Der Faktor Mensch in der digitalen Transformation

Dana Nitzsche, Consultant, und Arik Ott, Senior Consultant, beide Cassini Consulting GmbH, Berlin - Digitalisierung und Fintechs gehören sicherlich zu den Begriffen, die den bereits anstehenden und längst laufenden Wandel in der Kreditwirtschaft treffend beschreiben. Bei aller entscheidenden Rolle der IT-Technik betonen die Autoren mit Blick auf das Anforderungsprofil der Mitarbeiter die große Bedeutung von menschlicher Kreativität und Innovationskraft, von Lernbereitschaft und von ständiger Offenheit für neue Entwicklungen. Damit der permanente Wandel in einer zunehmend digitalisierten Welt für die Mitarbeiter seinen Schrecken verliert, werben sie für eine von besserer Kommunikation und Kooperation geprägten Unternehmenskultur. Diese erfolgreich umzusetzen, sehen sie als Gemeinschaftsaufgabe von Management und allen anderen Mitarbeitern. (Red).

Die Digitalisierung ist eine Tatsache und sie schreitet unaufhaltsam voran. Begriffe wie die Digitale Transformation und Industrie 4.0 - hier wird sogar das Konzept einer vierten industriellen Revolution bemüht - machen klar, wie tiefgreifend und andauernd die Wandlung ist. Die Timeto-Market neuer Businessmodelle wird schneller und Produktlebenszyklen kürzer - kontinuierliche Veränderung wird ein unvermeidbarer Bestandteil des geschäftlichen Alltags, auch für Kreditinstitute und Finanzdienstleister. Die Komplexität des digitalen Wandels führt aber dazu, dass es keine vorgefertigten Patentrezepte für diese Änderungsprozesse gibt. Wie sollten Unternehmen der Kreditwirtschaft also auf die Herausforderungen der digitalen Transformation reagieren?

Wissensarbeit und der menschliche Faktor

Jede Organisation stellt immer auch ein Abbild der Menschen dar, die dort miteinander arbeiten. In einer digitalisierten Welt steigt der Bedarf an Wissensarbeit weiter an. Damit rücken - auf den ersten Blick vielleicht überraschend - die Menschen ins Zentrum der Veränderungsprozesse im Rahmen der digitalen Transformation. Denn Kreditinstitute, die unter den neuen Bedingungen bestehen wollen, müssen die Voraussetzungen dafür schaffen, dass Menschen diesen Wandel auch vollziehen und mitgestalten können.

Um diesem menschlichen Faktor Rechnung zu tragen, braucht es unmittelbarere Formen der Zusammenarbeit und der Kommunikation. Erst eine geeignete Unternehmenskultur schafft die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Transformation - hin zu einer flexiblen Organisation, in der die Menschen Veränderung nicht als Bedrohung, sondern als Chance wahrnehmen.

Eine Unternehmenskultur, die die erforderliche Flexibilität und Veränderungsbereitschaft besitzt, adressiert insbesondere zwei große Felder innerhalb der Organisation: das Miteinander-Reden und das Miteinander-Arbeiten. Nötig sind eine engere Kooperation und eine intensivere Kommunikation. Beides ist allerdings keine Frage großer Kulturprojekte, sondern der gelebten Unternehmenswirklichkeit, der im Institut gelebten Kultur. Die verwandelt sich nicht durch Führungsentscheidungen und per Dekret, sondern durch die alltägliche Praxis, durch eine Vielzahl kleiner Initiativen und Projekte. Aber ebenso richtig ist: Ohne Unterstützung und Steuerung durch die Führungsebene kann in einem Kreditinstitut keine Veränderung gelingen. Eine transformationsoffene Unternehmenskultur zu schaffen, ist letztlich ebenso Aufgabe des Managements wie der einzelnen Teams. Wie können Finanzdienstleister von heute also durch engere Kooperation und Kommunikation dem menschlichen Faktor der digitalen Transformation Rechnung tragen?

Handlungsfeld 1: Miteinander arbeiten

Entscheidend dafür, dass Wandel nicht als Bedrohung, sondern als selbstverständlich wahrgenommen wird, ist ein Neu-Denken des Miteinander-Arbeitens. Allein aufgrund hierarchischer Vorgaben wird solch eine Veränderung hin zu einer transformationsoffenen Unternehmenskultur allerdings nicht gelingen: Eine neue Unternehmenskultur für das Institut lässt sich nicht verordnen. Sie entsteht vielmehr dadurch, dass sie praktisch gelebt wird. Dabei ist es nicht die Aufgabe der Führung, den Mitarbeitern zu sagen, was sie zu tun haben, sondern sie sollte Bedingungen schaffen, dass die Mitarbeiter und Teams ihre Arbeit bewältigen und Probleme gemeinsam lösen können - die Führung muss den Weg hin zu einer besseren Kooperation ebnen.

