Genossenschaftliche Identität und Digitalisierung - das passt!

Hans-Bernd Wolberg, Stellvertretender Vorsitzender des Vorstands, DZ BANK AG, Frankfurt am Main

Quelle: DZ BANK

Hans-Bernd Wolberg, Stellvertretender Vorsitzender des Vorstands, DZ BANK AG, Frankfurt am Main - Sich dem digitalen Wandel zu stellen, ihn vor Ort und in der Gruppe möglichst mitzugestalten und dennoch die genossenschaftliche Identität zu wahren und diese auch digital erlebbar zu machen, ist aus Sicht des Autors eine große Herausforderung für seine Organisation. Mit Blick auf das Selbstverständnis und die Ausprägungen der genossenschaftlichen Grundidee entdeckt er dabei viele Ansatzpunkte, die ihn zuversichtlich stimmen, dieses Ziel auch erreichen zu können. Tradition und Moderne glaubwürdig in Einklang bringen, lautet sein Anspruch an die Weiterentwicklung des Genossenschaftssektors. Die Kunst wird es sein, dabei auch die betriebswirtschaftliche Zukunftsfähigkeit unter Beweis zu stellen. (Red.)

Niedrigzins und Regulatorik fordern die Finanzbranche bereits geraume Zeit heraus. Ebenso fundamental wird der digitale Wandel ins Bankgeschäft eingreifen, denn er berührt dessen unmittelbaren Kern: den Zugang zum Kunden. Gerade für die genossenschaftliche Finanzgruppe mit ihrer klaren Ausrichtung auf Wirtschaft und Bevölkerung stellt sich die Frage, was die zunehmende Digitalisierung für Mitglieder- und Kundennähe und damit für das genossenschaftliche Selbstverständnis bedeutet.

Verändertes Kundenverhalten

Das Kundenverhalten ist bereits heute massiv von den immer vielfältigeren digitalen Möglichkeiten geprägt. So informieren sich geschätzte drei Viertel aller Bankkunden vor einem Beratungsgespräch online über Finanzprodukte. 5 Prozent der Kunden sind sogar bereits rein "digital" und verzichten gänzlich auf den persönlichen Kontakt zur Bank - ein Trend, der sich in den kommenden Jahren weiter verstärken dürfte: So steigt dieser Anteil einer aktuellen Studie des Bundesverbandes der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR) zufolge bis 2020 auf rund 15 Prozent. Im selben Zeitraum soll der Anteil sogenannter "hybrider Kunden", die sowohl digitale als auch persönliche Bankangebote nutzen, von derzeit 50 Prozent auf rund 60 Prozent wachsen. Und es braucht nicht sonderlich viel Phantasie, um sich die weitere Abnahme des Anteils rein "personaler Kunden" im Zeitablauf vorstellen zu können.

Digitale Angebote werden somit absehbar immer bedeutender. Sie werden den persönlichen Kundenkontakt aber keinesfalls vollständig ersetzen - vor allem nicht bei komplexen, beratungsintensiven Dienstleistungen.

Was zeichnet vor diesem Hintergrund genossenschaftliches Bankgeschäft gegenüber dem Wettbewerb besonders aus? Der Mensch im Mittelpunkt: Diesen Anspruch reklamiert mittlerweile zwar jede Bankengruppe für sich - in der genossenschaftlichen Finanzgruppe gilt er allerdings schon seit mehr als 150 Jahren.

Erlebbare Nähe

Wichtigste Aufgabe von Genossenschaftsbanken ist es, ihre Mitglieder und Kunden durch faire Beratung und gute Finanzprodukte zu fördern. Darüber hinaus sollten sie sich durch Ortsnähe, klare Verankerung in der Realwirtschaft und die Übernahme von gesellschaftlicher und sozialer Verantwortung in ihrem Umfeld erlebbar machen.

Zählt man zu den großen Stärken der genossenschaftlichen Organisation ihre Nähe zu Mitgliedern und Kunden, so gilt es, diese Stärke in die digitalisierte Welt zu transformieren. Auch wenn Ortsnähe im Bankgeschäft heute deutlich an Bedeutung verloren hat, schätzen die Kunden nach wie vor effiziente und kurze Entscheidungswege, wie sie eine Bank vor Ort bietet. Sie erwarten aber auch ein komplettes digitales Leistungsangebot und damit eine zeitgemäße Ausrichtung ihrer Bank.

