Zur Dematerialisation von Geld und zur Marginalisierung von Bargeld

Dr. Ewald Judt Foto: Fotostudio Tilley

An der langen Geschichte des Geldes gemessen ist die Periode der Elektronifizierung des Buchgeldes, der Kartenzahlungen und des mobilen Zahlens eine kurze Entwicklung. Und doch führt sie aus Sicht des Autors längst zu einer sichtbaren Marginalisierung von Bargeld. Eine sogenannte Less Cash Society lässt sich schon seit längerem mit konkreten Zahlen belegen. Auch die Bewegung hin zu einer freiwilligen Cashless Society beim Zahlen hält er für unausweichlich, eine Cashless Society ohne Bargeld hält er angesichts politischer Widerstände auf absehbare Zeit aber für wenig wahrscheinlich. (Red.)

In einigen Jahrzehnten hat der bargeldlose Zahlungsverkehr die Zahlungsgewohnheiten der Menschen geändert - zulasten von Bargeld - sei es durch Überweisungen, durch Lastschriften, durch Kartentransaktionen oder durch Transaktionen mit virtuellen (Karten-)Nummern1) . Unter Berücksichtigung all dieser unbaren Zahlungsformen abseits des PoS und am PoS sind bereits weit mehr als 90 Prozent aller Zahlungen bargeldlos. Das heißt, es gibt jetzt schon eine Less Cash Society. Lediglich bei Zahlungen am PoS2) ist das Vordringen des bargeldlosen Zahlens relativ "langsam". Hier sind im deutschen Sprachraum3) noch etwa 75 Prozent aller Transaktionen Bartransaktionen, die rund 50 Prozent des PoS-Umsatzes ausmachen. Allerdings wird der Anteil der bargeldlosen Transaktionen in diesem Wirtschaftssegment bei Fortsetzung des Trends jedes Jahr zunehmen und es ist eine Frage der Zeit, wann die restlichen Barzahlungen nur mehr eine Restgröße darstellen.

Zunahme des bargeldlosen Zahlens und Reduzierung des Bargelds

Im Folgenden wird vorerst nach einer Betrachtung der Entwicklung des Geldes auf den aktuellen Status der Less Cash Society eingegangen. In der Folge wird die absehbare weitere Entmaterialisierung des Geldes samt der Marginalisierung des Bargelds insbesondere am PoS erörtert werden. Dabei zeigen sich hier zwei ganz unterschiedliche Entwicklungsperspektiven:

- Zum einen ist es die auf Freiwilligkeit sowohl beim Zahler als auch beim Zahlungsempfänger beruhende Zunahme des bargeldlosen Zahlens. Hier werden die diesbezüglichen Tendenzen wie die "natürliche" Weiterentwicklung des Geldes, Zahlungsinnovationen, zunehmende Nutzeraffinität und Änderungen der Bankenstruktur sowie Risikoaspekte dargelegt.

- Zum anderen wird ergänzend auf bestehende Tatbestände und Überlegungen eingegangen, die von supranationalen/ nationalen Institutionen auf die Reduzierung des Bargelds ausgerichtet sind, sowie jener Ökonomen, die auf die auf die Schaffung einer Cashless Society durch Abschaffung des Bargelds gerichtet sind, eingegangen werden.

Danach soll eine Schlussfolgerung gewagt werden, wie es mit einer derart transformierten Zahlungslandschaft der Zukunft weitergehen könnte. Dabei geht es insbesondere um die Frage, inwieweit sich die derzeitige Less Cash Society in Richtung einer Cashless Society beim Zahlen etablieren kann beziehungsweise gar eine Cashless Society ohne Bargeld kommen könnte.

1. Entwicklung des Geldes: "Money makes the world go round." Dieses Zitat beschreibt das Geld als Grundlage für jede Volkswirtschaft. Kaum etwas prägte die Geschichte der Menschen mehr als Geld - Geld mit seinen drei Funktionen: Geld als Zahlungsmittel (exchange of value), Geld als Wertaufbewahrungsmedium (store of value) und Geld als Wertmaßstab (standard of value). Im Zuge der geschichtlichen Entwicklung des Geldes bis heute hat sich die Funktion des Geldes als Zahlungsmittel bedingt durch die technische Verbesserung beim Geldaustausch dramatisch verändert. Diese damit einhergehende sukzessive Entmaterialisierung des Bargelds wird seit den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts als Weg zu einer Cashless Society bezeichnet.

Unveränderte Funktion als Wertmaßstab

Parallel dazu hat sich auch die Funktion des Geldes als Wertaufbewahrungsmedium verändert. Zum größten Teil erfolgt das Sparen und die Kapitalanlage bereits heute weitgehend jenseits der Aufbewahrung von Bargeld, wenngleich diese Möglichkeit - insbesondere für Krisenzeiten, aber wie man jetzt sieht auch in Zeiten von Niedrig-, Null- und Negativzinsen - sehr geschätzt wird. Dazu kommt in neuerer Zeit das Deponieren von Bargeld angesichts von Niedrig- oder gar Minuszinsen. Nicht verändert hat sich jedoch im Laufe der Zeit - egal welche Form des Geldes vorherrschend war - die Funktion des Geldes als Wertmaßstab.

Angesichts der seit 40 000 Jahren andauernden Geschichte des Jetzt-Menschen ist die Geschichte des Geldes vergleichsweise kurz: sie dauert erst zirka 2 700 Jahre. In dieser Zeit hat sich das was Geld ist mehrfach komplett geändert. Das Naturalgeld dominierte als Vorstufe des Gel des per se und noch früher kam der Homo Sapiens Jahrtausende ohne Geld mit einfachen Tauschgeschäften aus. Als sich die Tauschwirtschaft ausweitete wurden mancherlei Dinge herangezogen, die als Geld dienten. Das Naturalgeld entstand im fünften Jahrtausend vor Christi. Es hat sich in einer beschränkt arbeitsteiligen Wirtschaft zirka 4 300 Jahre bewährt. Erst Anfang des 7. Jahrhunderts vor Christi wurde das Naturalgeld durch das Münzgeld sukzessive verdrängt. Es war die zweite Stufe der Geschichte des Geldes und erleichterte den Menschen den zweiseitigen Austauschprozess Verkauf/Kauf. Münzgeld haben viele Menschen auch heute noch jeden Tag in der Hand, doch ist seine Bedeutung durch den dritten Entwicklungsschritt des Geldes, das Papiergeld, angesichts der Tatsache, dass es ausschließlich zur Zahlung von Klein- und Kleinstbeträgen herangezogen wird, nur mehr gering.

