Interview

"Fusionen bringen das Thema Kernbankensysteme immer wieder auf die Tagesordnung"

Was muss ein modernes Kernbankensystem heute leisten?
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Moderne Kernbankensysteme sollen so konzipiert sein, dass eine
Vielzahl unterschiedlicher Anwender effizient damit arbeiten kann.
Darüber hinaus muss das System über eine Parametrisierung die
Möglichkeit bieten, institutsspezifische Anforderungen entsprechend zu
berücksichtigen und abzubilden. Will beispielsweise ein Institut eine
neue Produktidee umsetzen, sollte dies sehr schnell und ohne weitere
aufwendige Softwareprogrammierung möglich sein. Idealerweise kann die
jeweilige Fachabteilung die Umstellung selbst online vornehmen.
Time-to-Market spielt für Banken heute eine wichtige Rolle und ist
Teil ihrer Wettbewerbsstrategie geworden.
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Ist das nur die Umschreibung des Idealfalls oder gibt es das auch in
der gelebten Praxis?
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Sicher gibt es das. Kordoba arbeitet seit über 25 Jahren mit einem
breiten Spektrum von Instituten zusammen, die unsere
Gesamtbankensoftware einsetzen. Da sind auf der einen Seite
Direktbanken mit besonders hohen Anforderungen an die Software
insbesondere in Richtung Verfügbarkeit, Performance,
Massenverarbeitung und hohe Transaktionszahlen. Auf der anderen Seite
haben wir Privatbanken als Kunden, bei denen die genannten Faktoren
eine untergeordnete Rolle spielen, die aber hinsichtlich Flexibilität
besondere Anforderungen an ein solches System stellen. Gefragt ist
dort beispielsweise die Abbildbarkeit moderner Finanzinnovationen oder
ganz hausspezifischer Produkte.
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Wenn man das in zeitlichen Abläufen betrachtet, stellt sich gleichwohl
die Frage, ob sich am Markt wirklich signifikante Verbesserungen
ergeben haben. Hat es in der Branche nicht allzu vollmundige
Ankündigungen gegeben, die nur bedingt umgesetzt werden konnten - etwa
die gemeinsamen Ideen von SAP und der früheren HVB?
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Die Produktlebenszyklen waren bei IT-Infrastrukturen im Bankenbereich
relativ lang. Betrachtet man die sehr positive Entwicklung einiger
Institute, so kann man durchaus davon ausgehen, dass Skalierbarkeit,
Flexibilität und Performance bei Standardsoftware in Verbindung mit
den jeweils geeigneten Betreibermodellen eine ganz wesentliche Rolle
spielen. Allerdings stehen bei vielen Instituten noch größere
Veränderungen ins Haus.
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Die Ursachen sind leicht zu erklären. Unter den großen Instituten gibt
es immer noch viele, die den Hauptanteil ihrer Software nach wie vor
durch Eigenanwendungen abdecken. Ein berühmter Informatiker hat eine
Situation, wie sie heute in der sehr komplexen Anwendungslandschaft
einer ganzen Reihe von Finanzinstituten anzutreffen ist, einmal als
Rokoko-Phänomen beschrieben. An den Altsystemen, die noch im eigenen
Hause entwickelt worden sind, ist mit der Zeit auch noch der letzte
Schnörkel angebaut worden. Und irgendwann greift dann das
Rokoko-Phänomen: Wenn eine noch so kleine Veränderung angebracht wird,
dann stürzt das ganze Werk zusammen. Das ist genau der Punkt, den die
Software bei vielen Banken erreicht hat.
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Zusätzlich zur technischen Problematik wird der Druck auf der
Kostenseite im nationalen wie im internationalen Umfeld noch weiter
wachsen und die Strategien der Banken werden flexibler auf die
Marktgegebenheiten eingehen müssen. Die aktuellen Marktsignale deuten
eindeutig darauf hin, dass die Institute verstärkt nach neuen Lösungen
Ausschau halten.
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Die Entwicklungen und Neuerungen in Sachen Risikomanagement und
Meldewesen waren vor zehn Jahren in dieser Schärfe ja auch noch nicht
absehbar. Sind das auch Gründe, die die Entwicklung einer
Kernbankensoftware gebremst haben?
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Auf diesem Feld hat sich in den letzten zehn Jahren in der Tat sehr
viel verändert. Kordoba, um im eigenen Hause zu bleiben, konnte bis
vor zehn Jahren noch mit einem relativ kleinen Modul diese
regulatorischen Dinge abdecken. Heute können wir als Anbieter von
Standardsoftware gar nicht umhin, uns auch dieser Thematik zu stellen.
