Leitartikel

Dollar zwischen Sünde und Sühne

Ist der Dollar jetzt zu einer Weichwährung verkommen und bleibt von nun an der Schrecken aller Kurssicherer? Befindet er sich nunmehr auf einer Einbahnstraße nach unten - und zwar dauerhaft? Es gibt schlimme Anzeichen; doch es muss nicht sein! Man könnte genauso gut einen kräftigen Menschen, der mit einem heftigen "Kater" im Bett liegt, als moribund bezeichnen. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass sich der Betreffende ganz überwiegend selbst in jene missliche Lage gebracht hat. Der Umkehrschluss lässt sogar einen Hoffnungsschimmer zu: Wer aus eigener Schuld ins Straucheln geriet, kann dieses auch aus eigener Kraft mildern, wenn nicht gar beenden. Freilich: Dieser Zeitaufwand zwischen Sünde und Sühne ist in seiner unbestimmten Länge der heikle Dreh- und Angelpunkt des Geschehens. Das wird von nicht wenigen Beobachtern - nicht von den Akteuren meistens verkannt.

Ratlos blicken selbst ernannte Experten und Prognostiker auf die Vergangenheit und seufzen in den Fallstricken ihrer mathematischen Modelle. Sie vergessen erstens, dass jeglicher Markt stirbt, sobald er berechenbar geworden ist weswegen dieser Irrweg in die Utopie führt. Zweitens will vielen nicht in den Kopf hinein, dass weder am Börsenparkett noch am Computer Wertpapiere oder Währungen gehandelt werden, sondern Hoffnungen, Erwartungen und

Befürchtungen. Diese aber entziehen sich jeder Mathematik. Deswegen ist die Prognose des Vorstands der Heribert Müller AG, der mit Fibonacci und dem Goldenen Schnitt arbeitet und dabei bis 2011 auf einen Dollar-/Euro-Kurs von 1,80 kommt, nicht mehr als ein interessanter Versuch. Mit seinen bullischen Euro-Prognosen hat er bisher freilich recht behalten, und in die besagten Hoffnungen und Befürchtungen geht seine Stimme auf jeden Fall ein. Das gilt noch viel mehr von den Wünschen der und an die Politik und den faktischen Auswirkungen ihrer Einmischungen in das diffizile Räderwerk der nationalen wie auch der Weltwirtschaft.

Paradebeispiel ist die Haltung der Community gegenüber China, die eine Mischung aus Forderung und Servilität darstellt und bei der dank ökonomischer Interessen die geschundenen Menschenrechte im asiatischen Riesenreich beiseite geschoben werden - ganz zu schweigen von Handelshemmnissen, Produktkopien sowie der Missachtung fremden geistigen Eigentums. Chinas Reaktionen blieben bislang vage, was wiederum den Börsenkräften zusätzliches "Futter" verschaffte. Das große Problem der überbordenden Währungsreserven sei später und im größeren Kontext behandelt.

Der jüngste Besuch einer Euro-Triade in Peking erinnert fatal an die Büchse der Pandora: Man kann nur hoffen, dass das gemeinsame Auftreten von zwei Politikern und dem EZB-Präsidenten nicht der Unabhängigkeit der EU-Zentralbank geschadet hat und das Unheil fest verschlossen in Pandoras Gefäß bleibt.

Dessen ungeachtet ist indessen der Komplex China keineswegs nur eine Frage des künstlich gestützten Yuan-Kurses, obwohl gegenüber dem Euro im Jahre 2007 eine merkliche Aufwertung zu registrieren war. Im Jahre 2006 betrugen die Importe in die EU 194,4 (im Vorjahr 160,4) Milliarden Euro, während die entsprechenden Exporte gerade einmal 63,8 (51,9) Milliarden Euro ausmachten. Daneben erreichten die Direktinvestitionen aus der EU 8,0 (8,5) Milliarden Euro, während sich China im europäischen Raum lediglich mit 1,0 (1,8) Milliarden Euro engagierte. Das sind erhebliche Ungleichgewichte, doch sorgt die international zu beobachtende Gier nach Aufträgen - und nach Rohstoffen - dass dergleichen Ökonomika und die Menschenrechte schlicht unter den Teppich gekehrt werden, mögen doch die Wechselkurse machen, was sie wollen!