Papiergeld wurde erstmals um 650 in China eingesetzt, drang von dort am Beginn der Neuzeit nach Europa und verbreitete sich hier in größerem Ausmaß erst ab dem 18. Jahrhundert. Wenngleich heute allein in der Eurozone rund 15 Milliarden Banknoten mit einem Wert von etwa 1 Billion Euro im Umlauf sind, geht die relative Bedeutung des Papiergelds laufend zurück. Dies deshalb, da heute das Buchgeld, das immaterielle verfügbare Geld auf Girokonten mit zirka 83 Prozent den größten Teil des Geldes ausmacht.

Elektronifizierung des Buchgeldes

Der Aufwand für das Handling größerer Geldbeträge und die zunehmende Notwendigkeit, größere Geldbeträge rasch und sicher von einem Ort zum anderen zu bewegen, führte zum nächsten Entwicklungsschritt des Geldes - dem Buchgeld. Heute zählen als Buchgeld alle Sichtguthaben, die jederzeit als Bargeld ausgezahlt werden können. Es ist das Geld, ohne dass eine moderne Wirtschaft nicht mehr auskommt. Mit dem Buchgeld wurde das Geld abstrakt. Der Erfolg des Buchgeldes und des mit ihm möglichen bargeldlosen Zahlungsverkehrs, der heute nahezu zur Gänze elektronisch abgewickelt wird, war durchschlagend.

Der Durchbruch des Buchgelds, das die Grundlage für den heutigen Zahlungsverkehr bildet und ohne das ein modernes Zahlungsleben nicht mehr vorstellbar ist, kam durch die Elektronifizierung des Buchgeldes. Zwar gab es bereits davor papierbehafte Buchgeldtransaktionen zulasten eines Girokontos und zugunsten eines anderen Girokontos. Mit dem elektronischen Geld - dem Transfer des Buchgeldes von einem Bankkonto auf ein anderes Bankkonto - wurde einerseits der bargeldlose Massenzahlungsverkehr möglich und hat andererseits das Abstraktionsniveau des Geldes auch dessen Bewegung erfasst. Es kam zur weitgehenden Entmaterialisierung des Geldes. Dies begann als die Abwicklung des bargeldlosen Zahlungsverkehrs - Überweisungen, Lastschriften, Schecks und Kartentransaktionen - ab den 1980er Jahren in einem Automatisierungsschub sukzessive elektronifiziert wurde. Das hatte zur Folge, dass elektronisches Geld als Buchgeldtransfer heute Usus ist.

2. Status der Less Cash Society: Die Elektronifizierung des Zahlungsverkehrs hat dazu geführt, dass die Zahlungen von Unternehmen und Privaten an öffentliche Haushalte und umgekehrt und die Zahlungen von Unternehmungen an Private heute bargeldlos sind. Gleiches gilt weitgehend auch für Zahlungen im E-Commerce. Barzahlungen kommen lediglich bei Zahlungen von Privaten an Unternehmen, die am realen PoS erfolgen, vor. Somit werden bereits jetzt weit über 90 Prozent der Zahlungen als Buchgeldtransfers bargeldlos elektronisch abgewickelt. Um zu einer Cashless Society zu kommen, einer Gesellschaft wo Bargeld nicht mehr als Zahlungsmittel eingesetzt wird, scheint es nur mehr ein kleiner - wenn auch mühsamer - Schritt.

Heute kann man die Geldwelt, das heißt die der entwickelten Staaten, am besten als Less Cash Society bezeichnen - Less Cash Society deshalb, weil heute schon ein Großteil der Zahlungstransaktionen bargeldlos ist und ein erheblicher Teil der Geldanlagen nicht mehr in Form von Bargeld erfolgt. Das Geld ist dennoch der einzige Wertmesser, ob es nun bar oder in digitalisierter Form vorliegt.

Seit 40 000 Jahren gibt es den Jetzt-Menschen. Seit 7 000 Jahren gibt es Naturalgeld. Seit 2 700 Jahren gibt es Münzgeld. Seit 300 Jahren gibt es Papiergeld. Mit dem mit der Industrialisierung einhergehende Anstieg der Bankgründungen im 19. Jahrhundert entfaltete sich auch der bargeldlose Zahlungsverkehr auf Basis Buch- oder Giralgeld. Seit 50 Jahren gibt es den Kartenzahlungsverkehr. Und ganz neu ist das digitale Geld in Form von Kryptowährungen.

Verglichen mit dem gesamten bisherigen Zeitrahmen des Jetzt-Menschen ist die Zeit der Zahlungen mit Geld - ob Natural-, Münz- oder Papiergeld - relativ kurz. Noch kürzer ist allerdings die Zeit, seitdem Privatpersonen auf Basis Buchgeld bargeldlose Zahlungen oder gar Kartenzahlungen vornehmen. In dieser kurzen Zeitspanne haben sich die Zahlungsgewohnheiten des Menschen gravierend verändert.

Bargeldlose Zahlungen am PoS

Die bislang etwas über 100 Jahre andauernde Geschichte des bargeldlosen Zahlungsverkehrs hat wie erwähnt erstaunliche Resultate gezeigt. Da zurzeit lediglich Zahlungen von Privaten an Unternehmen, die am realen PoS des jeweiligen Handels- oder Dienstleistungsunternehmens erfolgen, zu einem Gutteil bar bezahlt werden, hat sich die Diskussion hinsichtlich einer Cashless Society beim Zahlen auf bargeldlose Zahlungen am PoS fokussiert. Das sind heute vorwiegend Kartenzahlungen, die mit Debit- oder Kreditkarten erfolgen.

In der Regel handelt es sich dabei um Karten der diversen internationalen Payment Schemes wie zum Beispiel Mastercard (Maestro/Debit, Mastercard/Credit) oder Visa (V-Pay/Debit, Visa/Credit). Nationale Brands spielen demgegenüber eine immer kleinere Rolle. Bargeldlose Transaktionen gibt es auch mit Private Label Cards, die von Unternehmen mit einer Zahlungsfunktion meist für spezifische Zwecke ausgegeben werden. Ein Beispiel hierzu sind die Flottenkarten, die zum Beispiel an Tankstellen zur bargeldlosen Zahlung herangezogen werden können. Andere - neuere - Formen des bargeldlosen Zahlungsverkehrs haben bislang keinen substanziellen Anteil an den bargeldlosen Zahlungen erreicht.

Der Grund für das "langsame" Vordringen des bargeldlosen Zahlens am PoS liegt darin, dass zum einen nicht alle Unternehmen die Möglichkeit der Kartenzahlung anbieten, womit deren Kunden nicht immer die Möglichkeit des bargeldlosen Zahlens nützen können, und zum anderen mit dem Zahlungsverhalten der Privaten, das sich - wie das gesamte mit Geld zusammenhängende Verhalten - nur "langsam" ändert.

