Kreditwesen aktuell

Mathias Müller / Infrastruktur - die Uhr tickt

Die deutsche Wirtschaft brummt. Trotz der Finanz- und der Eurokrise, trotz des Fachkräftemangels, und obwohl das Wirtschaftswachstum zuletzt etwas schwächer ausfiel als noch vor einigen Jahren. Man könnte sagen: Es gibt wenig Gründe für Sorgen um den Wirtschaftsstandort.

Relativ wenig Aufmerksamkeit

Dabei könnte man fast vergessen, dass wir auch hierzulande vor großen Herausforderungen stehen. Wir leben nicht auf einer Insel der Glückseligen: Deutschlands Verschuldung lag im vergangenen Jahr bei 81,9 Prozent des Bruttoinlandprodukts. Insbesondere die Kommunen kämpfen mit hohen Defiziten. Häufig wird auf die Schuldenbremse verwiesen, die ab dem Jahr 2020 dafür sorgen soll, dass Bund und Länder ausgeglichene Haushalte vorweisen. Sie wird's schon richten. Im letzten Jahr beschloss jedoch Hessen als erstes Bundesland, hoffnungslos überschuldete Kommunen unter einen "Schutzschirm" zu nehmen. Das zeigt: Mit der Schuldenbremse - deren Berechtigung ich keineswegs anzweifele - kommen weitere Probleme auf die Verwaltung und erst recht auf die Gestaltung Deutschlands zu.

Ich möchte mich auf einen Themenbereich konzentrieren, der in der öffentlichen Debatte noch relativ wenig Aufmerksamkeit erfährt: Die Infrastruktur und ihre Finanzierung. Im Vergleich zum Megatrend demografischer Wandel und seinen Auswirkungen insbesondere auf die sozialen Sicherungssysteme mag das Thema "Infrastrukturfinanzierung" geradezu harmlos wirken. Ich behaupte jedoch: Erstens sind die Finanzierung und der Erhalt der Infrastruktur von zentraler Bedeutung für unsere Wirtschaft und unser aller Wohlstand. Und zweitens gibt es bei der Infrastrukturfinanzierung bereits zahlreiche Lösungsvorschläge, die ideologiefrei diskutiert und aufgegriffen werden können und sogar müssen.

Diskussionswürdige Vorschläge

Im Dezember 2012 bezifferte die Kommission "Zukunft der Verkehrsfinanzierung" unter Leitung des ehemaligen Verkehrsministers von Sachsen-Anhalt Karl-Heinz Daehre das bundesweite Finanzierungsdefizit der Verkehrsträger Straße, Schiene und Wasser mit mindestens 7,2 Milliarden Euro pro Jahr. Die zur Verfügung stehenden Mittel können fast nur noch für Reparatur und Erhalt der Infrastruktur, nicht aber für deren Ausbau verwendet werden. Die Folge: Große Einfallstraßen können monatelang nur einspurig befahren werden. Brücken werden für Lkw gesperrt, weil deren Stabilität nicht mehr gewährleistet werden kann. ICEs müssen auf Hochgeschwindigkeitsstrecken ihr Tempo auf 60 Stundenkilometer drosseln. Eine leistungsfähige In frastruktur ist aber Bedingung für die internationale Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland. Wenn die Verkehrsströme ins Stottern kommen, befindet sich unser Standort in Gefahr. An diesem Punkt stehen wir aktuell.

Angesichts der Schuldenbremse hat die Steuerfinanzierung von Infrastrukturvorhaben als alleinige Finanzierungsform ausgedient. Wir müssen dringend neue Wege in der Infrastrukturfinanzierung beschreiten! Im Gespräch sind verschiedene Modelle, die in unterschiedlicher Form die Beteiligung privater Geldgeber vorsehen. Die Finanzierung von Infrastruktur durch ihre Nutzer, die Einrichtung von Fonds sowie das Konzept einer Öffentlich-Privaten Partnerschaft (ÖPP) möchte ich an dieser Stelle kurz beleuchten.

Dringend neue Wege suchen

Das vermeintlich einfachste Instrument, die Finanzierungsbasis für die Infrastruktur zu verbessern, ist die Nutzerfinanzierung in Form von Maut oder Gebühren. Dieser Ansatz sollte allerdings mit Bedacht gewählt werden - nicht nur, weil man sich bei diesem Thema schnell an die Pannenserie der Lkw-Maut auf deutschen Autobahnen vor einigen Jahren erinnert. Der Vorteil an dieser Finanzierungsform liegt in der Belastung aller Nutzer, ohne dass eine Umverteilung stattfindet.

Die Nutzerfinanzierung ist aber keineswegs ein Allheilmittel: Das Prinzip funktioniert erstens nur, wenn die Mittel nicht zweckentfremdet werden, wie das hierzulande etwa bei der Mineralölsteuer der Fall ist. Zweitens ist der Investitionsbedarf in Deutschland derart hoch, dass eine Nutzerfinanzierung bei Weitem nicht ausreicht, um alle Finanzierungslücken zu schließen. Zu hohe Gebühren belasten die Wirtschaft und schaden dem Standort.

