Der Effekt des Granularitätskriteriums

Dr. Jürgen Gros, Foto: GVB

Forderungen von Banken gegenüber Privatpersonen sowie kleinen und mittleren Unternehmen bis zu 1 Million Euro in die Risikopositionsklasse Mengengeschäft einzuteilen und ihnen ein vermindertes Risikogewicht von 75 Prozent zuzuordnen, hat sich aus Sicht des Autors als pragmatische Regelung bewährt. Wenn künftig nach der anstehenden Umsetzung des Basel-III-Regelwerkes die zusammengefassten Kredite an einen Schuldner 0,2 Prozent des gesamten Mengengeschäftsvolumens nicht mehr übersteigen dürfen, sieht er vor allem kleinere Banken benachteiligt. Diese müssten nach Berechnungen seines Verbandes anhand konkreter Marktdaten für ein und denselben Kredit ein höheres Risikogewicht ansetzen und damit deutlich mehr Eigenkapital hinterlegen als größere Banken. In der Summe wertet er das als regulatorische Strukturpolitik auf Kosten von kleinen und mittleren Regionalbanken. (Red.)

Es gehört zu den Grundsätzen des Basel-III-Regelwerks, dass alle Aktiva einer Bank Risikopositionsklassen zugeordnet werden. So existieren beispielsweise für Forderungen an Staaten, Unternehmen oder durch Immobilien besicherte Kredite jeweils eigene Klassen. Sie sind maßgeblich für das Risikogewicht und damit auch dafür, welche Mengen an Eigenkapital Banken für Kredite vorhalten müssen.

Forderungen gegenüber Privatpersonen sowie kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) werden bislang der Risikopositionsklasse "Mengengeschäft" zugeordnet - sofern sie ein Volumen von einer Million Euro nicht übersteigen. Damit erhalten sie ein vorteilhaftes Risikogewicht von 75 Prozent. Das gilt aber nur, solange die Institute im Mengengeschäft das sogenannte Granularitätskriterium erfüllen. Demnach muss sichergestellt werden, dass das Retail-Portfolio "angemessen diversifiziert" ist. Die Diversifikation stellt sicher, dass eine Bank nicht durch den Ausfall eines wichtigen Einzelschuldners in wirtschaftliche Not gerät. Kredite dürfen dabei dem Mengengeschäft zugeordnet werden, wenn sie über "ähnliche Merkmale" verfügen.1)

Diese pragmatische qualitative Regelung hat sich in der Praxis bewährt, steht nun aber trotzdem auf der Kippe. Denn Ende 2017 hat der Baseler Ausschuss sein finales Basel-III-Regelwerk veröffentlicht und darin das Granularitätskriterium deutlich schärfer formuliert. Die zusammengefassten Kredite an einen Schuldner dürften dann 0,2 Prozent des gesamten Mengengeschäftsvolumens nicht übersteigen.2) Sollten sich die europäischen Gesetzgeber bei der anstehenden Umsetzung des finalen Basel-III-Regelwerks für so ein "hartes" Granularitätskriterium entscheiden, hätte dies einen erheblichen negativen Effekt auf die Kreditvergabemöglichkeiten von Banken: In einigen Fällen dürften bereits Darlehen im fünfstelligen Bereich nicht mehr dem Mengengeschäft zugeordnet werden. Sie erhielten dann ein höheres Risikogewicht. Das hätte dann deutlich höhere Eigenkapitalanforderungen zur Folge.

Pragmatische Regelung auf der Kippe

Der Genossenschaftsverband Bayern (GVB) hat berechnet, wie sich ein hartes Granularitätskriterium im derzeitigen regulatorischen Umfeld3) auf die 236 bayerischen Volks- und Raiffeisenbanken auswirken würde. Dazu hat der GVB Daten zum Mengengeschäft aus dem COREP-Meldebogen zum Stichtag 31. Dezember 2018 verwendet.4) Zunächst zeigt die Untersuchung auf, wie hoch die kritische Kreditgrenze einzelner Volks- und Raiffeisenbanken bei einem harten Granularitätskriterium wäre. Im nächsten Schritt wird der Effekt eines harten Granularitätskriteriums auf die Eigenkapitalquote untersucht.

Nach den Vorstellungen des Baseler Ausschusses darf ein zusammengefasster Kredit an einen Schuldner künftig nur dann dem Mengengeschäft zugeordnet werden, wenn sein Volumen 0,2 Prozent des gesamten Mengengeschäfts-Portfolios nicht übersteigt. In der Praxis würde dann für lediglich elf bayerische Volksbanken und Raiffeisenbanken weiterhin die gesetzlich verankerte allgemeine Obergrenze von 1 Million Euro gelten. Für alle anderen Institute wäre eine Härtung des Granularitätskriteriums spürbar und die Kreditobergrenze würde sinken (siehe Abbildung 1).

