Aufsätze

Für einen nachhaltigen Verbriefungsmarkt in Europa

Verbriefungen, speziell Asset Backed Securities (ABS) sind in Europa in den Fokus der öffentlichen Debatte gerückt. Es herrscht zunehmend Konsens darüber, dass ein Instrument, das einst als Teil des Problems angesehen wurde, tatsächlich zu dessen Lösung beitragen könnte.

Investition in die Realwirtschaft jenseits des Bankkanals

Für die Europäische Zentralbank (EZB) sind ABS in erster Linie ein Mittel zum Zweck. Dieser Zweck ist, dem vorrangigen Ziel der EZB gerecht zu werden: Preisstabilität zu sichern. ABS ermöglichen es Anlegern, jenseits des Bankkanals in die Realwirtschaft zu investieren. Zusätzliche Kreditschöpfung, die sich wiederum mittelbar in den Verbraucherpreisen niederschlagen kann, kann die geldpolitische Transmission unterstützen.

Die EZB vertritt dabei nicht die Position, dass ABS per se besonders gefördert werden sollten, es sei denn, dies ist aus theoretischer, empirischer und praktischer Sicht gerechtfertigt. Anders gesagt: Die Unterstützung des ABS-Markts ist kein Selbstzweck. Profitiert auch der ABS-Markt davon, dass wir unsere Ziele erfüllen wollen, ist uns das recht. Wir geben aber nicht von vornherein einem bestimmten Finanzinstrument den Vorzug vor einem anderen.

Gleichwohl ist es kein Geheimnis, dass sich die europäischen Verbriefungsmärkte insgesamt betrachtet nicht in allerbester Verfassung befinden. Die Emission an den Märkten ist schwach, der Handel gering, die Investorenbasis immer noch klein und verschiedene mitunter sehr konservative Regulierungskonzepte stehen zur Diskussion. Wie lassen sich die Verbriefungsmärkte vor diesem Hintergrund wiederbeleben?

Drei Punkte sind hier wichtig. Sie beziehen sich auf die aufsichtsrechtliche Regulierung von ABS, die Anforderungen an Transparenz und Standardisierung sowie die Behandlung durch Ratingagenturen.

Die Vorschläge sollten andernorts gemachte Empfehlungen ergänzen, darunter auch das gemeinsam von der EZB und der Bank of England herausgegebene Diskussionspapier. Aber auch das jüngste gemeinsame Arbeitspapier der Finanzministerien in Berlin und Paris geht in diese Richtung.

Regulatorische Behandlung

Mein erster Vorschlag zur Wiederbelebung der ABS-Märkte in der EU wäre die Suche nach einem ganzheitlicheren Ansatz bei der regulatorischen Behandlung von ABS. Es ist viel über verschiedene Einzelfragen im Zusammenhang mit ABS diskutiert worden, zum Beispiel übermäßige Eigenkapitalanforderungen für Verbriefungen, Verbesserungen von Transparenz und Risikoselbstbehalt, höhere Anforderungen im Zusammenhang mit der Bonitätsverbesserung sowie die aktuellen Vorschläge zu einer Liquiditätsregel, die ich für zu restriktiv halte. Als Reaktion hierauf haben die Regulierungsbehörden Maßnahmen zur Überarbeitung der Kapitalanforderungen für Verbriefungen, zur Einteilung von ABS in Liquiditätskategorien, zur Finalisierung der Anforderungen zur Kapitalunterlegung von Verbriefungen für Versicherer und zur Reform von Transparenzanforderungen und Offenlegungspflichten eingeleitet.

Durch diese Fokussierung auf Einzelfragen verlieren wir das große Ganze aus den Augen. Man kann sich nach wie vor nicht des Eindrucks erwehren, dass die regulatorische Agenda nicht in einer koordinierten Weise verfolgt wird.

Ein Beispiel hierfür ist die unterschiedliche Behandlung hochwertiger Verbriefungen in den verschiedenen aufsichtsrechtlichen Regelungen. In der Eigenkapitalregelung von Verbriefungen, deren Erarbeitung der Baseler Ausschuss für Bankenaufsicht vor Ablauf dieses Jahres abschließen will, wird die Vorzugsbehandlung hochwertiger Verbriefungen nicht berücksichtigt. In einigen Wochen muss die Europäische Kommission allerdings festlegen, welche ABS im Rahmen der Mindestliquiditätsquote als hochwertig und liquide gelten.

