausfallraten im Segment >/= 20 Millionen Euro Umsatz hin. Eine weitere Differenzierung der Ausfallraten im Mittelstand nach Altersklassen zeigt das typische Bild erhöhter Werte bei Unternehmen in der Altersklasse zwei bis fünf Jahre. Die entsprechenden Unternehmen haben die Startphase überschritten und müssen nun ihre Prozesse festigen und beginnen, Verbindlichkeiten zu tilgen oder zu refinanzieren. Tabelle 3 verdeutlicht diese Verteilung.

Die Differenzierung nach Branchen und Regionen sind weitere wichtige Kriterien. So haben einzelne Branchen eine Ausfallrate unabhängig von der Größe und dem Alter des Unternehmens von über fünf Prozent. Exemplarisch seien hier die Branchen "Kurier- und Expressdienste", "Wachund Sicherheitsdienste" sowie "Lagerwirtschaft, Transport und Umzug" genannt. Die Risikostrukturierung aller Unternehmen über Regionen (siehe Creditreform Bonitätsatlas in Abbildung 1) zeigt auf Ebene der Kreise in Deutschland relativ geringe Ausfallquoten im Norden und Süden und relativ hohe Werte im Westen (Rhein-Ruhr) sowie im Osten.

Auch bezogen auf die Rechtsform der Unternehmen lassen sich Verschiebungen der Ausfallraten beobachten. Insbesondere die Rechtsform Gewerbebetrieb muss mit über drei Prozent Ausfallrate hervorgehoben werden.

Weitere Analyseschritte

Über die Betrachtung der genannten Strukturmerkmale hinaus ist die Analyse repräsentativer Ausfallraten je Einzelmerkmal oder auch in kombinatorischer Form für die Risikoeinschätzung von Kreditportfolios nutzbar. Vergleichsrechnungen der Ausfallquote in spezifischen Kundengruppen von Kreditinstituten mit repräsentativen Benchmarks helfen, Bandbreiten der Risikostruktur zu definieren. Im Rahmen von Vergleichsanalysen ist von Bedeutung, dass empirische Ausfallquoten insbesondere bei kleineren Unternehmen, die aktiv Finanzierungen anfragen, höher sind als der Durchschnitt. Auswertungen auf der Basis von Kreditportfolios im Retailbereich (gewerbliche Leasing- und Teilzahlungsfinanzierungen) weisen gerade im Segment der Unternehmen kleiner 20 Millionen Euro Jahresumsatz eine bis zu 50 Prozent höhere Ausfallquote auf.

Exemplarisch sei eine Unternehmensgruppe angeführt, die in Bezug auf ihre Strukturmerkmale gesamtwirtschaftlich eine empirische Ausfallrate von einem Prozent pro Jahr aufwies. Die vergleichbare Kundengruppe eines gewerblichen Retail-Finanzierers würde dann eine Ausfallrate von 1,5 Prozent aufweisen. Dieser Zusammenhang wurde insbesondere für kleinere Mittelständler beobachtet. Unternehmen der Größenklasse größer 20 Millionen Euro Jahresumsatz zeigten diesen Effekt nicht. Bei kleineren Unternehmen gibt es also einen größeren Anteil, der weniger aktiv Finanzierungen nachfragt, damit weniger dynamische Geschäftsprozesse und folglich niedrigere Ausfallquoten aufweist. Für größere Mittelständler ist diese Unterscheidung allerdings nicht sinnvoll.

Abschließend soll gezeigt werden, dass Ausfallraten im Mittelstand im Kontext einzelner Finanzkennzahlen zu berücksichtigen sind. Im Rahmen der Entwicklung von Ratingsystemen werden Finanzkennzahlen unter anderem aufgrund ihrer Differenzierungskraft und univariaten Prognosegüte analysiert. Das Beispiel in Abbildung 2 zeigt die Kennzahl Eigenkapitalquote für Unternehmen größer 20 Millionen Euro Jahresumsatz im Zusammenhang mit Ausfallquoten.

Die Unternehmen sind entsprechend ihrer Eigenkapitalquote sortiert. Auf der Horizontalen zeigt jeder Kreis eine Gruppe von fünf Prozent der Unternehmen ("Bin") mit dem entsprechenden Median der Kennzahl. In der Stichprobe liegt die durchschnittliche Ausfallrate bei rund 0,60 Prozent. Man erkennt den großen Unterschied der Ausfallraten für Unternehmen mit negativer Eigenkapitalquote und beispielsweise Unternehmen mit mehr als 30 Prozent Eigenkapital.

Deutlich sind zudem der nichtlineare Zusammenhang sowie der monotone Verlauf der Funktion. Kombiniert man diese Ergebnisse mit größenspezifischen Kennzahlenanalysen, zeigt sich eine weitere Dimension der Ausfallstudie. Da sich die durchschnittliche Eigenkapitalquote signifikant über Größenklassen ändert, muss folglich die Analyse von Ausfällen wie in Abbildung 2 für verschiedene Größenklassen im Mittelstand erstellt werden, um gute Klassifikationsergebnisse erzielen zu können. Weiterführende Analysen belegen, dass mittelstandsspezifische Ausfallanalysen über die gesamte Bandbreite der Jahresabschlusskennzahlen erforderlich sind, um Risiken adäquat beurteilen zu können.

Differenzierte Betrachtung

Die Beurteilung der Risikostruktur und der damit verbundenen Ausfallraten im deutschen Mittelstand bedarf einer differenzierten Betrachtung. Neben Strukturmerkmalen wie der Unternehmensgröße, der Altersklasse des Unternehmens, der Region, in der es ansässig ist oder der Rechtsform können Faktoren wie die Finanzmarktaktivität sowie zahlreiche Finanzkennzahlen, beispielsweise die Eigenkapitalquote, herangezogen werden. Abschließend ist die Bestimmung des Ausfallrisikos eines einzelnen Unternehmens abhängig von der spezifischen Situation des Unternehmens mit seinen Stärken, Schwächen, Chancen und Risiken von Bedeutung.

Die meisten kapitalmarktorientierten Mittelständler verfügen heute über ein Rating einer anerkannten und gemäß EU-Verordnung zugelassenen Agentur, deren Urteil eine sinnvolle Basis für die Investitionsentscheidung darstellen kann. Ratings stellen Einstufungen/Rankings der Kreditqualität und des Ausfallrisikos dar und müssen marktspezifische Ausfallerwartungen berücksichtigen. Die Ermittlung von Ausfallerwartungen stützt sich indes auf empirische Ausfallraten.

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