Kritische Kreditgrenzen im fünfstelligen Bereich

Speziell für die kleinsten der bayerischen Volksbanken und Raiffeisenbanken wären die Auswirkungen extrem: 63 Banken mit einer Bilanzsumme von durchschnittlich 141 Millionen Euro könnten dann sämtliche Kredite über 100 000 Euro nicht mehr dem Mengengeschäft zuordnen. Die durchschnittliche kritische Grenze des Kreditvolumens über alle 236 GVB-Mitgliedsbanken würde auf 291 000 Euro sinken.

Ein hartes Granularitätskriterium benachteiligt also vor allem kleinere Banken. Sie müssten für ein und denselben Kredit ein höheres Risikogewicht ansetzen und damit deutlich mehr Eigenkapital hinterlegen als größere Banken. Das wäre im harten Konditionen-Wettbewerb ein erheblicher Nachteil und würde zudem die Verfügbarkeit von Krediten für den Mittelstand einschränken.

Auswirkung auf die Eigenkapitalquoten

Welchen Effekt hätte eine Härtung des Granularitätskriteriums auf die Eigenkapitalquoten der Banken? Für die Berechnung hat der GVB Einzelkreditdaten von zwölf bayerischen Volksbanken und Raiffeisenbanken mit unterschiedlich hoher Bilanzsumme herangezogen.5) Bei jedem der Institute wurden die Einzelkreditdaten auf Einzelkundenebene aggregiert. Alle Kundenforderungen oberhalb der für das Granularitätskriterium kritischen Grenze erhalten in den Berechnungen ein neues Risikogewicht (siehe Abbildung 2).6) Daraus kann für jede Bank ein neuer Gesamtrisikobetrag und eine neue Kernkapital- sowie Gesamtkapitalquote berechnet werden.

Die Effekte sind teils drastisch, wie Abbildung 3 zeigt. Selbst bei den größten GVB-Mitgliedsbanken (Bilanzsumme > 1,026 Milliarden Euro) ist der Effekt eines harten Granularitätskriteriums auf die Eigenkapitalquoten spürbar. Der Gesamtrisikobetrag erhöht sich im Durchschnitt um 0,86 Prozent. Die Folge ist eine Verringerung der Kernkapitalquote um 0,15 Prozentpunkte. Die Gesamtkapitalquote würde um 0,18 Prozentpunkte sinken.

Negative Konsequenzen für die Finanzierung der Realwirtschaft

In den beiden mittleren Gruppen ist der Effekt jeweils noch größer. Am stärksten trifft ein hartes Granularitätskriterium die kleinsten der bayerischen Volksbanken und Raiffeisenbanken (Bilanzsumme > 189 Millionen Euro). Bei den drei ausgewählten Banken innerhalb dieser Gruppe schießt der Gesamtrisikobetrag um durchschnittlich 9,55 Prozent nach oben. Das reduziert die Kernkapitalquote im Durchschnitt um 1,65 Prozentpunkte, während die Gesamtkapitalquote um 1,93 Prozentpunkte sinken würde.

Zwar ist die Kapitalausstattung der bayerischen Volksbanken und Raiffeisenbanken sehr solide. Sollten sich jedoch die Kapitalanforderungen schlagartig in diesem Umfang erhöhen, würde das die Banken erheblich belasten. Da das Eigenkapital einer Genossenschaftsbank - im Wesentlichen Mitgliedsanteile und thesaurierte Gewinne - nicht sprunghaft erhöht werden kann, würde es den Banken schwerer fallen, neue Kredite zu vergeben.

Das hätte negative Konsequenzen für die Finanzierung der Realwirtschaft - zumal derzeit auch andere regulatorische Maßnahmen geplant sind, die ebenfalls zu einer Erhöhung der Kapitalanforderungen führen. Dazu gehören beispielsweise weitere Komponenten zur Überarbeitung des Kreditrisikostandardansatzes, neue Anforderungen im Zusammenhang mit SREP oder der antizyklische Kapitalpuffer.

