Harmonisierung des Insolvenzrechts: politisch machbar oder Wunschvorstellung?

Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz, Berlin - Eine Harmonisierung des Insolvenzrechtes ist wünschenswert. An dieser Stelle ist die Antwort des Autors völlig klar. Mit Blick auf die Machbarkeit verweist er aber auf die besonderen Herausforderungen der Schaffung eines Level Playing Field. Er betont in diesem Zusammenhang nicht nur die erheblichen Wechselwirkungen mit sämtlichen Bereichen des Wirtschaftsund Unternehmensrechts, sondern erinnert auch an die langwierigen Verhandlungen, allein die Verfahrenseröffnung in einem anderen Staat anzuerkennen. Im Rahmen der Initiative der EU-Kommission wirbt er für ein umsichtiges Vorgehen und verspricht eine konstruktive Begleitung, warnt aber davor, kurzfristig umfassende Lösungen zu erwarten. (Red.)

Die Frage, ob eine Harmonisierung des Insolvenzrechts wünschenswert ist, lässt sich klar beantworten: Ja! Sie kann die Abwicklung grenzüberschreitender Insolvenzen vereinfachen. Und sie würde international operierende Unternehmen von der Last befreien, landesspezifische Insolvenzrisiken ermitteln zu müssen.

Verhandlungen über gut drei Jahrzehnte

Ist eine Harmonisierung aber auch machbar? Die Antwort auf diese zweite Frage muss differenzierter ausfallen. Machbar und sogar bereits erfolgreich abgeschlossen ist die Harmonisierung des internationalen Insolvenzrechts, das in grenzüberschreitenden Fällen Auskunft gibt über die internationale Zuständigkeit, das anwendbare Sachrecht und die Anerkennung und Vollstreckbarkeit von Entscheidungen in Insolvenzsachen. Hier sind bereits vor mehr als zehn Jahren europäische Regime entstanden. In der Praxis haben sie sich sehr bewährt. Die Europäische Insolvenzverordnung für die Realwirtschaft konnte zudem jüngst noch modernisiert werden.

Bei dem durchschlagenden Erfolg, der hier erreicht wurde, gerät leicht in Vergessenheit, wie schwierig und steinig der Weg bis dahin war. Gut drei Jahrzehnte nahmen die Arbeiten und Verhandlungen in Anspruch. Zu unterschiedlich waren die Vorstellungen davon, was das Insolvenzrecht zu leisten hat und unter welchen Voraussetzungen die Verfahrenseröffnung in anderen Mitgliedstaaten anerkannt werden sollte.

Diese historischen Erfahrungen lassen erahnen, mit welchen Schwierigkeiten das Projekt der Harmonisierung des insolvenzrechtlichen Sachrechts, das heißt des "eigentlichen" Insolvenzrechts, verbunden ist. Es ist nämlich eine Sache, sich dazu durchzuringen, die Verfahrenseröffnung in einem anderen Mitgliedstaat trotz der Unterschiede zum eigenen Insolvenzrecht anzuerkennen, aber eine vollkommen andere Sache, sich im Zuge einer EU-weiten Harmonisierung auf Änderungen im eigenen Recht einzulassen. Wie groß der Respekt des europäischen Gesetzgebers vor den Divergenzen in den nationalen Insolvenzrechten war, lässt sich übrigens auch an dem erfolgreich harmonisierten internationalen Insolvenzrecht ablesen: Um das Vertrauen auf den Bestand der nach lokalem Recht bestellten Sicherheiten zu schützen, werden dingliche Sicherheiten nach wie vor von den Wirkungen einer Verfahrenseröffnung im Ausland weitestgehend abgeschottet.

Die Schwierigkeiten einer Harmonisierung der Sachrechte bestehen nach wie vor fort. Das Insolvenzrecht ist eng verwoben mit sämtlichen Bereichen des Wirtschafts- und Unternehmensrechts, einschließlich des Handels-, Gesellschaftsrechts, des Arbeitsund Sozialrechts sowie mit dem Sachen- und Steuerrecht. All diese Rechtsgebiete sind aber selbst oft kaum oder nur unzureichend harmonisiert. Eine Angleichung des Insolvenzrechts ist daher mit der Gefahr von Friktionen innerhalb der einzelnen Rechtsordnungen verbunden. Das könnte die angestrebten Vorteile einer Harmonisierung relativieren oder - im schlimmsten Fall - in den Schatten stellen.