Vielfältige Zugangswege

Digitale Prozesse, Banking-Apps, Omnikanalvertrieb, Onlineabschlussstrecken - im Bankgeschäft ist das alles inzwischen eine Selbstverständlichkeit. Die genossenschaftliche Finanzgruppe muss sich so positionieren, dass sie als moderner Finanzdienstleister auch in der digitalen Sphäre wahrgenommen wird, ohne jedoch ihren Wiedererkennungswert vor Ort aufs Spiel zu setzen und damit beliebig austauschbar zu werden.

Vielmehr gilt es, die neuen digitalen Möglichkeiten zu nutzen, um Nähe auch auf diese Weise spürbar zu machen. Werte und Identität bleiben dabei nach wie vor wichtige Leitplanken für dauerhaft erfolgreiches genossenschaftliches Bankgeschäft. Trotz vielfältigerer Zugangswege steht der Kunde mit seinen finanziellen Bedürfnissen weiterhin im Mittelpunkt aller bankgeschäftlichen Aktivitäten.

Auch wenn es bisweilen den Anschein hat: Digitalisierung ist im Kern kein neuartiges Denkmodell, sondern vielmehr ein technischer Ansatz, mit dem sich ganz konkrete Anforderungen im modernen Bankgeschäft erfüllen lassen. Dieser Ansatz steht der genossenschaftlichen Identität nicht entgegen, im Gegenteil: Vieles, was die Digitalisierung an neuen Formen von Kooperation und von Kommunikation hervorgebracht hat, entspringt gewissermaßen der genossenschaftlichen Idee. Selbsthilfegedanke und Gruppenverständnis korrespondieren beispielsweise mit den Ideen von Social Trading oder Social Sharing. Auch die Kampagne zum 200. Geburtstag von Friedrich Wilhelm Raiffeisen im Jahr 2018 wird diesen Sachverhalt plakativ zum Ausdruck bringen: Er erfand das Crowdfunding. Er nannte es Genossenschaft.

Glaubwürdigkeit vermitteln

Vor mehr als 150 Jahren waren es vergleichsweise günstige Kredite, die den Mitgliedern von Genossenschaftsbanken in erster Linie zugute kamen. Heute, in Zeiten von Niedrigzinsen, überwiegend guter Finanzlage des Mittelstands und Wohlstand in breiten Bevölkerungsschichten sind die Erwartungen von Mitgliedern und Kunden anders gelagert und wesentlich umfassender: Neben einem bedarfsgerechten Angebot an Finanzprodukten geht es darum, glaubwürdig Vertrauen in den Bankpartner und dabei Orientierung in einer komplexer werdenden Welt zu vermitteln. Dauerhafte Kundenbindung basiert dabei nicht allein auf günstigen Konditionen, sie muss auch emotional flankiert sein.

Es versteht sich daher sozusagen von selbst, dass sich die Genossenschaftsbank der Zukunft ihrer Identität bewusst sein und diese ihren Mitgliedern und Kunden im besten Sinne erlebbar machen muss. Das gelingt ihr umso überzeugender, indem sie sich fair zeigt, effizient agiert und agil präsentiert.

Fair bedeutet dabei neben offenem, transparentem und marktgerechtem Verhalten auch die Selbstverpflichtung zu ethischer Fundierung. Dies fördert zugleich den unternehmerischen Erfolg, wie auch Felix Hufeld, Präsident der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, auf der letztjährigen Kreditpolitischen Tagung der Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen hervorhob: "Es zahlt sich für die Banken ökonomisch aus, wenn sie sich nicht nur rechtskonform, sondern im wahrsten Sinne des Wortes anständig verhalten."

Anständiges Verhalten ist im genossenschaftlichen Gen-Code quasi verankert: Genossenschaftsbanken verfolgen von jeher nicht das Ziel grenzenloser Gewinnmaximierung, sondern vielmehr die langfristige, vertrauensbasierte Partnerschaft mit ihren Mitgliedern und Kunden bei auskömmlichen Ergebnissen. Entscheidend ist dabei allerdings, dass eine an solchen Ansprüchen orientierte Geschäftspolitik nicht nur auf dem Papier steht, sondern in der Realität nachvollziehbar umgesetzt wird.