Afrika, wo den herrschenden Potentaten ein Menschenleben oft weniger als nichts bedeutet, ist ein schlimmes Beispiel dafür. Angola und Kenia haben am Welt-Kapitalmarkt bereits wegen Anleihen vorgefühlt und Ghana konnte eine Emission von 750 Millionen US-Dollar im Handumdrehen platzieren. Drei Milliarden US-Dollar waren nachgefragt! Vergessen war plötzlich die Tatsache, dass sich die Auslandsverschuldung des Landes in knapp 20 Jahren auf sechs Milliarden US-Dollar rund versechsfacht hat. So sehr lockten die Vorräte des Landes an Kakao und Erzen und erhöht sich bei steigenden Rohstoffpreisen - die Wahrscheinlichkeit der Kreditrückzahlung. Auch das ölreiche Gabun sondiert dem Vernehmen nach den Markt. Im Gespräch sind nicht weniger als eine Milliarde US-Dollar.

Bezogen auf die EU sind die Kehrseite der Euro-Aufwertung allerdings geringere Exporteinnahmen und - so es zu stark steigenden Währungsreserven kommt - ein merklicher inflationärer Druck. Letzterer könnte trotz der Yuan-Manipulation auch China zu einer kräftigeren Aufwertung zwingen. Allerdings ist die europäische Ausfuhr überaus robust. Sie hat ausgehalten, dass der Euro jetzt fast doppelt so teuer ist wie bei seiner Einführung. Deutschland leistet besonderen Widerstand: Laut Bundesbank wurden 2006 schon 81 Prozent der deutschen Exporte in Euro abgerechnet, verglichen mit 71 Prozent im Jahre 2002. Allerdings mehren sich die Anzeichen dafür, dass nunmehr das Wechselkursgefüge mit all seinen marktwidrigen Eingriffen negativ zu wirken beginnt. Das setzt die Politik unter Druck und öffnet einem schädlichen Aktionismus Tür und Tor. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass mancher zumindest verständliche Hang zur Verteidigung nationaler Interessen auf dem schmalen Grad zum Protektionismus zu suchen ist.

Auf diesem Gebiet huldigen freilich auch hochrangige Euro-Politiker einer höchst unerreichbaren Fata Morgana. Jean-Claude Juncker, der Vorsitzende der Euro-Gruppe der Finanzminister, rügte jüngst seine Kollegen, weil sie noch zu sehr an die eigenen Volkswirtschaften dächten statt an die Wirtschaft des Euroraums. Aber, mein Gott, das ist ja gerade der kardinale Geburtsfehler des Gebildes namens Euro: Eine gemeinsame Wirtschaft mit allen Konsequenzen gibt es gar nicht und wird es so schnell nicht geben. Unterschiedliche Mentalitäten lassen sich nicht einfach kommandieren!

Nehmen wir ein Beispiel aus jüngster Zeit: Eine neue Studie der OECD zeigt, dass sich der Lebensstandard eines Italieners im Durchschnitt in den vergangenen Jahren sichtlich verschlechtert hat. 2005 habe das Pro-Kopf-Einkommen Italiens um nicht weniger als vier Prozent unter dem Durchschnitt sämtlicher Industrieländer gelegen. Drei Jahre zuvor war noch ein Plus von 5 Prozent erreicht worden. Mit der Einführung des Euro ist also nicht der schiere Wohlstand ausgebrochen. Italien ist, notabene, kein Einzelfall. Selbst Deutschland musste zwischen 2002 und 2005 leichte

Einbußen hinnehmen. Unter den Blinden ist freilich der Einäugige König.

