Besser als das Bauchgefühl? - Der Einsatz von Künstlicher Intelligenz im Beteiligungsmarkt

Thomas Åstebro, Foto: Nicolas Reitzaum

Der vorliegende Beitrag ist eine Zusammenfassung eines ausführlichen wissenschaftlichen Beitrags des Autors zum Einsatz Künstlicher Intelligenz in Private-Equity- und Venture-Capital- Unternehmen. Die noch recht junge Technologie wird demzufolge von einer steigenden Zahl von Unternehmen genutzt. Der Autor erwartet eine steigende Effizienz der Gesellschaften und eine veränderte Arbeitsweise. Die Ansätze, wie die Technologie genutzt wird, sind dabei noch sehr unterschiedlich. Während einige es nur zum Social-Media-Screening nutzen, verändern andere ihren Arbeitsablauf damit vollständig. Allerdings haben sich die Protagonisten lange Zeit gegen den Einsatz der neuen Technologie gesträubt und sahen ihr Bauchgefühl als wichtiger an. So war es laut Autor lange Zeit so, dass selbst wenn die statistischen Erkenntnisse der Algorithmen anerkannt wurden, dennoch weiterhin nach Bauchgefühl entschieden wurde. Åstebro erwartet eine weitere Verbreitung der KI in der Branche und rechnet mit einem technologischem Wettrüsten sowie am Ende des Tages mit einer Marktbereinigung. (Red.)

Die Zahl der Private-Equity- und Venture-Capital-Firmen, die damit begonnen haben, Künstliche Intelligenz bei Investitionsentscheidungen einzusetzen, ist in den letzten zehn Jahren rapide gestiegen. Der verstärkte Einsatz von Künstlicher Intelligenz in Private-Equity- und Venture-Capital-Firmen wird die operative Effizienz erheblich steigern und die Arbeitsweise der Partner verändern.

Die Zahl der Reisen und Meetings zur Präsentation von Venture Pitches wird sich verringern und der Anteil der Juniorpartner und des Supportpersonals wird drastisch sinken. Künstliche Intelligenz wird neuen Unternehmen den Markteintritt ermöglichen, aber auch zu einem technologischen Wettrüsten und Voraussagen zufolge zu einer Marktbereinigung führen.

Warum so zögerlich bei der Einführung von KI?

Die Unterstützung durch Künstliche Intelligenz von unterschiedlichen Private-Equity- und Venture-Capital-Firmen reicht von einfachen eigenständigen Screening-Modellen bis hin zu umfassenden Systemen zur Entscheidungsunterstützung.

Für einige, wie Kleiner Perkins und Sequoia, bedeutet datengesteuertes Venture Capital einfach zu verfolgen, wie oft ein Start-up auf Twitter erwähnt wird. Für andere, wie Jolt Capital, führt es zu einer vollständigen Neugestaltung des Arbeitsablaufs und der Abwicklung von Geschäftsabschlüssen. Im Rahmen eines Forschungsprojekts wurden Mitglieder der Führungsetage einiger Private-Equity- und Venture-Capital-Firmen befragt und eine deskriptive Datenanalyse durchgeführt, um die Entwicklung der Branche zu prognostizieren.

Obwohl Prognosemodelle schon seit den sechziger Jahren im Bankwesen eingesetzt werden (dort werden sie als "Kreditscoring"-Modelle bezeichnet), haben Private-Equity- und Venture-Capital-Firmen erst vor Kurzem damit begonnen, durch Künstliche Intelligenz gestützte Prognosemodelle einzuführen. Venture Capital Partner haben sich lange dagegen gesträubt, dass ihr Bauchgefühl durch etwas Besseres ersetzt werden könnte. In den frühen 2000er Jahren wurde vom Autor jedoch gezeigt, dass selbst ein fache Prognosemodelle die Intuition der Venture Capital Partner übertreffen können.

Die meisten Venture Capitalists, die vor zwanzig Jahren befragt wurden, gaben damals immer noch an, dass sie Algorithmen nicht trauen. Selbst diejenigen, die die statistischen Erkenntnisse anerkannten, wollten ihre Entscheidungen trotzdem weiterhin auf der Grundlage ihres eigenen Bauchgefühls treffen. Der Hauptgrund für die anfänglich schleppende Akzeptanz könnte jedoch sein, dass Venture Capitalists erst einmal mit eigenen Augen sehen mussten, auf welche Art sich ihre Arbeitsweise im Vergleich zu alten Mustern verändern könnte. Firmen wie Jolt Capital haben diesen alternativen Weg nun aufgezeigt. Die Genauigkeit der Vorhersage ist dabei sogar nur ein Nebenaspekt. In letzter Zeit hat der Wettbewerbsdruck zur Einführung von Künstlicher Intelligenz durch Neueinsteiger wie Signalfire und EQT Ventures zugenommen. Die seit Kurzem weithin verfügbare Technologie zur Zusammenführung und Analyse großer Mengen unstrukturierter Daten hat sich verändert, wie die führenden Akteure ihre Geschäfte abwickeln.

