Leitartikel

Wettkampf der Währungen: Ende monetärer US-Arroganz?

Wenn nicht alles täuscht, dann geht eine Periode monetärer US-Arroganz zu Ende; kommt wenigstens aber in ihre Endphase. Kaum eine Führungskraft in Washington D. C. wird künftig wieder großspurig tönen können: "Der Dollar ist zwar unsere Währung, doch Euer Problem." Mit dieser scheinbaren, nunmehr schwindenden Omnipotenz geht freilich auch ein lange verwendetes Argument zugunsten des Greenback und zulasten des Euro in die Brüche. Der Gedanke war: Die Amerikaner könnten ihre Haushalts-Sünden quasi par Ordre de Mufti schnell ausmerzen, wann immer sie wollen, während das (nach wie vor) heterogene Europa vor einer schier unlösbaren Aufgabe stehe. Jetzt zeigt sich aber, dass die USA ihre Probleme allzu lange ignoriert und die Märkte anders entschieden haben. Späte Rache? Zumindest wird die Flammenschrift des Menetekels an der Wand immer intensiver. Nicht wenigen Staaten wird im Importbereich der, dank des gewaltigen US-Handelsbilanzdefizits, nach unten driftende Dollar eine zu große Bürde. So ist der Index des handelsgewichteten Dollars Mitte Mai auf 79,14 gefallen, womit das bisherige Rekordtief von 79,22 am 19. April 1995 unterschritten wurde. Im Zusammenhang damit suchen mehr und mehr Notenbanken die Anlage ihrer Währungsreserven außerhalb des Dollarbereichs, in dem sie staatliche Anlagegesellschaften (Sovereign Wealth Funds) auf die Suche nach anderweitigen Renditen auf die Reise schicken.

Das Abrücken vom Greenback ist vielfältiger Natur: China hat die tägliche Schwankungsbreite des Yuan um den US-Dollar von 0,3 auf 0,5 Prozent erweitert und den Zoll auf Rohöl auf drei Prozent halbiert. Kuwait wiederum, das viel aus Europa importiert, stöhnt unter der Bewegung des Dollars, die dem Scheichtum vermehrte Inflation beschert, und hat deswegen den Dinar nicht mehr allein an den US-Dollar, sondern an einen Währungskorb gekettet. Die sechs Mitglieder des Golfbereichs dürften bei der für 2010 angepeilten Gemeinschaftswährung ein Gleiches tun. Nicht zu vergessen, die milliardenschweren Investitionen mehrerer Staaten zwar in amerikanischer Währung, aber außerhalb der Sparte der US-Regierungspapiere. Quasi das Zünglein an der Waage ist auf jeden Fall China, das seit 2006 die höchsten Währungsreserven der Welt besitzt. Mittlerweile dürfte die fragliche Billion (! ) US-Dollar um weitere 200 Milliarden US-Dollar angeschwollen sein. Jede Abwertung des Dollars nagt an diesem Schatz, so dass gerade Peking nach anderweitigen Investments Ausschau hält. Dank der weltweit guten Konjunktur sehen sich übrigens zahlreiche Länder mit dem Problem der eigenen Aufwertung konfrontiert. Es ist kein Wunder, wenn die von Experten gemessene Volatilität der Schwellenland-Währungen stark zurückgegangen und einen seit Jahren nicht mehr beobachteten Tiefstwert erreicht hat. Die Betroffenen wehren sich mit Senkungen der Notenbankzinsen, wie etwa Brasilien, die Slowakei oder Israel.

