Aufsätze

Der Aufsichtsrat und die Aufsichtsbehörden - neue Regulierungen

Die Aufgabenstellung klingt auf den ersten Blick einfach und eindeutig und lässt sich in zwei simplen Worten zusammenfassen: "Nie wieder". Seit Ausbruch der Finanzkrise im Jahr 2008 setzen sich Politiker der wichtigsten Industrienationen regelmäßig im großen Kreis mit deren Folgen auseinander und haben das gemeinsame Ziel verkündet, dass eine Krise solchen Ausmaßes kein zweites Mal möglich sein soll. Nie wieder darf die gesamte Weltwirtschaft durch Geschäfte von Banken und Finanzakteuren an den Rand des Abgrunds getrieben werden. Zu dramatisch waren die Rettungsaktionen nach dem Zusammenbruch von Lehman Brothers, zu drastisch sind die negativen Folge, die Sparer und Anleger, aber auch normale Bürger rund um den Globus zu spüren bekamen. Von den finanziellen Konsequenzen ganz zu schweigen.

Ziele schwer auszumachen

Dennoch macht sich nach zwei Jahren intensiver Bemühungen, nach mehreren G20-Gipfeln, unzähligen angekündigten, geplanten und bereits umgesetzten nationalen wie internationalen Konsequenzen eine gewisse Ernüchterung breit: Denn leicht und schnell ist das oben genannte Credo nicht zu erreichen. Die Ziele für neue Regulierungen sind teilweise schwer auszumachen. Die notwendigen Veränderungen sind gerade im internationalen Kontext nur schwer durchzusetzen. Die Passgenauigkeit der Maßnahmen ist nicht immer gewährleistet. Mit anderen Worten: Der Weg zum Ziel führt über viele kleine und oft sehr mühsame Schritte.

Die Probleme beginnen bei der Suche nach dem inneren Grund der Krise: Subprime-Blase, CDOs, Lehman Brothers, synthetische Verbriefungen oder neuerdings Credit Default Swaps - an Verdächtigen für das Auslösen der Krise mangelt es nicht. Doch wer ist hier wirklich der wahre Feuerteufel und wer ist nur Brandbeschleuniger? Letztlich scheint es so zu sein, dass die eigentliche Ursache der Krise viel abstrakter ist und in der extremen Loslösung der Finanzwirtschaft von der Realwirtschaft hin zu einem rein synthetischen Kreislauf zu sehen ist. Wenn das global im Umlauf befindliche Volumen an derivativen Finanzprodukten mit 600 Billionen (nicht Milliarden! ) US-Dollar beziffert wird, dann ist nicht nur die Summe an sich fast unvorstellbar groß. Sie ist vielmehr besonders beängstigend, weil sie zehnmal größer ist als das jährliche weltweite BIP, also die reale Kraft der Weltwirtschaft. Die Sprengkraft dieser finanzielle Bombe ist unvorstellbar groß.

Es mag für viele Arten von derivativen Produkten auch gute Gründe geben. Dennoch zeigt diese gigantische Blasenbildung, dass hier ein extremes Ungleichgewicht vorhanden ist, das der ganzen Welt gefährlich werden könnte. Dieser Gefahr gilt es nun, Einhalt zu gebieten. Doch hierin besteht das eigentliche Problem des Ziels der G20. Es ist äußerst diffizil, praktikable Lösungen zu finden, die auf die globalen Problemstellungen anwendbar sind und zudem angesichts der unterschiedlichen internationalen Interessenlagen tatsächlich auch durchgesetzt werden können. Öffentliche Debatten wie jüngst in der Frage einer Finanztransaktionssteuer zeigen das nur allzu deutlich.

Aufsichts- und Verwaltungsräte im Blick

Einige zentrale Schwachstellen im bisherigen System sind jedoch ausgemacht und werden nun von mehreren Seiten aus angegangen. Zu nennen sind hier beispielsweise die Bemühungen um bessere Überwachung von Hedgefonds, die Diskussion um die Ratingagenturen. Am weitesten sind die Veränderungen aber im Bereich der Aufsicht und Risikokontrolle vorangeschritten. Es scheint festzustehen, dass bestehenden Kontrollmechanismen im Finanzsektor nicht ausreichen, um dem negativen Erfindungsreichtum der Finanzjongleure beim Erschaffen neuer Produkte und dem Verschleiern von deren Risiken etwas Gleichwertiges entgegenzusetzen.

