Gespräch des Tages

Nobelpreis - Kausalität und Erwartungen in der Makroökonomik

Die Bestimmung der kausalen Beziehungen zwischen wirtschaftspolitischen Maßnahmen und anderen ökonomischen Variablen liefert eine wichtige Entscheidungsgrundlage für adäquate wirtschaftspolitische Entscheidungen. Dieser Aspekt stellte lange eine große Herausforderung für Makroökonomen dar. In diesem Jahr wurden mit Christopher A. Sims (Princeton University) und Thomas J. Sargent (New York University) zwei Ökonomen mit dem Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften ausgezeichnet, die Pionierarbeit in der Entwicklung geeigneter empirischer Methoden geleistet haben. Diese erlauben es, den Einfluss der Zentralbanken (Zinsänderungen) und des Staates (Änderung der Steuer- oder Ausgabenpolitik) auf makroökonomische Größen zu analysieren.

Die vom Nobelpreiskomitee besonders hervorgehobenen empirischen Verfahren ermöglichen die Unterscheidung zwischen Ursache und Wirkung in der Makroökonomie. Ein weiterer Kernaspekt der Forschung der beiden Ökonomen ist die Berücksichtigung (rationaler) Erwartungen in ihrer Analyse. Dabei handelt es sich um ein Paradigma, das sich gerade in der heutigen Krisenzeit wieder der Kritik erwehren muss, als vorgeblich realitätsferne Annahme Eingang in die Modellierung der Effekte wirtschaftspolitischer Maßnahmen gefunden zu haben.

Eine der wichtigsten Aufgaben in der makroökonomischen Forschung ist das Verständnis der kurz- und langfristigen Wirkungen ökonomischer Schocks und systematischer Politikveränderungen auf makroökonomische Größen. Ein unerwarteter Ölpreisanstieg oder eine Zinserhöhung der Zentralbanken, die von den Marktteilnehmern nicht erwartet und in Verträge umgesetzt (antizipiert) wurden, dienen häufig als Beispiele. Neben diesen kurzfristigen Ereignissen ist die Wirtschaft längerfristigen systematischen Veränderungen bindender wirtschaftspolitischer Rahmenbedingungen ausgesetzt. Zur Bewertung und Identifikation dieser Effekte liefern die Forschungsbeiträge von Sargent und Sims unverzichtbare Analysetools für die empirische Forschung. Während Sims ökonometrische Modelle entwickelte, mit deren Hilfe sich die Übertragung spezifischer (kurzfristiger) Schocks auf verschiedene Größen identifizieren lässt, konzentrierte sich Sargent primär darauf, die Effekte systematischer (struktureller) Politikveränderungen zu analysieren und zu verstehen.

Kausalität und Erwartungen: Die Forschung der beiden Nobelpreisträger, die unabhängig voneinander arbeiteten, trug dazu bei, die Bedeutung der Erwartungen der Wirtschaftssubjekte für die Funktionsweise der Wirtschaftspolitik herauszuarbeiten und zu erklären. Viele Politikdiskussionen der Stagflation der 1970er Jahre waren auf die Bedeutung der Erwartungen fokussiert. Was passiert, wenn Arbeitnehmer höhere Löhne erwarten? Was ist, wenn Unternehmen höhere Löhne in Aussicht stellen können, da sie einen Preisanstieg erwarten? Verursachen die Erwartungen Inflation und Rezession, treiben Inflation und Rezession die Erwartungen, oder gibt es Feedback-Schleifen in diesen und anderen volkswirtschaftlichen Faktoren? Die Makroökonomik jener Zeit verfügte aber noch nicht über robuste Tools für den Umgang mit diesen Fragestellungen.

Da kontrollierte Experimente zur Abschätzung der Effekte der Politikmaßnahmen in der makroökonomischen Praxis leider nicht möglich sind, muss auf die Analyse historischer Daten zurückgegriffen werden. Die Preisträger zeigen, dass durch die Berücksichtigung von Rückkoppelungen und Erwartungen tatsächlich kausale makroökonomische Zusammenhänge analysiert und identifiziert werden können.