Transparenzanforderungen für die verschiedenen Anlagekategorien

Ein weiteres Beispiel betrifft die Transparenzanforderungen für die verschiedenen Anlagekategorien. Aktuell werden erhebliche Anstrengungen unternommen, um die Transparenzanforderungen und Offenlegungspflichten für ABS auf EU-Ebene weiter zu verbessern. Dabei wird an die erhöhte Transparenz angeknüpft, die sich durch die Meldepflichten ergeben haben, welche die EZB für ABS auf Einzelkreditebene eingeführt hat. Während viel Energie darauf verwendet wird, die Transparenz einer Anlageklasse zu erhöhen, bei der bereits beträchtliche Fortschritte zu verzeichnen sind, gibt es allerdings für gedeckte Schuldverschreibungen nach wie vor keine gemeinsamen Regelungen mit Blick auf Transparenz und auch keinen gemeinsamen aufsichtsrechtlichen Rahmen. Dennoch gelten für gedeckte Schuldverschreibungen gemäß der Eigenkapitalverordnung günstigere Risikogewichte, die übrigens von der Baseler Eigenkapitalvereinbarung abweichen.

Natürlich ist die Koordination eines solchen Ansatzes eine gewaltige Herausforderung. Auch werden Fristen durch den Gesetzgeber festgelegt, und eine zeitgleiche Koordination auf globaler, EU-weiter und nationaler Ebene ist schwierig - insbesondere wenn man die unterschiedlichen Mandate und Aufgabenbereiche der an der Regulierung beteiligten Parteien in Betracht zieht. Ich bin jedoch davon überzeugt, dass alle Akteure bereit sind und die Voraussetzungen vorliegen, um auf diesem Weg fortzuschreiten.

So wird nahezu die gesamte Palette der aktuell im Zusammenhang mit ABS auf EU-Ebene diskutierten Fragen von der Europäischen Kommission, der EZB, der Bank of England, den drei europäischen Aufsichtsbehörden und dem Europäischen Ausschuss für Systemrisiken abgedeckt. Diese Institutionen verfügen außerdem über umfangreiche rechtliche Befugnisse, die es ihnen erlauben, die regulatorische Debatte in eine ganzheitlichere und von der Abfolge her angemessenere Richtung zu lenken. Wäre es eine zu große Herausforderung, sich zumindest auf EU-Ebene regelmäßig abzustimmen und in internationalen Gremien mit einer gemeinsamen Stimme zu sprechen? Es gibt bereits erste Ansätze, allerdings könnte noch viel mehr getan werden.

Mein zweiter Vorschlag bezieht sich auf die Anforderungen an Transparenz und Standardisierung von ABS-Produkten. Ich unterstütze vorbehaltlos die Offenlegung von Informationen zu ABS, denn bei ABS ist stets das Potenzial eines hohen Komplexitätgrads gegeben, was zu einem deutlich größeren Spielraum für Intransparenz als bei anderen Finanzprodukten führen kann.

Wie bereits erwähnt, ist in Bezug auf die Transparenz von ABS schon viel unternommen worden beziehungsweise für die Zukunft geplant: Meldepflichten auf Einzelkreditebene, Vorschläge der ESMA zu einem einheitlichen Minimum an Informationen zu ABS, die in einem speziellen Portal veröffentlicht werden, sowie die von der Prospektrichtlinie vorgegebenen Reformen.

Man könnte die Meldepflichten jedoch noch weiter optimieren: So wäre eine Standardisierung der ABS-Anlegerberichte denkbar, um in Bezug auf Transaktionen und Zeiträume konsistente Informationen zu erhalten. Die Stichtage für die Meldung der Daten könnten zudem für Investorenberichte und Meldungen zu Daten auf Einzelkreditebene vereinheitlicht werden. Damit wäre es einfacher für die Marktteilnehmer, die Genauigkeit der von den Emittenten bereitgestellten Daten zu prüfen und für Marktdisziplin zu sorgen.

