Die Digitalisierung des Weltwährungssystems

Michael Altenburg, Foto: Studio Ecker

Angetrieben durch die anhaltende Beschleunigung des technologischen Fortschritts sowie der rasanten Entwicklung privater digitaler Währungen arbeiten Zentralbanken weltweit mit Hochdruck an digitalem Zentralbankgeld. Besonders sensibel sei dabei allerdings die Verständigung auf Transaktionsmodalitäten über mehrere Währungszonen hinweg, so der Autor. Daher betone die EZB, dass sie sich bislang weder für noch gegen eine Einführung der digitalen Zentralbankwährung entschieden habe. Allerdings wird sie sich laut dem Autor auf Dauer wohl kaum den durch private Akteure propagierten Effizienz- und Kostenfortschritten im Zahlungsverkehr verweigern können. (Red.)

Das Weltwährungssystem befindet sich in einem radikalen digitalen Transformationsprozess. Ein Webseminar des IWF vom 15. Oktober hatte gar den Titel "The Digital Money Revolution". Zahlreiche Aspekte sind nach wie vor offen, aber einige Detailentwicklungen zeichnen sich immer deutlicher ab: Unter ihnen am bedeutsamsten ist sicher die anhaltende Beschleunigung des technologischen Fortschritts. Als Ende Oktober 2008 Bitcoin erfunden wurde und den Hype um Kryptowährungen auslöste, war dies das erste "[...] elektronische Cash System [...], das komplett peer-to-peer funktioniert(e) ohne Vermittlung durch eine dritte Vertrauensinstanz." Die vollkommene Anonymität und individuelle Unabhängigkeit digitaler Zahlungsvorgänge wurde als libertäremanzipatorische Befreiung von jeglicher staatlichen Beaufsichtigung und Regulierung gefeiert.

Damals schien das vielen Investoren und Sparern als nicht nur passende, sondern auch überfällige Antwort auf den durch die Finanzmarktkrise 2007/2008 ausgelösten Vertrauensverlust. Aber die Intensität, mit der sich kriminelle Elemente der Anonymität des wild sprießenden Kryptomarktes für Zwecke der Steuervermeidung, der Geldwäsche, des Drogen- und Menschenhandels, der Erpressung et cetera bedienten, führte zu einem breiten politischen Konsens über eine staatlich durchsetzbare Identifizierung der Beteiligten an gleich welchen Finanztransaktionen, ob analog oder digital.

Zugleich wurden die enormen Effizienz- und Kostenvorteile rein digital durchgeführter Zahlungsvorgänge immer deutlicher. Dies gilt nicht nur im internationalen Waren- und Dienstleistungsverkehr, sondern auch im Privatbereich: durch die Verbreitung von Smartphones mit Zahlungsfunktionalität, gerade bei den weltweit auf nahe zwei Milliarden geschätzten Personen ohne Bankverbindung.

Zusätzlich zur Identifizierbarkeit der Beteiligten traten die Sicherheit und Vertraulichkeit der Zahlungstransaktionen gegenüber Dritten in den Vordergrund, also gegenüber Hackern, Dieben, Betrügern und Erpressern. Im Hinblick auf staatliche, gegebenenfalls auch private Überwachung und Kontrolle ergibt sich allerdings spätestens an diesem Punkt auch ein gewisses Konfliktpotenzial im Bemühen um einen das Weltwährungssystem umfassenden globalen Konsens.

Unterschiedliche Interessen

Dabei ist zwischen Akteuren mit recht verschiedenen Interessen zu unterscheiden. Ein ausgeprägtes Beharrungsvermögen wird man bei traditionellen Banken vermuten dürfen, die kein Problem mit dem Identifizierungspostulat haben. Sie halten im Gegenteil eine möglichst vertrauensvolle Kundenbeziehung - know your customer (KYC) heißt es im Jargon - für ihre Stärke, aber fürchten ein Abdriften neuer Kundschaft an Nichtbankenkonkurrenz über innovative Disruptionen. Ob Vertriebspartnerschaften mit digitalen Anbietern sie auf Dauer davor schützen können, ist fraglich. Jedenfalls ist den traditionellen Banken eine größere Zurückhaltung in Bezug auf die Ausspähung von Kundendaten zuzutrauen, wovon man bei Bigtech-Plattformen wie Amazon oder Facebook, deren Geschäftserfolg im Wesentlichen auf der möglichst intensiven Weiterverwertung umfassender Kundendaten beruht, nicht ausgehen kann.

Vollkommen konträr dagegen stellt sich die Position von China dar, das nicht nur im monetären Bereich eine geopolitische Hegemonialstrategie verfolgt, abgestützt auf eine weitgehend lückenlose Überwachung und Kontrolle durch die Kommunistische Partei unter Führung von Xi Jinping. Zu den Olympischen Winterspielen im Februar 2022 soll offiziell der digitale Renminbi, oder e-CNY, eingeführt werden, dessen sich dann alle Athleten und Besucher werden bedienen können oder sollen. Der Handel mit Kryptowährungen dagegen wurde von China zwischen Mai und September dieses Jahres umfassend und strikt verboten. Die bislang florierenden privaten Smartphone-Bezahlsysteme Alipay der Ant Group und Wechat von Tencent, die bislang 90 Prozent aller chinesischen Smartphone-Zahlungen ausmachten - welche ihrerseits bereits im Jahr 2019 über 66 Prozent sämtlicher chinesischer Finanztransaktionen umfassten -, wurden in einem Akt brutaler, öffentlicher Demütigung zur Anpassung an den Vorrang des e-CNY gezwungen.