Was die bargeldlose Zahlungsmöglichkeit betrifft, ist sie durch eine beinahe Vollausstattung mit bargeldlosen Zahlungsmitteln nahezu erreicht. Sie kann jedoch nur realisiert werden, wenn ein Handelsoder Dienstleistungsunternehmen am PoS für den Konsumenten neben Bargeld auch bargeldlose Zahlungen zulässt. Die Anzahl der Akzeptanten von bargeldlosen Zahlungen ist seit den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts stetig gestiegen. Eine Vollabdeckung mit allen Formen des bargeldlosen Zahlens ist jedoch noch nicht erreicht. Die Akzeptanz ist jedoch auf einem guten Weg dorthin.

Soziologisch und psychologisch begründete Verhaltensmuster

Wenn nun dem privaten Konsumenten die Wahlmöglichkeit offen steht, bar oder bargeldlos zu zahlen, beeinflussen soziologisch und psychologisch begründete Verhaltensmuster die Entscheidung zugunsten des einen oder anderen Zahlungsmittels. Wesentliche Faktoren sind hierbei unter anderem Ausbildung, Alter oder soziale Schicht beziehungsweise Gewöhnung, Trägheit und Beharrungsvermögen. Hier hat der Trend der letzten Jahrzehnte ein stetiges kontinuierliches Anwachsen der bargeldlosen Kartenzahlungen gezeigt, was auf eine Änderung der Verhaltensmuster hindeutet, die auch auf die veränderte Altersstruktur zurückzuführen sein dürfte. An der Ausstattung der Privaten mit bargeldlosen Zahlungsmitteln dürfte die Zögerlichkeit zum zunehmenden bargeldlosen Zahlen nicht liegen. Rein von den Zahlen her gesehen haben erwachsene Private im deutschen Sprachraum im Durchschnitt bereits mehr als eine Karte.

Die auf Freiwilligkeit beruhende Entwicklungsperspektive in Richtung einer Gesellschaft ohne Barzahlung: In der Vergangenheit wurde als Cashless Society eine Gesellschaft definiert, wo alle Zahlungsvorgänge bargeldlos erfolgen. Dieses Szenarium geht davon aus, dass die Beteiligten am Markt - die Zahlungspflichtigen und die Zahlungsempfänger sich freiwillig für eine bargeldlose Zahlung entschlossen haben. Demzufolge hat sich der Zahlungspflichtige vorweg ein bargeldloses Zahlungsmittel zugelegt und der Zahlungsempfänger für die Akzeptanz bargeldloser Zahlungsmittel gesorgt. Mit dieser Vorgangsweise wurde der heutige Stand der Less Cash Society erreicht. Geld als Bargeld gab und gibt es in diesem Szenarium weiter als Residuum beim Zahlen und zur Erfüllung der Wertaufbewahrungsfunktion.

Hinsichtlich einer Cashless Society beim Zahlen stellt sich nun die Frage, welche Gründe dazu führen können, dass das Residuum an Barzahlungen in bargeldlose Zahlungen umgewandelt wird. Indizien für die Annäherung in Richtung einer Cashless Society gibt es eine Reihe. Die Gründe für diese Entwicklung sind unterschiedlich und kommen von verschiedenen Seiten des gesellschaftlichen Spektrums. Sie gehen von der "natürlichen" Weiterentwicklung des Geldes, der Absorbierung von Barzahlungen durch neue Formen des bargeldlosen Zahlens insbesondere bei Klein- und Kleinstbeträgen, der zunehmenden Nutzeraffinität zur bargeldlosen Zahlung, dem Anwachsen des E-Commerce, der Bekämpfung von Kriminalität und Schwarzarbeit/Schattenwirtschaft und den Kosten des Bargelds4) aus.

Einschränkung der persönlichen Freiheit

Als massive Kontras zur Cashless Society wird die Einschränkung der persönlichen Freiheit durch die mögliche totale Überwachung der Geldverwendung jedes Einzelnen, die Abhängigkeit der Zahlungspflichtigen und -empfänger von den Zahlungsintermediären insbesondere der Banken und mehr persönliche Disziplin erforderliche Ausgabenkontrolle vor gebracht. Dazu kommt die Gefährdung der Bestandsdaten bei den Zahlungsverkehrsdienstleistern und der Authentizität der Transaktionen durch Computerkriminalität.

"Natürliche" Weiterentwicklung des Geldes: Die Form des Geldes hat sich seit es Geld gibt immer weiterentwickelt. Den größten Entwicklungsschub brachte zuerst das Buchgeld und danach dessen elektronische Bewegung zuerst im "klassischen" Zahlungsverkehr bei Überweisungen und Lastschriften und danach bei Karten. Hier wurden durch wenige größere und viele kleinere Schritte deutliche Fortschritte in Richtung einer einfacheren und damit bequemeren Zahlungsmöglichkeit gesetzt. All das war mit einer gesteigerten Akzeptanz durch die Nutzer verbunden und beschleunigte die Entmaterialisierung des Geldes. Diese Entwicklung ist darauf zurückzuführen, dass die Veränderungen Verbesserungen waren, wodurch eine bessere Befriedigung der Bedürfnisse der Zahler und der Zahlungsempfänger erreicht wurde. Wäre es damit nicht zu Verbesserungen für die Nutzer gekommen, hätten sich diese nicht durchgesetzt. Schlicht und einfach wurde etwas Altes durch etwas Neues ersetzt.

Die Geschichte des Geldes hat gezeigt, dass altes Geld von neuem Geld verdrängt wird, und zwar jeweils zuerst teilweise, dann zur Gänze. Heute wird aufgrund der bisherigen Entwicklung der Zahlungsinstrumente nur noch ein Bruchteil aller Geldtransaktionen bar abgewickelt. Nur am PoS hat Bargeld noch einen nennenswerten Anteil. Doch auch hier steigt der Anteil des elektronischen Geldes am PoS um ein bis zwei Prozentpunkte pro Jahr. Damit wird auch am PoS - wenn man die Geldgeschichte der letzten 50 Jahre betrachtet - in den nächsten Jahrzehnten das Bargeld marginalisiert, sowohl was die Anzahl der Transaktionen als auch deren Volumen betrifft. Wesentlichen Einfluss wird hierbei der Einsatz von neuen Formen des bargeldlosen Zahlens ausüben.

Absorbierung von Barzahlungen durch neue Formen des bargeldlosen Zahlens: Wurden noch vor etwas mehr als einem halben Jahrhundert nahezu 100 Prozent der PoS-Transaktionen sowohl im deutschen Sprachraum als auch darüber hinaus mit Bargeld getätigt, so hat sich das mit den Innovationen der Finanzdienstleister sukzessive verändert. Auf die Pioniere der weltweiten Zahlung mit Reiseschecks folgten die Anbieter von Kreditkarten und der ersten Debitkarten in Form von Scheckgarantiekarten. Sie blieben aber lange Nischenprodukte, da die Technik mangels Elektronifizierung noch keinen Massenbetrieb zuließ.