Status quo beibehalten

Die Berechnung macht deutlich, wie massiv ein hartes Granularitätskriterium insbesondere kleine Banken treffen würde. Sie müssten für ein und denselben Kredit mehr Eigenkapital vorhalten als größere Banken. Eine derartige regulatorische Ungleichbehandlung ist nicht gerechtfertigt. Sie schränkt die Möglichkeit kleiner Banken ein, Kredite an kleine und mittlere Unternehmen zu vergeben. Auch die Konditionen für Mittelstandskunden können sich aufgrund höherer Eigenkapitalanforderungen verschlechtern. Das kommt in der Summe einer regulatorischen Strukturpolitik auf Kosten von kleinen und mittleren Regionalbanken gleich.

Für die Umsetzung der Basel-III-Finalisierung in europäisches Recht sollte an den bewährten Regeln zur Granularität festgehalten werden.7) Den Volksbanken und Raiffeisenbanken ist es hierdurch möglich, ihr Mengengeschäftsportfolio mithilfe verbundinterner Ratings sowie einer kreditspezifischen Überprüfung der Bearbeitungs- und Genehmigungsprozesse hinsichtlich einer ausreichenden Granularität zu bewerten. Auch kleinere Volksbanken und Raiffeisenbanken können damit - nach beschriebener Granularitätsprüfung - KMU-Kredite und Kredite an Privatpersonen bis zu einem Volumen von 1 Million Euro dem Mengengeschäft zuordnen. Nicht nur im Interesse kleinerer Banken, auch im Interesse des Mittelstands sollte an der derzeitigen Regelung zur Granularität festgehalten werden.

Fußnoten

1) Vgl. Baseler Ausschuss (2004), Ziffer 70, 3. Spiegelstrich i.V.m. Capital Requirements Regulation (CRR), Art. 123 b)

2) Dieses quantitative Kriterium findet sich bereits in Basel II. Darin wurde es jedoch lediglich als Option, eine angemessene Diversifikation sicherzustellen, angesehen. Die europäischen Gesetzgeber haben sich bislang gegen das quantitative Kriterium entschieden. Im finalen Basel-III-Regelwerk dürfen nationale Aufseher nur von dem quantitativen Granularitätskriterium abweichen, wenn sie andere Methoden anwenden, die eine angemessene Diversifizierung sicherstellen (vgl. Baseler Ausschuss (2017), Ziffer 55, 3. Spiegelstrich).

3) Als Basis für die Berechnungen dienen die derzeitigen Regeln der Capital Requirements Regulation (CRR).

4) Meldebogen CRSA_0700_Adressrisiko Retail, Datenfeld Z010S200; für eine genaue Erläuterung der Datenbasis siehe Anhang 1.

5) Hierfür wurden alle GVB-Mitgliedsbanken nach Bilanzsummengröße sortiert und in vier gleich große Gruppen aufgeteilt. Aus jeder Gruppe wurden jeweils drei Banken ausgewählt. Für die genaue Methode zur Auswahl der Banken, siehe Anhang 2.

6) Die angenommenen Risikogewichte basieren auf den derzeitigen Regeln der CRR. Im Rahmen der Basel-III-Finalisierung wird das alternative Risikogewicht noch weiter ausdifferenziert in KMU-Kredite (Risikogewicht von 85 Prozent) und "Weiteres Mengengeschäft" an Privatpersonen (Risikogewicht von 100 Prozent). Ein alternatives Risikogewicht von 85 Prozent für KMU-Kre dite würde den Effekt eines harten Granularitätskriteriums auf die Eigenkapitalquoten verringern.

7) Vgl. Capital Requirements Regulation (CRR) Art. 123 b)

8) Z010S010 des Meldebogens CRSA_0700_Adressrisiko Retail

9) Berechnungen anhand zweier Beispielbanken zeigen, dass sich die Ungenauigkeit nur in geringem Maße im Ergebnis niederschlägt.

10) Z010S200 des Meldebogens CRSA_0700_Adressrisiko Retail

11) Korrelationskoeffizient: 0,97

Literaturverzeichnis

Baseler Ausschuss (2004): Internationale Konvergenz der Eigenkapitalmessung und der Eigenkapitalanforderungen Baseler Ausschuss (2017): Basel III - Finalising postcrisis reforms

Dr. Jürgen Gros Präsident, Genossenschaftsverband Bayern e. V. (GVB), München
 
Dr. Angelika Hösl-Sachs Wirtschaftspolitische Senior-Referentin, Genossenschaftsverband Bayern e. V. (GVB), München
 
