Aufsätze

Wer nicht fragt - Gedanken zur Qualifikation von Bankaufsichtsräten

"Wer, wie, was - der, die, das - wieso, weshalb, warum: Wer nicht fragt, bleibt dumm." Seit den fragefreudigen siebziger Jahren klingt dieser Titelsong der Sesamstraße durch die Wohnzimmer der Republik. Alle haben es tausendfach gehört. Wer nicht fragt, bleibt dumm. Wer nicht fragt, wird auch nichts verändern, keinen Einfluss nehmen, letztlich auch keine Kontrolle ausüben. Denn der Antwortende muss ja sich und seine Sache erklären. Das gilt nicht nur im Kinderzimmer, sondern überall auf der Welt. Nicht zuletzt gilt es immer dort, wo Kenntnisse nicht gleichmäßig verteilt sind und Menschen sich gleichwohl auf Augenhöhe begegnen sollen. In verschärftem Maße gilt es dort, wo ein Teil Spezialkenntnisse hat und beaufsichtigt werden soll und muss, der andere Teil aber beaufsichtigen soll und nur über Übersichtskenntnisse verfügen kann.

Breitere öffentliche Wahrnehmung seit der Finanzkrise

Das führt mitten ins Thema, nämlich zu der Qualifikation von Aufsichtsräten. In eine breitere öffentliche Wahrnehmung und damit in den Fokus des Gesetzgebers trat dieses Thema mit der Finanzmarktkrise. Ein erstauntes Publikum rieb sich die Augen: Wie konnte es sein, dass Bankvorstände himmelschreiende Risiken mit atemberaubenden Konstruktionen eingegangen waren, ohne von ihren Aufsichtsräten hinterfragt zu werden?

Die Antwort war schnell bei der Hand: Bei den infrage stehenden komplexen Geschäften durfte man bei vielen Aufsichtsratsmitgliedern kaum davon ausgehen, dass sie diese aus eigener Fachkompetenz durchschauen konnten. Untersuchungen wie die von Harald Hau und Marcel Thum bestärkten diese Einschätzung. Sie schrieben im CESifo Working Paper No. 2640: "We examine evidence for a systematic underperformance of Germany's stateowned banks in the current financial crisis and study if the bank losses can be traced to the quality of bank governance. For this purpose, we examine the biographical background of 593 supervisory board members in the 29 largest banks and find a pronounced difference in the finance and management experience of board representatives across private and stateowned banks. Measures of 'boardroom competence' are then related directly to the magnitude of bank losses in the recent financial crisis. Our data confirms that supervisory board (in-)competence in finance is related to losses in the financial crisis. Improved bank governance is therefore a suitable policy objective to reduce bank fragility."

Dabei wissen die Autoren durchaus, dass sie eine Korrelation gefunden haben, keinen Beweis. Einen monokausalen Zusammenhang wird man nicht annehmen dürfen. Einen ernüchternden Hinweis auf weitere Schwachstellen gab seinerzeit Behördenchef Jochen Sanio dem Spiegel: "Der Abstand zwischen unserem Wissen und dem der Marktteilnehmer, die wir überwachen sollen, wird von Jahr zu Jahr größer." Mit 1700 Mitarbeitern beaufsichtigte er damals 2000 Banken, 600 Versicherungen, 700 Finanzdienstleister und rund 6000 Fonds. Man mag mit Fug und Recht fragen, wo denn dann wohl Aufsichtsräte geschnitzt werden, die noch mehr Fachkompetenz mitbringen als die Profis der Bankenaufsicht. Wer so diskutiert, geht schließlich in die Irre.

Klassische Funktionstrennung

An dieser Stelle muss man sich deshalb noch einmal die klassischen Funktionstrennungen vor Augen führen. Denn der Aufsichtsrat ist nicht die bessere Geschäftsführung, er ist nicht der bessere Abschlussprüfer, er ist nicht die bessere Bankenaufsicht. Und er darf auch in keine dieser Rollen gedrängt werden. Nach wie vor gibt es auch kein gesamtverantwortliches Board nach angelsächsischem Muster, das auch nicht angestrebt werden sollte: Es wird aktuell von der "Group of 30" unter Leitung des ehemaligen EZB-Chefs Jean-Claude Trichet zutreffend kritisiert, weil es die Unabhängigkeit der Kontrolle nicht hinreichend sicherstellt. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass Deutschland sich im internationalen Vergleich durchaus nicht verstecken müssen.