Mangelndes Vertrauen in Transaktionen

Erst mit der Einführung von Karten mit Magnetstreifen zur Card Verification und der PIN zur Cardholder Authentication für den Bargeldbezug an Geldausgabeautomaten zog die Technik in den Zahlungsverkehr am PoS ein, die bald danach auch eine Nutzung an PoS-Terminals ermöglichte. Durch eine sukzessive Verbreitung der Karten primär an private Kunden und der parallel dazu erfolgten Ausweitung der Akzeptanten am PoS - wie es auf einem zweiseitigen Markt zwingend notwendig ist - nahm der Trend zum bargeldlosen Zahlen Fahrt auf.

Das anfangs noch etwas mangelnde Vertrauen in Transaktionen auf Magnetstreifenbasis mit PIN, bedingt durch Kartenfälschungen und PIN-Ausspähungen, wurde mit der Einführung der Chiptechnologie massiv verbessert. Dazu ermöglichte der Chip auch die Einführung von elektronischen Geldbörsen, die vorwiegend für Klein- und Kleinstzahlungen gedacht waren, sich jedoch aufgrund der Weiterentwicklung der Debit- und Kreditkarten für derartige Transaktionen bis auf einige wenige nicht lange am Markt halten konnten. Parallel mit der Entwicklung der Technik wurden Karten - vorerst nur auf einzelne Länder, Regionen oder Kontinenten beschränkt - durch die Initiativen der Payment Schemes insbesondere von Mastercard und Visa weltweit einsetzbar. Durch all diese Weiterentwicklungen der Zahlungsprodukte nahmen die Transaktionen und das Betragsvolumen bei Domestic-Zahlungen und auch bei Cross-Bor der-Zahlungen bis heute zu. Mit den derzeit in Einführung begriffenen und den noch in der Pipeline befindlichen Innovationen wird der Anteil von bargeldlosen Zahlungen am PoS weiter zunehmen.

Kontaktloses Zahlen auf NFC-Basis

Bereits voll im Rollout befindet sich das kontaktlose Zahlen auf NFC-Basis. Mehr und mehr Karten werden mit diesem Feature ausgestattet und mehr und mehr PoS-Terminals können derartige Zahlungen akzeptieren. Mit der NFC-basierten "Tap and Go"-Zahlung (bis zur definierten Betragsgrenze; meist 25 Euro) konnte die Convenience und die Geschwindigkeit beim Zahlen erhöht werden. Der Vorteil ist, dass die Karte nicht mehr in das PoS-Terminal gesteckt werden muss, ein Nähern der Karte an das PoS-Terminal reicht, um die Zahlungstransaktion zu starten. Die von den Zahlungsdienstleistern eingeführte Betragsgrenze, bis zu der keine PIN eingegeben werden muss, hat dazu geführt, dass Karten vermehrt für Klein- und Kleinstbeträge (ursprünglich für die elektronischen Geldbörsen vorgesehen) eingesetzt werden. Die Zahlung dieser Klein- und Kleinstbeträge war bisher eine Domäne des Bargelds.

Sowohl für die Zahler als auch für die Akzeptanten gilt aber, dass nicht nur die Zahlungen schneller und bequemer und damit problemloser als Barzahlungen abgewickelt werden, sondern dass es auch bei eventuellen Reklamationen (zum Beispiel bei Doppelabbuchungen) eine für Zahler und Zahlungsempfänger kundenorientierte Lösung gibt. Trotzdem bedeutet das Stress, insbesondere für den Zahler. Kontaktlose Zahlungen dürften in den nächsten Jahren nach Vollausstattung von Karten und PoS-Terminals massiv Bargeldtransaktionen absorbieren.

Auch bei M-Payments, die sich bislang noch nicht auf breiter Basis durchgesetzt haben, dürfte dies der Fall sein: denn die StartPoSition für M-Payments ist sehr gut. Die Ausstattung am PoS mit NFC-fähigen Terminals erspart hier den Proponenten die Entwicklung des "zweiten" Marktes, der Akzeptanz. Es gilt hier, "nur" die Smartphones für M-Payments zu kalibrieren. Zur technischen Umsetzung im Smartphone gibt es mehrere Möglichkeiten. Die Daten für die Zahlung können auf einem Payment-Chip im Smartphone gespeichert sein. Hierbei ist allerdings eine Abstimmung zwischen dem Mobilfunkbetreiber und dem Emittenten der M-Payment-Zahlungsmöglichkeit (in der Regel einem Kartenherausgeber) erforderlich. Alternativ können von den Emittenten der M-Payment-Zahlungsmöglichkeit Wallets angeboten werden, die als Apps im Smartphone gespeichert werden und mit unterschiedlichen "virtuellen Karten" bestückt werden können. Die M-Payments am PoS erfolgen in der gleichen Art und Weise wie mit Kontaktloskarten.

Neue Konkurrenz für Karten

Die Innovationen der Betreiber von Zahlungssystemen haben maßgeblich dazu beigetragen, das bargeldlose Zahlen voranzubringen. Die jährlich zunehmenden bargeldlosen Transaktionen dokumentieren dies. Doch die Innovationen im Zahlungsverkehr werden sich fortsetzen, was zu einem weiteren Fortschritt beim elektronischen Geld und seiner Sicherheit führen wird. So könnte sich die PIN zur Authentifizierung des Zahlenden durch ein biometrisches Kennzeichen ersetzt werden, was die Convenience und Schnelligkeit beim Zahlen weiter verbessern wird. Die Karten, die bisher und auch heute noch die wesentlichsten Zahlungs-Tools am PoS sind, werden nicht nur durch Smartphones Konkurrenz bekommen, sondern auch durch andere Tools ergänzt werden. Das könnten Uhren, Schlüsselanhänger, Ringe, Wearables oder Implantate sein.

Zunehmende Nutzeraffinität zur bargeldlosen Zahlung: Die Zunahme des bargeldlosen Zahlens am PoS ist auch auf die Konsumenten zurückzuführen. Diese sind zwar im deutschsprachigen Raum in ihrem Geldleben konservativ. Und dazu gehört auch der Zahlungsverkehr. Das bedeutet, dass sich die Einstellungen der Konsumenten in Hinblick auf Geld und damit auch auf Zahlungen nur langsam verändern. Das gilt für alle am Markt auftretenden Jahrgänge. Doch auch hier zeigt sich Bewegung. Nach den First Movers und den Trendsetters sind bereits die Late Followers dabei, bargeldlos zu zahlen - allerdings noch nicht mit der Häufigkeit und Selbstverständlichkeit wie in Bezug auf Zahlungen saturierteren Märkten. Selbst die Älteren, denen oft mangelnde Fortschrittsfreudigkeit zugeschrieben wird, zahlen immer öfters bargeldlos.