Während viele Wettbewerber die einzelnen Anforderungen der MaK,
Sarbanes Oxley und der bilanziellen Rechnungslegung (sei es HGB, IAS
oder Basel II) mit teilweise mächtigen Einzellösungen abdecken und
damit die Komplexität der Infrastruktur signifikant erhöhen, haben wir
einen völlig anderen Ansatz gewählt. Als Hersteller liefern wir das
kompakte Grundgerüst, sprich die erforderliche Plattform, damit die
Kreditinstitute ihren Anforderungen an die Gesamtbankensteuerung
gerecht werden können.
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Was heißt das konkret auf Ihr Produkt bezogen?
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Es bietet die Basis, mit der alle für die regulatorische und die
Gesamtbankensteuerung relevanten Daten bereitgestellt werden, sofern
sie aus Kordoba kommen. Aber wir haben die Schnittstellen bewusst
offen gestaltet, das heißt, ein Anwender, der nicht ausschließlich das
gesamte Portfolio aus unserem Haus nutzt, sondern auch andere Systeme
im Einsatz hat, kann über diese Schnittstellen die Daten einbringen.
Dazu kann er, was mindestens genauso wichtig ist, verfolgen, an welche
Schnittstellen Daten geliefert werden. Das Meldewesen zum Beispiel
kann in unserem Fall über ein Partnerprodukt von Logica-CMG mit
entsprechenden Komponenten beliefert werden. Und in der
Rechnungslegung können die Banken entsprechend nach den geforderten
Grundsätzen HGB und IFRS bedient werden. Kurzum, auf der Basis dieser
Plattform kann die erforderliche Information aus den
Back-Office-Systemen extrahiert, und andererseits können die
entsprechenden Zielsysteme wie zum Beispiel für Basel II bedient
werden.
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Stichwort Rechnungslegung: Docken Sie hier einen anderen Anbieter an?
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Diese Frage ist mit dem berühmten Jein zu beantworten. Wir haben für
eine Reihe von Banken eine eigene HGB- und IAS-Lösung im Einsatz.
Natürlich haben wir auch über entsprechende Schnittstellen die
Möglichkeit, andere Anwendungen im Rechnungswesen zu bedienen.
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Ist die technische Infrastruktur von Kernbankensystemen für die
Kreditwirtschaft heute noch ein wichtiges Differenzierungsmerkmal im
Wettbewerb?
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Auf jeden Fall, der Anteil der IT-Infrastruktur an den gesamten
Sachkosten einer Bank ist wesentlich höher als in anderen Branchen. An
die IT werden ganz andere Anforderungen als beispielsweise in der
Großindustrie gestellt. Wenn in einem solchen Unternehmen das
Rechnungswesen eine Stunde nicht läuft, wird das nachgebucht und alles
ist ok. Bei einer Bank aber sind solche Ausfallzeiten unvertretbar.
Stellen Sie sich nur vor, welche Folgen ein derartiger Ausfall für
einen Directbroker hätte. In der Folge muss die IT-Infrastruktur der
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Institute auch ganz anders ausgelegt sein, was sich natürlich auch auf
der Kostenseite niederschlägt. Während der Anteil der IT-Kosten an den
gesamten Verwaltungskosten in der Industrie lediglich drei bis acht
Prozent beträgt, sind es im Bankenbereich zwischen 15 und 25 Prozent.
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Inwieweit ist der Begriff Kern- oder Gesamtbankensystem auf die
nationale Dimension beschränkt? Gibt es global aufgestellte Banken,
die wirklich auch weltweit mit einheitlichen Systemen arbeiten?
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Das Thema Kernbankensystem ist auf internationaler Ebene ebenso
interessant wie auf nationaler. Unsere Muttergesellschaft, Fidelity
National Information Services (FIS), beispielsweise hat in
Abhängigkeit von regionalen und institutsspezifischen Parametern
weltweit Kernbankensysteme bei ungefähr 125 Banken im Einsatz.
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Aber die sind doch bestimmt nicht unterschiedlich, sondern es dürfte
doch gerade Bestrebungen geben, die Systeme anzugleichen, oder?