Weniger Unsicherheit, mehr Geschäfte

Zwei Fakten stechen hervor: Unternehmen, die Künstliche Intelligenz einsetzen, scheinen eine viel größere Anzahl an Geschäften und andersartige Geschäfte zu tätigen als zuvor. Das hat die internen Abläufe völlig verändert, da die Partner nicht mehr als ersten Einstieg Pitch Decks beurteilen. Stattdessen verbringen sie jeden Tag Stunden damit, die Vorschläge eines Künstliche-Intelligenz-Prognose-Tools zu prüfen. Zweitens konzentrieren sich ihre Geschäfte hauptsächlich auf die frühen Finanzierungsphasen: "Seed" und "Series A". Wenn ein Geschäft mit unzuverlässigeren Informationen verbunden ist, ist es offenbar wahrscheinlicher, dass es mit Unterstützung Künstlicher Intelligenz abgeschlossen wurde. Das lässt sich zum Teil mit den Grenzen der menschlichen Kognition erklären. Menschen haben die größten Schwierigkeiten, unvoreingenommene Entscheidungen zu treffen, wenn sie mit großer Unsicherheit und widersprüchlichen Informationen konfrontiert sind. Es fällt uns schwer, Informationen zu verknüpfen, um ein Urteil zu fällen, und wir neigen dazu, auffällige Informationen übermäßig zu gewichten.

Der Rest des Forschungsartikels befasst sich näher mit der Art und Weise, wie Jolt Capital Künstliche Intelligenz bei seinen Entscheidungen einsetzt und wie das Unternehmen dadurch seine operative Effizienz erheblich steigern konnte. Philippe Laval, Chief Technology Officer bei Jolt Capital, merkte dazu an, dass Partner einen großen Teil ihrer Zeit in Meetings und am Telefon verbringen und wichtige Daten deshalb nicht systematisch oder überhaupt nicht erfasst werden.

Das Entscheidungshilfesystem von Jolt wurde daher so konzipiert, dass es auch unstrukturierte Daten wie Besprechungen und Telefonnotizen erfassen und analysieren kann. Laval vertrat auch die Ansicht, dass es nicht notwendig sein sollte, dass die Partner das Entscheidungshilfesystem verlassen müssen, um eine bestimmte Aufgabe zu erledigen. Das würde den Wert des Systems untergraben.

Laval konzipierte daher sein Entscheidungshilfesystem so, dass es alle von den Partnern verwendeten relevanten Daten, sowohl strukturierte als auch unstrukturierte, sammelt und die Informationen auf besser organisierte Weise präsentiert. Pierre Garnier, Partner bei Jolt Capital, gab ein Beispiel dafür, was das System leisten kann: "In wenigen Sekunden können wir einen Pre-Due-Diligence-Bericht erstellen und uns die wichtigen Personen, die potenziellen Wettbewerber und die Partner in den Ökosystemen ansehen." Jean Schmitt, CEO von Jolt, erklärte schließlich, dass Partner im Allgemeinen nicht besonders schnell aus Investitionen lernen, weil sie zu selten vorkommen. Das begünstigt die Seniorpartner und führt zu einer Konzentration der Entscheidungsmacht.

Bei Jolt lernt das Entscheidungshilfesystem daher, die Präferenzen und Entscheidungen erfahrener Partner in Form von "Likes" zu imitieren, und gibt diese Erfahrung weiter, um allen Beteiligten in der Firma zu helfen. Schmitt erklärt: "Die Lernfunktion ist entscheidend, denn nach einiger Zeit kann mir das System sagen, was ich mag und was nicht. Nicht ein Juniorpartner filtert diese Geschäfte, sondern mein digitales Ich."

Höhere Wettbewerbsintensität durch KI

Es ist zu erwarten, dass die Einführung von Künstlicher Intelligenz durch etablierte Private-Equity- und Venture-Capital-Firmen sich beschleunigen wird, indem sie zunächst stückweise in verschiedene Aufgaben integriert wird. Manchmal, wie im Fall von Jolt Capital, wird sie allerdings alte Denk- und Arbeitsweisen völlig umstürzen. Es werden auch weiterhin neue Unternehmen auf den Markt kommen, die sich auf den Einsatz von Künstlicher Intelligenz spezialisiert haben. Private-Equity- und Venture-Capital-Firmen versuchen immer, sich gegenseitig auszustechen. Es ist absehbar, dass sie das zunehmend im Rahmen eines technologischen Wettrüstens tun werden.

Die Ausbreitung neuer durch Künstliche Intelligenz gestützter Firmen wird jedoch auch eindeutig negative Wettbewerbseffekte haben. Die meisten Branchen, in denen eine Innovation den Markt radikal umstrukturiert, entwickeln sich nach einem wohlbekannten Muster. Zunächst gibt es verschiedene technologische Ansätze, schnelle Markteintritte und ein hohes Wachstum. Dann folgt eine Konsolidierungsphase mit dem Fokus auf Effizienz. Schließlich kommt es zu einer Marktbereinigung, bei der diejenigen, die sich nicht an der technologischen Spitze halten können, aussteigen. Es gibt zahllose Beispiele für dieses Muster; eines ist aktuell die Elektroautoindustrie.

Thomas Åstebro , L'Oréal-Professor für Unternehmertum, HEC Paris
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