Anders stellt es sich jedoch mit den neu auf den Markt eintretenden Konsumenten dar. Sie sind Innovationen generell und auch bei jenen das Zahlen betreffend aufgeschlossener als ältere Generationen. Dazu kommt, dass nachrückende Jahrgänge das Smartphone und die mit ihm verbundenen Möglichkeiten mittlerweile als Selbstverständlichkeit wahrnehmen. Und sie werden auch andere Neuentwicklungen ähnlich PoSitiv sehen und nutzen. Mit den jedes Jahr neu hinzukommenden elektronikaffinen Jahrgängen wird sich das Verhältnis zugunsten des elektronischen Geldes weiter zulasten des Bargelds verändern.

Basiskonto für alle

In Lösung begriffen ist indes ein Problem, das jene Bevölkerungskreise betrifft, die derzeit mangels Bankkonto noch über kein Buchgeld verfügen und damit auch nicht mit elektronischem Geld zahlen können. Durch eine in den Ländern der EU in Umsetzung begriffene EU-Richtlinie wird es ein Basiskonto für alle geben, was in der Regel auch eine Karte auf Habenbasis einschließt und somit die Möglichkeit eröffnet, bargeldlos zu zahlen.

Bei den Akzeptanten hat sich nach einer Zeit retardierenden Verhaltens eine zunehmende Aufgeschlossenheit für das bargeldlose Zahlen durchgesetzt. Das ist zum einen auf die vorerst sukzessive Reduktion und seit der Interchange-Regulierung auf die massive Reduktion des von ihnen zu zahlenden Entgelts zurückzuführen. Doch das Verhalten der Akzeptanten des elektronischen Geldes, das jahrelang retardierend war, hat sich auch durch die zunehmende Nachfrage zum PoSitiven verändert. Das Akzeptanznetz erreicht jedes Jahr eine deutliche Verbesserung. Mittlerweise gibt es kaum mehr größere Unternehmen, die elektronisches Geld nicht akzeptieren. Dennoch gibt es immer noch eine Reihe von immer weniger werdenden Handels- und Dienstleistungsunternehmen, die ausschließlich auf Bargeld setzen. Hier gilt es für die Zahlungsdienstleister durch ein entsprechendes Produktangebot dafür zu sorgen, dass auch Klein- und Kleinstunternehmer den Konsumenten die gleiche Zahlungspalette anbieten können wie Großunternehmen.

Da immer mehr Akzeptanten sich für bargeldlose Zahlungen öffnen und immer mehr Konsumenten bargeldlose Zahlungen tätigen wollen, dürfte sich das jährliche Wachstum des bargeldlosen Zahlens versus des Barzahlens fortsetzen.

Veränderungen in der Bankenstruktur: Die Bankenstruktur, die durch ein dichtes Filialnetz gekennzeichnet war, ist angesichts veränderter Kundenbedürfnisse infolge der vermehrten Nutzung von E- und M-Banking im Umbruch. Mehr und mehr Bankfilialen werden entweder geschlossen oder als SB-Einheiten ohne Kassen weitergeführt. Bei Schließung bedeutet dies für die Geldversorgung, dass Bargeldabhebungen und Bargeldeinzahlungen nicht mehr möglich sind. Das bedeutet für die Privatkunden eine Bargeldbezugsfazilität - sei es eine Filiale oder ein Geldausgabeautomat - woanders und zwar weiter entfernt zu suchen, und das bedeutet für Firmenkunden für die Tageslosung eine andere Form der Bargeldentsorgung - sei es eine Filiale oder ein Geldeinzahlungsautomat - und zwar weiter entfernt zu finden.

Dieser bereits laufende strukturell bedingte Trend der Ausdünnung der Bankenstruktur mit einer Reduktion der Bargeldver- und -entsorgung durch Banken wird auch dazu beitragen, dass bargeldlose Zahlungen zunehmen werden. Eine Möglichkeit, die derzeit durch wegfallende Bankautomaten sichergestellte Bargeldversorgung künftig aufrechtzuerhalten, wäre der flächendeckende Bargeldbezug am PoS überall dort, wo man auch bargeldlos zahlen kann.

Verringerung/Vermeidung der Bargeldkriminalität

Die Reduktion der Bargeldbezugs- und Bargeldeinlieferungsfazilitäten ist für die Banken auch ein Schritt zur Verringerung/Vermeidung der Bargeldkriminalität und damit des Bargelds. Auf diesem Weg sind die schwedischen Banken schon weit fortgeschritten. Dort wurden zusätzlich zu den erwähnten veränderten Marktbedürfnissen aus Sicherheitsgründen in dünn besiedelten Landesteilen nicht nur Filialen geschlossen, sondern bei den verbliebenen SB-Einheiten wurde auch auf Bargeldein- und -auszahlungsautomaten verzichtet. Dies deshalb, da die Banken verhindern wollen, dass ihre Bargeldautomaten ausgeplündert und/ oder gekapert und ihre Filialen und ihre Bargeldtransporte überfallen werden.

Parallel wurde sichergestellt, dass alle Zahlungspflichtigen mit einer Karte (sei es mit Überziehungsmöglichkeit oder nur auf Guthabensbasis) ausgestattet sind und alle Zahlungsempfänger Zahlungen mit diesen Karten bargeldlos akzeptieren können. Die Folgen waren einerseits, dass die mit Bargeld zusammenhängende Kriminalität (Taschendiebstahl, Überfälle bei der Ablieferung der Tageslosung, Überfälle auf Geldtransporter, Attacken auf Geldausgabeautomaten) aufhörte, und andererseits, dass Bargeld als Zahlungsmittel nahezu gänzlich eliminiert wurde. Das war für Schweden die zweite Geldrevolution, denn 1661 führte Schweden als erstes Königreich Europas das Papiergeld ein. Damals weil dessen Transport via Postkutschen gegenüber dem Transport von Münzen weit effizienter war.

Risiken des bargeldlosen Zahlens geringer als die Risiken des Bargelds: Die Risiken des Bargelds sind erheblich. Ob es im eigenen Heim aufbewahrt wird oder ob es sich in der Geldbörse befindet, es kann jederzeit gestohlen werden. Dazu kommt, dass Bargeld verloren werden kann, was meist auch den Verlust bedeutet. Nur in seltenen Fällen findet sich ein ehrlicher Finder, der das Bargeld - so der Verlierer bekannt ist - diesem retourniert. Nicht selten kommt es auch zu Raubüberfällen, die meist ausschließlich des Geldes wegen unternommen werden. Das zeigt sich, dass die Geldbörse und alles, was sich außer Bargeld in ihr befunden hat, meist unmittelbar nach der Tat weggeworfen wird. All das sowie die zunehmende Anzahl von bargeldlosen Transaktionen am PoS hat dazu geführt, dass der Bargeldvorrat pro Person zurückgeht. Nichtsdestoweniger tragen immer noch viele Menschen (unnötig) zu viel Bargeld mit sich und haben (unnötig) zu viel Bargeld zu Hause liegen.