Es ist gar nicht entscheidend, ob dafür Methoden wie etwa Scrum oder Kanban eingeführt werden. Scrum ist die inkrementelle und iterative Projekt- und Produktmanagementmethode, die ihre aktuelle Popularität besonders der agilen Softwareentwicklung verdankt. Kanban wiederum ist eine flexible und dezentrale Methode der Produktionssteuerung, die bereits vor mehr als 60 Jahren bei Toyota entwickelt wurde. All diese Ansätze sind zweifellos sinnvoll, aber noch wichtiger als die Methoden ist das Ziel des Miteinander-Veränderns. Und dies lässt sich durchaus dadurch befördern, dass man einzelne Vorgehensweisen und Werkzeuge aus etablierten Methoden miteinander kombiniert, um so den individuellen und für das jeweilige Kreditinstitut besten Weg zur flexiblen Organisation zu finden.

Visualisieren von Arbeit: Die Arbeit eines Teams zu visualisieren, eröffnet Vorteile in zwei Dimensionen: Einerseits profitiert das Team selbst davon, andererseits tun es die Stakeholder und das Management. Die interne Sicht der Teammitglieder auf ihre Arbeit hilft, Fragen zu beantworten wie: Wer im Team tut gerade was, wo ist Unterstützung notwendig, und wo kann Wissenstransfer aktuell hilfreich sein? Aber auch die externe Perspektive der Stakeholder wird durch eine Visualisierung unterstützt. Sie erfahren, woran das Team arbeitet und wie hoch seine Auslastung ist. Die Tafel in Kanban oder das Scrum Board sind geeignete Werkzeuge für solch eine Visualisierung, aber auch ein Gantt Chart kann eine sinnvolle Lösung sein. Die Voraussetzung: Die Visualisierung muss allen Beteiligten und Interessenten zur Verfügung stehen - ein Gantt-Diagramm, das nur im Büro sichtbar ist, wäre wenig hilfreich.

Vision in kleine Teile zerlegen

Was ist zu tun - und wann muss es fertig sein? Es ist wichtig, zu Beginn eines Vorhabens eine Vision davon zu entwickeln, wie das Ergebnis der anstehenden Arbeit aussehen soll. Solch eine Zieldefinition geschieht zunächst immer von einer beträchtlichen Flughöhe aus - bevor die operative Arbeit beginnen kann, muss diese Vision also in kleine Teile zerlegt werden, die sich tatsächlich bearbeiten lassen. So liefert das "Epic" im Rahmen des Anforderungsmanagements die Vision, aber handhabbar wird das Epic erst durch eine Work Breakdown Structure oder einzelne User Stories. Erst diese Untergliederung macht eine Visualisierung und Strukturierung der Arbeit möglich. Ebenso wichtig ist es, schon bei der Planung das Ergebnis der einzelnen Arbeitsteile und den dafür erforderlichen Zeitaufwand im Auge zu haben. Denn um die Time-to-Market zu verringern, hilft es nicht, immer neue Arbeit anzufangen - man muss sie auch fertigstellen. Dies gelingt, wenn man die Arbeit, die das Team gleichzeitig erbringen muss, begrenzt. Das Ziel ist es dabei, einen Flow im Team herzustellen, bei dem sich ein Teilergebnis an das nächste reiht.

Das Stakeholder Management 2.0: Die Art, wie Wissensarbeit erbracht wird, ist einem kontinuierlichen Wandel unterworfen. Noch vor einigen Jahren war es in der Wissensarbeit üblich, dass ein Kunde seine Idee formulierte und sich der Auftragnehmer

dann zurückzog, um das gewünschte Produkt zu entwickeln. War es fertiggestellt, wurde es präsentiert, und der Kunde konnte es nutzen. Dieses traditionelle System kommt in der digitalisierten Welt immer öfter an seine Grenzen. Heute können sich Anforderungen viel schneller ändern oder ganz neue hinzukommen, die die ursprüngliche Vereinbarung obsolet werden lassen. Damit die Arbeit am Ende trotzdem zu dem Ergebnis führt, dass der Kunde zum Zeitpunkt der Fertigstellung tatsächlich benötigt, muss sich die Interaktion zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer ändern.

Es ist wichtig, dass der Auftraggeber aktiv an der Entwicklung des Endergebnisses teilhat. Nur wenn er in den Arbeitsprozess integriert ist, gibt es für ihn die Möglichkeit, steuernd einzugreifen. Dies führt zu einer höheren Kundenbindung und im besten Fall sogar dazu, dass ein einzelnes Projekt zu einem wirklich gemeinsamen Vorhaben wird.

