Leitartikel

Finanzplatz Sachsen - nur noch kalter Kaffee?

Ohne Gaffee gömm'mer nich gämpfen (auf deutsch: Ohne Kaffee können wir nicht kämpfen), pflegen die Sachsen zu sagen, wenn sie ein großes Projekt in Angriff nehmen wollen. Dabei geben sie nicht nur ihrer Liebe zu dem koffeinhaltigen Heißgetränk und seiner aufmunternden Wirkung Ausdruck, sondern meinen es durchaus wörtlich. Denn schon unter ihren mehr oder weniger glanzvollen Kurfürsten und Königen bekamen die sächsischen Soldaten vor der Schlacht eine Sonderration Kaffee, weshalb die meist gegnerischen Preußen, deren Kampfmoral durch Branntwein gehoben wurde, sie abfällig Kaffeesachsen nannten. An den schwarzen Bohnen lag es allerdings nicht, dass die Sachsen bei fast jeder historischen Auseinandersetzung unterlagen, denn bekanntlich waren sie auch schon früher - ohne das Gesöff - von Karl dem Großen schmachvoll unterworfen, christianisiert und ins Fränkische Reich integriert worden. Dieses Trauma sitzt offensichtlich so tief, dass die Sachsen seitdem immer wieder versuchen, ein kleines Stück ihrer verloren gegangenen Eigenständigkeit zurückzuerlangen. Ein weiteres Beispiel dieser Form des späten Separatismus war zweifellos auch die politisch motivierte Gründung der eigenen Landesbank wohl wissend, dass das Land eigentlich zu klein und wirtschaftlich nicht stark genug ist, um den sächsischen Sparkassen ein Zentralinstitut zu geben, das dauerhaft eigenständig bleiben kann. Andernorts in der Republik wurde unterdessen diese Art der Kleinstaaterei Stück für Stück überwunden.

Während in München und Saarbrücken, in Bremen und Hannover, in Hamburg und Kiel und schließlich auch in Stuttgart und Mainz - ökonomisch vernünftig - Landesbanken zu größeren Einheiten geformt und die östlichen Bundesländer unter Nord-LB, West LB und Helaba verteilt wurden, bestand der Freistaat auf einer sächsischen Lösung. Diese ist aber trotz massiver politischer und notgedrungen auch finanzieller Unterstützung immer schwieriger durchzuhalten. Ende der neunziger Jahre, als sich die drohende Schieflage der Sachsen-LB längst abzeichnete, akzeptierte endlich auch die Landesregierung, dass das Institut Partner braucht - der Synergien und Skaleneffekte wegen. Vom sächsischen Sonderweg wollte man aber keinesfalls lassen, auch wenn sich dieser als teuer und öffentlich schwer vermittelbar erweisen sollte.

Dabei war der Plan der Landesregierung, demnach die Kommunen ihre Sparkassen in eine zentralistische, von Dresden aus gesteuerte Sachsen-Bank-Holding einzubringen hatten, zunächst durchaus wegweisend für andere Bundesländer und die S-Finanzgruppe erschienen. Freilich war der Druck nirgends so groß wie im Freistaat, denn in keinem anderen Bundesland war die Ertragslage so schlecht und die Risiken so hoch. Beides hätte in einer im Whole-Sale- und Retail-Geschäft engagierten Sachsen-Bank verbessert werden können. Doch politisch nicht breit genug abgestimmt und vorbereitet sowie unzureichend erklärt, scheiterte das Projekt am breiten Widerstand der Stadtparlamente und Kreistage. Schließlich wurden immerhin sieben der mehr als zwanzig Sparkassen um die Landesbank im sogenannten Sachsen-Finanzverband gesammelt, dessen gesetzliche Regelung zwar im November 2000 die Normenkontrollklage sächsischer Abgeordneter vor dem Verfassungsgericht überstand, aber durch einen gewonnenen Volksentscheid endgültig gekippt wurde.