Demgegenüber sind die Risiken des bargeldlosen Zahlens geringer. Wer eine Debit- oder Kreditkarte auf Chipbasis oder ein Smartphone mit einer gespeicherten Kartenapplikation hat und seine PIN eingibt zahlt sicher. Und wer ein derartiges Zahlungsdevice verliert oder wem es gestohlen/geraubt wird hat kein Risiko: Bei Zahlungen bis 25 Euro, die ohne PIN-Eingabe erfolgen, trägt das Risiko der Zahlungsdienstleister, der die Karte ausgegeben hat; Zahlungen mit PIN-Eingabe sind nicht möglich, da die PIN bis heute nicht "geknackt" wurde. Es gilt daher die PIN nicht aufzuschreiben und sie nur ohne Blicke Dritter einzugeben. Lediglich bei Verlust/Diebstahl der Karte und anschließendem Missbrauch durch Dritte auf Unterschriftsbasis trägt der Karten-/Smartphone-Inhaber ein geringfügiges Risiko. Es gibt jedoch Bestrebungen, weltweit von der Unterschrift weg zur PIN zu kommen oder gar auf eine andere Form der Verification wie ein biometrisches Kennzeichen zu kommen.

Alles in allem ist das bargeldlose Zahlen mit deutlich weniger Risiko verbunden als das Barzahlen (und das Vorrätighalten von Bargeld): Geldbörse verloren -> Geld weg, Karte/Kartennummer missbräuchlich verwendet -> Reklamationsprozedur notwendig. Das ist mit ein Grund, dass bargeldlose Zahlungen laufend zunehmen. Das ändert aber nichts daran, dass es für die Zahlungsbetreiber die Auflage geben muss, gegen kriminelle Machenschaften alles was "State of the Art" möglich ist zu realisieren. Ein Beispiel wie es nicht sein soll ist der weltweite Chip-Einsatz anstelle des Magnetstreifens, der immer noch nicht überall verpflichtend ist.

Kontrollaufwand versus Transparenz

Was die in den Bank-/Kreditkartenauszügen mit zunehmenden bargeldlosen Zahlungen laufend mehr werdenden Buchungszeilen betrifft, gibt es hierzu ein Kontraargument, dass deren Kontrolle - so sie, was zweckmäßig ist, vorgenommen wird - einen nicht unerheblichen Aufwand bedeutet. Dagegen wird das Proargument angeführt, dass Auflistung der bar geldlosen Zahlungen zu einer Art "Haushaltsbuchhaltung" führt und die Verursacher der Haushaltskosten detailliert bekannt werden und somit gegebenenfalls Einsparungen zielgenau möglich sind.

Wegfall der Anonymität beim Zahlen: Eine Konsequenz des bargeldlosen Zahlens ist, dass es dabei keine anonymen Transaktionen gibt. Das heißt, letzten Endes kann bei entsprechender gesetzlicher Grundlage jede Transaktion - sofern sie bargeldlos ist - durch Behörden nachvollzogen werden. Der Wegfall der Anonymität beim Zahlen scheint gegen eine bargeldlose Gesellschaft beim Zahlen zu sprechen. Denn gegen diese Entwicklung kommt der Widerstand an der möglichen Totalüberwachung der Menschen bei allen persönlichen Angelegenheiten, die mit einer Geldtransaktion verbunden sind. Denn natürlich kann das zu völliger finanzieller Transparenz führen.

Offen ist, ob eine derartige finanzielle Transparenz die heutigen Menschen und insbesondere die Digital Natives jedoch stört. Festnetz- und Handy-Überwachung, SMS- und E-Mail-Überwachung durch die Behörden stoßen - außer bei einigen Gerichten - bei der Bevölkerung kaum auf Widerstand. Die NSA-Überwachung stört ebenso kaum jemanden, und zwar bis in die Spitze der Politik. Was immer an Überwachungsskandalen auffliegt, es gibt kaum Widerstand dagegen. Warum sollte es also beim bargeldlosen Zahlen dazu kommen - sofern es freiwillig erfolgt? Denn es bleibt jedem möglich, mit Bargeld zu zahlen. Diese Option für Barzahlung ist der grundlegende Unterschied der auf Freiwilligkeit beruhenden Weiterentwicklung zu einer Gesellschaft ohne Barzahlung gegenüber einer auf (staatlichem) Zwang beruhenden Entwicklung in Richtung einer Gesellschaft ohne Bargeld.

Abschaffung des Bargelds per Gesetz

Die auf Zwang beruhende Entwicklungsperspektive in Richtung einer Gesellschaft ohne Bargeld: Ein ganz anderer Zutritt zur Cashless Society - nicht im Sinne einer Gesellschaft der bargeldlosen Zahlung, sondern im Sinne einer Gesellschaft ohne Bargeld - kommt nicht von den Zahlungskontrahenten, dem Zahler und dem Zahlungsempfänger, sondern von supranationalen oder nationalen Institutionen. Dabei fällt nicht nur die Funktion des Bargeldes als Zahlungsmittel weg, sondern auch die Funktion des Bargeldes als Wertaufbewahrungsmittel. Geld wir völlig virtuell: als Zahlungsmittel, als Wertaufbewahrungsmedium und als Wertmaßstab.

Wenn bislang als Cashless Society eine Gesellschaft definiert wurde, wo alle Zahlungsvorgänge bargeldlos erfolgen, so bezieht sich seit der letzten Finanzkrise die Definition einer Cashless Society nicht mehr nur auf die Realisierung des bargeldlosen Zahlens, sondern wurde auf die Abschaffung des Bargelds erweitert. Das ist nun nicht eine freiwillige Entscheidung der Marktteilnehmer wie bei einer Cashless Society beim Zahlen, sondern eine Entscheidung, die nur per Gesetz eines Staates oder einer Staatenunion umgesetzt werden kann. Die Gründe, die hierfür angeführt werden, sind mannigfaltig.

Bekämpfung von Schwarzarbeit und Schattenwirtschaft: Ein oft von staatlicher Seite kommender Ansatzpunkt, der für die Reduktion/Abschaffung des Bargelds genannt wird, ist die Bekämpfung von Schwarzarbeit und Schattenwirtschaft. Dabei geht es den Staaten darum, nicht nur mehr Steuergerechtigkeit für die steuerzahlenden Unternehmen und Privaten zu erreichen, sondern insbesondere auch mehr Steuereinnahmen zu lukrieren. Diese fallen nämlich durch Schwarzarbeit und Schattenwirtschaft nicht in der Höhe an, wie sie anfallen könnten. In diese Richtung gehen Maßnahmen der EU in Bezug auf die Anmeldung von Barmitteln ab 10 000 Euro bei der Ein- oder Ausreise und diverser Länder (wie Schweden, Griechenland, Italien, Spanien, Belgien und Frankreich), den Höchstbetrag für Bartransaktionen zu kappen. Doch derartige Limits allein werden zwar die Schwarzarbeit/Schattenwirtschaft reduzieren, aber nicht eliminieren. Ähnliches gilt auch bei einer Registrierkassen- und Rechnungslegungspflicht oder durch die Abschaffung von Banknoten mit höherer Denomination. So hat die EZB erst kürzlich beschlossen, dass 500 Euro Banknoten nicht mehr ausgegeben werden.

