Auifsätze

Too big to fail?

Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Otmar Issing, Würzburg, Vorsitzender des Financial Stability Board (FSB), ehemaliges Mitglied des Direktoriums der EZB, und Prof. Dr. Jan P. Krahnen, Direktor des Center for Financial Studies, House of Finance, Johann Wolfgang Goe-the-Universität, Frankfurt am Main / Trotz aller bereits getroffenen Maßnahmen zur Bewältigung der Finanzkrise und zur Vorbeugung gegen neue Verwerfungen sehen die Autoren eine wirksame Berücksichtigung von systematischen Risiken noch vor einer langen Wegstrecke. Nicht zuletzt klare und glaubwürdige Vorkehrungen gegen die "too big to fail"-Problematik bewerten sie als zentrales Element einer Neuordnung der Finanzmärkte. Als mögliches Lösungsmodell stellen sie den Aufbau eines "Bankenhospitals" zur Diskussion. (Red.)Die Krise hat die Schwächen des globalen Finanzsystems schonungslos offengelegt. Gravierende Lücken in der Regulierung, erhebliche Mängel in der Aufsicht und ein erschreckendes Maß an fehlender Transparenz. Während inzwischen viele Vorschläge zur Verbesserung von Regulierung und Aufsicht vorliegen, lassen die Bemühungen um mehr Transparenz sehr zu wünschen übrig. Im Rahmen der Expertengruppe zur Beratung der Bundesregierung haben wir deshalb vorgeschlagen, eine Risikolandkarte (risk map) zu erstellen, die eine Grundlage für die Erfassung systemischer Risiken darstellt. European Systemic Risk Board Trotz verbreiteter Akzeptanz des Konzeptes kommt diese Initiative nur langsam voran und sieht sich mit grundlegenden Problemen eines europäischen Datenaustauschs konfrontiert. Die kürzlich erfolgte Einrichtung eines European Systemic Risk Board bei der EZB erfüllt zwar eine wichtige Vorbedingung für den Aufbau einer Risikolandkarte, bis zu einer wirksamen Berücksichtigung von systematischen Risiken ist es aber noch ein weiter Weg. Aus naheliegenden Gründen hat sich die Politik deshalb besonders des "Bonusproblems" angenommen. Klare Regeln für ein stabilitätskonformes Vergütungssystem sind sicher wichtig, können aber nur einen begrenzten Beitrag für eine entscheidend verbesserte neue Ordnung der Finanzmärkte leisten. Ein durch die Krise aus den Sphären theoretischer Diskussionen ins Rampenlicht der Realität gerücktes Phänomen beginnt erst allmählich eine wichtige Rolle zu spielen: Banken können zu groß sein, um sie zusammenbrechen zu lassen. Dabei geht es um ein fundamentales Problem freier Finanzmärkte. Wenn der Zusammenbruch eines großen und/oder stark vernetzten Finanzinstituts den Kollaps relevanter Teile des Finanzsystems auszulösen droht, und der Staat sich daher gezwungen sieht eingreifen, ist das Institut "too big to fail" oder auch "too interconnected to fail". (Dass Finanzinstitute auch so groß werden können, dass ein vergleichsweise kleiner Staat gar nicht über die zur Rettung nötigen Mittel verfügt - "too big to rescue" -, sei als Problem nur am Rande erwähnt.) Die von allen betroffenen Staaten durchgeführten Rettungsmaßnahmen verstärken die Überzeugung, dass es im Fall drohender Insolvenz bedeutender Finanzinstitute keine realistische Alternative zu eben dieser Rettung gibt. Damit sind Finanzinstitute geradezu eingeladen, größer und systemrelevanter zu werden und immer höhere Risiken einzugehen. Schließlich bleiben die Gewinne privat, Verluste im Falle des Scheiterns sind dagegen vom Staat, am Ende also vom Steuerzahler zu tragen. Einen klareren Fall von Moral Hazard kann man sich kaum denken. Eine implizite Bestandsgarantie für systemisch relevante Institute widerspricht jedoch den Prinzipien freier Finanzmärkte, jeder Marktwirtschaft als solcher. In einer Marktwirtschaft können sich die Akteure im Rahmen der Gesetze grundsätzlich frei entfalten, etwas "unternehmen". Der Anreiz liegt nicht zuletzt darin, im Falle des Erfolgs den Gewinn (nach Steuern) behalten zu dürfen. Zu diesem institutionellen Arrangement gehört aber unverzichtbar auch, privat für Verluste zu haften, bis zum Extrem der Insolvenz. Nur beide Bedingungen zusammen sorgen