Dieses techno-autoritäre Experiment Xi Jinpings steht offensichtlich in starker Spannung zu Bemühungen supranationaler Institutionen um privaten Datenschutz vor staatlicher, aber auch vor privater Überwachung. Gleichzeitig wird vielerorts rege experimentiert, wobei sich die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIS) über diverse Innovationhubs um fördernde Koordination bemüht: Beispielsweise Singapur, Malaysia, Hongkong, Südafrika, Australien oder Schweden sind aktiv in Testprojekte für digitale Zentralbankwährungen involviert, welche als offizielle Stablecoins in Cash konvertiert werden können und umgekehrt. Besonders sensibel ist dabei die Verständigung auf Transaktionsmodalitäten über mehrere Währungszonen hinweg.

Wie sensibel solche Festlegungen selbst innerhalb der Eurozone sind, verrät das Wording der EZB zur Einführung eines digitalen Euro: "Im Juli 2021 haben wir beschlossen, ein Projekt zum digitalen Euro zu starten. Das bedeutet nicht, dass wir zwangsläufig einen digitalen Euro einführen, sondern dass wir uns darauf vorbereiten, ihn möglicherweise einzuführen." Die Eurokrisen der vergangenen Jahre erinnern an die Problematik der Dominanz stärkerer Mitgliedsstaaten in einem Mehr-Nationen-Währungsverbund zulasten kleinerer oder schwächerer Verbundmitgliedsländer. Polen und Tschechien etwa haben den Systemwechsel ab 1989 leichter mit ihren eigenen, abwertungselastischen Währungen gemeistert als die neuen deutschen Bundesländer.

Während sich die EU also kaum in transnationale Abenteuer zu stürzen bereit sein dürfte, wird sie sich den durch private Akteure propagierten Effizienz- und Kostenfortschritten im Zahlungsverkehr kaum verweigern können und wollen. Da die technische Innovationskompetenz ganz überwiegend aufseiten der privaten Akteure liegt, im Vergleich zu amtlichen Genehmigungsinstanzen oder politischen Foren, besteht das Risiko, dass sich Sonderinteressen zulasten des Gemeinwohls durchsetzen könnten. Die Respektierung einer klaren Grenze zwischen privater und staatlicher Sphäre sollte indessen gewahrt bleiben.

Die Politologin Chiara Cordelli von der Universität Chicago hat in diesem Zusammenhang in ihrem neuen Buch "The Privatized State" über sonst drohende Fehlentwicklungen unter demokratisch-legitimatorischen Aspekten nachgedacht. Aber auch die Sicherung der fortgesetzten Effektivität stabilitäts- und wachstumsorientierter Maßnahmen der Geld- und Fiskalpolitik auf nationaler Ebene machen den Vorrang staatlicher Interventionsmöglichkeiten - selbst bei Beibehaltung und Ausweitung privater Bezahlsysteme - unverzichtbar.

G7, G20, OECD, Weltbank, IWF und BIS haben sich mit dem Thema einer Digitalisierung des Weltwährungssystems trotz oder gerade wegen dieser Schwierigkeiten in diesem Jahr besonders intensiv beschäftigt. Die Entwicklung scheint in Richtung digitale Zentralbankwährungen zu verlaufen, wobei die bisherigen Kryptowährungen nur geringe, aber auch private Stablecoins nur dann Überlebenschancen bei Adaption an allgemein als legitim anerkannte Grundsätze haben werden. Das Committee on Payment and Market Infrastructures (CPMI) der BIS hat im Oktober mit dem Board of the International Organization of Securities Commissions (IOSCO) hierzu ein Konsultativpapier zum Thema "Application of the Principles for Financial Markets Infrastructures to stablecoin arrangements" veröffentlicht. Dies soll den Spagat zwischen fortgesetzter Innovation, Diversität und Wettbewerb durch private Akteure ermöglichen bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der Wirksamkeit von Interventionen nationalstaatlicher Geld- und Fiskalpolitik.

Digital Markets Act

Eine zügige internationale Verständigung würde dem post-Covid Aufschwung wie den Bemühungen um Abwendung einer Klimakrise substanziellen Auftrieb verleihen. Eine im Ergebnis dezentral multipolare Lösung - sowohl grenzüberschreitend wie innerhalb einzelner Jurisdiktionen - scheint gegenüber einem einheitlichen globalen Konsens darstellbar und auch vorzugswürdig. Das Worst-Case-Szenario wäre eine global monopolistisch agierende Bigtech-Plattform, deren praktische Folgen dem techno-autokratischen staatlichen Ansatz von Xi Jinping stark nahekommen würden. Die Umbenennung des Face book-Konzerns in Meta muss als Chiffre für diesen "Über"-Anspruch gelesen werden.

Die EU-Kommission hat am 15. Dezember 2020 den Entwurf eines Digital Markets Act vorgelegt, der auf die Verhinderung derart monopolistischer Tendenzen abzielt. Der Gesetzesentwurf wurde seitdem auch vom EU-Ministerrat und Europaparlament beraten. Am 23. November empfahl der Ausschuss des Europaparlaments für Binnenmarkt und Konsumentenschutz einen angepassten Gesetzentwurf dem Ple num zur Annahme, der 2022 in seiner dann gültigen Form parallel mit dem Digital Services Act für die weitere Behandlung im Ministerrat maßgeblich sein wird. Seine Verabschiedung als Gesetz ist indes aber kaum vor 2023 zu erwarten. Es besteht daher ein Risiko des Leap froggings, dass die Technologiebeschleunigung die Gesetzesentwürfe, wenn sie denn bis zu einer EU-weiten Annahme gedeihen, durch ein disruptives digitales Zahlungsmodell bereits überholt haben wird.

Michael Altenburg , Luzern, Schweiz
Noch keine Bewertungen vorhanden


X