Instandsetzung des Bankkreditkanals: die nächsten Schritte

Prof. Dr. Peter Praet, Chefvolkswirt und Mitglied des Direktoriums, Europäische Zentralbank (EZB), Frankfurt am Main - Wie kann man der europäischen Wirtschaft und nicht zuletzt den südlichen Mitgliedsländern der EU zu ausreichenden Finanzierungsmitteln verhelfen, um eine robuste wirtschaftliche Expansion in Gang zu setzen? Diese Frage beschäftigt nicht nur die europäische Politik, sondern im Rahmen ihres Mandates auch die Europäische Zentralbank. Allein die Geldpolitik reicht aus Sicht des Autors nicht aus, um die in einigen europäischen Staaten zu beobachtende Blockade des wichtigen Bankkreditkanals zu beheben. Als wichtige Stellschraube zu dessen Instandsetzung hat er die Anpassung der Banken an das krisenbedingt schwierige Geschäftsumfeld identifiziert. Seine Überlegungen reichen von einem verbesserten Finanzierungsmix zwischen einer bank- und einer kapitalmarktbasierten Finanzierung über eine Gewährleistung von Anreizen zur Bankkreditvergabe, den Einfluss aufsichtsrechtlicher Vorschriften und der Gewährleistung der Kreditvergabekapazität der Banken bis hin zu der besonderen Bedeutung der Verbriefungstätigkeit. (Red.)

Die Wirksamkeit der Geldpolitik im Euro-Währungsgebiet hängt von einem funktionierenden Bankensektor ab. Im Gegensatz zu anderen Volkswirtschaften erfolgt die Transmission der geldpolitischen Impulse der Europäischen Zentralbank (EZB) vorwiegend über den Bankkreditkanal, sodass wir als geldpolitische Entscheidungsträger besonders auf die Entwicklungen im Bankensektor achten müssen. Und tatsächlich konzentrieren sich viele der geldpolitischen Maßnahmen der EZB seit 2008 gerade auf die Beseitigung von Blockaden bei der Bankenintermediation: Sie reichen von der Bereitstellung kurzfristiger Liquidität bis zu längerfristigen Refinanzierungsgeschäften.

Kreditausreichung an einem Wendepunkt

In den letzten Jahren haben sich weitere politische Entscheidungsträger in Europa den Bemühungen der EZB um die Instandsetzung des Bankkreditkanals angeschlossen. In mehreren anfälligen Ländern erfolgte eine weitreichende Umstrukturierung und Rekapitalisierung des Bankensektors. Auf europäischer Ebene einigten sich die Entscheidungsträger auf die Schaffung der Bankenunion, an deren Anfang eine umfassende Bewertung der Bankbilanzen im Euroraum durch die EZB stand. Was also wurde im Rahmen dieser Anstrengungen bislang erreicht - und was bleibt noch zu tun?

Eine Reihe von Faktoren deutet darauf hin, dass die Kreditvergabe im Euroraum nun einen Wendepunkt erreicht hat. Erstens haben sich die Daten zur Kreditvergabe in den vergangenen Monaten verbessert. Die jährliche Wachstumsrate der Bankkredite an private Haushalte erhöhte sich im September erneut und lag bei 0,6 Prozent - das entspricht einer Verdopplung der durchschnittlichen Wachstumsrate für 2013. Die Kreditvergabe der Banken an Unternehmen ging weiter zurück, doch ist die Talsohle inzwischen erreicht.

Zweitens hat die umfassende Bewertung der Bankbilanzen die Kreditinstitute dazu veranlasst, ihre Maßnahmen zur Bilanzsanierung und Rekapitalisierung vorzuziehen. Außerdem wurden Kapitallücken in Höhe von 25 Milliarden Euro identifiziert, und den Banken wurden wichtige aufsichtsrechtliche Anforderungen auferlegt. All dies stärkt die Transparenz und das Vertrauen in den Bankensektor, was wiederum eine Vorbedingung für eine kräftigere Erholung der Kreditvergabe ist.

Lockerung der Vergabebedingungen

Drittens gehen wir davon aus, dass die von uns im Juni und September beschlossenen geldpolitischen Maßnahmen in den kommenden Monaten an Zugkraft gewinnen. Sie tragen dazu bei, dass die Kreditvergabe an die Realwirtschaft anzieht und die Inflation letztlich näher bei 2 Prozent liegt. Den Ergebnissen der Umfrage zum Kreditgeschäft zufolge dürften die gezielten längerfristigen Refinanzierungsgeschäfte (GLRG) zusammen mit den Programmen zum Ankauf von gedeckten Schuldverschreibungen beziehungsweise Asset Backed Securities zu einer Lockerung der Kreditvergabebedingungen im gesamten Euroraum beitragen.