Ein Beispiel dafür, wie eine solche Bindung in einem agilen Entwicklungsprozess geregelt und strukturiert sein kann, liefert die Rolle des "Product Owner" in Scrum.

Etablieren einer Fehlerkultur: Gerade wenn Wissensarbeit erbracht werden soll, ist es zentral, Transparenz über die laufende Arbeit herzustellen. Denn erst Transparenz - und eine geeignete Visualisierung - führen zu einer wirklichen Teilhabe und zu einem echten Mitdenken der Beteiligten. Mit einem Dienst nach Vorschrift wäre im Kontext von Wissensarbeit niemandem geholfen. Zur Transparenz gehört es auch, Messbarkeit und Verbindlichkeit herzustellen. Damit dies funktioniert, muss es möglich sein, ein Scheitern zuzulassen und Fehler bewusst zu betrachten. Erst wenn die Möglichkeit des Scheiterns akzeptiert ist und eine angemessene Fehlerkultur etabliert wird, stiftet Transparenz maximalen Nutzen. Dann kann sie einen wesentlichen Beitrag zum Erfolg leisten.

Optimieren des Systems: Auch Kanban legt es nahe: Wenn man die Arbeit optimieren will, sollte man dies nicht mit Blick auf den einzelnen Mitarbeiter, sondern auf das System hin tun. Aus dem Einzelnen immer mehr und mehr Arbeitsleistung herausholen zu wollen, führt kaum zum Ziel. Stattdessen sollte darauf geachtet werden, die Ergebnisse des gesamten Systems zu verbessern. Denn den Arbeitsdruck auf einzelne Mitarbeiter zu steigern, um die Produktivität zu erhöhen, führt letztlich nur dazu, dass schneller, aber nicht qualitativ besser gearbeitet wird. Ein weiterer Effekt dieses verfehlten individuellen Drucks ist ein erhöhter Turnover - Mitarbeiter werden verheizt. Und noch ein Aspekt wird im Zusammenhang mit der Arbeitsleistung oft übersehen: Es ist nicht wirklich zielführend, 100 Prozent der Arbeitszeit für die Aufgabenerfüllung zu verplanen. Gerade unter den Bedingungen der Transformation kann es viel nützlicher sein, den Mitarbeitern auch Zeit einzuräumen, in der sie ihre Arbeit reflektieren können. So haben sie auch die Gelegenheit, die aktuelle Aufgabe zu hinterfragen, um so vielleicht effizientere und bessere Wege zu finden, auf denen sich das übergeordnete Ergebnis schneller und mit weniger Aufwand erreichen lässt - und diese mit dem Team zu teilen. Das führt uns unmittelbar zur Frage der Kommunikation.

Handlungsfeld 2: Miteinander reden

Es ist seit langem bekannt: Kommunikation stellt sowohl in Projekten als auch in der täglichen Zusammenarbeit einen wesentlichen Erfolgsfaktor dar. Dies gilt umso mehr, wenn unter den Bedingungen der digitalen Transformation die Bedeutung der kreativen und innovativen Wissensarbeit noch wächst und Veränderungen Unternehmensalltag werden. Allerdings gibt es besonders im Feld der Kommunikation recht viele Stolperfallen, die die gewünschten positiven Wirkungen sogar in ihr Gegenteil verkehren können. Erfolgreich miteinander kommunizieren - das ist oft leichter gesagt als getan.

Kommunikation ist noch keine Verständigung: Die Tatsache, dass miteinander geredet wird, garantiert noch keinen Erfolg. Ein wesentliches Ziel aller Kommunikationsbemühungen muss es sein, Missverständnisse zu eliminieren und sich mit allen Teammitgliedern zu verständigen. Entscheidend ist es hierbei, sicherzustellen, dass die Kommunikationsinhalte wirklich ankommen. Es wurde vielleicht etwas Sinnvolles und Wichtiges gedacht, aber nicht gesagt. Oder es wurde zwar gesagt, aber nicht so deutlich und klar, dass diese Idee auch gehört worden wäre. Oder was gesagt wurde, wurde zwar gehört, aber nicht verstanden. Hinzu kommt: Verständnis bedeutet nicht gleich Einverständnis, und selbst wenn der Adressat einverstanden ist - umgesetzt ist die Idee dann noch lange nicht. Sprache zu verstehen, ist das eine, die kommunizierten Inhalte in die Gedankenwelt umzusetzen und somit Verständigung zu erreichen, ist das andere. Ohne einen klaren Feedbackkanal besteht immer die Gefahr, dass Kommunikationsabsichten innerhalb des Teams ungehört oder unverstanden versanden.

