Aufsätze

Wofür brauchen Aktiengesellschaften eine Lobby?

Deutschland ist nicht nur das Land der Dichter und Denker, sondern auch der Vereine und Verbände. Für fast jeden Zweck und fast jedes Ziel gibt es einen Verband, der sich hierfür einsetzt und engagiert. Das gilt auch für die Aktiengesellschaften und anderen börsennotierten Unternehmen. Ihre Lobbyorganisation ist seit nunmehr fast sechs Jahrzehnten das Deutsche Aktieninstitut. Gegründet 1953 in Düsseldorf als "Arbeitskreis zur Förderung der Aktie" und seit 1995 unter der Leitung von Rüdiger von Rosen aktiv in Frankfurt.

Querschnittsthemen

Aber warum ist überhaupt eine eigenständige Interessenvertretung börsennotierter Unternehmen notwendig? Industrieemittenten, Banken oder institutionelle Anleger sind schließlich direkt oder indirekt auch in einer Vielzahl von anderen Unternehmens- oder Branchenverbänden vertreten. Auch die rund um Aktie und Börse tätigen beratenden Berufe - allen voran Anwälte und Wirtschaftsprüfer - haben eigene berufsständische Interessenvertretungen. Trotzdem haben sich Unternehmen all dieser Gruppen zusätzlich im Deutschen Aktieninstitut, der Lobbyorganisation für den deutschen Kapitalmarkt im europäischen und globalen Umfeld, zusammengeschlossen. Der Bedarf an einer Lobby für die am Kapitalmarkt tätigen Unternehmen besteht also offenbar. Aber warum brauchen Aktiengesellschaften, warum braucht "die Aktie" eine eigene Lobby?

Aktien- und Kapitalmarktthemen sind Querschnittsthemen. Fragen der Unternehmensfinanzierung und der Kapitalmarktregulierung betreffen praktisch alle Unternehmen, unabhängig von ihrer Branche und ihrer Größe. Im Fokus dieser Fragen stehen für die Öffentlichkeit, aber auch für die Politik oftmals Aktie und Börse, auch wenn der hochentwickelte Kapitalmarkt zahlreiche andere Finanzierungsformen und noch mehr Finanzierungswege kennt. Die Komplexität der mit dem Kapitalmarkt verbundenen Fragestellungen erfordert eine Spezialisierung auch im Verbandswesen. Es wäre ineffizient und ineffektiv gleichzeitig, sollten alle Branchenverbände sich so intensiv mit Kapitalmarktfragen auseinandersetzen, wie es einem auf diese Themen konzentrierten Verband möglich ist.

Dass diese Lobbyarbeit für die Aktie nicht nur im Interesse der Mitglieder liegt, sondern auch gesamtwirtschaftlich und gesellschaftspolitisch notwendig ist, belegt bereits der alles andere als zufriedenstellende Stand der Aktienakzeptanz in Deutschland. Bei den Aktionärszahlen ist kurzfristig zwar ein Aufwärtstrend zu erkennen: Nachdem schon im ersten Halbjahr 2011 wieder mehr Privatanleger in Aktien investiert hatten, konnten im zweiten Halbjahr nochmals rund 350000 Aktionäre hinzugewonnen werden. Insgesamt besitzen damit wieder fast 8,7 Millionen Deutsche Aktien - immerhin eine halbe Million mehr als zum Zehnjahrestief Ende 2010 (Abbildung). Auch wenn Deutschland von früheren Höchstständen mit 12,9 Millionen Aktionären im Jahr 2001 noch weit entfernt ist, zeigt diese Trendumkehr, dass Nachrufe auf die Aktienanlage völlig unangebracht sind. Vielmehr ist sich eine wachsende Zahl an Privatanlegern darüber im Klaren, dass Aktien trotz oder gerade in Zeiten konjunktureller Unsicherheit ein wichtiger Bestandteil des langfristigen Vermögensaufbaus sind.

Trotzdem: In vergleichbaren westlichen Industrieländern - etwa Frankreich, Schweden, Großbritannien oder den USA - ist der Anteil der Aktionäre an der Bevölkerung aber immer noch mindestens doppelt so hoch wie in Deutschland - und das, obwohl die Kurseinbrüche des letzten Jahrzehnts auch die Anleger in diesen Ländern getroffen haben. Deutschland ist aus verschiedenen Gründen kein Land der Aktionäre.

Kein Land der Aktiengesellschaften

Deutschland ist aber auch kein Land der Aktiengesellschaften, vor allem nicht der börsennotierten. Die Börsennotierung ist für die große Zahl der mittelständischen Unternehmen in Deutschland keine ausreichend attraktive Finanzierungsquelle. Nach einer Untersuchung des Deutschen Aktieninstituts sind nur rund 15 Prozent der größeren Mittelständler "kapitalmarktorientiert", können sich also einen Börsengang grundsätzlich vorstellen. Auch dies ist im internationalen Vergleich viel zu wenig. Hier ist Aufklärungsarbeit notwendig, da durch die Verschärfung der Eigenkapitalregeln der Banken die Verfügbarkeit von Krediten zur Unternehmensfinanzierung zukünftig weiter eingeschränkt und verteuert wird.

