Aufsätze

Jetzt Portugal, und ... schließlich das EWS?

Dass sich Portugal am Ende doch noch unter den europäischen Schutzschirm retten würde, wird offiziell allerseits gutgeheißen, vor allem die bislang ungeschorenen Gläubiger sind erst einmal erleichtert. Ansonsten setzt es schärfste Kritik. Die portugiesische Regierung trat schon zurück, bevor sie sich mit der Auferlegung zusätzlicher Sparmaßnahmen gedemütigt sieht, nachdem ein freiwilliger erster Einstieg in diese Richtung vom Parlament in Lissabon verweigert worden war. Die deutsche Wählerschaft weiß, dass ein Drittel der rund 80 Milliarden Euro Hilfsmaßnahmen erneut von Deutschland geleistet oder zumindest garantiert werden müssen. Sie hört unter anderem von Professor Hans-Werner Sinn, dass damit ein weiterer unheilvoller Schritt in Richtung Transferunion vollzogen wird.

Konvergenz-Credo

Verfassungsrechtler und Politologen verlangen Überprüfung beziehungsweise Zurückweisung dieser gigantischen Verpflichtungen durch das Bundesverfassungsgericht. Gleichzeitig überbieten sich deutsche Politiker - in offensichtlicher Angst vor den schwer kalkulierbaren Auswirkungen eines ungeordneten Staatsbankrottes an der europäischen Peripherie - in gröbsten Androhungen einer dort nunmehr strikt einzuhaltenden Zucht und Ordnung, um den anschwellenden Zorn der Wähler von sich abzulenken. Derweil schnürt die von der EZB inzwischen eingeleitete Zinswende die Manövrierfähigkeit der Peripherieländer zusätzlich ein und beschwört einen Kollaps des spanischen Hypothekenmarktes. Dass die EU-Agrarmarktordnung und auch die EU-Raumordnungspolitik bereits seit Jahrzehnten jene angeblich erst drohende Transferunion längst hergestellt haben und praktizieren, wissen zwar viele auch irgendwie, aber das ist im Klartext nicht kommuniziert, jedenfalls in seinen Implikationen nie verdolmetscht worden, weswegen sogar ein sonst umsichtiger Experte wie Hans-Werner Sinn nach wie vor analysiert und urteilt, als ginge es noch immer nur um die deutsche Nationalökonomie und nicht um eine Gemengelage von mehr als zwei Dutzend inzwischen stark interdependenten Volkswirtschaften. Die Einführung einer europäischen Gemeinschaftswährung ist schon vor inzwischen fast 20 Jahren von zahlreichen renommierten Ökonomen als Fehlentscheidung kritisiert worden. Aber jahrelang lief es scheinbar ganz gut mit dem durch den Euro erleichterten Integrationsprozess eines europäischen Binnenmarktes.

Dass der Prozess der zunehmenden europäischen Integration auf fast allen Gebieten, jedenfalls aber ökonomisch, also etwa in Bezug auf die internationale Wettbewerbsfähigkeit der EU eindeutig und überwiegend von Vorteil sei, gehört zu den selten hinterfragten Grundüberzeugungen der Brüsseler Eurokraten. Krisen und Rückschläge sollen sich gerade durch unbeirrt vorangetriebene Integration ihre eigenen Lösungen schaffen. Während sich der inzwischen aus 27 Ländern bestehende Staatenbund mit über 500 Millionen Einwohnern zu einem zunehmend komplexen und unübersichtlichen Gebilde entwickelt, hat der subjektive Überzeugungsgrad des in Brüssel herrschenden Konvergenz-Credos im Laufe der Jahre eher noch zugenommen. Man sieht sich auf dem Wege der Vernunft, sozusagen Arm in Arm mit dem - vom gelegentlichen Gejohle des Pöbels unangefochten - fortschreitenden Hegelschen Weltgeist, der erst dann zur Ruhe kommen wird, wenn der einheitliche und homogene europäische Bundesstaat endlich Wirklichkeit geworden sein wird.

Orientierungslosigkeit der Politik

Derartige, nur leicht karikiert dargestellte Träume manch eines EU-idealistischen Beamten müssen natürlich platzen, wenn unabweisbare Divergenzen, Ungleichgewichte, sich verschärfende Diskrepanzen politische Sonntagsreden Lügen strafen und die Wiederwahl politisch Verantwortlicher plötzlich in Frage stellen. Das ist also die zweite Angst der Politiker. Irland hat den Regierungswechsel infolge der Eurokrise schon hinter sich, Portugal steht mitten drin, in Spanien ist er offiziell angekündigt und auch in Frankreich und Deutschland dräuen Fragezeichen und Unwägbarkeiten.