Hohe Effizienz in der Gruppe

Der Erfolg fußt von jeher auf der Zusammenarbeit und der Arbeitsteilung innerhalb der genossenschaftlichen Finanz gruppe, die für sich genommen bereits die Effizienz jedes Einzelnen verbessert. Arbeitsteilung in der Gruppe bedeutet dabei: Es gibt klare Verabredungen, wer welche Aufgabe übernimmt, und zwar der Maß gabe folgend, wer sie am besten erfüllen kann.

Dem Effizienzkriterium muss selbstverständlich auch der Prozess des Zusammenwachsens in der Gruppe gehorchen: Dies ist bei den Fusionen der Rechenzentralen und der Zentralbanken wie auch bei den meisten Primärbank-Fusionen erwiesenermaßen der Fall. Wie man aber leider auch erkennen muss, fällt ein Gutteil der gehobenen Effizienzgewinne dem Mehraufwand für die ausufernde Regulatorik zum Opfer.

Dass die genossenschaftliche Finanzgruppe in ihrer Gesamtheit effizient und damit zugleich wirtschaftlich zum Wohle von Mitgliedern und Kunden arbeitet, beweisen zudem die seit Jahren gezeigten Spitzenergebnisse, die sich nicht zuletzt auch in den Top-Ratings der internationalen Ratingagenturen widerspiegeln.

Zukunftsträchtige Initiativen

Ein Schlüsselbegriff im digitalen Zeitalter lautet mittlerweile "agil", was gemeinhin für lebendig und energiegeladen steht. Die DZ Bank hat für sich das Attribut "initiativ" dazu genommen. Initiative zeigen bedeutet dabei nicht, jedem Trend hinterherzulaufen. Initiative zeigen heißt vielmehr, proaktiv passgenaue Lösungen für sich wandelnde Kundenbedürfnisse zu entwickeln und zusätzlich die besonderen Stärken der eigenen Organisation in die Waagschale zu werfen.

Die arbeitsteilige genossenschaftliche Organisation zeichnet sich durch eine hohe Agilität auf allen Ebenen aus: Es wird viel ausprobiert und laufend Neues entwickelt - kurzum: es bewegt sich eine Menge. So hat die genossenschaftliche Finanzgruppe - insbesondere im Rahmen ihrer vom BVR vorangetriebenen "Kunden-Fokus"-Strategieprojekte - vielfältige und zukunftsträchtige Initiativen ins Leben gerufen. Im engen Schulterschluss mit den Volksbanken und Raiffeisenbanken sowie der Fiducia & GAD IT stellt sich auch die DZ Bank ihrer Verantwortung als "Die Initiativbank", beispielsweise mit der Förderung neuartiger Entwicklungsplattformen wie dem Geno-Hackathon oder dem Innovation LAB, das auch schon erste Produktkreationen hervorgebracht hat.

"Weiterreichen der Flamme"

Die genossenschaftliche Finanzgruppe ist auch angesichts der digitalen Herausforderung gut beraten, sich auf ihre genossenschaftlichen Werte und damit auf ihre besonderen Stärken zu besinnen: Stets konsequent auf die Interessen ihrer Mitglieder und Kunden ausgerichtet und den engen Schulterschluss in der Gruppe suchend. Damit ist sie nicht nur aus der Finanzkrise gestärkt hervorgegangen, so wird sie auch das Thema Digitalisierung meistern. Der digitale Wandel stellt die genossenschaftliche Identität somit nicht in Frage, er fordert die genossenschaftliche Organisation jedoch dazu heraus, ihre Identität auch digital erlebbar zu machen. Letztlich wird es weiterhin in besonderem Maße auf das Gesicht der Bank vor Ort und die dort handelnden Personen ankommen. Sie müssen Tradition und Moderne glaubwürdig in Einklang bringen.

In diesem Zusammenhang lässt sich auch der englische Staatsmann Thomas Morus zitieren: "Tradition ist nicht das Aufbewahren der Asche, sondern das Weiterreichen der Flamme!" Will heißen: Sich auf bewährte Tugenden und Traditionen zu berufen und diese zeitgemäß weiterzuentwickeln, macht einen zukunftsfähigen Ansatz aus. Mit diesem Pfund können rein digitale Anbieter nicht wuchern.

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