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In der Vergangenheit haben einige internationale Anbieter versucht,
mit Kernbankensystemen in Deutschland Fuß zu fassen. Nach sehr langer
und genauer Analyse des hiesigen Marktes ist FIS zu dem Ergebnis
gekommen, dass in Deutschland aufgrund der spezifischen Bedingungen
des eigentlichen Bankgeschäftes wie auch der regulatorischen
Anforderungen die Unterschiede zu groß sind, um hier einfach ein
angelsächsisch oder amerikanisch geprägtes Kernbankensystem
einzuführen.
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Dies war für Fidelity einer der Gründe, sich an Kordoba zu beteiligen.
Schließlich hatte Fidelity bereits vier unterschiedliche
Kernbankensysteme für verschiedene Länder erfolgreich positioniert,
und für FIS ist Kordoba das Kernbankensystem für den deutschsprachigen
Markt.
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Was bedeutet der Begriff Kernbankensystem für ein kleines und für ein
großes Haus? Gibt es da Parallelen oder sind die Unterschiede zu groß,
um ein System anzuwenden?
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Prinzipiell kann die gleiche Standardsoftware in Instituten
verschiedener Größenordnungen eingesetzt werden, das können wir an den
Kunden unseres Hauses sehr gut belegen. Wir setzen unser Produkt
sowohl bei der ING-Diba, also einer Bank mit über fünf Millionen
Kunden, als auch bei Instituten ein, deren Kundenzahlen sich im
niedrigen sechsstelligen Bereich bewegen.
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Und wie breit ist der Anwendungsbereich in den einzelnen Häusern?
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Große, breit aufgestellte Institute wie die Deutsche Bank oder eine
Citibank können ihre Anforderungen - nicht zuletzt auch im
Investmentbanking - doch bestimmt nicht mit einem System abdecken?
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Wenn man über ein Kernbankensystem spricht, muss man in der Tat klar
unterscheiden, welche Geschäfte damit überhaupt abgedeckt werden
sollen. Bei einer klassischen Universalbank in Deutschland betrifft
das sowohl die Aktiv- als auch die Passivseite. Konkret müssen von
einem Kernbankensystem neben einer Kundendatenverwaltung meist das
Giro-, das Spar- und das Kreditgeschäft für große wie für kleine
Häuser voll abgedeckt werden. Für das Investment Banking werden
separate Systeme eingesetzt.
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Eine aktuelle Studie zu Kernbankensystemen in Deutschland und Europa
hat gerade einen sehr schlechten Zustand und damit großen
Erneuerungsbedarf festgestellt. Deckt sich das mit Ihren Erfahrungen?
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Das können wir bestätigen. Wir gehen davon aus, dass Kordoba mit
seinem modernen, plattformunabhängigen Produktportfolio und den
interessanten Betreibermodellen gut positioniert ist.
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Wie viele potenzielle Kunden für Ihre Produkte und Dienstleistungen
gibt es in Deutschland? Wie viele haben Sie? Kann man die Verbünde
überhaupt dazuzählen?
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Die Verbünde sind für uns natürlich eine sehr interessante Zielgruppe.
Die Chancen sind begrenzt, aber für uns durchaus eine Herausforderung.
Trotzdem sind wir in diesem Bereich bereits erfolgreich unterwegs.
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Deutschland gilt als overbanked. Man muss kein Prophet sein, um
weitere Fusionen und das Engagement ausländischer
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Banken vorherzusagen. Solche Konstellationen bringen das Thema
Kernbankensysteme immer wieder auf die Tagesordnung. Der
Strukturwandel einer Branche hilft jedem Anbieter, der mit seinem
Produkt und Dienstleistungsangebot auf der Höhe der Zeit ist. Mit
unserem Produkt- und Serviceportfolio haben wir die Möglichkeit,
Fusionen in vollem Umfang abzubilden. Hier sehe ich großes Potenzial.
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Welchen Einfluss haben Regulierungen beziehungsweise Harmonisierungen
von EU-Seite auf Ihre Wettbewerbsposition? Hilft Ihnen das?
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Klar helfen Harmonisierungen einer Standardsoftware, weil sie immer
die Möglichkeit vergrößern, bestimmte Produkte und Dienstleistungen
einheitlich für einen größeren Zielmarkt darstellen zu können.
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Wo lassen Sie Software programmieren, nur noch in Indien?
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Für einige sehr klar abgrenzbare Softwarepakete, die relativ
unabhängig von dem Gesamtsystem entwickelt werden können, haben wir
mit Offshore-Partnern zusammengearbeitet und gute Erfahrungen damit
gemacht. Der Großteil unserer Softwareentwicklung erfolgt jedoch in
Deutschland und das wird auch weiterhin so sein.

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