Gespräch des Tages

Finanzkrise - "Too big to save"?

Es liegt bekanntlich in der Natur des Menschen, in Vergangenem nach Antworten auf Fragen der Gegenwart zu suchen. Diesem Lernen freilich wohnt ein generelles Problem inne: Nur in den seltensten Fällen steht man mehrmals vor identischen Situationen. Dennoch lässt sich bei sorgsamer Betrachtung, oft die ein oder andere Schlussfolgerung ableiten. Probiert man diese Übung im Hinblick auf die jüngste (Finanz-)Krise mit ihren beiden "Vorgängerinnen" in den Jahren 1873 und 1931, so stößt man schnell an die ersten Grenzen. Ausgelöst im Wesentlichen durch die Abschaffung des Konzessionssystems für Aktiengesellschaften zugunsten eines (großzügigen) Normativsystems gilt die Krise des späten 19. Jahrhunderts in Fachkreisen eher als eine der Wirtschaft. Die Verwerfungen 1931 ff. waren hingegen in mangelnder Reichsbankliquidität im Zuge der Reparationszahlungen an die Geschädigten des ersten Weltkriegs begründet - also eher eine Krise der Staatsfinanzen.

Und doch lässt sich mit einigem guten Willen gerade aus der frühesten der drei Krisen die ein oder andere Parallele ableiten, wie es Carsten Burhop vom Max-Planck-Institut zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern in Bonn unlängst präsentiert hat. So haben die großen Verluste auf der Aktivseite der Bankbilanzen in den Jahren 1870 und später gezeigt, wie wichtig die sachgerechte Bewertung der Vermögenswerte ist. Im Gegensatz zur heute gültigen Mark-to-Market-Bewertung hat das strenge Niederstwertprinzip hier einen weiteren Puffer gegeben. Eine mögliche Rückkehr zu letzterem, wie vom Redner angeregt, dürfte derweil in der Realität allerdings keine große Relevanz haben.

Das Eingehen hoher Risiken und selbst Betrügereien in der Entstehungsphase sind eine weitere Gemeinsamkeit. Die hieraus gezogenen Konsequenzen untermalen die aktuelle Diskussion: Zum einen wurden seinerzeit die Rechte der Aktionäre gestärkt und mehr Unternehmensentscheidungen an die Zustimmung der Anteilseigner gebunden. Zum anderen - und sicherlich einfacher umsetzbar - galt es die weiterhin mitunter unverständlich hohen Gehälter (heute insbesondere Bonuszahlungen), die auf erhebliche Zieldivergenzen zwischen Aktionär und Mitarbeiter hindeuten, einzuschränken und deutlichere Verantwortlichkeiten zu schaffen. Was derzeit heiß beratschlagt wird, war also vor 130 Jahren schon einmal auf der Agenda.

Trotz dieser Übereinstimmungen ließe sich als überragender Kritikpunkt an jedem Versuch eines ernsthaften Vergleichs gleichwohl festhalten, dass die Finanzwelt der Jahre 1873 und 1931 eine völlig andere war. So war sie nicht annähernd so stark und undurchsichtig miteinander verstrickt, schon gar nicht weltweit, wie es heute der Fall ist. Das gilt sowohl für Produkte - als viel zitiertes Beispiel sei nur das (zum Teil mehrfache) Verbriefen von Risiken genannt - oder auch für direkte wie indirekte Beteiligungen. Aber vielleicht ist genau das ja auch eine Lehre, und es bedarf nicht nur klarer Verhältnisse innerhalb der Häuser und der Politik, sondern auch in der Finanzwirtschaft weltweit. Angesichts ihrer nicht zuletzt aus den Verstrickungen resultierenden "Systemrelevanz" gab die Politik den Großbanken den Status "too big to fail". Im Hinblick auf klamme Staatskassen und das Erbe kommender Generationen ist es allerdings richtig zu fragen, ob sie nicht beim Wachstum der vergangenen Jahre schon bald "too big to save" sind. Auch deshalb ist den politischen Initiativen zu einer geordneten Abwicklung gescheiterter Banken Erfolg zu wünschen.

Noch keine Bewertungen vorhanden


X