Durchsetzbar war seitdem nur noch die Minimallösung einer Sachsen-Finanzgruppe (SFG) bestehend aus der Landesbank und ursprünglich sieben, mittlerweile acht Sparkassen aus dem Freistaat. Gewachsen ist die SFG vor allem durch die unumgängliche Konsolidierung der sächsischen Sparkassenlandschaft, die sich jedoch weniger durch Freiwilligkeit als durch Notfusionen auszeichnete wie im Falle Torgaus, dessen Sparkasse von den Leipzigern zwangsweise übernommen werden musste. Dass noch immer sieben Sparkassen in Opposition zur SFG stehen, mag zuweilen emotional, politisch, aber auch wirtschaftlich begründet sein. Denn erhebliche Vetorechte des Zentralvorstands, hohe Verwaltungskosten und einbehaltene Ausschüttungen bei Zielverfehlungen animieren nicht unbedingt zum Beitritt. Manch erfolgreiches Institut mag für sich auch ausgerechnet haben, dass es bei der geforderten Zielerfüllung große, aber weniger rentable Mitglieder subventionieren müsste. Soweit geht die Solidarität im sächsischen S-Sektor dann doch nicht. Folglich reicht die SFG alleine nicht aus, um die Zukunft der Sachsen-LB zu sichern.

Gefordert ist daher das Zusammenrücken mit einer oder mehreren anderen Landesbanken beziehungsweise eventuell auch deren Beteiligung an der Sachsen-LB. Dass Ende 2005 die Wahl auf die West LB fiel, kann freilich nicht verwundern, hatten doch entscheidende Persönlichkeiten in der Sachsen-LB ihre beruflichen und persönlichen Wurzeln in Düsseldorf. Dass sich außerdem das West LB-Revier bis ins Nachbarland Brandenburg erstreckte - und somit am Rhein gewisse Erfahrungen mit ostdeutschen Befindlichkeiten vorhanden waren mag noch hinzukommen. Inzwischen kooperieren Düsseldorf und Leipzig im Osteuropa- und Russlandgeschäft. Darüber hinaus liefert die West LB das Derivate-Know-how und übernimmt Abwicklungs- und Processing-Aufgaben für die Sachsen. Und nicht zuletzt räumt die Kooperationsvereinbarung den Düsseldorfern die Möglichkeit ein, mindestens 25,1 Prozent an der Sachsen-LB zu übernehmen. Dass die West LB diese Option lange nicht nutzte, lag vor allem am unzureichenden BBB-Rating der Sachsen-LB. Mindestens ein Single-A von Standard & Poor's sollte es schon sein, um als heiratsfähig zu gelten. Folglich musste der Freistaat die "Braut" mit einer Finanzspritze von 300 Millionen Euro kräftig aufhübschen. Jetzt braucht es nur noch das passende Hochzeitskleid - die Rechtsform der Aktiengesellschaft -, um die Übernahme durch die West LB zu vereinfachen. Am 4. Juli 2007 hat der Sächsische Landtag der Umwandlung zugestimmt.

Das Phänomen, sich vor Übernahmen und Fusionen ein letztes Mal in Bestform zu zeigen, ist hinlänglich bekannt. Insofern mag es nicht wundern, dass gerade jetzt die Sachsen-LB mit einem Gewinn von 56,5 Millionen Euro im Jahr 2006 das beste Ergebnis ihrer Unternehmensgeschichte verkündete. Wenn sie schon in die Ehe einwilligen muss, will sich die Braut möglichst teuer verkaufen. Einige rechnen den Wert der Bank inzwischen auf stolze 2 bis 2,5 Milliarden Euro hoch, sodass die West LB möglicherweise 500 Millionen Euro für ihren Mindestanteil berappen müsste. Dem Vernehmen nach würden die Düsseldorfer jedoch eine Mehrheitsbeteiligung oder sogar die Komplettübernahme anstreben. Gedacht sei an eine Holding, unter deren Dach sich beide Landesbanken wiederfinden sollen. Geben die Sachsen nicht alle Anteile ab, so wären sie an der Holding beteiligt. Freilich dürfte dieser Anteil gering sein, denn selbst wenn das "günstige" Verhältnis der Bilanzsummen herangezogen würde, entfiele auf die Sachsen nur ein Viertel. Da jedoch der Freistaat auf einen Barausgleich hofft, um eine Kompensation für seine mühsam zusammengekratzte Mitgift zu erhalten, würde das die Holding-Beteiligung erheblich mindern.