Das soll keineswegs heißen, dass es sich nicht lohnt, über eine Angleichung des Insolvenzrechts nachzudenken und daran hartnäckig zu arbeiten. Es heißt aber, dass es sich um ein eher langfristiges Projekt handelt, das nur wohlüberlegt und Schritt für Schritt angepackt werden sollte. Vor- und Nachteile jeder Harmonisierungsmaßnahme müssen gründlich geprüft werden. Und wir sollten überlegen, ob es manchmal nicht besser wäre, die Fortentwicklung des Rechts dem Wettbewerb der Rechtsordnungen zu überlassen. Dieser Wettbewerb entsteht automatisch durch die Anerkennungsmechanismen des internationalen Insolvenzrechts. Lösungen mit dem Anspruch, ganze Regelungsbereiche kurzfristig und umfassend anzugleichen, haben wenig überschaubare Risiken und Nebenwirkungen. Deswegen betrachten wir sie eher mit Zurückhaltung.

Vorschlag der Europäischen Kommission

Diskussionsbedarf besteht vor diesem Hintergrund auch bei dem Vorschlag der Europäischen Kommission, kurzfristig ein vorinsolvenzliches Restrukturierungsverfahren auf europäischer Ebene einzuführen. Richtig ist zwar, dass solche Verfahren in den letzten Jahren in mehreren Mitgliedstaaten an Bedeutung gewonnen haben. Ebenso richtig ist aber auch, dass die Mitgliedstaaten hier unterschiedliche Wege gegangen sind. Dabei unterscheiden sich nicht nur die Modelle von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat. Vielmehr haben einige Mitgliedstaaten auch sehr bewusst auf die Einführung solcher Verfahren verzichtet und dafür die Restrukturierungsoptionen im Rahmen des Insolvenzverfahrens selbst verbessert. So auch Deutschland, das sich mit dem Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG) für einen Ausbau der Sanierung und Restrukturierung im Insolvenzverfahren entschieden hat. Sicherlich ist diese rechtspolitische Entscheidung nicht in Stein gemeißelt. Allerdings wäre es sinnvoll, erst in Erfahrung zu bringen, wie die neuen Modelle in Deutschland und in anderen Ländern funktionieren, bevor diese durchaus dynamische Entwicklung durch eine Harmonisierungsmaßnahme vorzeitig beendet wird.

Ausdruck einer lange gewachsenen Rechtskultur

Noch viel größer sind die Herausforderungen einer Sachrechtsharmonisierung, wenn es um die Kernsubstanz des Insolvenzrechts geht, also zum Beispiel die Verteilungsrangfolgen, die Behandlung von gesicherten Forderungen und das Anfechtungsrecht. Insolvenzrechtliche Regelungen sind hier Ausdruck einer in Jahrzehnten gewachsenen Rechtskultur, die weit über das Insolvenzrecht hinausreicht. Ich halte eine Einigung hier für wenig realistisch.

Vor diesem Hintergrund ist es wichtig, auch im Rahmen der Initiative der Europäischen Kommission für ein umsichtiges Vorgehen zu werben. Es ist nicht ratsam, binnen kurzer Frist weit reichende und umfassende Lösungen anzuvisieren. Die Erfahrungen mit den jahrzehntelangen Verhandlungen des internationalen Insolvenzrechts zeigen, wie lang es manchmal dauert, zu guten Lösungen zu kommen. Das bedeutet nicht, dass wir den Zeitraum für eine Harmonisierung des Insolvenzrechts und der damit notwendigerweise verknüpften anderen Rechtsgebiete unnötig in die Länge ziehen. Wir werden auch weiterhin die Initiative der Europäischen Kommission konstruktiv begleiten, im Zuge der Schaffung einer Kapitalmarktunion auch die Möglichkeiten für Rechtsangleichungen im Insolvenzrecht auszuloten. Jede sinnvolle, gut geplante und schrittweise entwickelte Maßnahme zur Schaffung eines echten Europäischen Insolvenzrechts begrüßen wir uneingeschränkt.

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