Gesetzgeber und Aufsicht in Deutschland haben indes Möglichkeiten und Grenzen der Betätigung eines Bankaufsichtsrates bisher weitgehend zutreffend eingeschätzt. So hebt der Gesetzgeber im Kreditwesengesetz auf die Sachkunde und die Zuverlässigkeit des Aufsichtsratsmitglieds ab. Im aktuellen Diskussionsentwurf zum CRD-IV-Umsetzungsgesetz ist ihm auch die ausreichende Zeit wichtig, die einem Aufsichtsrat für seine Tätigkeit im Ganzen sowie ganz operativ für die "Erörterung von Strategien, Risiken und Vergütungssystemen für Geschäftsleiter und Mitarbeiter" zur Verfügung stehen. Mit der Frage nach der zur Verfügung stehenden Zeit kann die Diskussion um die Qualität der Aufsichtsratsarbeit durchaus eine neue Stufe erreichen, die als sehr sinnvoll anzusehen ist und die mit den bisherigen Kriterien der Zuverlässigkeit und Sachkunde so nicht zu erreichen ist.

Keine Interessenkonflikte

Gleichwohl muss man sich darüber im Klaren sein, dass sich das Kriterium der ausreichenden Zeit einer objektiven Überprüfbarkeit entziehen dürfte, da niemand Stechuhren für Aufsichtsräte fordern wird. Über das Ziel hinaus geht der aktuelle Diskussionsentwurf, wenn er bindende Regelungen zur Corporate Governance dergestalt einführen will, dass er konkret in die Zusammensetzung der Ausschüsse eingreifen will. So heißt es im Entwurf: "Der Vorsitzende des Prüfungsausschusses muss über Sachverstand auf den Gebieten Rechnungslegung und Abschlussprüfung verfügen". Das mag für große Banken angemessen sein. Die Qualität eines ehrenamtlichen Aufsichtsrates einer Volksbank oder Raiffeisenbank bildet sich anders ab, wie noch erläutert wird. Vielleicht ist aber die Tatsache, dass dieser Entwurf vom 21. März mit einer Frist zur Stellungnahme bis zum 2. April 2012 versehen war ein Hinweis darauf, dass manches noch mit heißer Nadel gestrickt ist, zumal die CRD IV auf EU-Ebene noch gar nicht verabschiedet ist.

Aufschlussreich zu den Kriterien der Zuverlässigkeit und Sachkunde ist zum geltenden Stand der Blick in das Merkblatt der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) über die Kontrolle von Mitgliedern von Verwaltungs- und Aufsichtsorganen. Zur Beurteilung der Zuverlässigkeit verlangt die BaFin insbesondere, dass keine Interessenkonflikte zwischen Aufsichtstätigkeit und wirtschaftlicher Tätigkeit des Aufsichtsratsmitglieds vorhanden sein dürfen. "Dies gilt insbesondere, soweit das Mitglied - oder das Unternehmen, für das es tätig ist - ausfallgefährdeter Kreditnehmer des zu überwachenden Unternehmens ist", schreibt die BaFin - so weit, so klar, so unspektakulär.

In der Umsetzung hätte das bedeutet, dass eine Bank keine Kreditnehmer mit akut ausfallgefährdeten Krediten in den Aufsichtsrat berufen darf. Denn eine Überprüfung sollte es ja nur bei der Berufung geben, nicht etwa laufend. Durch die Anordnung entsprechender Prüfungsschwerpunkte zu allen Organkrediten war diese Selbstbeschränkung aber bereits ausgehebelt, wobei zu beachten ist, dass das Handeln der Aufsicht sich auf einen Parameter beschränkt, der leichterhand im Rahmen der Abschlussprüfung zu prüfen ist.

Mit Schreiben vom 15. Dezember 2011 an das Institut der Wirtschaftsprüfer in Deutschland weist die BaFin nunmehr darauf hin, dass - vorbehaltlich einer entsprechenden Anpassung der Prüfungsberichtsverordnung - im Rahmen der Abschlussprüfungen von Kredit- und Finanzdienstleistungsinstituten zukünftig über alle Organkredite an Aufsichts- beziehungsweise Verwaltungsratsmitglieder des betreffenden Instituts, die wegen eines möglichen Interessenkonflikts vom Jahresabschlussprüfer als "anmerkungsbedürftig" eingestuft werden, ohne Berücksichtigung einer Wesentlichkeitsschwelle zu berichten ist. Dadurch soll sichergestellt werden, dass alle im Zusammenhang mit einer Kreditvergabe an Aufsichts- und Verwaltungsratsmitgliedern stehenden Interessenkonflikte in den Prüfungsberichten Erwähnung finden. Ganz anders verhält es sich mit der zweiten Anforderung an Aufsichtsräte: der Sachkunde.