Sargent - Strukturelle Analyse der Wirtschaftspolitik: Das Nobelpreiskomitee hebt in Sargents Forschung besonders die Verfahren hervor, mit denen sich historische Daten nutzen lassen, um die Auswirkungen systematischer Änderungen der Wirtschaftspolitik, das heißt Änderungen des wirtschaftspolitischen Regimes, auf die Volkswirtschaft zu verstehen. Erwartungen sind ein integraler Bestandteil seines analytischen Ansatzes.

Sargents Kernkritik an dem bis zu jener Zeit vorherrschenden keynesianischen Paradigma lautete: Die makroökonomischen Zusammenhänge seien nicht stringent aus Annahmen über das wirtschaftliche Verhalten der Verbraucher und Unternehmer abgeleitet. Die Modelle basierten auf Ad-hoc-Annahmen über das ökonomische Verhalten der Akteure. Sargent und seine Mitstreiter propagierten dagegen die sogenannte "Mikro-Fundierung" makroökonomischer Modelle: gesamtwirtschaftliche Ergebnisse müssten aus den Aktionen der einzelnen Akteure hergeleitet werden. Dabei müssten vor allem die Erwartungen, die die Menschen an die Zukunft haben, berücksichtigt werden. Sargent postulierte dabei, dass die Menschen ihre Erwartungen "rational" bilden und sich dort stets alle Informationen, die es sich lohnt, verfügbar zu machen, niederschlagen, sodass sie nicht immer wieder denselben Fehler machen. Sims: Identifikation und Analyse makroökonomischer Schocks: Im Gegensatz zu Sargent konzentrierte sich Sims darauf, zwischen unerwarteten und erwarteten Änderungen von Variablen zu unterscheiden, um deren Auswirkung auf bedeutende ökonomische Größen zu analysieren. Sein Schwerpunkt liegt dabei auf der Entwicklung statistischökonometrischer Verfahren. Seine Forschung ist somit weniger stark politisch aufgeladen. Er entwickelte eine neue ökonometrische Technik zur Offenlegung der Wege, auf denen die Wirtschaftspolitik Volkswirtschaften beeinflussen kann.

Sims erhob ähnlich wie Sargent Kritik an den großen keynesianischen makroökonomischen Modellen, die zuvor von Forschern, Zentralbanken und Finanzministerien angewendet wurden. In einem Makromodell mit Erwartungen müssten die dort erarbeiteten Aussagen über eine "kausale Beeinflussung" gezeigt und nicht nur angenommen werden. Deshalb schlug Sims anstelle eines Modells, in dem einige Faktoren bestimmte andere Variablen beeinflussen, vor, dass die makroökonomische Analyse mit einem Modell beginnen müsse, in dem es für jeden Faktor möglich sein müsse, eine Änderung eines anderen Faktors zu "verursachen". Zusätzlich sollten eigene Vergangenheitswerte eine Änderung dieses Faktors "kausal treiben" können. Dieser vor allem auf die Geldpolitik, aber auch auf die Fiskalpolitik angewandte Ansatz wird seitdem "Vektor-Autoregression" genannt.

Abschließende Würdigung: Das ernüchternde Ergebnis der Forschung der beiden neuen Nobelpreisträger besteht darin, dass es keine makroökonomischen Wunderwaffen gibt. Diese Aussage bedeutet für Politiker und Zentralbanker schlicht: Gerade weil die Wirtschaftssubjekte auf Politikveränderungen häufig nicht so reagieren wie vorherzusehen war, stellen sich Versuche seitens der Politik in den Wirtschaftsablauf einzugreifen als äußerst kompliziert dar. Dadurch, dass sie Erwartungen und deren Rückkoppelungen auf die makroökonomischen Politikergebnisse berücksichtigen, kommen sie zu bescheideneren und realistischeren Schätzungen der Resultate systematischer kreditfinanzierter Konjunkturprogramme oder geldpolitischer Programme des billigen Geldes wie zum Beispiel der Quantitativen Lockerung (Quantitative Easing, QE). Sims selber betont, dass seine Methoden Politikern aufzeigen können, wo sie die ihnen anvertrauten Steuergelder mit größtmöglichem Effekt einsetzen können.