Der Unterschied zwischen Monolog und Dialog: Gegenüber einem Monolog hat eine dialogische Kommunikationsform natürlich den Vorteil, ein wechselseitiger Prozess zu sein. Missverständnissen lässt sich auf diese Weise vorbeugen. Schwierig ist es allerdings, im Unternehmensalltag den geeigneten Mix aus einseitiger und mehrseitiger Kommunikation zu finden.

Wann reicht es aus, wenn eine einseitige Nachricht gesendet wird, wann sollten zwei Teammitglieder miteinander diskutieren, und wann ist es sogar sinnvoll, dass alle Teammitglieder oder alle Beteiligten sich im großen Kreis austauschen? Gerade bei großen Meetings tauchen gern die erwähnten Probleme des Gesagt-aber-nicht-gehört oder des Gehört-aber-nichtverstanden auf, und es kommt zu keiner Verständigung wie schon beschrieben. Man sollte sich also immer gut überlegen, wann es an der Zeit für einen monologischen Vortrag ist und wann eine Gruppendiskussion die bessere Wahl darstellt.

Explizite und implizite Kommunikation

Es gibt immer eine explizite und eine implizite Kommunikation: Paul Watzlawick, der berühmte Kommunikationswissenschaftler, brachte es auf den Punkt: "Man kann nicht nicht kommunizieren." Längst nicht alle menschliche Interaktion findet explizit statt. Sehr viel der Kommunikation spielt sich implizit ab. Was gesagt wird, ist manchmal weniger wichtig, als wie es gesagt wird, mit welchem Tonfall oder mit welcher Körpersprache. Man kann sich die Kommunikationsbandbreite als einen Eisberg vorstellen: Der größte Teil des Eisbergs ist unter der Wasseroberfläche und unsichtbar, aber dieser ist bedeutsamer und wirkungsmächtiger als der sichtbare Teil. Von der besonderen Bedeutung der impliziten, unausgesprochenen Kommunikationsinhalte handelt auch ein weiteres kommunikationspsychologisches Axiom von Paul Watzlawick: "Jede Kommunikation hat einen Inhalts- und einen Beziehungsaspekt." Bei jeder Kommunikation im Unternehmen kommt ein komplexes soziales System zum Tragen: das Kreditinstitut mit seinen Menschen, seiner Kultur, seiner Geschichte, seinen Werten und seinen Regeln. Dies macht es umso wichtiger, sich nicht nur um Kommunikation, sondern um eine klare Verständigung zu bemühen. Es kommt nie nur darauf an, was man sagt, sondern auch wer es sagt, wie er es sagt und wie es wahrgenommen und verstanden wird.

Das Marmeladengesetz: Für die Kommunikation gilt: Je breiter ein Kommunikationsinhalt gestreut wird, desto fraglicher ist es, ob er die gewünschte Wirkung entfaltet. Die Balance zu finden zwischen Verbreitung und Fokussierung ist demnach sehr wichtig. Wenn also Inhalte zu stark gestreut werden, besteht die Gefahr, dass die ursprüngliche Kommunikationsintention und die Hauptaussage sich durch die Vielzahl der Interpretationen einfach auflöst oder bis zur Unkenntlichkeit verändert. Je breiter die Marmelade verstrichen wird, desto mehr Geschmack geht verloren. Bei der Kommunikation ist das ganz ähnlich. Es will also gut überlegt sein, wie man sein Projekt intern - und extern - kommuniziert.

Arbeiten und reden

Durch die digitale Transformation gewinnt Wissensarbeit eine noch größere Relevanz als früher. Und weil es Menschen sind, die diese Wissensarbeit erbringen, nimmt zugleich die Bedeutung des menschlichen Faktors zu, auch für Unternehmen der Kreditwirtschaft. Die Rolle, die menschliche Kreativität und Innovationskraft für den Unternehmenserfolg spielen, wächst. Eine Organisation wird einen digitalen Wandel nur vollziehen können, wenn sie die Mitarbeiter mitnimmt. Darum verlangt die digitale Transformation es auch von den Organisationen selbst, sich zu transformieren. Nur in einer transformationsoffenen Unternehmenskultur verliert der ständige Wandel für die Mitarbeiter seinen Schrecken, und nur dann ist ein Institut in der Lage, auf die komplexen Fragen der fortdauernden Veränderungen in der digitalen Geschäftswelt die geeigneten Antworten zu finden.

Dazu muss sich die Unternehmenskultur vor allem in zwei Bereichen verändern: Es braucht ein besseres Miteinander-Arbeiten und ein effektiveres Miteinander-Reden. Kooperation und Kommunikation heißen die beiden Standbeine einer modernen Organisation, die sich den Herausforderungen des digitalen Wandels gewachsen zeigen will.

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