Deutschland liebt Bildungsdiskussionen - PISA lässt grüßen. Da kann man prima streiten und unterschiedliche Ansichten austoben. Auf dieses Feld einer tatsächlichen Sachkundeprüfung wollten sich Gesetzgeber und Aufsicht vielleicht schon aus diesem Grund offenkundig nicht begeben. Für alle bestehenden Aufsichtsratsmandate definiert der Gesetzgeber deshalb, dass Sachkunde vorhanden ist. Zwar könnte man mit gleicher Überzeugungskraft festlegen, dass allein der Besuch des Gymnasiums die Verleihung des Abiturs rechtfertigt und allein die Anfertigung der Dissertation das Tragen des Doktortitels erlaubt. Die Gegenbeweise der jüngsten Vergangenheit sind noch lebhaft vor Augen - doch sei es drum.

Aber selbst für neue Mandatsträger will man eine Sachkundeprüfung nicht, sondern man stellt sogenannte "Regelvermutungen" auf: "Aufsichts- oder Verwaltungsorganmitglieder können bereits durch Tätigkeiten [...] in derselben Branche über die erforderliche Sachkunde verfügen. [...] Eine Tätigkeit in anderen Branchen, in der öffentlichen Verwaltung oder aufgrund von politischen Mandaten [sic! ] kann die erforderliche Sachkunde begründen, wenn sie maßgeblich auf wirtschaftliche und rechtliche Fragestellungen ausgerichtet [...] war", schreibt die BaFin und ergänzt, dies gelte auch für Bürgermeister, Landräte und Kämmerer.

Wer sich die damalige Aufsichtsratszusammensetzung der besonders schwer in der Finanzmarktkrise beschädigten Banken ansieht, erkennt: Diese Aufsichtsratsmitglieder hätten wohl allesamt keine Schwierigkeiten, nach diesen neuen "strengeren" Kriterien wieder in den Aufsichtsrat einer Bank berufen zu werden. Das Schwert der Sachkunde ist recht stumpf. Es ist letztlich auch kaum handhabbar und vielleicht eher als Einstieg in eine Diskussion um fachliche Anforderungen zu verstehen. Einstweilen muss man in der öffentlichen Diskussion auch vorsichtig damit umgehen, um keine falschen Erwartungen zu wecken. Das hieße, der Öffentlichkeit Sand in die Augen zu streuen.

Aktiver Dialog mit den Vorständen

Die Kriterien der Zuverlässigkeit und Sachkunde fragen unabhängig von ihrer konkreten Ausgestaltung nach der personellen Zusammensetzung der Aufsichtsräte. Die tatsächliche Arbeit des Aufsichtsrats betrachtet sie höchstens randständig. Das neue Kriterium des Zeitbudgets für die Beschäftigung mit den Inhalten der Überwachungsaufgabe kommt dieser Sphäre nun näher. Letztlich muss es darum gehen, wache, fragefreudige Aufsichtsratsmitglieder in einem aktiven Dialog mit den Vorständen zu halten. Das ist insbesondere die Lehre, die aus den desaströsen Ereignissen der Finanzmarktkrise in anderen Säulen der Branche zu ziehen ist. Es genügt eben nicht, dass Sachkunde nachgewiesen wird. Ein sachkundiges Aufsichtsratsmitglied, das sich die Blöße einer Frage nicht geben will, nimmt seine Aufgabe nicht wahr. In den damals betroffenen Aufsichtsräten waren sehr wohl, auch nach heutigem Ermessen, sehr sachkundige Mitglieder. Wenn aber der Charakter der Sitzungen so war, dass Fragen nach den äußerst komplexen Finanzinstrumenten sich negativ auf die Reputation des Fragers ausgewirkt hätten, war die Sitzungskultur untauglich.

