Aufsätze

Wertpapieraufsicht über Unternehmen - Sicherstellung einer einheitlichen Anwendung von Rechnungslegungsvorschriften in Europa

Die Unternehmen in Europa stehen auf Kapitalmärkten im Wettbewerb miteinander, um sich günstig und fristadäquat zu finanzieren. Um die Funktionsfähigkeit wettbewerblich organisierter Kapitalmärkte zu gewährleisten, bedarf es eines angemessenen Ordnungsrahmens. Dessen Einhaltung muss durch mit entsprechenden Kompetenzen ausgestattete Wertpapieraufsichtsbehörden überwacht werden, sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene. Dieses Erfordernis einer schlagkräftigen nationalen Aufsicht im Verbund mit einer effektiven Kontrolle auf europäischer Ebene hat Rüdiger von Rosen schon vor zehn Jahren betont.1)

Zusammenwirken nationaler und europäischer Aufsichtsstrukturen

Am Beispiel der sogenannten IAS-Verordnung aus dem Jahr 20022), mit der kapitalmarktorientierte Unternehmen in der Europäischen Union in ihren Konzernabschlüssen für Geschäftsjahre ab 2005 zur Anwendung der International Accounting Standards (IAS; heute: International Financial Reporting Standards, IFRS) verpflichtet wurden, lässt sich die Notwendigkeit des Zusammenwirkens nationaler und europäischer Aufsichtsstrukturen zur Gewährleistung effizienter Kapitalmärkte verdeutlichen. Durch die IAS-Verordnung sollten "Unternehmen in der Gemeinschaft in die Lage versetzt werden, auf den gemeinschaftlichen Kapitalmärkten und auf den Weltkapitalmärkten unter gleichen Wettbewerbsbedingungen um Finanzmittel zu konkurrieren."3)

Zugleich betont wurde die Verpflichtung zur Schaffung angemessener und strenger Durchsetzungsregelungen, wobei die EU-Kommission zwar die Mitgliedstaaten in der Pflicht sah, insbesondere aber eine Beteiligung der europäischen Wertpapieraufsicht, damals noch in Gestalt des Committee of European Securities Regulators (CESR), für notwendig hielt.4) Die Hinzuziehung des CESR bereits in diesem frühen Stadium beruhte nicht zuletzt auf dem Gedanken, von Anfang an der Entstehung "nationaler" IFRS-Auslegungen entgegenzutreten.

Auf Arbeitsebene hat das CESR später die European Enforcers' Co-ordination Sessions (EECS) ins Leben gerufen und mit den für die Sicherstellung einer einheitlichen Anwendung der IFRS in Europa notwendigen Aufgaben betraut. Unter dem Begriff Enforcement ist dabei das Verfahren zur Überwachung von Unternehmensabschlüssen zu verstehen.

Zwei CESR Standards on Financial Information aus den Jahren 2003 und 2004 enthalten Prinzipien, die das nationale und europäische Enforcement betreffen. Der CESR Standard No. 1 on Financial Information: Enforcement of Standards on Financial Information in Europe5) befasst sich mit der Ausgestaltung nationaler Enforcementsysteme in Europa, zum Beispiel in Bezug auf Enforcementmethoden (Methods of Enforcement) und Handlungsmöglichkeiten (Actions).6) Trotz der Empfehlungen des CESR Standards No. 1 on Financial Information weisen die nationalen Enforcementsysteme aber noch bedeutsame Unterschiede auf, etwa in Bezug auf Handlungsbefugnisse und Informationsrechte der Enforcer.

Koordination auf europäischer Ebene

Die Koordination des Enforcements auf europäischer Ebene ist im CESR Standard No. 2 on Financial Information: Coordination of Enforcement Activities geregelt.7) Darin werden die nationalen Enforcer unter konkreter Bezugnahme auf die IAS-Verordnung - dazu angehalten, bei ihren Entscheidungen bereits getroffene Entscheidungen anderer europäischer Enforcer zu berücksichtigen. Zu diesem Zweck sollen auf nationaler Ebene getroffene Entscheidungen in eine Datenbank (EECS-Datenbank) eingestellt werden, auf welche die nationalen Enforcer Zugriff haben.