Sozusagen am Rande sollte auf eine Tendenz - die der ausführlichen Analyse bedürfte - wenigstens aufmerksam gemacht werden, nämlich auf das Auseinanderdriften des gesamten internationalen Währungssystems. Seit vielen Jahren wächst die Kritik an der Politik vom Internationalen Währungsfonds und der Weltbank; Monita, die freilich oftmals heimische Ursachen haben. Man kann nicht zuerst Ja und Amen zu vorgeschlagenen Hilfsprogrammen sagen und genau diese wenig später als unzumutbare Knebelung beschimpfen. Das Ganze ist indessen ein weites Feld. Zu denken gibt dennoch, dass Venezuela, auf dem Rücken der lukrativen Ölwoge, bei IWF und Weltbank ausgetreten ist. Von den "Mechanismen des Imperialismus" hat sich auch Ecuador zurückgezogen; vorzeitige Kreditrückzahlungen gab es auch durch Argentinien und Brasilien. Es gärt also! Dies alles mutet spektakulär an, womit die Gefahr wächst, dass der Einfluss des Währungsbereichs auf die Weltwirtschaft an sich überschätzt wird.

Niemand negiert diese Impulse wirklich, doch könnte es gut sein, dass die Globalisierung, sprich, die Tätigkeit großer Unternehmen weltweit dennoch manches glättet, was vor ein oder zwei Jahrzehnten ein ernstes Problem dargestellt hätte. Denn global handeln bedeutet gleichzeitig, kontinuierlich in mehreren Währungen Präsenz zu zeigen. Mit dieser Entwicklung ist die Weltwirtschaft in der Tat flexibler und dynamischer geworden, freilich nicht immun gegen heftige Ausschläge wichtiger Valuta. Was die wachsende Dominanz, vor allem des Euro anbetrifft, werden sich Handel und Notenbanken umorientieren müssen - so weit sie es nicht ohnehin längst tun. Glaubt man den Prognostikern der

Deutschen Bank, dann wird der Euro 2010 nach statistischen Daten des IWF etwa 30 bis 40 Prozent der weltweiten Währungsreserven stellen, verglichen mit knapp 26 Prozent im vergangenen Jahr. 1999, am Anfang des Lebens der Gemeinschaftswährung seien es erst 18 Prozent gewesen. Zum Vergleich: Die Quote des Dollars hat sich in jenem halben Jahrzehnt von 71,0 auf 64,7 Prozent reduziert.

Offenbar haben sich die Anschauungen wichtiger Akteure, darunter vor allem die Notenbanken, geändert, wobei nur ein Aspekt die bereits beschriebene Neigung ist, zu den Dollar-Investitionen brauchbare Alternativen zu finden. Man kann nur vermuten, wie sich die Weltwährungsreserven tatsächlich darbieten; denn der IWF hat von den fünf Billionen (in US-Dollar gerechnet) nur rund 3 300 Milliarden US-Dollar entsprechend aufgeschlüsselt. Gäbe es die Riesenkräfte des Finanz-Weltmarkts nicht, dann müssten sich die Akteure am Devisenmarkt noch mehr als jetzt noch mit ärgerlichen Ungleichgewichten auseinandersetzen.

Indessen: Sind jene Verwerfungen wirklich so gravierend, wie sie oft dargestellt werden? Diese Frage stellt sich vor allem, weil die Kluft zwischen Großschuldnern, sprich USA, und großen Kreditgebern, wie den Ölstaaten, China oder Japan trotz aller Ansätze zur Diversifikation, deutlich zugenommen hat. Ausländer kauften 2006 für gut 1 142 Milliarden US-Dollar amerikanische Wertpapiere. Parallel dazu erwarben Amerikaner ausländische Papiere im Wert von 249 Milliarden US-Dollar. Zusammen ist das mehr als das US-Leistungsbilanzdefizit. Zu berücksichtigen ist auch, dass manche Schwellenländer zwar über eine beachtliche Sparquote verfügen, aber dank des noch ungenügenden Zutritts zu den Finanzmärkten in amerikanischen Regierungspapieren anlegen. Auf längere Sicht werden die Marktkräfte auch hier glättend Wirkung zeigen und zwar vor allem dann, wenn die Länder ihre eigenen Finanzmärkte entsprechend entwickeln. Nach Meinung von Finanzmarkt-Experten liegt die größte Gefahr der noch zu beobachtenden globalen Ungleichgewichte im politischen Bereich. Die angeblich so ungleiche Konstellation der Finanzströme werde nämlich gern als Vorwand für protektionistische Aktivitäten missbraucht.