für das gesellschaftlich richtige Abwägen von Chancen und Risiken. Die Aussicht, im Extremfall Verluste auf den Steuerzahler zu überwälzen, zerstört diese Balance. Man kann sich durchaus vorstellen, dass eine Wiederholung riesiger Rettungspakete im Falle einer weiteren Krise derartigen - oder sogar größeren - Ausmaßes zu der Abschaffung freier Finanzmärkte führen könnte. Klare und glaubwürdige Vorkehrungen Eine Neuordnung der Finanzmärkte muss daher klare und glaubwürdige Vorkehrungen gegen die "too big to fail"-Problematik enthalten. Dazu werden inzwischen verschiedene Vorschläge diskutiert, etwa Überlegungen, große Institute aufzuspalten, sie im Wachstum durch wettbewerbsrechtliche Eingriffe zu beschränken, oder das Geschäft mit institutionellen Kunden dauerhaft von jenem mit Privaten zu trennen. Ein anderer Ansatz, der von verschiedenen Autoren vertreten wird, erscheint allerdings wesentlich überzeugender. Danach muss ein Finanzinstitut mit zunehmender Größe (oder Vernetzung) wachsende Anforderungen an Eigenkapital und Liquidität erfüllen. Damit wirken den economies of scale (oder complexity) durch Regulierung auferlegte diseconomies entgegen. Der Hauptzweck dieser Bestimmung wäre es, die Wahrscheinlichkeit des Zusammenbruchs eines systemrelevanten Finanzinstituts und die damit verbundene Gefährdung des Systems nach Möglichkeit zu verhindern. Behandlung von Bankinsolvenzen Um einen häufig vorgebrachten Einwand bezüglich der exorbitanten Kosten von Eigenkapital gleich aufzunehmen: Das Verlangen nach mehr Eigenkapital bedeutet keineswegs, dass man den Banken unzumutbar hohe Kosten aufbürdet. Für anderslautende Aussagen, nach denen Eigenkapitalkosten bei Banken auch dann exorbitant hoch bleiben, wenn man den banktypischen hohen Verschuldungsgrad und die übernommenen banktypischen Risiken berücksichtigt, fehlt der theoretische und auch der empirische Nachweis. Von daher sind Forderungen nach einer dauerhaft höheren Kapitalausstattung nicht nur wünschenswert, sondern wohl auch praktikabel. Allerdings darf nicht übersehen werden, dass auch eine erhebliche Aufstockung des Eigenkapitals der Banken das Risiko der Insolvenz eines systemrelevanten Instituts nicht vollständig ausschließen kann. Vor diesem Hintergrund sind entsprechende Vorkehrungen für eine möglichst wirksame Schadensbegrenzung zu treffen. Wie könnten solche Vorkehrungen für den Fall von Bankinsolvenzen (im Sinne von Schieflagen, schweren Bonitätskrisen) aussehen? Hier ist ein geordnetes und in seinen Konsequenzen für Eigentümer, Gläubiger und übrige Banken vorhersehbares Eingreifen erforderlich. Erinnert sei nur an die andernfalls sich zwangsläufig ergebende "Wochenendpanik", wie sie mehrfach in den Jahren 2007 und 2008 auch in Deutschland beobachtet werden konnte. Krisengipfel mit Finanzminister, und den Präsidenten von Bundesbank und Bankenaufsicht wurden mit Anspannung von der Öffentlichkeit bei ihrem Versuch beobachtet, zwischen Freitagabend und Sonntagnacht eine Bankpanik abzuwehren. Regelmäßig endeten diese Wochenenden mit dem im Grundsatz unerwünschten Resultat eines umfassenden und staatsfinanzierten "Bailout" der Gläubiger. Bevor auf einen sachlich überlegenen, geordneten Lösungsvorschlag eingegangen wird, sollen die zwei Bedingungen genannt werden, die jede Vorkehrung erfüllen muss, um wirksam zu sein. Zum einen darf die Insolvenz eines einzelnen Instituts nicht "überschwappen" auf weitere Institute das Risiko einer Ansteckung von Nachbarinstituten muss gering bleiben. Zum anderen darf der Staat nicht automatisch für die privat eingegangenen Risiken eine Ausfallbürgschaft übernehmen - der ordnungspolitisch wichtige Grundsatz der Eigenverantwortlichkeit für private Anleger und Investoren darf nicht umgangen werden. Beide Bedingungen zusammen sind eine besondere Herausforderung (Spagat) für die institutionelle Gestaltung: systemisches Risiko verhindern ohne zugleich eine automatische Staatshaftung einzuführen. Ein mögliches Lösungsmodell für diesen "Spagat" bedient sich des Aufbaus eines "Bankenhospitals". Ein solches Hospital hätte öffentlichrechtlichen Charakter und könnte institutionell beispielsweise aus dem SoFFin hervorgehen. Es operiert wie folgt: Gerät eine Bank in akute Zahlungsschwierigkeiten, so wird das betreffende Institut durch die Aufsichtsbehörde in ein Bankenhospital eingewiesen. Durch diese Einweisung werden automatisch alle Zahlungsverpflichtungen mit systemischer Relevanz von einer Staatsgarantie gedeckt. Diese Garantie ist hinreichend deutlich und früh kommuniziert, sodass im Falle eines akuten Zahlungsproblems die Ansteckung dritter Institute unterbleibt. Mit anderen Worten, indem der Staat kurzfristig für alle systemisch relevanten Verpflichtungen die Haftung übernimmt, gibt es für die zugehörigen Gegenparteien keine Veranlassung, ihre Forderungen kurzfristig fällig zu stellen und dadurch die Krise eines einzelnen Instituts auf weitere Banken zu übertragen. Zu beachten ist, dass eine Haftungsübernahme auf systemisch relevante Verpflichtungen begrenzt bleibt. Alle übrigen Verpflichtungen sind daher von der Staatsgarantie nicht abgedeckt. Für nicht-systemische Verpflichtungen haftet unverändert der Anleger oder Kontrahent. In einem konkreten Schadensfall werden im Grunde sehr ähnlich wie bei einer normalen Insolvenz - durch einen Treuhänder die Fortführung, Aufspaltung oder Liquidation einzelner Firmenteile verfügt und die erzielten Erlöse auf die Gläubiger aufgeteilt. Dabei werden die Gläubiger entsprechend ihrer Seniorität bedient. Ganz vorne in der Reihe stehen systemische Gläubiger, gefolgt von Einlegern, dann die Anleihebesitzer sowie sonstige Gläubiger, und ganz am Ende die Eigentümer. In umgekehrter Reihung werden daher die Verluste zugeteilt. Zuerst die Eigentümer, dann sonstige Gläubiger und Anleihebesitzer, danach Einleger (beziehungsweise der Einlagensicherungsfonds). Sollten die verbleibenden Verluste höher sein als die Summe der genannten Positionen, so tritt die Staatshaftung für systemische Verpflichtungen in Kraft. Daher ist die unmittelbar zu Beginn der Krise bereitgestellte Hilfe des von Seiten des Bankenhospitals eher als Liquiditätshilfe zu verstehen, die nur im soeben beschriebenen Fall hoher verbleibender Verluste nachträglich zu einer Bonitätshilfe wird. Nachrangige Haftungszusage In diesem Fall wird die staatliche Haftungsübernahme also als nachrangige Haftungszusage gewährt - ausreichend hoch, um systemische Risikoausbreitung zu verhindern, aber zugleich ausreichend gering, um die private Haftung für die übernommenen Bankrisiken sicherzustellen. Auf diese Weise gelingt dem Bankenhospital der ordnungspolitische Spagat zwischen staatlicher und privatwirtschaftlicher Haftung. Auf weitere Einzelheiten eines Bankenhospitals kann hier nur hingewiesen werden sie sind noch detailliert auszuarbeiten. Hierzu zählen etwa die Abgrenzung von systemischen und nicht-systemischen Risiken, die Festlegung der Kriterien, die eine Einweisung in das Bankenhospital auslösen, die Frage des Eigentumübergangs auf die haftenden Gläubiger und den Staat. Sobald diese Einzelheiten geregelt sind und eine Bankenhospitalregelung - sei es auf nationaler oder internationaler Ebene - realisiert ist, sind Anpassungsreaktionen der betroffenen Banken zu erwarten. So ist etwa, um das Moral-Hazard-Risiko zu begrenzen, sicherzustellen, dass alle betroffenen Institute tatsächlich und jederzeit ein ausreichend umfangreiches "Polster" an nichtsystemisch relevanten Verbindlichkeiten in ihrer Bilanz ausweisen. Die Vorschläge zum Umgang mit dem Problem des "too big to fail" bedürfen im Einzelnen noch intensiver Diskussion. Viele Probleme stecken im Detail, und an kritischen Einwänden wird es nicht fehlen. Das kann jedoch kein Argument sein, vor dieser Herausforderung zu resignieren. Schließlich geht es um nicht weniger als die Legitimation privater Finanzmärkte, letztlich der Marktwirtschaft als solcher.

Otmar Issing , Präsident, Center für Financial Studies, Goethe-Universität, Frankfurt am Main
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