Ökonomen müssen sich seit der Finanzkrise einmal mehr scharfen Spott gefallen lassen - etwa vom deutschen Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger. Menschen würden sich "nicht so benehmen, wie die meisten Ökonomen glauben", schrieb er kürzlich im Spiegel. Gerade darauf stellen Sargent und Sims ab. Enzensbergers Kritik trifft also gerade auf die beiden Nobelpreisträger nicht zu.

Sargent hat solche Vorwürfe wiederholt zurückgewiesen. Es sei "einfach falsch zu sagen, dass diese Finanzkrise moderne Makroökonomen überrascht hat", sagte er in Rolnick (2010). Die Annahme rationaler Erwartungen repräsentiere zudem keine eigene Denkschule, zitiert ihn die Financial Times, sondern ein weitverbreitetes Modell. Und mit diesem Modell lassen sich, so argumentierte jüngst der Spiegel, zumindest Teile der europäischen Schuldenkrise erklären. So haben Investoren nach Ansicht Sargents möglicherweise vor Italiens Beitritt zur Euro-Zone nicht deshalb Anleihen des Landes stark nachgefragt, weil sie in der Zukunft eine solide Haushaltspolitik Italiens erwarteten. Sondern weil sie schon damals antizipierten, dass andere Euro-Mitgliedsländer dieses Land eines Tages notfalls retten würden.

Das ideologische Signal der diesjährigen Nobelpreisvergabe ist sicherlich überraschend. Angesichts der verbreiteten Kritik an der Annahme rationaler Erwartungen seit der Finanzkrise ist diese Ehrung für Forscher wie Sargent doch für manche ein Schlag ins Gesicht, insbesondere für einige keynesianische Ökonomen. Aber auch für Hayekianer, die auf die Bedeutung spezifischen lokalen und impliziten Wissens abstellen (Imperfect Knowledge Economics). Denn "Rationale Erwartungen" im Sinne von Sargent und Sims behandeln jedes Wirtschaftssubjekt so, als verwende es dasselbe ökonomische Modell zur Bildung seiner Erwartungen.

Sargent verteidigte seine Hypothese der rationalen Erwartungen aber ohnehin gegen die Anschuldigung, dass diese das Verhalten der Gläubiger und Schuldner im Vorfeld und im anschließenden Crash der Hauspreise in den USA im letzten Jahrzehnt nicht erklären konnte. "Macroeconomists have done creative work that modifies and extends rational expectations in ways that allow us to understand bubbles and crashes in terms of optimism and pessimism, " sagte er in einem Interview, das von der Federal Reserve Bank of Minneapolis in September 2010 geführt und veröffentlicht wurde.

Literatur: Christopher A. Sims, Harold H. Helm' 20 Professor of Economics and Banking at Princeton University, Princeton, NJ, USA, http://www.princeton.edu/~sims/

Thomas J. Sargent, William R. Berkley Professor of Economics and Business at New York University, New York, NY, USA, http://files.nyu.edu/ts43/public

Die Königliche Akademie der Wissenschaften, Wissenschaftliche Hintergrundstudie zum Sveriges Riksbank Prize in Economic Sciences in Memory of Alfred Nobel 2011. Online im Internet: URL http://www.nobelprize.org/nobel_prizes/economics/laureates/2011/ecoadv11.pdf (Abrufdatum: 15. Oktober 2011)

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