Dazu zählen Aufsichts- und Verwaltungsräte wie auch auf der anderen Seite die zuständigen Aufsichtsbehörden. Sowohl national - über neue Gesetze als auch über konkretisierende Merkblätter der BaFin, als auch auf EU-Ebene hat man die Mängel in den Risikokontrollmechanismen erkannt und arbeitet an Verbesserungen. Zitat: " ... es muss festgestellt werden, dass sowohl die Verwaltungsräte als auch die Aufsichtsinstanzen (von Finanzinstituten) oftmals weder die Art noch den Umfang der Risiken verstanden haben, mit denen sie konfrontiert waren", konstatiert etwa das Grünbuch, mit dem die EU-Kommission das Ziel weiterverfolgt, die Corporate Governance von Finanzinstituten zu verbessern.

Frage nach der Sachkunde

Bereits im März 2009 hatte die Kommission sich das auf die Fahnen geschrieben. Seit dem Frühjahr 2010 liegen nun konkrete und ausformulierte Problemstellungen verbunden mit gezielten Fragen auf dem Tisch. Im Fokus der Brüsseler Kommissare steht dabei der Blick auf die Rolle jedes an der Risikokontrolle beteiligten Akteurs. Brüssel will die Rolle aller Beteiligten genau beleuchten und möglicherweise neu justieren. Die Kommission setzt dabei verschiedene Schwerpunkte. So will sie die Zusammensetzung und das Funktionieren des Verwaltungsrates (beziehungsweise Aufsichtsrates) überprüfen und stellt die Frage: "Soll die Zahl der von Verwaltungsratsmitgliedern angehäuften Mandate (zum Beispiel auf maximal drei) begrenzt werden?"

Prinzipiell ist es bereits aus Zeitgründen sinnvoll, die Anzahl der Mandate von Verwaltungsratsmitgliedern in Finanzinstituten zu begrenzen. Da die zunehmende Professionalisierung des Verwaltungsrates deutlich mehr Zeit erfordert, um den gestiegenen Anforderungen an die Aufgaben des Verwaltungsrates gerecht zu werden. Hinzu kommt, dass bei Mitgliedschaften im Verwaltungsrat von Finanzinstituten häufig das Konkurrenzproblem auftaucht: So kann zum Beispiel ein Aufsichtsratsmitglied der Deutschen Bank wegen des Wettbewerbsverbotes nicht gleichzeitig auch im Aufsichtsrat der Commerzbank sitzen. Dies ist bereits vor dem Hintergrund von gravierenden Interessenkonflikten nicht möglich.

Zusätzlich sollte in Betracht gezogen werden, welche Position das jeweilige Verwaltungsratsmitglied in dem Gremium hält. So sind prinzipiell der Vorsitzende des Gesamtaufsichtsrates sowie die Vorsitzenden der jeweiligen Ausschüsse in einer herausragenden Position. Deren Aufgaben sind gewichtiger als die eines gewöhnlichen Mitglieds des Aufsichtsrates, der nicht in einem Ausschuss Mitglied ist. Diese besondere Gewichtung der vorsitzenden Positionen und der Ausschussmitgliedschaften sollte entsprechend bei dem Zeitumfang, den ein Verwaltungsratsmitglied zur Wahrung seiner Aufgaben benötigt, berücksichtigt werden. Gleichzeitig erwägt die Kommission ein Verbot der Kumulierung von Mandaten in Verwaltungsrat und Generaldirektion. Hiermit zielt Brüssel allerdings am zweistufigen deutschen System vorbei, das ohnehin ein strikte Trennung von Vorstand (analog zur Generaldirektion) und Aufsichtsrat (Verwaltungsrat) vorsieht.

Zielführender könnte da schon die Frage nach der Sachkunde der Mitglieder von Aufsichtsgremien sein, die ein Grundproblem der effektiven Kontrolle aufgreift. So wird gefragt: "Sollen im Rahmen der Personalpolitik die Aufgaben und das Profil der Verwaltungsratsmitglieder und des Verwaltungsratsvorsitzenden genau definiert und ausreichende Befähigungen der Verwaltungsratsmitglieder sowie Vielfalt bei der Zusammensetzung des Verwaltungsrates gewährleistet werden? Falls ja, auf welche Weise?"