Aus dem sächsischen Wunschtraum könnte unterdessen sehr schnell ein Alptraum werden. Denn die Selbstüberschätzung, wie sie für die Sachsen-LB angedeutet wurde, findet sich auch immer wieder an Rhein und Ruhr, und sie führt fast regelmäßig zu Problemen. Erst im Frühjahr haben sich die Düsseldorfer am Kapitalmarkt kräftig verzockt ("Sabotage" hin oder her). Und nach dem Zuschlag des DSGV für die Landesbank Berlin avanciert die West LB plötzlich selbst zum Übernahmekandidaten durch die LBBW oder zumindest als Teil einer noch größeren Landesbankenlösung. Infolgedessen könnte die "kleine" Holdingvariante mit den Sachsen für die Düsseldorfer schnell zum Randthema werden.

Ob unter diesen Umständen der rheinisch-sächsische Fahrplan, der die Übernahme der Sachsen-LB für Herbst 2007 vorsieht, gehalten werden kann oder welchen Stellenwert er derzeit hat, ist hier wie dort ungewiss. Auch über den Preis für die sächsische Landesbank wird noch zu verhandeln sein. Das letzte Wort ist in dieser Angelegenheit im jetzigen Stadium noch nicht gesprochen, weshalb in Sachsen und Nord-rhein-Westfalen viel erörtert, nach außen aber beharrlich geschwiegen wird. Zu groß ist die Angst vor einem Scheitern.

Attraktiv wäre die Übernahme für die Düsseldorfer allerdings schon wegen der engen Einbindung der Sachsen-LB in die sächsische Sparkassenwelt. Denn mit dem Erwerb der Landesbank würde die West LB auch Teil der SFG und könnte darüber die öffentlich-rechtliche Bankenlandschaft in Sachsen maßgeblich mitgestalten. Beim Blick in die Statistik der Bundesbank fällt auf, dass die sächsischen Sparkassen noch erhebliche Potenziale haben. Mit 31,7 Milliarden Euro verwalten sie fast die Hälfte aller Kundeneinlagen in dem Bundesland. Bei den Einlagen der privaten, unselbstständigen Haushalte beträgt der Marktanteil sogar satte 68 Prozent. Das ist unter dem Gesichtspunkt des harten Bankenwettbewerbs um Kunden eine traumhafte Ausgangslage. Gleichwohl verstehen es die 15 Institute offensichtlich nicht, diese Marktmacht auf der Passivseite aktivseitig voll zu nutzen. Denn gerade einmal 23 Prozent Marktanteil schaffen die Sparkassen bei den Kundenforderungen. Es besteht also für ein Verbundinstitut mit adäquater Größe noch reichlich Gelegenheit, sich als Produktlieferant und Kapitalmarktpartner einzubringen.

In welcher Konstellation dies geschehen könnte, ist derzeit ziemlich ungewiss. Sollte sich die West LB tatsächlich in Sachsen engagieren, könnte ein Zusammengehen mit Stuttgart trotz Sympathien auf höchster DSGV-Ebene an sparkassenpolitischen Bedenken scheitern. Denn die LBBW ist bereits in Baden-Württemberg als Whole-Sale- und Retail-Bank aufgestellt, in Rheinland-Pfalz ist sie im Mittelstandsgeschäft unterwegs, mit der West LB würde sie darüber hinaus Whole-Sale-Geschäfte von Nordrhein-Westfalen aus betreiben und hätte mit der SFG-Beteiligung auch Whole-Sale- und Retail-Geschäft in Sachsen. Das ist eine Menge. Wollen die Sparkassen so eine Landesbank? Widerstände sind wahrscheinlich, Einwände längst vernehmbar.

Freilich wollen die Sachsen ihre Interessen auch nach dem Verkauf ihrer Landesbank gewahrt sehen. Dabei geht es nicht allein um Arbeitsplätze, sondern auch um den Standort Leipzig. Zu gerne würde man dort wenigstens ein bisschen an alte Zeiten anknüpfen, als die Messestadt neben Berlin der bedeutendste Finanzplatz Deutschlands war. Immerhin hatten hier schon seit dem 18. Jahrhundert bedeutende Handelshäuser auch Bankgeschäfte betrieben. Vom alten Glanz ist freilich nur noch die Erinnerung geblieben, nachdem 1945 in Sachsen 80 Kreditinstitute mit 179 Filialen geschlossen worden sind. So entschlossen Sparkassen und Freistaat seit 1990 - wie einst die Altvordern - um Wahrung ihrer Eigenständigkeit rangen, der Traum vom starken Finanzplatz Sachsen ist längst "kalter Kaffee". L. H.

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