Ausarbeitung standardisierter Prospektmuster für ABS

Ein weiterer interessanter Ansatzpunkt ist die Ausarbeitung standardisierter Prospektmuster für ABS - einschließlich einheitlicher Schaubilder - die nicht spezialisierten Anlegern den Produktvergleich erleichtern würden. ABS gibt es natürlich in sehr unterschiedlicher Ausprägung, und ich würde deshalb nicht dazu raten, sie alle in eine einheitliche Form zwängen zu wollen. Es geht vielmehr darum, eine gemeinsame Grundlage zur Beschreibung von ABS-Transaktionen in Form eines Musters zur Verfügung zu stellen, von dem dann gegebenenfalls abgewichen werden kann.

Meine Sorge ist, dass Prospekte und allgemein Unterlagen zu Transaktionen Informationen für Rechts- wie auch Finanzexperten bieten müssen. Ein kreativer Ansatz bei der Darstellung der Informationen auf zugängliche Weise kann dazu beitragen, dass die rechtliche Exaktheit bei gleichzeitiger Vermeidung einer Informationsüberflutung gewahrt wird. Dabei würde an die Vorschläge der ESMA zu einem Transaktionsausweis angeknüpft, die sehr nützlich sind.

Mit Blick auf die Zukunft halte ich eine stärkere Standardisierung von ABS-Produkten für eines der wichtigsten Ziele, wenn wir eine vermehrte Marktaktivität anstoßen wollen. Es ist beispielsweise weithin anerkannt, dass sich ABS mit Krediten an kleine und mittlere Unternehmen im Underlying von Land zu Land in der EU deutlich unterscheiden, was teilweise auf die Art der in den einzelnen Ländern vorherrschenden Geschäfts- und Bankbeziehungen zurückzuführen ist. Jeder Schritt in Richtung einer größeren Transparenz und Konsistenz von ABS-Strukturen würde meiner Meinung nach das Vertrauen von Anlegern stärken, die noch vor einer Investition in diese Instrumente zurückschrecken.

Behandlung von ABS durch Ratingagenturen

Mein dritter Vorschlag bezieht sich auf die Behandlung europäischer ABS durch Ratingagenturen. Derzeit wird die Entwicklung vieler ABS in fiskalisch angeschlagenen Staaten durch das entsprechende Länderrating gebremst, die sogenannte "Sovereign Ceiling". Den Ratingagenturen zufolge ist dieser Ansatz durch Risiken gerechtfertigt, die sämtliche Emittenten und Vermögenswerte in einem bestimmten Land, vor allem aber den Staat selbst betreffen. Was die Berechnung betrifft, so berücksichtigen die Ratingagenturen bei der Festsetzung der Sovereign Ceiling einige quantitative und zahlreiche qualitative Faktoren. Ich halte es jedoch für fragwürdig, ob diese Obergrenze angemessen ist.

So sind beispielsweise keine Zahlungsausfälle bei griechischen RMBS- oder ABS-Transaktionen bekannt, und das trotz der 2012 erfolgten teilweisen Umschuldung Griechenlands. In Italien scheint ein Großteil der RMBS von der Sovereign Ceiling betroffen zu sein, obwohl gegenwärtig eine durchschnittliche Bonitätsverbesserung von 25 Prozent zu verzeichnen ist. Aktuellen Informationen zufolge befindet sich der von der EZB entwickelte Gesamtindikator für systemischen Stress im Euro-Währungsgebiet seit Januar 1999 in der Nähe des fünften Perzentils der Verteilung. Er ist damit sechs Mal niedriger als der Median im Zeitraum von 2010 bis 2012. Dies deutet darauf hin, dass viele der Systemrisiken, mit denen die Anwendung einer Sovereign Ceiling begründet wurde, offenbar nicht zutreffen.

