Aufsätze

Tücken der EDV-Bilanzanalyse

Der EDV ist eine wertvolle Rationalisierung der Kreditbearbeitung sowie eine Verbreiterung des Informationsflusses namentlich durch Branchenvergleichsmöglichkeiten zu verdanken. Allerdings verführt sie bei der Bilanzanalyse auch zu Trugschlüssen, beachtet man nicht gewisse Grenzen der EDV-gestützten Analyse.

Branchenvergleich und Eigenkapital

Branchenvergleich: So informativ auch die Abschlusszahlen eines Betriebes im Vergleich branchengleicher Unternehmen erscheinen: Die Vergleichszahlen berücksichtigen nicht die unterschiedlichen Betriebs- und Bilanzstrukturen, sodass eine unkritische Beurteilung zu Fehlschlüssen führen kann. Zwei Extrembeispiele mögen genügen. Wurden alle Maschinen und Einrichtungsgegenstände geleast, sehen allein die Positionen Sachanlagevermögen und Eigenkapital anders aus als bei einem Unternehmen, das auf Leasing generell verzichtete. Auch wird das Volumen der Warenforderungen einer Großbäckerei mit nur relativ geringem Ladengeschäft ganz andere Dimensionen aufweisen als etwa das einer Bäckerei, die nur sporadisch auch an Wiederverkäufer liefert. Ebenso unterscheiden sich beispielsweise Personal- (Geschäftsführende Gesellschafter!) sowie Steueraufwand von Personen- und Kapitalgesellschaften.

Eigenkapital: Nicht ohne Grund gilt das Eigenkapital als eine der drei wichtigsten Säulen einer Bilanzanalyse. Daher der sofortige Blick auf die Eigenkapitalquote eines Unternehmens, die nicht nur Auskunft über dessen Standfestigkeit erteilt, sondern sich auch in der Anlagendeckung niederschlägt. Doch der Eigenkapitalanteil am Gesamtkapital trügt, bedient sich der Betrieb des Leasing. Freilich signalisiert ein atypisch minimales Sachanlagevermögen dem aufmerksamen Analytiker eine weitgehende Leasingfinanzierung des Bilanzierenden. Doch ist eine "gemischte" Finanzierungsmethode, also traditionelle und Leasingfinanzierung und vor allem deren Aufteilung einem Außenstehenden in der Regel unbekannt. Und nur eine ergänzende Schattenbilanzposition "geleaste Anlagegüter" mit einer damit korrespondierenden abgezinsten Verbindlichkeiten-Position würde eine "Off-Balance-Sheet-Finanzierung" aufdecken und vor allem den wirtschaftlichen EK-Anteil ins richtige Licht rücken. Manche Unternehmen leasen gerade deshalb gerne, umso eine höhere EK-Quote zu suggerieren.

Blick auf die Finanzierungsmethode

Soweit der Jahresabschluss eines Unternehmens um einen Anhang zu ergänzen ist, sind dort unter anderem nach § 285 Nr. 3 a HGB nicht bilanzierte Verpflichtungen auszuweisen - also auch bestehende Leasingverpflichtungen*). Daraus jedoch - wie verschiedentlich praktiziert - die Größenordnung der geleasten Anlagegüter abzuleiten, führt zwangsläufig zu einem Trugschluss. Denn der publizierte, nicht aufgeschlüsselte, abgezinste Wert setzt sich aus mehreren Komponenten zusammen, der selbst den darin enthaltenen, in seiner Höhe unbekannten AfA-Anteil keinen seriösen Rückschluss auf den Zeitwert der geleasten Anlagegüter zulässt. Die globale Darstellung der Leasingverpflichtungen lässt zudem zwei wesentliche Aspekte unbeantwortet:

Der - übliche - Teilamortisations-Leasingvertrag enthält unter anderem zwei wichtige Festlegungen. Die Höhe der (meist) monatlichen Leasingrate wie den prognostizierten Restwert des Leasingguts per Laufzeitende einschließlich einer Regelung über eine Abweichung des tatsächlichen Restwerts vom prognostizierten. Fehlt eine Festlegung über die Verwendung eines Übererlöses, fließt der Mehrerlös dem Leasinggeber zu, und der Leasingnehmer geht leer aus. Verbreitet ist freilich dessen Aufteilung unter den Vertragspartnern, wobei gemäß Leasingerlass dem Leasingnehmer maximal 75 Prozent des Übererlöses zugesichert werden dürfen. Grundsätzlich aber hat der Leasingnehmer eine etwaige Minusdifferenz in voller Höhe zu tragen.

Viele Leasinggesellschaften bieten aus Wettbewerbsgründen Verträge mit relativ niedrigen Leasingraten an, kalkulieren dafür als Ausgleich den fiktiven Restwert höher als den nach wirtschaftlichen Kriterien voraussichtlich realen Wert, achten doch nur erstaunlich wenige potenzielle Leasingkunden auf diesen Aspekt. So ist eine unter Umständen sogar erhebliche Schlusszahlung bei Vertragsende zu leisten: eine latente, unverbuchte Aufwandsquelle (negative stille Reserve), die mit dem Umfang der Leasingverträge zwangsläufig steigt, ohne vom Bilanzanalytiker auch nur ansatzweise quantitativ erfasst werden zu können. Liegt doch eine Einzelprüfung aller Leasingverträge jenseits der zeitlichen Möglichkeiten eines Analytikers. Schließlich bleibt festzuhalten, dass ein Leasingvertrag selbst bei schlechtem Geschäftsverlauf vom Grundsatz her nicht vorzeitig gekündigt werden kann.

