Leitartikel

Entscheidungen unter Unsicherheit

Befinden sich ein oder mehrere Individuen in einer Situation, in der der Eintritt von zukünftigen Umweltzuständen nicht mit Sicherheit vorausgesagt werden kann, das heißt die Auswirkungen der Auswahl einer der zur Verfügung stehenden Alternativen nicht vollständig bekannt sind, spricht die Spieltheorie von Entscheidungen unter Unsicherheit. Je nachdem, ob aufgrund von Schätzungen eine gewisse Eintrittswahrscheinlichkeit der Alternativen bekannt ist, unterscheidet man diese noch in Entscheidungen unter Risiko oder sollte gar nichts berechenbar sein, in Entscheidungen unter Ungewissheit. Für einen Unternehmer gibt es zahlreiche Auswege aus diesem Dilemma: Ist es ein sehr risikoaverser Entscheidungsträger, wird er diejenige Alternative wählen, die im schlimmsten Fall das geringste Unglück bedeutet (Maximin-Regel). Das Gegenteil ist ein sehr optimistischer Manager, der natürlich versuchen wird, den Nutzen zu maximieren und nicht die Verluste zu begrenzen (Maximax-Regel). Ergänzend dazu findet sich in der Fachliteratur noch die Hurwicz-Regel, die Laplace-Regel und die Savage-Niehans-Regel (auch Minimax-Regret-Regel oder Regel des kleinsten Bedauerns).

Für welche dieser Handlungsalternativen sich ein Leasingmanager dieser Tage entscheidet, hängt natürlich von seinem allgemeinen Gemütszustand ab. Allzu optimistisch dürfte die Wahl aber nicht ausfallen, denn noch nie in der Geschichte waren die Unwägbarkeiten für die eigentlich so stabilitätsverwöhnte Leasingbranche so groß wie derzeit. Unwägbarkeit 1: Das gegenwärtige wirtschaftliche Umfeld. Auch wenn sich die Konjunktur ganz allmählich aufzuhellen beginnt und gerade im Maschinenbau die Produktion wieder anläuft, ist Deutschland noch weit von "normalen" Zuständen entfernt. Doch was ist dieser Tage schon normal? Für die Leasingbranche wird entscheidend sein, dass die Investitionsbereitschaft der Unternehmen schnell wieder ansteigt. Denn immer noch herrscht hier große Zurückhaltung. Und wenn dann schon mal investiert wird, nehmen die Unternehmen dazu vornehmlich eigene Mittel in die Hand. Fremdfinanzierungen und damit die Abhängigkeit von Banken und Finanzdienstleistern wie Leasinggesellschaften werden tunlichst vermieden.

Unwägbarkeit 2: Ausfallraten. Die große Pleitewelle ist bislang ausgeblieben. Das ist auch gut für Leasing. Ging die Branche noch zu Beginn des Jahres von einem spürbaren Anstieg gegenüber 2009 aus, präsentieren sich die laufenden Zahlen freundlicher. Das muss sich aber nicht fortsetzen. Als besonders kritisch wird empfunden, dass es nun doch noch das ein oder andere größere Unternehmen erwischen könnte, denn für größere Ausfälle reichen die schmalen Puffer nicht unbedingt aus. Und nicht jede Leasinggesellschaft hat das Glück, wie die Deutsche Leasing über eine hauseigene Inkasso-Gesellschaft zu verfügen, die obendrein ganz offensichtlich auch noch erfolgreich arbeitet. Denn sonst wären "Recovery Ratios" von bis zu 80Prozent sicherlich nicht zu erzielen.

Unwägbarkeit 3: Regulierung. Zu allem Unglück kam es in diesem schwierigen wirtschaftlichen Umfeld noch zu gravierenden gesetzlichen Änderungen für die Leasingbranche, die sich, da sind sich die Experten einig, unmittelbar auf Geschäftsmodelle, Refinanzierung und Rating auswirken werden. Im Einzelnen: Die Unternehmenssteuerreform nimmt dem Leasing zwar einige seiner steuerlichen Vorteile, doch konnte die Doppelbesteuerung durch Gleichstellung mit Kreditinstituten im Zuge des "KWG light" vermieden werden. Mit den Anforderungen des KWG muss und kann man aus Sicht der Leasinggesellschaften sicherlich leben. Allerdings werden gerade die MaRisk nicht ohne Konsequenzen auf Steuerung und Prozesse bleiben. Schwierigkeiten werden auch bei der Umsetzung des BilMoG erwartet, vor allem im Immobilienleasinggeschäft. Schließlich soll das Leasingverhältnis entsprechend dem Konzept des wirtschaftlichen Eigentums demjenigen zuzurechnen sein, bei dem Besitz, Gefahr, Nutzen und Lasten der Sache liegen.

