Aufsätze

Geldpolitik - positive Ansteckung?

Die Aktienkurse brechen auf Jahresfrist betrachtet einen Höhenrekord nach dem anderen, die Renditen für Anleihen der europäischen Risikoländer Spanien oder Italien sind auf Vor-Krisentiefstände gefallen, Anleger reißen sich um riskante High Yield Bonds aus dem Unternehmensbereich und LBO Transaktionen mit hohem Leverage werden vom Markt bereits wieder in doppelstelliger Milliardengröße absorbiert. Der Credit Research von Barclays hat denn auch bereits das Ende der "Post-Crisis"-Ära eingeläutet. Und EZB-Präsident Draghi spricht von ermutigenden Anzeichen einer Ansteckung mit positivem Vorzeichen.

Die Situation im realwirtschaftlichen Bereich sieht noch nicht ganz so rekordverdächtig aus, und auch die großen Strukturprobleme der zukünftigen EU-Governance sind ungelöst. Also stellt sich die Frage, ob die positiven Ansteckungswirkungen aus dem Finanzbereich wenigstens mit der Zeit, auch noch die verbleibenden dunklen Wolken vertreiben könnten. Nachdem in der Krise wieder deutlich wurde, welch geringen Prognosewert ökonomische Theorien haben können, sollte man vielleicht auch eine überraschend positive Wende nicht ganz ausschließen. Aber man wird wohl davon ausgehen können, dass selbst falls eine solche eintreten sollte, diese nichts oder nur entfernt mit den unorthodoxen geldpolitischen Maßnahmen zu tun haben würde, welche die Ursache der neuerlichen Euphorie auf den Finanzmärkten sind. Zugegeben: dies sehen die Verfechter einer unorthodoxen Geldpolitik sicher anders.

Bei Mario Draghi immerhin wird man vermuten können, dass ihn inzwischen bereits Zweifel beschlichen haben dürften, ob der Zeitaufschub, den er den Politikern zur Lösung der EU-Governance-Themen geschenkt hat, auch genutzt anstatt dazu missbraucht wird, den sich ständig weiter auftürmenden Berg ungelöster Strukturfragen weiter vor sich herzuschieben. Gerade die herrlich bequeme neue Geldpolitik der EZB hat jene von jedem Entscheidungsdruck erlöst. Und das gilt nicht nur für die großen EU-Strukturfragen, sondern auch für den Abbau zu hoher Staatsverschuldung und den Teufelskreis der schwer traktierbaren Kumpanei zwischen hoch verschuldeten Staaten und unterkapitalisierten Banken. Wie sich die EZB aus dieser selbstgewählten Ecke erpresserischer politischer Abhängigkeit wieder herausmanövrieren könnte, ist zurzeit nicht absehbar.

Argumente einer neuen unorthodoxen Geldpolitik

Es lohnt sich jedenfalls ein näherer Blick auf die theoretischen Argumente der neuen unorthodoxen Geldpolitik. Eine ebenso prägnante wie unverblümte Zusammenfassung ihres Konzepts findet sich in dem Paper von Paul McCulley/Zoltan Pozsar: "Helicopter Money: How I Stopped Worrying and Love Fiscal-Monetary Cooperation," der am 7. Januar 2013 von der Global Society of Fellows veröffentlicht wurde.* Darin wird argumentiert, dass die herkömmliche Fixierung der Zentralbankpolitik auf das alleinige Ziel einer Erhaltung und Verteidigung der Geldwertstabilität unter deflationären wirtschaftlichen Rahmenbedingungen nicht nur unnötig, sondern grundverkehrt sei und in Depression münden müsse, wenn sie mit einer kontraktiven Fiskalpolitik koinzidiere. Es geht um die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, unter denen die Fixierung auf Geldwertstabilität entschlossen über den Haufen geworfen und unbedingte fiskalpolitische Koopera tion mit dem Ziel einer weiteren Expansion bis zu bestimmten Zielraten höherer Inflation oder Beschäftigung angestrebt werden müsse. Sie seien dann gegeben, wenn sich die Risiko- und damit Investitionsbereitschaft der Unternehmen im Anschluss an das Platzen einer Vermögenspreisblase (meist im Immobilienmarkt) in eine Risikoaversion irrationalen Ausmaßes verwandelt (sogenannter Minsky Moment "MM") und eine extreme Deleveraging-Phase im Privatsektor ausgelöst habe.

Dies sei in der Weltwirtschaftskrise 1929 bis 1933 der Fall gewesen und auch bei der durch den Kollaps des US-Subprime-Mortgage-Sektors ausgelösten neueren Finanzkrise. Zinssenkungen hätten in solchen Phasen keinen Einfluss auf die Investitionsneigung und gelangten nur zu schnell an ihre praktische Wirkungsgrenze (sogenannter Zero Bound "ZB"). Auch bloße monetäre Expansion helfe in solchen Phasen nicht, die irrationale Deleveraging-Mentalität des Unternehmenssektors zu brechen. Wegen eines bereits hochverschuldeten Staatssektors scheitere allerdings eine zusätzlich expansive Fiskalpolitik meist an politischen Widerständen. Daher bleibe als Ultima Ratio dann nur noch die bewusst sogenannte "nukleare" Option einer Umgehung dieses politischen Widerstandes (also des parlamentarischen Haushaltsbewilligungsprivilegs) durch unbegrenzte Staats anleihekäufe seitens der Zentralbank. Da diese Aufkäufe innerhalb des öffentlichen Sektors erfolgten, der höheren Staatsverschuldung also entsprechende Forderungen der Zentralbank gegenüberstünden, blieben die Nettoverbindlichkeiten des öffentlichen Sektors unverändert, aber der Staat hätte nun die Möglichkeit, durch erhöhte Ausgaben den in der Rezession entstandenen Output Gap zu schließen und damit eine Depression abzuwenden.