Stimulierung der Wirtschaft

All das erschwert zwar bei kriminellen Aktivitäten der Schattenwirtschaft wie Menschen-, Drogen- und Waffenhandel den Bargeldverkehr bei den dort in der Regel anfallenden größeren Beträgen erheblich, kann diese jedoch nicht abschaffen. Erst bei der Abschaffung des Bargelds könnte dieses staatliche Ziel erreicht werden. Ob es allerdings erreicht werden kann ist angesichts bereits existierender Alternativen (zum Beispiel Gold) oder künftiger Geldersatzinnovationen (zum Beispiel Kryptowährungen) fraglich.

Anregung der Wirtschaftstätigkeit: Ein wesentliches Argument für die Befürworter einer Gesellschaft ohne Bargeld kommt aus der Ökonomenzunft, die hier die Möglichkeit sehen, Schwundgeld (nach Silvio Gsell) zur Stimulierung der Wirtschaft zu schaffen. Dazu gehören insbesondere die Überlegungen von Kenneth Rogoff, das Bargeld abzuschaffen. Rogoff, 2001 bis 2003 Chefökonom des IWF und danach Professor an der Harvard University, geht davon aus, dass die Zentralbanken in einer Welt ohne Bargeld leichter Negativzinsen durchsetzen können, um so die Wirtschaft anzukurbeln.

Erheben die Zentralbanken negative Zinsen, dann bedeutet dies für die Geschäftsbanken Zinsaufwendungen, wenn sie Geld bei den Zentralbanken anlegen. Die Geschäftsbanken würden damit genötigt werden, ihr Geld an Unternehmen und Private in Form von Krediten anzulegen. Mit diesen Krediten könnten die Unternehmen investieren und die Privaten konsumieren und so die Wirtschaft neuen Schwung verleihen. Derartige Negativzinsen bedeuten für die Anleger allerdings eine offene jedoch nicht so deklarierte Steuer auf Geldeinlagen.

Gesellschaft ohne Bargeld

Für eine derartige Gesellschaft ohne Bargeld ist für die Proponenten einerseits die Vollausstattung aller Personen und Gesellschaften mit Bankkonten oder Bankkontosurrogaten, auf die Beträge gutgeschrieben werden können und auf denen Beträge abgebucht werden sowie der entsprechenden Zahlungsmittel und andererseits die Vollausstattung aller Zahlungsempfänger mit entsprechenden PoS-Terminals. Beide Devices auf Zahlerseite und auf Zahlungsempfängerseite würden aus heutiger Sicht elektronisch sein und digitalisierte End-to-End-Transaktionen ermöglichen. Dazu würden sie eine schnellere Zahlung am PoS als mit Bargeld ermöglichen. Für Touristen und andere Einreisende wie Migranten wäre es notwendig ebenfalls über eine bargeldlose Zahlungsmöglichkeit zu verfügen. Das könnten entweder nur international akzeptierte Zahlungsmittel oder auch spezielle betraglich limitierte Prepaid Cards sein, die bei definierten Punkten im Aus- und im Inland, in der realen und in der virtuellen Welt mit elektronischem Geld aufgeladen werden können. In beiden Fällen wäre vor deren Ausstellung die Authentizität der Verwender festzustellen.

Eine Realisierung der Bargeldabschaffung kann nur nach Schaffung der nötigen Voraussetzungen und in Schritten erfolgen. Dazu gehören einmal Girokonten und Zahlungsmittel (Karten) für alle (in der EU in Bälde realisiert) sowie Akzeptanzdevices (PoS-Terminals) für alle Zahlungsempfänger. Weitere Vorbereitungsmaßnahmen wären Verbot von Barzahlungen über x Euro, Verbot der In- und Ausfuhr von Bargeld über x Euro, die in Ein-, Zwei- oder Dreijahresabständen erfolgende Abschaffung der 500-Euro-, der 200-Euro- und der 100-Euro-Banknote. Danach könnte ähnlich wie bei der Euro-Einführung der Rest zu einem bestimmten Stichtag abgeschafft werden.

Abgeschafft bedeutet, dass es Euro-Banknoten zwar weiter geben wird, jedoch keine mehr ausgegeben werden und rückläufige eingezogen werden. Darüber hinaus wäre angesichts der völligen Abhängigkeit einer bargeldlosen Gesellschaft vom technischen Funktionieren der Akzeptanz angesichts der Bedeutung des Zahlens in einer Volkswirtschaft die Schaffung einer Offline-Fallback-Lösung oder etwas Äquivalentem eine Notwendigkeit.

Im Umlauf verbleibende Euro-Banknoten werden informelle Zahlungsmittel und Wertaufbewahrungsmittel und könnten somit über Nominale gehandelt werden. Es wird darüber hinaus Ersatzwährungen für informelle Transaktionen geben. Vorzugsweise werden dies ausländisches Bargeld (zum beispiel US-Dollar oder Schweizer Franken, sofern es diese als Bargeld noch gibt) oder Edelmetalle sein. All diese Ersatzwährungen wären allerdings zinslos. Der Fantasie sind allerdings keine Grenzen gesetzt, was noch alles als Ersatzwährung für informelle Transaktionen dienen kann (so Bitcoins und anderen Alternativwährungen, sofern es diese dann auch als Bargeld gibt). Als Grundproblem der Bargeldabschaffung dürfte sich das mangelnde Vertrauen in das elektronische Geld herausstellen. Da eine Cashless Society ohne Bargeld per Gesetz geschaffen werden müss te, liegt es an der Bevölkerung, dass die Gesetzgeber direkt und die Regierungen indirekt wählt, dies zu verhindern.

Einschränkung der persönlichen Freiheit: So es zur Abschaffung des Bargelds kommt, ist jede Zahlung zwangsläufig eine bargeldlose. Bei entsprechender gesetzlicher Grundlage sind alle bargeldlosen Zahlungen nicht mehr anonym. Das heißt letzten Endes kann in diesem Falle jede Transaktion - jeder Zahler, jeder Betrag, jeder Zahlungsempfänger - durch Behörden nachvollzogen werden. Dazu kommt der Wegfall der Möglichkeit, Bargeld zum Sparen heranzuziehen, da es ja kein Bargeld mehr gibt. Erst diese völlige Transparenz der Geldanlage dürfte vor der möglichen Totalüberwachung der Menschen bei allen persönlichen Angelegenheiten, die mit einer Geldtransaktion verbunden sind, zu einem Widerstand der Bevölkerung führen. Das hat sich auch in der Presseberichterstattung über die Pläne zur Abschaffung des Bargelds niedergeschlagen.