Bei der Geldpolitik lässt sich bereits eine beträchtliche Lockerung feststellen. Die Maßnahmen werden sich in erheblichem Umfang in der Bilanz des Eurosystems niederschlagen. Wir haben die Absicht, dass sich diese in Richtung der Größenordnung von Anfang 2012 bewegen wird. Auf seiner jüngsten Sitzung unterstrich der EZB-Rat, dass er einstimmig bereit ist, den Risiken einer zu lang anhaltenden Phase niedriger Inflation weiter entgegenzuwirken und innerhalb seines Mandats zusätzliche unkonventionelle Instrumente einzusetzen, falls es notwendig sein sollte.

Viele der für eine Wiederbelebung des Kreditwachstums notwendigen Voraussetzungen sind damit nun erfüllt. Die Behauptung, dass dies allein schon ausreicht, wäre jedoch kurzsichtig.

Eine der wichtigsten Fragen, die sich bei der Instandsetzung des Bankkreditkanals stellt, ist, wie sich die Banken an das krisenbedingt schwierige Geschäftsumfeld anpassen.

Der Bankensektor im Umbruch

Der Bankensektor im Euroraum befindet sich nach wie vor im Umbruch. Derzeit bewegen sich sowohl die Einnahmen als auch die Rentabilität der Banken auf einem niedrigen Niveau. Grund hierfür sind krisenbedingte Kreditverluste und konjunkturelle sowie in einigen Fällen aufsichtsrechtliche Faktoren. Dies spiegelt sich in historisch niedrigen Eigenkapitalrenditen wider: Der Median der Eigenkapitalrendite bedeutender Bankengruppen im Euroraum liegt derzeit bei 5 Prozent. Eine Rückkehr zu den hohen, vor allem durch eine exzessive Verschuldung und Laufzeitinkongruenzen verzerrten Eigenkapitalrenditen vor der Krise ist unerwünscht. Dennoch sehen sich die Banken mit den Erwartungen ihrer Anteilseigner hinsichtlich der Steigerung ihrer Erträge und Eigenkapitalrenditen konfrontiert. Viele müssen hierauf mittels Anpassung ihrer Geschäftsmodelle reagieren.

Dabei könnte eine Vielzahl von Maßnahmen zum Einsatz kommen, darunter die Neugestaltung von Kreditkonditionen, die Reduzierung von Betriebskosten oder die Straffung der Geschäftsmodelle. Wir sind bezüglich der Frage, wie einzelne Banken diese Anpassung bewältigen, zur Neutralität verpflichtet. Allerdings könnten einige dieser Strategien in der Summe systemweite Auswirkungen haben, und sind daher für unsere geldpolitischen Ziele relevant. So könnte zum Beispiel die Neugestaltung von Konditionen unserem geldpolitischen Ziel zuwiderlaufen, die Bereitstellung ausreichender Finanzierungsmittel für eine robuste wirtschaftliche Expansion sicherzustellen. Und was noch wichtiger ist: Wenn Banken bestimmte Geschäftszweige aufgeben, könnte dies zu einer geringeren Kreditvergabe an KMUs oder zu einem Rückgang bei langfristigen Infrastrukturfinanzierungen führen.

Finanzierungsmix

Die Lösung dieses Problems liegt zum Teil in einem stärker diversifizierten Finanzierungsmix, sodass eine effiziente Substitution der bankbasierten Finanzierung durch die Finanzierung über den Kapitalmarkt möglich ist. Nichtbanken wie Private-Equity-Anleger oder institutionelle Investoren können zudem auch bei der Schließung von Finanzierungslücken eine wichtige Rolle übernehmen, vor allem bei langfristigen Infrastrukturkrediten.

Gleichwohl wissen wir aber auch, dass sich Banken nicht ohne Weiteres ersetzen lassen. Und was vielleicht noch wichtiger ist: Finanzierungen dieser Art können nicht durch einen raschen Rückgriff auf die Finanzierung über andere Banken ersetzt werden, weil ein Ausstieg aus dem Markt in der Regel die Beziehungsnetzwerke zerstört, die für die Kreditvergabe an KMUs von entscheidender Bedeutung sind. Wir müssen uns weiterhin im Klaren darüber sein, dass individuelle Maßnahmen seitens der Banken negative externe Effekte auf makroökonomischer Ebene entfalten können - siehe die "Notverkaufs"-Problematik im Verlauf von Finanzkrisen.