Anhang 1: Technische Details zur verwendeten Datenbasis
Den Regelungen des Baseler Ausschusses zur Finalisierung von Basel III zufolge dürfen die zusammengefassten Kredite an einzelne Schuldner 0,2 Prozent des gesamten für aufsichtliche Zwecke gebildeten Retail-Portfolios (Mengengeschäft) der Institute nicht übersteigen. Konkret verstehen die Baseler Aufseher unter "zusammengefasste Kredite" alle Arten von Retail-Krediten (mit Ausnahme von Immobilienkrediten, Derivaten und Wertpapieren) ohne Berücksichtigung kreditrisikomindernder Methoden (CRM). Außerbilanzielle Forderungen sollen nach Anwendung der Konversionsfaktoren (CCF) angesetzt werden.In der Praxis ist es sehr aufwendig, die einzelnen Kredite der Banken vor CRM, aber nach Anwendung der CCF zu berechnen. Der entsprechende COREP-Meldebogen weist die Kredite lediglich entweder vor CRM und vor CCF, nach CRM und vor CCF oder nach CRM und nach CCF aus. Da die CRM den Ausgangsbetrag8) bei den bayerischen Volksbanken und Raiffeisenbanken lediglich um 2,6 Prozent reduzieren, die CCF hingegen um 26 Prozent, wurde in den Berechnungen eine Ungenauigkeit bei den CRM zugunsten der CCF in Kauf genommen.9) Den Berechnungen liegen daher die Kredite nach CRM und nach CCF10) zugrunde.Unter "einzelnen Schuldnern" sind laut Baseler Dokument nicht nur einzelne Kunden zu verstehen. Auch mehrere Einheiten, wie zum Beispiel miteinander verbundene Kleinunternehmen, müssen unter Umständen als einzelne Schuldner betrachtet werden. In den Berechnungen wurden die Kredite lediglich auf Einzelkundenebene aggregiert. Eine weitere Aggregation zum Beispiel auf Ebene von "Gruppen verbundener Kunden" hätte den Banken einen hohen manuellen Aufwand verursacht. Die Effekte dieses Aspekts auf die Eigenkapitalquoten der Banken werden somit tendenziell unterschätzt.
 
Anhang 2: Technische Details zur Auswahl der 12 GVB-Mitgliedsbanken
Um für die Gesamtheit aller GVB-Mitgliedsbanken aussagekräftige Ergebnisse zu erhalten, wurden die zwölf Banken nach folgendem Verfahren ausgewählt: Zunächst wurden Charakteristika der Banken identifiziert, die nach der Berechnungslogik einen großen Einfluss auf die Ergebnisse haben. Hier können zwei Haupttreiber identifiziert werden:1. Volumen Mengengeschäft: Je höher das Mengengeschäftsvolumen der Bank, desto höher die kritische Grenze des Kreditvolumens und desto weniger Kredite sind von der Ausgliederung aus dem Mengengeschäft betroffen. Folglich muss für weniger Kredite ein unvorteilhafteres Risikogewicht gewählt werden und der Effekt auf die Eigenkapitalquote der Bank ist geringer.2. Gesamtrisikobetrag: Je größer der Gesamtrisikobetrag, desto geringer der Effekt einer Erhöhung desselben (um einen gegebenen Betrag) auf die Kernkapitalquote.Für die Bankenauswahl wurden daraufhin zwei Kennzahlen definiert, deren Variation eine möglichst hohe Variation der beiden Ergebnistreiber sicherstellen kann:1. Bilanzsumme: Die Bilanzsumme ist hochkorreliert mit dem Gesamtrisikobetrag.11) Um eine hohe Variation des Gesamtrisikobetrags herzustellen, wurden die 236 Banken nach Bilanzsummengröße sortiert und in vier gleich große Gruppen aufgeteilt. Aus jeder Gruppe wurden jeweils drei Banken ausgewählt (siehe Tabelle).2. Mengengeschäft/Bilanzsumme: Um die Variation des Mengengeschäftsvolumens innerhalb jeder Gruppe abzubilden, wurden die Banken zusätzlich nach dem Anteil des Mengengeschäfts an ihrer Bilanzsumme ausgewählt. Innerhalb jeder Gruppe wurde jeweils eine Bank ausgewählt, deren Kennzahl in etwa dem Median innerhalb der Gruppe entspricht; eine, die dem 25-Prozent-Quantil und eine, die dem 75-Prozent-Quantil entspricht.
Dr. Jürgen Gros , ehemaliger Präsident , Genossenschaftsverband Bayern e. V. (GVB), München
Dr. Angelika Hösl-Sachs , Wirtschaftspolitische Senior-Referentin, Genossenschaftsverband Bayern e. V. (GVB), München

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