Viel ist bereits über die Aufgabe der Dollarbindung mehrerer Golfstaaten geschrieben worden. Auch hier zeigt sich, dass dahinter die sich gegenüber den USA stark auseinander entwickelnden Wirtschaftskräfte jener Staaten stehen. Der Wechselkurs ist eben nur der Widerschein der jeweiligen Ökonomie. Noch wird indessen der Dollar als "sicherer Hafen" im Devisengetümmel angesehen. Augenfälligstes Zeichen sind die sinkenden Renditen der US-Staatsanleihen und der Status des US-Dollar als Reservewährung. Ende 2006 hatte er, wie zehn Jahre zuvor, einen Anteil von 66 Prozent an den offiziellen internationalen Reserven. Der Euro-Anteil stagniert indessen seit 2003 bei 25 Prozent. Doch wie lange noch? Die Europäer verurteilen das Gehenlassen der Amerikaner, den berühmten "benign neglect" offen als unverantwortlich, wie Jean-Claude Juncker jüngst formulierte. In der Tat: Wann werden sich die Amerikaner zu einer Drosselung ihres allzu hohen Konsums bequemen? Dazu gehört auch eine - längst überfällige - Konsolidierung des Bundesbudgets. Für den Normalbürger Europas präsentiert sich ein schwer verständlicher Teufelskreis: Die USA leben über ihre Verhältnisse, finanzieren ihre Defizite mit Staatspapieren, die anderswo (nicht zuletzt in China) wiederum Währungsreserven darstellen.

Peking, um nur ein Beispiel zu nennen, hat bereits mehr als eine Billion, also über 1 000 Milliarden US-Dollar jener US-Staatsobligationen im Portefeuille. Folgerichtig gründen die Großgläubiger mit diesen Assets Staatsfonds, um nicht nur im eigenen Land, sondern auch in anderen Staaten zu investieren. Am Ende dieser Entwicklung steht dann das Geheule der lokalen Politiker, die den Ausverkauf ihrer Schlüsselindustrien argwöhnen. Ja, so wirken letztlich die Schulden Washingtons, auch wenn Europa dies oft aus anderer Warte sieht. "Länder, die ihre eigenen Märkte abschotten, können nicht erwarten, dass sie in Europa ungehindert investieren dürfen". Dies sei kein Protektionismus, meint der Vorsitzende der Euro-Gruppe, Juncker. Er hat in der Tat auf Teilgebieten recht - siehe China. Der Grundgedanke ist und bleibt aber ungut auf dem Feld der vor allem von den USA selbst verschuldeten Staatsfonds.

Wenn das Ganze dann auch noch mit milliardenschweren faulen Hypotheken garniert wird, deren leichtfertige Refinanzierer weltweit angetroffen werden können, dann wuchert die selbst gemachte Finanzkrise auf das Schönste. Sie ist noch nicht ausgestanden und macht Voraussagen auf dem Gebiet der Wechselkurse problematisch. Es wäre allerdings viel gewonnen, wenn der Boden, auf dem sich jene Farce abspielt, solider aussähe. Leider wird seit Jahren Öl ins Feuer gegossen; denn die internationale Liquidität, der Treibsatz aller Aktivitäten, ist viel zu hoch. Bereits im Oktober war, so die Europäische Zentralbank, die Geldmenge M3 mit einer Jahresrate von 12,3 Prozent gewachsen - so stark, wie in keinem Monat davor. Die Wirtschaft "glänzte" nur mit plus zwei Prozent. Auch die OECD ist sich der Gefahr bewusst und hat ihre Bedenken mit klaren Worten publiziert. Der Markt zeige gegenwärtig bereits ähnliche Anzeichen wie seinerzeit beim Platzen der Technologieblase. Bittere Medizin wäre nötig, doch haben wir damit ein schwieriges Terrain betreten. Hier tummeln sich wiederwahlsüchtige Politiker ebenso wie politisch motivierte Ökonomen, die die Konjunktur allzu sehr in den Vordergrund stellen - zu schweigen von den Sozialpartnern. Das sind kaum zu überwindende

Barrieren. OS.

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