Ein Beispiel sind die Strafzölle der USA gegenüber China. Sie waren kontraproduktiv; denn allein deren Ankündigung hat zu großen Spekulationen gegen den Dollar geführt. Der Euro ist von solchen Manipulationen bisher weitgehend verschont geblieben, zumal der Abbau der Staatsdefizite in der EU - wenn auch großenteils konjunkturbedingt - zügig vorangeht. Das hilft der Gemeinschaftswährung im Wettstreit mit Amerika. Es fragt sich in diesem Zusammenhang, welche Position der Euro auf dem Gebiet der Geldentwertung einnehmen kann. Die statistischen Zahlen signalisieren in Europa fast schon behagliches Wohlbefinden. Die jüngste Quartalzahl des amerikanischen Preisindexes für die persönlichen Konsumausgaben ergibt aufs Jahr hoch gerechnet ein Plus von nicht weniger als 3,4 Prozent.

Doch was ist von solchen Zahlenspielen zu halten? Thorsten Polleit von Barclays Capital weist darauf hin, dass sich seit Mitte der neunziger Jahre die Geldentwertung verstärkt in den Preissteigerungen des Bestandsvermögens wie Immmobilien, Aktien oder Rentenwerten niederschlägt. Dies aber findet keinen Niederschlag in den Statistiken. Er zitiert den österreichischen Wirtschaftswissenschaftler Ludwig von Mises, der postuliert, dass jede Erhöhung der Geldmenge mit einer Reduktion des Tauschwerts des Geldes verbunden ist. Oder: Inflation entspricht dem Geldmengenwachstum. So gesehen bietet der Euro eine ausgesprochen schlechte Seite. Seit Jahren ufert die europäische Geldmenge aus; liegt permanent über der von der EZB vorgegebenen Marke. Das Geldmengenwachstum in Europa ist heute etwa fünf Mal so hoch wie die Inflation der Konsumentenpreise. Gibt es auch hier eine späte Rache und ein Überschwappen der Vermögensinflation auf das allgemeine Gefüge? Immerhin beträgt die Zeitverzögerung zwischen genannten Größen mehrere Jahre. Notabene; geplatzte Finanzblasen sind bei uns - wie anderswo - kein Fremdwort. In den Vereinigten Staaten jedenfalls zeigen die Immobilienpreise, dass ein Ende der Reise nach oben erreicht oder zumindest in Sichtweite ist.

Leider ist - wie beschrieben - der Wettkampf der Währungen, also auch des Euros und des Dollars, nicht allein von ökonomischen, sondern auch von politischen Impulsen bestimmt. Die Vereinigten Staaten leiden unter dem Eigensinn des wild entschlossenen Irak-Kriegers Bush, und Europas Gemeinsamkeit wird vom neu gewählten Petit Napoleon Sarkozy gebremst, der freilich nur die Grundidee seiner Vorgänger weiterentwickelt (wie es den Anschein hat): "Vor allem Frankreich", und das ohne europapolitische Kompromisse. Es mangelt nicht an Wünschen, die bislang unabhängige EZB in die Politik einzubinden, was allein schon ein Tiefschlag für den Euro wäre. Auch sonst gibt es viele konträr diskutierte Themen, wobei die entscheidende Frage der Subsidiarität noch lange nicht abschließend geklärt ist: Was wird national, was von Brüssel aus bestimmt? - von der abgespeckten Neuauflage einer EU-Verfassung ganz zu schweigen. Noch aber sind die Devisenmärkte bereit, über solche Stolpersteine mehr oder weniger hinweg zu sehen, und zwar auf beiden Seiten des Atlantiks. OS.

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