Die Debitoren

Zwangsläufig beruht das ermittelte durchschnittliche Debitorenziel auf einem stichtagsbedingten, vielleicht sogar atypischen Wert: dem Debitorenstand per Geschäftsjahresende. Allein der Mehrjahresvergleich deckt derartige "Ausreißer" auf, sodass sich nur auf diesem Weg die so entscheidende Entwicklung des Debitorenziels realistisch betrachten lässt. Im Übrigen darf man die übliche Formel

Debitoren per 31.12.**) x 365 ./. Jahresumsatz

durchaus als nicht ganz korrekt bezeichnen wie auch Michael Bandering anmerkt***), stellt sie doch den Debitorenstand (inklusive MwSt.) dem Nettoumsatz (also ohne MwSt.) gegenüber. Das ergibt, durchgängig 19 Prozent MwSt. unterstellt, bei einem Debitorenstand von beispielsweise 1 190 Tausend Euro und einem Umsatz von 7 400 Tausend Euro formelgemäß ein Ziel von 59 Tagen, rechnet man aber zum Umsatz die MwSt. hinzu (= 8 806 Tausend Euro) von 49 Tagen. Freilich ist dieser Aspekt nicht überzubewerten, interessiert den Analytiker doch primär die Tendenz des Debitorenziels im Mehrjahresvergleich.

Die globale Formel kann allerdings im Einzelfall sogar zu gravierenden Fehlschlüssen führen. Auf den ersten Blick erscheint beispielsweise das Debitorenziel eines Bäckereibetriebes mit einem Debitorenstand per 31.12. von 123 Tausend Euro und einem Umsatz von 3 000 Tausend Euro nach der klassischen Formel mit 15 Tagen recht positiv. Das Ergebnis ignoriert aber die Vertriebsstruktur des Unternehmens, wenn es 20 Prozent des Umsatzes mit Wiederverkäufern abwickelt, restliche 80 Prozent hingegen in den Verkaufsläden nach dem Motto Ware gegen Geld, sodass aus diesen "Tafelgeschäften" keine Debitoren erwachsen.

Hier liefert Michael Bandering***) eine brauchbare Lösung: Er verlangt eine Aufgliederung der Umsätze nach Laden- und Liefergeschäft - ein im EDV-Zeitalter durchaus zumutbarer Wunsch. Ein Debitorenziel II bezieht nach Bandering nur den Debitorenbestand zutreffend auf den mit den Wiederverkäufern erzielten Umsatz (= 600 Tausend Euro). Es präsentiert somit das wirtschaftlich zutreffende Ziel mit 74 Tagen - ein alarmierendes Ergebnis, das den Verdacht auf uneinbringliche Forderungen aufdrängt, handelt es sich doch zudem um zum alsbaldigen Verzehr gelieferte Ware.

Verfälschung durch Factoring

Aber auch Factoring, erkennbar an einem atypisch niedrigen Debitorenstand, verfälscht ein ermitteltes Debitorenziel. Hier ist zu klären, nach welchem Prinzip der Factoringvertrag welche Forderungen übernimmt. So können beispielsweise Kleinstforderungen oder auch Auslandsforderungen ausgeschlossen sein. In jedem Fall aber lehnt der Factor den Ankauf dubioser Forderungen ab, sodass in den ausgewiesenen Debitoren auch ein potenzielles Verlustrisiko enthalten sein kann, das sich allerdings nur schwer quantifizieren lässt - dürfte sich doch in solchen Fällen die Auskunftsbereitschaft des Unternehmens in engen Grenzen halten.

Auch für Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen gilt das Angesprochene sinngemäß.

Bewusst blieben derzeit diskutierte Änderungen der IFRS-Regeln in vorstehendem Beitrag unberücksichtigt, werden doch den Banken wohl noch eine gute Weile Abschlüsse vorgelegt, die der derzeitigen Bilanzierungspraxis entsprechen.

Vorstehende Ausführungen zeigen: Unkritische EDV-Gläubigkeit kann im Einzelfall zu bösen Überraschungen führen. So wertvoll die Technik sich auch für die Arbeit im Kreditgeschäft erweist - sie vermag einen qualifizierten Mitarbeiter, der um ihre Schwächen weiß, nicht zu ersetzen.

Fußnoten

*) Lediglich "kleine Kapitalgesellschaften" sind von dieser Auflage befreit.

**) Geschäfts- und Kalenderjahr als identisch unterstellt.

***) Vgl. Bandering, Michael, Jahresabschlüsse kleiner und mittelständischer Unternehmen, ein Praxisleitfaden für Firmenkundenbetreuer und Kreditsachbearbeiter, 2. aktualisierte und erweiterte Aufl., Köln 2003, S. 79.

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