Wenn das Risiko besteht, dass diese negativen Auswirkungen einen hinreichend großen Umfang erreichen, können gewisse Gegenmaßnahmen gerechtfertigt sein. Meines Erachtens trifft dies derzeit im Wesentlichen auf zwei Bereiche zu: Erstens muss sichergestellt werden, dass dort, wo Bankkredite unersetzlich sind, weiterhin Anreize zur Kreditvergabe durch die Banken bestehen (insbesondere im KMU-Segment), und zweitens muss gewährleistet werden, dass die Banken über die hierfür erforderlichen Kapazitäten verfügen.

Anreize zur Bankkreditvergabe

Eine kräftigere Erholung im Zuge einer höheren Kreditnachfrage ist ein entscheidendes Element bei der Instandsetzung des Bankkreditkanals. Die Wirtschaftspolitik muss alle Anstrengungen unternehmen, um der Wirtschaft schnellstmöglich wieder zur vollen Entfaltung ihres Potenzials zu verhelfen, indem sowohl deren Angebotskapazitäten als auch die Gesamtnachfrage gestärkt werden.

Der Umgang mit notleidenden Krediten ist die größte Herausforderung. Der Stresstest hat in den Bankenbilanzen die Altlasten aufgedeckt. Wenn der Anteil an notleidenden Krediten ein kritisches Niveau übersteigt, wird die langsame und ineffiziente Abwicklung zu einem wesentlichen Hindernis, sowohl für die Banken als auch die Wirtschaft insgesamt. Bei der Lösung dieser Problematik kommt nationalen Faktoren wie der Effizienz von Insolvenzvorschriften, Rahmenbedingungen für außergerichtliche Umstrukturierungen und dem Justizsystem eine entscheidende Bedeutung zu.

Zur Veranschaulichung: Nach Angaben der Weltbank dauert die Abwicklung einer Insolvenz in Italien 1,8 Jahre, in Irland dagegen nur 0,4 Jahre. Kurz gesagt: Die Verbesserung des Gesamtumfelds für die Abwicklung notleidender Kredite böte nicht nur die Chance zur Sanierung der Bankbilanzen, sondern auch der Bilanzen ihrer Kunden. Denn letztlich ist für eine nachhaltige Erholung der Kreditvergabe und damit zur Wiederherstellung der Effektivität der geldpolitischen Transmission beides erforderlich.

Einfluss aufsichtsrechtlicher Vorschriften

Schließlich stehen die Anreize für die Banken zwangsläufig unter dem Einfluss aufsichtsrechtlicher Vorschriften. Regulierung zielt darauf ab, negative Externalitäten zu internalisieren. Dabei liegt es in der Natur der Sache, dass die Entscheidungsträger stets darauf achten müssen, dass sie im Laufe dieses Prozesses nicht unbeabsichtigt neue Formen negativer Externalitäten schaffen. Die bislang erlassenen aufsichtsrechtlichen Vorschriften zielen zu Recht darauf ab, Systemrisiken zu internalisieren und Risiken besser einzupreisen.

Zugleich hängt jedoch viel von der Kalibrierung spezifischer Anforderungen ab. Es muss beispielsweise sichergestellt werden, dass die Übergangskosten von Durchführungsvorschriften keine unerwünschten Auswirkungen auf die Kreditvergabe haben. Bei den aufsichtsrechtlichen Initiativen zur Verhinderung einer Wiederholung der Subprime-Krise wurden womöglich sämtliche Asset Backed Securities (ABS) unterschiedslos in Mitleidenschaft gezogen. Das betrifft auch solche mit einer einfachen und transparenten Struktur, die eine wichtige Rolle bei der Finanzierung von KMUs spielen können.

Im Rahmen dieser Agenda müssen wir auch sicherstellen, dass die Vorschriften aufeinander abgestimmt sind. Für einen gut funktionierenden KMU-ABS-Markt muss es beispielsweise Banken geben, die verbriefte Produkte vermarkten und damit handeln können. Deshalb müssen wir genau darauf achten, dass neue Vorschriften, die zum Beispiel auf die Trennung von Handels- und Einlagengeschäft der Universalbanken abzielen, nicht zu negativen Konsequenzen für Market-Making-Aktivitäten führen, solange dies nicht aufgrund erheblicher Risiken gerechtfertigt ist.

Unsere Maßnahmen müssen außerdem sicherstellen, dass weiterhin Anreize für die Banken bestehen, sich im Bereich der Kreditvergabe zu engagieren und über die erforderlichen Kapazitäten verfügen. Eine Vorbedingung hierfür ist - wie bereits erwähnt - eine angemessene Kapitalausstattung der Banken. Was jedoch auch eine Rolle spielt, ist die Beschaffenheit des Bankensektors - das heißt, ob dieser ausreichend effizient und diversifiziert ist, um eine stabile Kreditversorgung zu gewährleisten.