Zusätzlich treffen sich die nationalen Enforcer im Rahmen der EECS, um getroffene oder noch zu treffende Entscheidungen zu diskutieren und sich so über die aus ihrer Sicht zutreffende Anwendung der IFRS auszutauschen. Ihre Tätigkeit haben die EECS im Januar 2005 aufgenommen und führen diese auch nach Überleitung der Aufgaben des CESR auf die neu gegründete European Securities and Markets Authority (ESMA) am 1. Januar2011 unverändert fort.

Mitglied in den EECS sind gegenwärtig 37 Enforcer aus 29 Staaten, davon aus Deutschland die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) und die Deutsche Prüfstelle für Rechnungslegung (DPR).8) An den EECS nehmen auch Enforcer aus EU-Staaten teil, die nicht in der ESMA vertreten sind, so etwa die DPR. Mit Island und Norwegen sind zudem zwei Enforcer aus Staaten des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) Mitglied in den EECS.

Arbeitsgruppen

Im Lauf der Zeit hat sich herausgestellt, dass angesichts des dynamischen Umfelds, in dem sich die Rechnungslegung der Unternehmen heute bewegt, die Sicherstellung der einheitlichen Anwendung der IFRS zwangsläufig ein breiteres Aufgabenspektrum als die Diskussion getroffener oder bevorstehender Entscheidungen nach sich zieht. Ursachen dieser Dynamik sind beispielsweise Änderungen in den IFRS oder die Auswirkungen der Wirtschafts- und Finanzkrise auf die Konzernabschlüsse kapitalmarktorientierter Unternehmen.

Dabei werden Aufgaben teilweise zur schnelleren Bearbeitung an Arbeitsgruppen delegiert, in denen - anders als in den EECS-Sitzungen - nicht sämtliche EECS-Mitglieder vertreten sind. Über die Ergebnisse dieser Arbeitsgruppen wird in den EECS-Sitzungen informiert. Ausgewählte Bereiche aus dem gegenwärtigen Aufgabenspektrum der EECS und die Aufgabenverteilung verdeutlicht die Übersicht:9)

Aus diesem weiten Aufgabenspektrum werden nachfolgend zwei Aufgaben näher dargestellt. Dies ist zum einen die Diskussion getroffener Entscheidungen, weil sie zu den Kernaufgaben der EECS gehört. Zum anderen wird die Diskussion aktueller Fragen der IFRS-Rechnungslegung am Beispiel der Bilanzierung von Staatsanleihen beleuchtet, weil diese Fragestellung nicht nur im Rahmen der EECS intensiv diskutiert, sondern auch außerhalb der an Rechnungslegung interessierten Fachöffentlichkeit mit großem Interesse verfolgt wird.

Die EECS treten jährlich zirka achtmal zu zweitägigen Sitzungen zusammen, auf denen hauptsächlich getroffene oder bevorstehende Entscheidungen (sogenannte Emerging Issues) diskutiert werden. Die Besprechung einer getroffenen Entscheidung ist an zwei Voraussetzungen geknüpft: Zunächst muss die Entscheidung vom zuständigen nationalen Enforcer in die EECS-Datenbank eingestellt worden sein. Im nächsten Schritt entscheidet dann eine von den EECS eingesetzte Agenda Group, welche der neu in die EECS-Datenbank eingestellten Entscheidungen in der kommenden EECS-Sitzung behandelt werden sollen. In Ausnahmefällen kann auch auf Wunsch einzelner EECS-Mitglieder eine Entscheidung auf die Tagesordnung gesetzt werden.

Für die Einstellung in die EECS-Datenbank haben die EECS einen Kriterienkatalog festgelegt, nach dem im Ergebnis nur solche Entscheidungen aufgenommen werden sollen, die unter dem Aspekt der Sicherstellung einer einheitlichen Anwendung der IFRS relevant sind.10) Auf diese Weise wird vermieden, dass die EECS-Datenbank durch triviale beziehungsweise eindeutige Entscheidungen - beispielsweise im Falle fehlender Anhangangaben überfrachtet wird. Für die Einstellung in die EECS-Datenbank und damit auch für die Diskussion in den EECS-Sitzungen kommt es nicht darauf an, ob eine Entscheidung zu einer Fehlerfeststellung geführt hat oder nicht.