Anforderungsprofil klar formulieren

Hierzu lässt sich feststellen: Es ist grundsätzlich wünschenswert die Aufgaben und das Profil der Verwaltungsratsmitglieder und des Vorsitzenden genau zu definieren. Die Erarbeitung eines solchen Anforderungsprofils ist im Übrigen die wesentliche Aufgabe eines Nominierungsausschusses innerhalb des Aufsichtsratsgremiums. Speziell bei dem Verwaltungsrat von Finanzinstituten ist zudem eine ausreichende Befähigung der Verwaltungsratsmitglieder unabdinglich. Die Finanzkrise und damit einhergehend auch die Entwicklungen bei den Landesbanken in Deutschland hat gezeigt, dass hier offensichtlich ein Defizit besteht. Es ist daher unabdinglich, dass speziell für die Verwaltungsratsmitgliedschaft bei Finanzinstituten vorher genau definiert sein muss, welche Befähigungen ein Mitglied in den Verwaltungsrat mitbringen soll.

Dabei sollte dem Aspekt Vielfalt speziell bei der Neubesetzung des Verwaltungsrates auch entsprechend Berücksichtigung finden. Aus Sicht der Aktionäre ist auch wichtig, dass das Anforderungsprofil und der Befähigungsnachweis der Verwaltungsratsmitglieder unter Berücksichtigung des Aspektes Vielfalt auch entsprechend transparent gegenüber den Eigentümern der Gesellschaft kundgetan wird. Vor diesem Hintergrund plädiert die DSW für eine Dokumentationspflicht gegenüber den Investoren.

Eigentümer als Triebkräfte übertriebener Risikoneigung?

Einen näheren Blick auf die Rolle der Aktionäre wirft die EU-Kommission unter Punkt 5 ihres Grünbuchs. Kritisch gesehen wird dabei unter anderem, dass immer mehr Investoren immer kürzere Anlagezeiträume verfolgen, oftmals nur noch wenige Monate. Hiermit, so konstatiert Brüssel, werden die Eigentümer dann selbst zu Triebkräften einer übertriebenen Risikoneigung.

Diese These kann die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz nicht nachvollziehen. Nach aller Erfahrung sind Aktionäre unverändert langfristig orientierte Anleger, deren Ziel vor allem anderen immer noch die langfristige Vermögenssteigerung ist. Dennoch begrüßt die DSW, dass die EU-Kommission die Transparenz auch in diesem Bereich erhöhen möchte. Konkret fragt sie, ob "die Offenlegung von Abstimmungsstrategien und Abstimmverhalten institutioneller Investoren verbindlich vorgeschrieben werden soll?" Dies unterstützen die DSW. Die Offenlegung der Abstimmungsstrategie eines institutionellen Anlegers, also der sogenannten Voting Principals sollte ein Minimumstandard für alle institutionellen Anleger darstellen. Es ist daher dringend notwendig hier für alle EU-Mitgliedstaaten verbindliche Regelungen zu finden.

Darüber hinausgehend ist aber auch die Veröffentlichung des Abstimmungsverhaltens durch diese institutionellen Anleger von großer Bedeutung. Dieses geplante Abstimmungsverhalten sollte rechtzeitig zur Information aller anderen Anleger und der Gesellschaft vor der Hauptversammlung, zwei Wochen davor, offengelegt werden. Eine solche Information sollte leicht erreichbar und auf der öffentlich zugänglichen Website der jeweiligen institutionellen Anleger im Internet erfolgen. Über das geplante Abstimmungsverhalten des institutionellen Anlegers vor der Hauptversammlung hinaus, interessiert aber auch die tatsächlich erfolgte Abstimmung auf der Hauptversammlung, diese sollte ohne schuldhaftes Verzögern nach der Hauptversammlung ebenfalls publiziert werden. Die Abstimmungsstrategie sollte einmal jährlich vor der Hauptversammlungssaison erfolgen. Die Veröffentlichung des Abstimmungsverhaltens zwei Wochen vor der jeweiligen Hauptversammlung und die Bekanntgabe des tatsächlichen Abstimmungsverhaltens auf der Hauptversammlung sollte unmittelbar nach der Hauptversammlung erfolgen.

Verschärfung und Harmonisierung der Haftung

Aus Sicht der DSW wäre zudem eine Verschärfung und Harmonisierung der Haftung essenziell, um die Risikosensibilität der Aufsichtsgremien zu erhöhen, wie sie unter Punkt 6 des Grünbuchs angedeutet ist. Die nicht vorhandene Harmonisierung der strafrechtlichen Vorschriften auf europäischer Ebene hat sich als ein klares Defizit herausgestellt. Vor diesem Hintergrund ist es wünschenswert die zivilrechtliche und strafrechtliche Haftung der Verwaltungsmitglieder weiter zu verschärfen und vor allen Dingen zu vereinheitlichen. Die DSW plädiert damit ganz klar für die Einführung eines Gesetzes zur erhöhten Haftung der Verwaltungsratsmitglieder.