Und dann sind da ja auch noch die internationalen Rechnungslegungsstandards nach IFRS. "Das Schlimmste, was dem Leasingmarkt passieren kann, wäre, wenn die Dinge so kämen, wie sie derzeit diskutiert werden - also wenn es uns nicht gelingt, hier noch Änderungen an den Reformplänen zu erreichen. Denn die neuen Regelungen bedeuten nichts anderes, als dass jedes Leasing- und Mietverhältnis letztlich in das Buch des Kunden geschrieben werden muss." Horst Fittler, dem Geschäftsführer des BDL graut es richtiggehend, wie er in einem Podiumsgespräch (Seite 782) zum Ausdruck bringt. Was das für die Eigenkapitalquoten der Unternehmen und die Attraktivität des Leasing hieße, liegt auf der Hand. Von daher ist nur allzu verständlich, dass die Branche aus allen Rohren schießt, um dies noch zu verhindern. Allerdings ist sie auf alle Hilfe aus Politik und Industrie angewiesen, die ebenfalls am Erhalt eines funktionierenden Leasingmarktes Interesse haben müssten (mehr zu alledem in den Beiträgen Nemet und Henneberger, Seite 787 und 796).

Unwägbarkeit 4: Refinanzierung. Nicht nur den Leasinggesellschaften, auch den sie finanzierenden Banken steht erheblicher Regulierungsdruck ins Haus. Eine Erhöhung der reinen Eigenkapitalnormen, eine Veränderung der aufsichtsrechtlich erforderlichen Kapitalquoten, verschärfte Risikotragfähigkeitskonzepte, erhöhte Anforderungen an die Liquiditätssteuerung, oben drauf noch eine Bankenabgabe es droht der regulatorische Overkill, wie es der Kölner Kreissparkassen-Chef Alexander Wüerst in diesem Heft etwas frustriert formuliert. Das alles wird dazu führen, dass irgendwann das Eigenkapital für die Kreditvergabe kaum mehr zur Verfügung steht. Das trifft dann auch direkt die Leasingbranche, denn die Refinanzierung von Leasinggesellschaften wird bei Banken unter Forderungen an Kreditinstitute verbucht. Bereits seit geraumer Zeit ist die Zurückhaltung der Banken für den Leasingmarkt zum echten Problem geworden. Der Einbruch des Neugeschäftsvolumens im vergangenen Jahr um fast 24 Prozent ist nämlich nur zum Teil der mangelnden Investitionsneigung zuzuschreiben gewesen. Häufig fehlten den Leasinggesellschaften schlicht und einfach die Mittel, um Finanzierungen durchzuführen.

Das alles sind natürlich spannende Voraussetzungen, um den Vorstandsvorsitz in einer der größten Leasinggesellschaften Europas zu übernehmen. Kai Ostermann tut dies zum 1. August, und übernimmt den Stab bei der Deutschen Leasing von Hans-Michael Heitmüller, dem diese Ausgabe gewidmet ist. Kai Ostermann wird es obliegen, für eine angemessene Regulierung der Leasingbranche zu kämpfen, im Verband gemeinsam mit den anderen großen Gesellschaften für Unterstützung der kleineren Unternehmen zu sorgen, auch wenn ein weiterer verschärfter Konsolidierungsprozess sicherlich nicht aufzuhalten sein wird. Darüber hinaus wird er auch das Dienstleistungsspektrum der Deutschen Leasing weiter ausweiten müssen, denn längst ist Leasing mehr als nur Finanzierung. Die Kunden erwarten von den Leasinggesellschaften ein Komplettpaket zur Problemlösung. All das kann er. Und auch hinsichtlich der Fürsorge für seine Eigentümer, die Sparkassen, hat er sicherlich genug von Hans-Michael Heitmüller mitgenommen, der gerade dies ausgezeichnet beherrscht hat. Für "HMH" ist nach mehr als fünf Jahrzehnten Berufsleben Schluss.

Glück auf, dem alten wie dem neuen DL-Chef!

Noch keine Bewertungen vorhanden


X