In den EECS-Sitzungen werden dann ausgewählte Entscheidungen von dem jeweils dafür verantwortlichen nationalen Enforcer vorgestellt. Auf diese Weise erhalten die anderen EECS-Mitglieder Informationen über die Beweggründe, die ursächlich für die getroffene Entscheidung waren. Im Rahmen der Vorstellung kann der Enforcer zudem auch weitere Überlegungen darstellen, die für das Verständnis seiner Entscheidung hilfreich sind, die aber nicht in die EECS-Datenbank eingestellt wurden. Die vorgestellte Entscheidung kann von den EECS nicht abgeändert werden.11)Im Gegensatz dazu dient die Diskussion von Emerging Issues dem Zweck, bevorstehende Entscheidungen ergebnisoffen zu diskutieren und sich auf diese Weise fachlichen Rat von den anderen EECS-Mitgliedern einzuholen.

Die EECS-Sitzungen finden unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt und sind damit für interessierte Unternehmen ebenso wenig zugänglich wie die EECS-Datenbank. Den EECS war aber schon früh bewusst, dass sie ihre Arbeitsergebnisse der Öffentlichkeit kommunizieren müssen. Dies nicht nur, um über die eigene Arbeit Rechenschaft abzulegen, sondern auch, um durch die Veröffentlichung von Enforcemententscheidungen die einheitliche Anwendung der IFRS zu fördern. Deshalb werden dem Kapitalmarkt seit April 2007 in regelmäßigen Abständen wesentliche Entscheidungen aus der EECS-Datenbank in Form sogenannter Extracts from the EECS's Database of Enforcement Decisions auf der Internetseite der ESMA12) zur Verfügung gestellt. Bisher sind elf solcher Extracts mit insgesamt 128 Entscheidungen erschienen (Stand: 28. Mai 2012).

IFRS-Rechnungslegung: aktuelle Fragen am Beispiel Staatsanleihen

Die ESMA beobachtet den Kapitalmarkt permanent, um möglichst frühzeitig kritische Entwicklungen erkennen und entsprechend reagieren zu können. Deshalb thematisiert sie als Folge der Staatsschuldenkrise auch zeitnah deren Auswirkungen auf die Abschlüsse insbesondere von Finanzinstituten.

In zeitlicher Hinsicht sind Fragen der Bilanzierung insbesondere von griechischen Staatsanleihen erstmalig für Halbjahresabschlüsse zum 30. Juni 2011 aufgetreten. Hier hat die ESMA auf die Bedeutung einer transparenten Berichterstattung durch angemessene und ausreichende Anhangangaben hingewiesen.13) Weiter hat die ESMA im Nachgang zum Bilanzstichtag 30. Juni 2011 mit Unterstützung der nationalen Enforcer die Halbjahresabschlüsse von 53 Finanzinstituten untersucht und auf dieser Basis eine Stellungnahme zur zutreffenden Bilanzierung in den Halbjahresabschlüssen abgegeben.14)

Zugleich hat sie mit Bezug auf die Abschlüsse zum 31. Dezember 2011 Hinweise auf die zu beachtenden Bewertungs- und Angabevorschriften gegeben und darauf verwiesen, dass für Unternehmen und deren Abschlussprüfer Teile der in der Stellungnahme zum 30. Juni 2011 enthaltenen Überlegungen auch für Abschlüsse zum 31. Dezember 2011 relevant sein können.15) Auch die Abschlüsse ausgewählter Finanzinstitute zum 31. Dezember 2011 untersucht die ESMA wieder mit Hilfe der nationalen Enforcer und achtet dabei vor allem darauf, ob die Bilanzierungspraxis griechischer Staatsanleihen mit den IFRS übereinstimmt. Über die Ergebnisse ihrer Untersuchung wird die ESMA den Kapitalmarkt informieren.

Europaweit einheitliches Enforcement?

Mehr als acht Jahre nach Veröffentlichung der CESR-Standards on Financial Information als Grundlage des Enforcements in Europa war es an der Zeit, die bestehenden Aufsichtsstrukturen nebst den zugrunde liegenden rechtlichen Rahmenbedingungen zu überprüfen und gegebenenfalls fortzuentwickeln. Diesen Fragestellungen hat sich eine Arbeitsgruppe der EECS angenommen (Übersicht), die mit dem Ziel angetreten ist, im Jahr 2012 der Öffentlichkeit den Entwurf der überarbeiteten Standards zur Konsultation zur Verfügung zu stellen.