Neben der Nutzung der Aktie als Finanzierungsinstrument und als Anlageform ist die Einstellung der Politik und der Gesellschaft gegenüber dem Kapitalmarkt eine dritte, wichtige Dimension der Aktienakzeptanz. Ein funktionierender Kapitalmarkt ist unverzichtbar für eine moderne, kapitalintensive Wirtschaft. Kapitalmarkt und Finanzdienstleister sind kein Selbstzweck in einer globalen Wirtschaft, sondern Voraussetzung für eine effiziente, leistungsfähige Realwirtschaft, die immer mehr Menschen mit den Gütern des täglichen Bedarfs versorgen und ihnen gleichzeitig das nötige Einkommen zu ihrem Erwerb ermöglichen muss.

Dies zeigt sich auch in wirtschaftlich aufstrebenden Ländern. Sie alle nutzen verstärkt die Aktiengesellschaft als Rechtsform und die Aktie als breitgestreutes Finanzierungsinstrument. Die Tatsache, dass ein funktionierender Kapitalmarkt der Realwirtschaft dient, ist vielerorts aus dem Bewusstsein geraten. Dies gilt nicht nur für manche Finanzdienstleister, die damit auch Mitverantwortung tragen, sondern auch für die Politik und weite Teile der gliecsheellnscEhlai-ft ten. Die oft undifferenziert als "Die F inanzmärkte" bnezteinchAktivitäten werden nicht mehr primär als unverzichtbare Grundvoraussetzung für eine funktionierende Realwirtschaft wahrgenommen, sondern als Gefahr angesehen. Die Forderung, es solle "in die Realwirtschaft" statt "in Finanzspekulationen" investiert werden, findet weithin vorbehaltlose Zustimmung. Dass die pauschal als "Spekulation" disqualifizierten Finanztransaktionen, sehr häufig indirekt der Finanzierung realwirtschaftlicher Aktivitäten dienen, wird dabei oft übersehen. Alle Forderungen nach Einschränkung "spekulativer Handlungen" sollten deshalb sorgfältig auf ihre realwirtschaftlichen Auswirkungen geprüft werden.

Ebenso oft übersehen wird, dass die eigentliche Ursache von Börsenturbulenzen, die negative Auswirkungen auf die Realwirtschaft haben, oftmals außerhalb von Finanzwirtschaft und Kapitalmarkt liegen und von dessen Institutionen "nur" übertragen werden. Hierzu gehört beispielsweise die expansive Geldpolitik der US-Notenbank, die für die Blase an den US-Immobilienmärkten mitverantwortlich war. Dass die globale Verflechtung der Kapitalmärkte zu einer weiten Verbreitung von Schockwellen führen kann, ist allerdings ein in der aktuellen Intensität (wenn auch nicht grundsätzlich) neues Phänomen, das richtigerweise auch zu neuen ordnungspolitischen und Regulierungsinitiativen führt.

Die neue Finanzarchitektur muss eine effiziente Versorgung der Realwirtschaft mit Kapital ebenso sicherstellen wie attraktive Anlagemöglichkeiten für private Anleger und institutionelle Investoren. Gleichzeitig ist die Stabilität des Finanzsystems gegen interne Fehlentwicklungen wie gegen externe Schocks zu erhöhen. Dies ist eine noch lange nicht abgeschlossene Mammutaufgabe für alle Beteiligten. Originäre Aufgabe des Deutschen Aktieninstituts in dieser gemeinsamen Anstrengung ist es, hierbei die Funktionsfähigkeit des organisierten Kapitalmarktes für die Unternehmensfinanzierung gegenüber allen Instanzen zu vertreten.

Dass diese Interessenvertretung unbedingt notwendig ist, zeigen einige Beispiele aus der aktuellen Diskussion um die Regulierung von Finanzdienstleistungen. Im Mittelpunkt des gesetzgeberischen Interesses stehen dabei naturgemäß Finanzdienstleistungsunternehmen. Manche Vorhaben haben aber deutliche Auswirkungen auf die Realwirtschaft. So gefährden zum Beispiel verschiedene Elemente der auf Finanzdienstleistungsunternehmen abzielenden Baseler Vorschriften die Fähigkeit der Unternehmen, realwirtschaftliche Risiken durch den Abschluss geeigneter Derivate zu reduzieren oder ganz auszuschalten. Auch die als Wundermittel gegen Volatilität und zur Vermehrung der Staatseinnahmen angepriesene Finanztransaktionssteuer wird die Situation der Unternehmensfinanzierung verschlechtern statt verbessern. Dies zeigen sowohl verschiedene Praxisbeispiele als auch empirische Forschungsergebnisse.

Aufgabe des Deutschen Aktieninstituts ist es, durch die Aufklärung von Politik und Medien die nachteiligen Folgen beabsichtigter Maßnahmen offenzulegen und an für alle Beteiligten akzeptablen Lösungen mitzuwirken. Damit ist das DAI nicht nur "Lobby der Aktiengesellschaften", sondern Lobby des Kapitalmarktes und seiner Funktionsfähigkeit. Nicht nur die Aktiengesellschaften brauchen eine eigene Lobbyorganisation, sondern Deutschland und Europa brauchen eine Lobby für den Kapitalmarkt und die Aktie. In einer intelligenten Nutzung der vielfältigen Möglichkeiten des Kapitalmarktes liegen erhebliche Potenziale für die Lösung wirtschaftlicher, aber auch gesellschaftlicher und demografischer Probleme, die heute weitgehend ungenutzt sind. An der Hebung dieser Potenziale mitzuwirken, ist Aufgabe des DAI als Lobby der Aktiengesellschaften. Den Nutzen der Arbeit des DAI hat deshalb neben den Aktiengesellschaften und den Aktionären die ganze Gesellschaft.

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