Bemerkenswert ist angesichts dessen die Orientierungslosigkeit der in einem offensichtlichen Dilemma befangenen Politiker. Jedem selbst nur vermuteten demoskopischen Windchen vorauseilend, zergrübelt sich die Politik, ob das Risiko der drohenden Wahlniederlage größer wird, wenn bei der nächsten Krise schon wieder nur die Banken zulasten der Steuerzahler rausgehauen oder aber dann, wenn die Gläubiger endlich mit in die Pflicht genommen werden und das Finanzsystem dadurch womöglich erneut an den Rand einer globalen Krise gerät.

Es wäre natürlich naiv, einem Politiker vorzuwerfen, auf die Chancen des Gewähltwerdens zu achten, bevor er inhaltlich Position bezieht oder auch seine Positionierung anzupassen, wenn sich der Wählerwille in eine andere Richtung weiter bewegt. Das ist sicher "demokratischer" als ein nur noch mit dem Weltgeist untergehakten Durchmarsch der Exekutive.

Mut und Standhaftigkeit gefragt

Was indessen im politischen Bereich zunehmend mangelt, sind Überzeugungen, Grundsätze, Konzepte sowie der Mut und die Standhaftigkeit, dafür einzutreten, dafür zu werben und dazuzustehen, auch wenn man nur Minderheiten mit ihnen erreichen kann. Das war einmal die Ausgangsposition der FDP. Und es ist ihr nicht gut bekommen, diese zugunsten einer imaginären volksparteilichen Mittelposition zu verlassen. Auch die Politikwissenschaften und die Politikberatung, allemal von der Demoskopie umzingelt und versklavt, passen rundum.

Der Verhandlungsspielraum und der Goodwill nicht nur zur Lösung der Zukunftsprobleme des Europäischen Währungssystems, sondern auch zu einer neu auszutarierenden Governance zwischen Kommission und Ministerrat, ist zwischen der Antiposition der "National"-Ökonomen zur europäischen Transferunion auf der einen Seite und der Konvergenz-Ideologie der europäischen Integrationisten auf der anderen Seite nahezu vollständig aufgerieben. Kompromisspositionen zum Beispiel zum Ankauf gefährdeter peripherer Staatsanleihen zu einem starken Abschlag durch den Stabilitätsfonds wurden dem immer stärker werdenden Anti-EU-Ressentiment geopfert. Gleichzeitig ist allen Beteiligten klar, dass man weit von "der" endgültigen Lösung entfernt ist und weitere "Unfälle" à la Portugal keineswegs auszuschließen sind. Das gilt auch für eine unkoordinierte Staatsinsolvenz, einen missglückten Gläubiger Bail-In oder, das wäre der GAU, ein synchrones Eintreffen dieser drei denkbaren Problemsituationen, was das plötzliche und unrühmliche Ende des EWS insgesamt bedeuten könnte.

Angesichts dessen ist die Belebung einer grundsätzlichen Konzeptdebatte überfällig: Das EU-Konvergenz-Mantra ist seit der Griechenlandkrise 2010 widerlegt. Ebenso verkennt die Anti-Transferunion-Position die Realität der seit Jahrzehnten gewachsenen europäischen Interdependenzen. Aber warum nicht endlich wieder mehr Diversität und Subsidiarität, mehr Transparenz und Accountability wagen? Die Wirtschaftsstruktur der ehemaligen DDR wurde wegen der verfrühten Wirtschafts- und Währungsunion mit der BRD bleibend beschädigt. Umgekehrt hat das EU-Mitgliedsland Polen unter Beibehaltung einer eigenen Währung seit Anfang der neunziger Jahre beeindruckende Fortschritte in seiner Wirtschaftsstruktur und internationalen Wettbewerbsfähigkeit erzielt. Aus diesen Beispielen sind noch nicht alle Lektionen gelernt. Griechenland wird mit eigenverantwortlicher Rückkehr zur Drachme womöglich schneller auf die eigenen Beine zurückfinden als in der unzumutbaren Rolle des gedemütigten Aussätzigen der Eurozone.

Michael Altenburg , Luzern, Schweiz
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