In Abhängigkeit von den noch offenen Fragen zum Verpflichtungscharakter der darin enthaltenen Regelungen werden sich mehr oder weniger starke Auswirkungen auf die Ausgestaltung der nationalen Enforcementsysteme und die europäische Zusammenarbeit im Enforcement ergeben. National könnten von den avisierten Änderungen etwa Art und Umfang der Stichprobenauswahl oder die zur Verfügung stehenden Handlungsbefugnisse im Fall einer fehlerhaften Rechnungslegung betroffen sein. Vielleicht heißt es deshalb in einigen Jahren: Wertpapieraufsicht über Unternehmen - Sicherstellung einer einheitlichen Anwendung von Rechnungslegungsvorschriften in Europa durch ein europaweit einheitliches Enforcement.

Fußnoten

1) Vgl. von Rosen: Allfinanzaufsicht - die reorganisierte Wacht an Rhein und Main als Garant für neues Anlegervertrauen, in: ZfgK 13-2002, S. 634f.

2) VO (EG) Nr. 1606/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Juli 2002 betreffend die Anwendung internationaler Rechnungslegungsstandards, Abl. EG Nr. L 243/1 vom 11. September 2002. Zur Einführung der IAS und zur Überwachung der Rechnungslegungsvorschriften durch (nationale) Enforcement-Institutionen vgl. von Rosen: Kapitalmarkt und Corporate Governance unter Einbeziehung der Rechnungslegung, in: Der Konzern 2004, S. 328 bis 330.

3) Vgl. VO (EG) Nr. 1606/2002, Abl. EG Nr. L 243/1 vom 11. September 2002, Rz. 4.

4) Vgl. VO (EG) Nr. 1606/2002, Abl. EG Nr. L 243/1 vom 11. September 2002, Rz. 16.

5) Vgl. CESR, Standard No. 1 on Financial Information: Enforcement of Standards on Financial Information in Europe, 12. März 2003, Ref. CESR/03-073.

6) In Deutschland wurden Empfehlungen des CESR Standard No. 1 on Financial Information im Gesetz zur Kontrolle von Unternehmensabschlüssen (Bilanzkontrollgesetz - BilKoG) berücksichtigt, vgl. BT-Drs. 15/3421, S. 14. Zur Ausgestaltung des deutschen Enforcement-Systems vgl. etwa Brandt: Enforcement der Rechnungslegung in Deutschland, in: Kley u.a. (Hrsg.), Aktie und Kapitalmarkt, FS von Rosen, Stuttgart 2008, S. 615 bis 633.

7) Vgl. CESR, Standard No. 2 on Financial Information: Coordination of Enforcement Activities, April 2004, Ref. CESR/03-317c.

8) Vgl. ESMA, Activity Report on IFRS Enforcement in 2010, 21. Oktober 2011, Ref. ESMA/2011/355, Appendix I.

9) Vgl. Gödel/Wich, Auf dem Weg zu einem europäischen Enforcement - Die European Enforcers' Coordination Sessions, WPg 2012, Veröffentlichung in Vorbereitung.

10) Vgl. CESR, Guidance for Implementation of Coordination of Enforcement of Financial Information: Implementation of CESR Standard No. 2 on Financial Information - Co-ordination of Enforcement Activities, October 2004, Ref. CESR/04-257b, Rz. 20, 21.

11)Vgl. CESR, Standard No. 2 on Financial Information: Coordination of Enforcement Activities, April 2004, Ref. CESR/03-317c, S. 4f. Danach soll durch die EECS keine "second chamber" geschaffen werden, die Entscheidungen nationaler Enforcer revidieren kann.

12) Abrufbar unter www.esma.europa.eu/ (Stand: 22. Mai 2011).

13) Vgl. ESMA, ESMA Statement on disclosures related to sovereign debt to be included in IFRS financial statements, 28. Juli 2011, Ref. ESMA/2011/226.

14) Vgl. ESMA, Sovereign Debt in IFRS Financial Statements, 25. November 2011, Ref. ESMA/2011/397.

15)Vgl. ebenda (Fn. 14).

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