Unabdingbar ist auch die Einführung einer direkten Klagemöglichkeit eines geschädigten Aktionärs oder Eigentümers gegen die verantwortlichen Mitglieder in der Verwaltung der Gesellschaft. Eine solche Klagemöglichkeit sollte zudem in einem Sammelverfahren ermöglicht werden, so wie dies bei zahlreichen Verfahren in den Niederlanden bereits erfolgreich praktiziert wird (Beispiel: Royal Dutch Shell, Ahold).

Noch bis zum 1. September 2010 will die EU-Kommission ihre Ansätze, die sie mit dem Grünbuch verfolgt, in öffentlichen Konsultationen von Fachleuten quer über den Kontinent überprüfen und verbessern lassen. Im Laufe des kommenden Jahres sollen dann nach Aussage der Kommission erste konkrete Vorschläge auf dem Tisch liegen, die dann auch Rechtsetzungscharakter haben könnten.

Die nationalen Bemühungen um eine Stärkung und Verbesserung der Risikokontrolle und Aufsichtsmechanismen sind bereits deutlich weiter gediehen. So wurden mit dem VorstAG (Gesetz über die Angemessenheit der Vorstandsvergütung), dem BilMoG (Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz) und im Corporate Governance Kodex die Anforderungen an den Aufsichtsrat weiter konkretisiert und erhöht. Bilanz- und Vergütungsexperten gehören nun zur Mindestausstattung jedes Aufsichtsrates.

Unabhängigkeit im Fokus

Zudem wird die Unabhängigkeit stärker in den Fokus gerückt. Im Kodex wird die weitere Professionalisierung des Aufsichtsrates durch Fortbildungsmaßnahmen vorangetrieben. Diese Maßnahmen gelten für jedes börsennotierte Unternehmen. Erstmals haben aber auch die Allfinanzaufsicht BaFin und die Bundesbank mit ihrem gemeinsamen "Merkblatt zur Kontrolle von Mitgliedern von Verwaltungs- und Aufsichtsorganen gemäß KWG und VAG" vom 22. Februar 2010 die Sachkundenachweispflicht für Kontrolleure von Finanzinstituten konkretisiert und damit auch die Möglichkeit einer Abberufung bei mangelnder Sachkunde oder fehlender Zuverlässigkeit wie sie in § 36 Abs. 3 KWG (Kreditwesengesetz) definiert ist, in den Bereich des Möglichen gerückt.

Die Aufsichtsbehörden erhöhen damit vor allem die Anforderungen an die Gremien der Landesbanken. Während börsennotierte Privatbanken durch die allgemeine Rechtslage, insbesondere das Aktiengesetz und den Corporate Governance Kodex, ohnehin in der Pflicht eines funktionstüchtigen Aufsichtsrates stehen, stehen viele öffentliche Institute im Generalverdacht, dass ihre Gremien fachlich unterbesetzt sind.

Die DSW begrüßt daher diese Regulierung durch die Aufsichtsbehörden ausdrücklich. Allerdings hat sie einen gravierenden Nachteil: Anzeigepflichtig ist die Sachkunde nur bei Neubesetzungen und nicht bei Verlängerung von Mandaten. Damit erfolgt weder eine Anzeige noch deren Prüfung bei vor dem 1. August 2009 bestellten Mitgliedern von Verwaltungs- und Aufsichtsorganen. Ein großer Teil der Kraft dieser Regulierung verpufft dadurch.

Es wird einige Zeit vergehen, bis sich abschätzen lässt, ob die angedachten, in Planung befindlichen oder bereits umgesetzten Regulierungen wirken, und ob die Aufsichtsräte und -organe dadurch tatsächlich eine bessere Kontrolle der Risiken ausüben werden. Die Ansätze hierzu sind in jedem Fall da.

Maßnahmen wirken lassen

Allerdings muss man zugleich auch zum Maßhalten aufrufen. Denn obwohl viele Veränderungen erst langsam implementiert werden können und ihre Wirkung noch gar nicht erfasst ist, rollt bereits die nächste Welle von Neuerungen auf uns zu. Es darf aber nicht zu einer wahren Regulierungswut kommen. Dies würde dem Ziel effektiverer Kontrolle nicht näher bringen, sondern allenfalls dazu führen, dass die Bereitschaft, ein solches Mandat zu übernehmen angesichts des undurchdringlichen Geflechts an Bestimmungen gegen Null gehen würde.

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