Eine besondere Form der Beteiligung privater Geldgeber und eine Alternative zur reinen Nutzerfinanzierung ist die aktuelle Diskussion einer Finanzierung durch dafür eingerichtete Fonds. In der Regel werden diese aus Teilen des Steueraufkommens sowie aus dem Gebühreneinkommen für die Nutzung der bereitgestellten Infrastruktur gespeist. In der Schweiz beispielsweise wurde ein Infrastrukturfonds eigens für Aufgaben im Bereich der Nationalstraßen, für Hauptstraßen in Randregionen und den Agglomerationsverkehr eingerichtet. Der Fonds wird aus Mineralölsteuer und -zuschlag, der Nationalstraßenabgabe und anderen Einnahmen gespeist. Das Schweizer Beispiel zeigt, wie Gelder haushaltsnah verwendet werden können, ohne dass eine Zweckentfremdung der Mittel für infrastrukturferne Projekte droht. Der Fonds ist rechtlich unselbstständig und über seine Finanzierung wird regelmäßig per Referendum abgestimmt.

Blick in die Nachbarländer

Auch das Nachbarland Österreich ist uns bei der Infrastrukturfinanzierung um Längen voraus. Die zu 100 Prozent staatseigene Aktiengesellschaft Asfinag ist für den Bau, die Finanzierung und Betreibung des Autobahn- und Schnellbahnnetzes zuständig. Sie finanziert sich nicht nur aus staatlichen Mitteln, sondern auch durch Erlöse aus der Maut und anderen Gebühren. Zudem kann sie sich aus Mitteln finanzieren, die sie über den Kapitalmarkt aufnimmt. Diese Konstruktion hat unter anderem den Vorteil, dass die langfristige Finanzierung von Infrastrukturmaßnahmen jenseits von Haushaltszwängen möglich wird. Damit bietet sie der Wirtschaft jene Planbarkeit, die für langfristige Standortentscheidungen erforderlich ist.

Infrastrukturfonds sind eine weitere Modell-Variante, die offen ist für die Beteiligung von Anlegern. Das macht sie gerade in Zeiten knapper Kassen so interessant. Gerade für institutionelle Investoren, wie etwa Versicherungen, bietet die Beteiligung an Infrastrukturfonds oder - seltener - die direkte Beteiligung an diesen Projekten zwei Vorteile: Erstens sind die Renditechancen höher als es derzeit am Anleihemarkt der Fall ist. Zweitens sind Infrastrukturfonds ein vergleichsweise risikoarmes Investment.

Allerdings: Unter den Solvency-II-Regeln werden Investitionen in die Infrastruktur bisher noch als hochriskant eingestuft. Infrastrukturinvestments spielen damit in der selben Liga wie beispielsweise Hedgefonds. Aus Expertensicht spiegelt das jedoch nicht die Realität wider. Um die Hürden für die Infrastrukturfinanzierung gerade für langfristig agierende institutionelle Investoren zu senken, ist dringend ein aufsichtsrechtliches Umdenken erforderlich. Diese Aufgabe muss die Politik dringend angehen!

Um den langjährigen Investitionsstau in der Infrastruktur zu durchbrechen eignen sich insbesondere Öffentlich-Private Partnerschaften. Dabei gehen die öffentliche Hand und ein privatwirtschaftlich organisiertes Unternehmen eine vertraglich vereinbarte Zusammenarbeit ein. Diese Variante wird immer wieder kontrovers diskutiert. Unabhängig davon, welche der zahlreichen ÖPP-Varianten - vom Erwerber- über das Miet- bis hin zum Gesellschaftsmodell - gewählt wird, liegt der Vorteil von ÖPP vor allem in der Zeitersparnis bei der Realisierung von Infrastrukturprojekten; hinzu kommt häufig eine Kostenersparnis. Die oft geäußerte Kritik, durch ÖPP-Projekte würden öffentliche Güter privatisiert, trifft in der Praxis selten zu. Ein durchdachtes ÖPP-Konstrukt eignet sich hervorragend, um gegen die tickende Uhr des "Investitionsstaus" anzugehen, denn die Wirtschaft am Standort profitiert durch die zügige Realisierung.

Staatliche Vollfinanzierung - ein Auslaufmodell

Aus meiner Sicht besteht kein Zweifel daran, dass der Staat den bedarfsgerechten Ausbau der Verkehrsinfrastruktur zu gewährleisten und zu finanzieren hat und durch den Einsatz privater Investoren nicht aus seiner Verantwortung entlassen werden darf. In Zeiten der Schuldenbremse wird jedoch deutlich: Die staatliche Vollfinanzierung ist ein Auslaufmodell! Deshalb müssen die Strukturen offener werden für ein Mehr an privater Beteiligung bei der Bereitstellung von Infrastruktur. Dabei sind die oben dargestellten Ansätze nur erste Beispiele. Wie die Modelle aus unseren Nachbarländern zeigen, muss private Beteiligung nicht be deuten, dass die öffentliche Hand die Kontrolle abgibt. Aber sie muss und kann sich Wege erschließen, damit Mittel für die Infrastruktur zugleich langfristiger bereitstehen und zugleich Projekte schneller, bedarfsgerechter und mit größerem wirtschaftlichen Sachverstand realisiert werden.

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