Dieses Konzept wird von McCulley/Pozsar durch ein Schaubild illustriert, dessen vier Quadranten die vier denkbaren Kombinationen restriktiver beziehungsweise expansiver Geldpolitik (x-Achse) mit einer defizitären beziehungsweise überschießenden Fiskalpolitik (y-Achse) darstellen. Der Umschlag defizitärer in eine auf die Erzielung von Überschüssen angelegten Fiskalpolitik erfolgt bei ausgeglichener Haushaltslage (Balanced Budget "BB"). Der Umschlag von restriktiver zu lockernder Zinspolitik erfolgt im Minsky Moment "MM", der Übergang von Zinspolitik zum Monetary Easing am Zero Bound "ZB". Die von McCulley/ Pozsar gemeinte Notsituation und die in einer solchen von ihnen für angemessene gehaltene Reaktion einer schrankenlosen fiskal-monetären Kooperation (FMC) wird durch die äußere Ecke des oberen rechten Quadranten aufgezeigt, die mit dem von Milton Friedman geprägten Begriff "Helicopter Money" gekennzeichnet ist.

Mehr als eine Anregung zur Diskussion?

McCulley/Poznar beanspruchen, mit ihrem Paper die geldpolitische Strategie der US Fed auf den Punkt gebracht zu haben. Fed-Chairman Bernanke hat sich von ihrer Interpretation noch nicht distanziert. In Japan deutet vieles darauf hin, dass sich auch die Bank of Japan der vom neuen Ministerpräsident Shinzo Abe verordneten "nuklearen" Geldpolitik unterzuordnen bereit ist. Für die EZB gilt einstweilen noch die Konditionalität von Staatsanleihekäufen nur bei Befolgung von Haushaltskonsolidierungsauflagen, welche bei einer Wiederkehr von Krisensymptomen in den Peripherieländern jedoch politisch erneut getestet werden dürfte.

Ob die von eingefleischten Keynesianern für selbstverständlich gehaltenen Wachstumswirkungen erhöhter Staatsausgaben tatsächlich eintreffen, selbst wenn die Mittel überwiegend durch Protektionismus, Subventionen, Klüngelwirtschaft und Korruption verschluckt werden sollten, wird von ihnen ungern diskutiert. Vielfach, auch in der EU, sind es überwiegend strukturelle Markthemmnisse, die Wachstum verhindern und deren Beseitigung nicht höhere Staatsaufgaben, sondern den politischen Willen zur Überwindung dieser Hindernisse erfordern. Was die "nuclearoption" aber mühelos und auf der Stelle erzielt, ist eine Teilentschuldung des Staates über Inflation zulasten von Beziehern bloßer Geldeinkommen, und, noch auffälliger, eine dramatische Ad-hoc-Umverteilung zugunsten der sozial bereits privilegierten Gruppe von Inhabern von Realvermögen und inflationsreagiblen Finanztiteln wie Aktien. Angesichts dessen kann man sich nur wundern, dass naiver Keynesianismus gerade von der Linken noch immer verteidigt wird.

Negativwirkungen stehen auch für die Inhaber von festverzinslichen Staatsanleihen im Vordergrund, was bei offenen Volkswirtschaften mit hoher Auslandsverschuldung Zusatzrisiken nach sich ziehen dürfte, wenn man zum Beispiel an die hohen chinesischen Bestände an US Treasuries denkt. Alle Spielarten von Kapitalverkehrskontrollen könnten folgen. Für die Währungsmärkte gilt dasselbe. Was man sich an verbesserten Exportmöglichkeiten von einem schwächeren Außenwert der eigenen Währung versprechen könnte, wird

durch verteuerte Importe gesamtwirtschaftlich konterkariert. Eine sich ausbreitende Mode in nuklearer Geldpolitik könnte daher schnell in einen Abwertungswettbewerb ausarten mit den aus der Weltwirtschaftskrise bekannten Folgen für ein dramatisches Schrumpfen des globalen Warenverkehrs.

Verschobene Konsolidierung

Dass reales Wachstum in der global interdependenten Weltwirtschaft nachhaltig nur durch internationale Wettbewerbs fähigkeit und Produktivitätsfortschritte erzielt werden kann, belegt - bislang - das deutsche Beispiel. Dem "Helicopter Money"-Konzept liegt das unrealistische Modell einer autarken geschlossenen Volkswirtschaft zugrunde, von deren unverantwortlicher Abenteuerlichkeit sich der private Unternehmenssektor kaum verführen lassen dürfte. Das langfristige Versprechen einer vorbehaltlos fusionierten Geld-/Fiskalpolitik, zumal in einer Phase, in welcher sich die Unternehmen gerade erst wieder im Modus allmählich steigender Risikobereitschaft befinden, verstellt nur den Blick auf die von der Politik seit Jahren versäumte, immer wieder verschobene, verdrängte, aber täglich dringender und für den Steuerzahler kostspieliger werdende Lösung unbequemer Konsolidierungsaufgaben.

Fußnote

* Download unter: http://www.interdependence.org/wp-content/uploads/2013/01/Helicopter_Money_ Final1.pdf

Michael Altenburg , Luzern, Schweiz
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