Bessere Transparenz bei den Ratingagenturen

Angesichts dieser und anderer Beispiele scheint es wenig glaubhaft, dass das Wechselkursrisiko, das hinter vielen der Sovereign Ceilings steht, nach wie vor so strenge Obergrenzen rechtfertigt. Ferner habe ich immer noch meine Zweifel, ob bei der Berechnung der Sovereign Ceiling nicht doch Risiken doppelt erfasst werden, oder anders gesagt, ob das Länderrisiko nicht bereits durch die Bonitätsbeurteilung in Bezug auf das einer ABS-Transaktion zugrunde liegende Portfolio und die am Geschäft beteiligten Dritten berücksichtigt worden ist.

Ich bin mir dabei natürlich im Klaren darüber, dass es den Ratingagenturen überlassen bleibt, welche Methoden sie zur Risikobeurteilung für geeignet halten, und dass sich diese Methoden nicht von einem Tag auf den anderen ändern werden. Es wäre allerdings sicherlich hilfreich, wenn - wie in unserem jüngst zusammen mit der Bank of England veröffentlichten Diskussionspapier dargelegt - die Transparenz hinsichtlich der von den Ratingagenturen verwendeten Verfahren erhöht und vor allem die Bonitätseinstufungen ohne Sovereign Ceiling den Anlegern gegenüber offengelegt würden.

Diesem Vorschlag liegt die Überzeugung zugrunde, dass die Anleger selbst entscheiden sollten, ob sie das Länderrisiko als Obergrenze für die Beurteilung des Kreditrisikos einer Transaktion verwenden wollen. Die Ratingagenturen sollten ihre Bonitätseinstufungen auch ohne Anwendung einer Obergrenze veröffentlichen - unabhängig davon, ob es sich um ein Land, einen Geschäftspartner eines Swaps, einen Anbieter eines Kontos oder einen anderen Akteur handelt. Der Klarheit halber sollten diese Ratings dann erst in einem zweiten Schritt um eine Obergrenze ergänzt werden. Angesichts der Auswirkungen der Sovereign Ceilings am Markt für strukturierte Finanzprodukte ist es geboten, dass die Ratingagenturen die Transparenz bezüglich der genauen Methoden zur Festlegung und Anwendung dieser Messgrößen erhöhen.

Gründliche Datenanalyse durch die Marktteilnehmer

Dies führt zur wichtigen Rolle, die bei der Wiederbelebung des europäischen ABS-Markts den Marktteilnehmern selbst zukommt. Aufsichtsbehörden können noch so sehr die Transparenz erhöhen und Ratingagenturen detailliertere Informationen veröffentlichen - im Endeffekt kommt es darauf an, dass die Marktteilnehmer die Daten analysieren und auf dieser Grundlage am Markt aktiv werden.

Ich empfehle den Marktteilnehmern beispielsweise, sich die Initiative der EZB im Zusammenhang mit Informationspflichten auf Einzelkreditebene genau anzuschauen. Hier finden sich deutlich höherwertige Informationen, die den Marktteilnehmern eine fundierte Beurteilung der mit ABS verbundenen Kreditrisiken erlauben. Dabei können entweder die einzelnen zugrunde liegenden Kredite oder die zusammengefassten Daten aus den jeweiligen Registern als Basis herangezogen werden.

Eine solch gründliche Prüfung erfordert aber auch Ressourcen. Der ABS-Markt profitiert insgesamt umso mehr, je stärker sich die Marktteilnehmer engagieren. Denn wenn sich die Marktteilnehmer besser informieren, bedeutet dies, dass die Disziplin der Datenlieferanten gestärkt wird, dass weniger automatisch auf die Einschätzung Dritter zurückgegriffen wird und dass sich ein Bewusstsein für die Lücken in den Transparenzanforderungen an verschiedene Finanzprodukte entwickelt.

Ganzheitliche und koordinierte Herangehensweise

Vieles ist bereits in Arbeit, um das Umfeld für die Emission von ABS zu verbessern. Eine ganzheitliche und koordinierte Herangehensweise der politischen Entscheidungsträger in der EU sowie eine stärkere Standardisierung und transparentere Methoden bei den Ratingagenturen können dabei helfen, die von allen erhoffte Wiederbelebung des ABS-Markts anzustoßen.

Yves Mersch , Mitglied des Direktoriums, Europäische Zentralbank, Frankfurt am Main
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