Hinweise zur Sitzungskultur Vielleicht können die zunächst einfach und manchem hemdsärmelig klingenden Hinweise zur Sitzungskultur, die erfolgreiche genossenschaftliche Aufsichtsräte aus ihrer Arbeit ableiten, Orientierung geben auch für Mitglieder, die ein Aufsichtsratsmandat anstreben:

1. Der Turnus, in dem die Sitzungen stattfinden, wird von verschiedenen Determinanten beeinflusst. Insbesondere sind dies die Art, der Umfang und die Komplexität sowie der Risikogehalt der von der Bank betriebenen Geschäfte beziehungsweise sonstige institutsspezifische Besonderheiten. Hierbei ist zu berücksichtigen, ob der Aufsichtsrat Teilgebiete in Ausschüsse delegiert hat. Grundsätzlich empfiehlt es sich, Ausschüsse (mit Entscheidungsfunktion) einzurichten, um den Gesamtaufsichtsrat zu entlasten; hierbei können auch besondere Kenntnisse einzelner Aufsichtsräte genutzt werden. Eine Verpflichtung zur Ausschussbildung, wie es der Entwurf des CRD-IV-Umsetzungsgesetzes für Aufsichtsorgane mit mehr als fünf Mitgliedern vorsieht (ansonsten Befreiung nur auf Antrag), darf es für Institute mit überschaubaren Strukturen und Geschäftsmodellen aber nicht geben.

2. Um eine Überfrachtung der Sitzungen mit zu vielen Themen zu vermeiden, ist einer höheren Anzahl von Sitzungen der Vorrang zu geben. Eine satzungsmäßig gefasste Frequenz von mindestens vier Sitzungen dürfte in der Regel nicht ausreichen, da quartalsweise unter anderem das MaRisk-Reporting zu behandeln ist. Eine Taktung von sechs bis acht Sitzungen (alle sechs bis acht Wochen) kann als Orientierungsmaßstab dienen. Eine langfristige Planung der Sitzungstermine (im Rahmen einer Jahresplanung) erleichtert die Disposition aller Sitzungsbeteiligten. Bei besonderen Sachverhalten (zum Beispiel sich abzeichnenden wesentlichen Entwicklungen) sind anlassbezogene zusätzliche Sitzungen geboten.

3. Von Bedeutung ist ferner ein effektives Zeitmanagement. Die Dauer der Sitzungen sollte, da sie in der Regel spätnachmittags oder abends abgehalten werden, zirka zweieinhalb bis drei Stunden nicht überschreiten und zugleich genügend Zeit für alle Tagesordnungspunkte vorsehen.

4. Zur Vorbereitung auf die Sitzungen kann es, je nach Tagesordnung, geboten sein, vorab - gegebenenfalls standardisiert - komprimiert Reportings, Beschlussvorlagen und Voten (bei Krediten möglicherweise zusammengefasst) zur Verfügung zu stellen. Diese sollten Erläuterungen und alle relevanten Entscheidungsgrundlagen beinhalten. Die Information sollte rechtzeitig erfolgen; dies kann als Papierdokument, aber auch über eine IT-Plattform in einem geschützten Bereich unter Sicherstellung der Vertraulichkeit geschehen. Die Aufsichtsratsmitglieder werden hierdurch in die Lage versetzt, sowohl im Vorfeld Verständnisfragen als auch während der Sitzung konkrete Nachfragen zu stellen.

5. Es obliegt dem Sitzungsleiter, für einen konstruktiven Entscheidungsfindungsprozess auf Basis sachlich-kritischer Distanz (kritisches Vertrauen) zu sorgen.

6. Bei Ausschüssen ist eine regelmäßige Berichterstattung an den Gesamtaufsichtsrat erforderlich.

Der BaFin-Jahresbericht 2010 verzeichnet für die über 1000 Genossenschaftsbanken neun Abberufungsverlangen. Sie stehen vielen Hundert Neuberufungen in jedem Jahr gegenüber. Im Verhältnis Anzahl der Institute und zu besetzende Mandate trifft die Abberufung von Aufsichtsräten die Organisation deutlich unterdurchschnittlich. Aus Überzeugung widmet sie sich der Qualität der Aufsichtsratsarbeit und streitet zugleich - auch mit Blick auf Verbesserungserfordernisse im Entwurf zum CRD-IV-Umsetzungsgesetz - mit dem BVR als Federführer für ein lebendiges Ehrenamt. Dazu gehören auch die Weiterbildungsangebote für Aufsichtsräte, die gemeinsam in der Verbändekooperation entwickelt werden. Die Sitzungskultur und die Fragefreudigkeit der Aufsichtsräte werden so miteinander weiterhin gestärkt, denn: "... wer nicht fragt, bleibt dumm! "

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