Einigen Indikatoren zufolge ist der europäische Bankensektor gemessen an der Größe des Marktes durch Überkapazitäten gekennzeichnet. Dies deutet darauf hin, dass er sein Potenzial nicht in vollem Umfang ausschöpft und dass eine gewisse Umstrukturierung und Konsolidierung folglich makroökonomische Vorteile hätte. Während der Krise zeigte sich zudem, dass der Bankensektor weder auf der Aktiv- noch auf der Passivseite besonders diversifiziert war. Grenzüberschreitende Engagements bestanden hauptsächlich aus kurzfristigen Verbindlichkeiten, sodass bei einem negativen Schock auf die Aktiva der Banken die Finanzierungsmittel innerhalb kurzer Zeit versiegten. Infolgedessen brach die Risikoteilung über das Bankensystem während der Krise praktisch zusammen. Nicht nur die inländische, sondern auch die grenzüberschreitende Konsolidierung würde daher mit makroökonomischen Vorteilen einhergehen.

In einem Binnenmarkt ist davon auszugehen, dass der private Sektor einen solchen Rationalisierungsprozess vorantreiben würde. Dass dies noch nicht geschehen ist, scheint teilweise an den fragmentierten Aufsichts- und Abwicklungsstrukturen zu liegen, durch die die Markteintrittskosten für grenzüberschreitende Banken steigen und die wirtschaftlichen Synergien einer Integration sinken. Die durch die unterschiedlichen nationalen Regelungen und die Interaktion mit einer Reihe verschiedener Behörden anfallenden hohen Compliance-Kosten beeinträchtigten die Wirtschaftlichkeit von Fusionen. Darüber hinaus hat die Tatsache, dass die europäischen Länder in der Vergangenheit dazu tendierten, in Schieflage geratene Banken lieber zu fusionieren statt abzuwickeln, den Spielraum für neue Marktteilnehmer vermutlich eher kleiner werden lassen: Nur eine Handvoll Banken etabliert sich jedes Jahr neu an nationalen Märkten.

Besondere Bedeutung der Verbriefungstätigkeit

Vor diesem Hintergrund kommt der Errichtung der Bankenunion eine Katalysatorfunktion für Veränderungen in der Bankenlandschaft zu. Und mit dem Einheitlichen Aufsichts- und Abwicklungsmechanismus dürften die Barrieren für den Eintritt in nationale Märkte beziehungsweise den Austritt aus nationalen Märkten beseitigt werden. All dies dürfte die Kosten der Geschäftstätigkeit für grenzüberschreitend aktive Banken spürbar senken und die Effizienz des Sektors steigern.

Dies unterstreicht die allgemeine Notwendigkeit, einen ausgewogeneren Finanzierungsmix zwischen Banken und Kapitalmärkten zu schaffen, macht aber auch die besondere Bedeutung der Verbriefungstätigkeit deutlich. Bei gut funktionierenden Verbriefungsmärkten können einige der Vorteile grenzüberschreitend tätiger Banken reproduziert werden: Kleine, lokale Banken legen Kredite auf, während größere, globale Banken sie verbriefen und vermarkten. Mit anderen Worten: Es werden die Bedingungen für Diversität und Wettbewerb innerhalb des Sektors geschaffen, sodass sich eine optimale Marktstruktur entwickeln kann.

Rolle der Geldpolitik

Die Instandsetzung des Bankkreditkanals nach einer schweren Finanzkrise ist zwangsläufig ein langwieriger und schwieriger Prozess. Die Geldpolitik spielt dabei eine wichtige Rolle, doch sie kann alleine nicht alle Probleme lösen.

Die Schritte, die wir bislang zur Stärkung des Bankensektors ergriffen haben, sind eine notwendige Voraussetzung für eine Erholung der Kreditvergabe. Im Zuge der Anpassung der Banken an ein neues Geschäftsumfeld ist es von entscheidender Bedeutung, dass weiterhin mikroökonomische Anreize für die Banken geschaffen werden, die sich mit unseren makroökonomischen Zielen decken. Genauso wichtig ist es, dass eine effiziente und diversifizierte Bankenlandschaft die Kreditversorgung der Realwirtschaft gewährleistet.

Der Beitrag beruht auf einer Rede des Autors auf der European Macro Conference in London am 17. November 2014.

Die Zwischenüberschriften sind teilweise von der Redaktion eingefügt.

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