Offenbar geht der Weg beim Zahlen geradeaus in Richtung einer Cashless Society. Oder doch nicht? Die geäußerten Meinungen sind kontrovers. Die einen gehen davon aus, dass es Geld in Form von Münzen und Banknoten immer geben wird. Die anderen sehen den Wegfall des Bargeldes in absehbarer Zukunft. Und die Unentschlossenen sind der Meinung, dass es die bargeldlose Gesellschaft zwar irgendwann, aber nicht mehr zu ihrer Lebenszeit geben wird. So wie es ausschaut liegt eine Cashless Society noch in der Ferne, denn Bargeld und Zahlungsdevices sind nicht vollkommene Substitute, was das Ausmaß an Substitution limitiert. Eine Reihe der dargestellten Faktoren und einige noch nicht absehbare Faktoren werden zu einer weiteren Verringerung der Bargeldnutzung führen.

Der Hauptgrund für die Realisierung einer Cashless Society beim Zahlen aufgrund der jährlichen Fortschritte dürfte darin liegen, dass sich Einstellungen auch bei den Konsumenten in Hinblick auf Geld und damit auch auf Zahlungen nur langsam verändern. Mit den jedes Jahr neu hinzukommenden elektronikaffinen Jahrgängen wird sich das Verhältnis zugunsten des elektronischen Geldes weiter zulasten des Bargelds verändern.

Das Verhalten der Akzeptanten des elektronischen Geldes - das jahrelang retardierend war - hat sich durch die sukzessive Reduktion des von ihnen zu zahlenden Entgelts in den letzten Jahren zum PoSitiven verändert. Dennoch gibt es immer noch eine Reihe von immer weniger werdenden Handels- und Dienstleistungsunternehmen, die ausschließlich auf Bargeld setzen. Da Transaktionen schneller und sicherer als mit Bargeld abgewickelt werden, ist hier kein Widerstand zu erwarten.

Annäherung an den Status der Cashless Society beim Zahlen

Weitere Schritte, um dem elektronischen Geld zum vollen Durchbruch zu verhelfen, wären auch noch von den Betreibern der Zahlungssysteme zu setzen. Eine Reihe von Initiativen läuft bereits. Verändern werden sich vor allem die Zahlungs-Tools. Die Karten, die bisher und auch heute noch die wesentlichsten bargeldlosen Zahlungs-Tools am PoS sind, werden durch andere Tools ergänzt werden, wobei hier dem Smartphone eine besondere Rolle zukommt. Dazu gilt es die Lücken im Angebot bei den Klein- und Kleinstbetragszahlungen, die heute noch weitgehend bar bezahlt werden, zu schließen. Das bedeutet unter anderem Akzeptanzlösungen für Zeitungsverkäufer, für die Kollekte oder für Bettler. Mit Contactless Payments ist es zu einer ersten Zahlungsvariante gekommen, die in diese Richtung geht.

Last, but not least gilt es bei einer Gesellschaft, die auf freiwilliger Basis auf Barzahlungen verzichtet und auf bargeldlose Zahlungen setzt, dass bei den vielen Beteiligten die jeweils anfallenden Kosten akzeptiert werden. Den Issuern wurde durch die MIF-Regulierung der Ertrag gekürzt, weshalb sie bereits Ertragsalternativen gefunden haben, noch nach ihnen suchen oder sie die Ertragsreduzierung nicht so hart trifft, dass eine Querfinanzierung nicht möglich ist. Die bar geldlosen Zahler können derzeit - so wie es ausschaut - mit den auf sie anfallenden Kosten für das Zahlungsmittel leben. Die Zahlungsakzeptanten wurden durch die MIF-Regulierung weitgehend zufriedengestellt, wenngleich für Hardliner jeder für Zahlungen bezahlte Betrag zu viel ist. Die Acquirer kommen durch die den Akzeptanten verrechneten Entgelte zu Rande, sind jedoch um auch künftig finanziell erfolgreich zu sein, zum Transaktionswachstum verdammt.

Angesichts all der Vorhaben auf dem Gebiet einer Cashless Society beim Zahlen und aufgrund der regelmäßigen jährlichen Zunahme der bargeldlosen Zahlungen kann davon ausgegangen werden, dass der Anteil der Barzahlungen in den nächsten 10 bis 20 Jahren auf eine vernachlässigbare Größe sinken wird und damit der Status einer Cashless Society (fast) erreicht wird.

Nicht ohne Zustimmung der Wähler

So wie die Cashless Society beim Zahlen sich mehr und mehr einer Realisierung nähert, so ungewiss ist eine Cashless Society ohne Bargeld. Eine derartige Radikalumstellung des Geldes bedarf einer gesetzlichen Regelung, die wohl der Zustimmung der Wähler bedarf. Die Wähler zu übergehen, könnte angesichts der (zumindest derzeitigen) Stimmung der Bevölkerung nur zur Abwahl der dafür eintretenden Parteien führen würde. Dazu kommt, dass in der EU und in der Euro-Zone derzeit dafür wohl keine Mehrheit zu erzielen ist. Von einer Cashless Society ist daher in absehbarer Zukunft nicht auszugehen.

Ob Naturalgeld, Münzgeld, Papiergeld, Buchgeld oder elektronisches Geld als Buchgeldtransfer, die Funktion des Geldes als Schmiermittel = Zahlungsmittel für die Volkswirtschaft bleibt gleich: "Money makes the world go round" gilt auch, wenn das Geld völlig entmaterialisiert ist und die Cashless Society in dieser oder jener Form realisiert ist.

Der Autor dankt Professor Dr. Malte Krüger, Hochschule Aschaffenburg, für die Durchsicht des Manuskripts und wertvolle Anregungen.

Fußnoten

1) Hier sind alle Transaktionen mit einer virtuellen Kartennummer allerdings in einem anderen Medium als Karten wie z.B. Smartphone, Smartwatch, Smartkeychains, Smartimplants, etc. gemeint.

2) Zum PoS sind hier nicht nur die Lokalitäten von Handels- und Dienstleistungsunternehmen zu verstehen, sondern alle Plätze in der realen Welt, wo noch mit Bargeld gezahlt wird. Dazu zählen zum Beispiel auch Zahlungen an Kiosken aller Art, an Zeitungsverkäufer, an Bettler oder die Kollekten in Kirchen.

3) DACH-Region (Deutschland, Österreich, Schweiz)

4) Die Ergebnisse diverser Studien zu den Kosten des Bargelds, oft initiiert von Zentralbanken, sind allerdings nicht eindeutig.

Dr. Ewald Judt Honorarprofessor, Wirtschaftsuniversität Wien
LinkedIn

Weitere Artikelbilder

Noch keine Bewertungen vorhanden


X