IT: Wirkung von Simplicity in Banken

Dr. Hubertus von Poser, Mitglied der Geschäftsleitung, Leiter Beratung im Bereich Zahlungsverkehr, PPI AG, Hamburg

Quelle: PPI AG

Dr. Hubertus von Poser, Mitglied der Geschäftsleitung, Leiter Beratung im Bereich Zahlungsverkehr, PPI AG, Hamburg - Eigentlich sollten Beratungsunternehmen doch froh sein, wenn der Gesetzgeber und die Aufseher die Tagesarbeit der Finanzdienstleister immer komplexer werden lassen. Denn das sichert der eigenen Zunft auf absehbare Zeit viele Mandate. Ebenso wie es in den vergangenen Jahren zuweilen vonseiten einiger Consultants aus den Bereichen Bankenaufsicht und Rechnungslegung zu hören war, beklagt der Autor auch für die so überaus wichtige und noch immer bedeutsamer werdende Banktechnik eine kaum noch zu durchschauende Komplexität. Zwar lassen sich für Fachleute auch mit der Reduktion der von den verschiedenen Institutionen verordneten Komplexität sicherlich gute Geschäfte machen. Aber derzeit besteht auf vielen Feldern des Bankgeschäftes die Gefahr von kontraproduktiven Wirkungen (Red.)

Die Banken klagen. Und sie haben allen Grund dazu. Denn die Komplexität in ihrem Geschäftsbereich steigt und macht das eigene Handeln und Wirtschaften immer weniger überschaubar. Und sie bedeutet für die Kredithäuser zudem immense Umsetzungskosten, die sie zu tragen haben. Als Ursachen hierfür werden häufig externe Faktoren und Altlasten genannt, insbesondere eine überbordende Regulierung, neue Technologien und Wettbewerber, steigende Sicherheitsanforderungen, verändertes Kundenverhalten, das Niedrigzinsumfeld und die Last historisch gewachsener IT-Landschaften. Die Finanzdienstleistungsindustrie steht dadurch zweifelsohne unter einem enormen Veränderungsdruck.

Anschauungsbeispiele für Überregulierung

200, zwei Millionen und 70 000 - das sind im Zusammenhang mit der Regulierung drei interessante Zahlen. So registrierte zum Beispiel Thomson Reuters in den Jahren 2015 und 2016 durchschnittlich 200 regulatorische Änderungen pro Tag. Der Medienkonzern überwacht weltweit Anpassungen bei der Finanzmarktregulierung.

Das andere Beispiel: Die Bibel kommt auf rund 70 000 Wörter. Die globalen Richtlinien für Banken (Basel III) zählen mehr als zwei Millionen Wörter. Dazu kommt, dass in den einzelnen Ländern diese noch in nationale Gesetze, Verordnungen und Richtlinien übertragen werden müssen. Letztlich dürften dabei Texte entstehen, die in den zweistelligen Millionenbereich vorstoßen.

Diese Regelflut verursacht gewaltige Kosten. Die US-Bank JP Morgan Chase soll zwischen 2012 und 2014 rund 13 000 zusätzliche Mitarbeiter eingestellt haben, um ihr Herr zu werden. Außerdem ist zu lesen, dass die Umsetzung dieser Vorschriften im Jahr 2014 die Deutsche Bank 1,3 Milliarden Euro gekostet hat.

Erhöhte Komplexität durch Brüssel

Doch die Regulierung ist nur ein Beispiel für Faktoren, die den Grad an Komplexität in der Kreditwirtschaft stetig steigen lassen. Ein weiterer: neue Wettbewerber und Technologien. So will die Europäische Union mit der novellierten EU-Zahlungsdiensterichtlinie Payment Service Directive 2 beispielsweise den Wettbewerb im Zahlungsverkehr anheizen. Das Ziel ist dabei, dass er für die Verbraucher sicherer, bequemer und preiswerter wird. Die PSD2 hat jedoch für die Banken enorme Auswirkungen: Sie greift das Monopol der Banken hinsichtlich des Zugriffs auf die Kontodaten frontal an. Die Geldhäuser sehen sich genötigt, schnell zu handeln.

Einen fundamentalen Wandel oder gar ein "Erdbeben" sehen viele Experten aufgrund dieser Entwicklung auf die Geldinstitute zukommen. Sie müssen in Zukunft auf Wunsch ihrer Kunden Umsätze und Kontostände der Zahlungskonten automatisiert per Schnittstelle an sogenannte dritte Zahlungsdienstleister (TPPs) wie zum Beispiel Fintechs oder andere Banken weitergeben oder in deren Auftrag Zahlungen auslösen.

Doch nicht nur Fintechs machen das Geschäft der Kreditinstitute komplexer und bedrohen es in ihrem Kern. Vielen Bankern treiben auch digitale Sprachassistenten wie zum Beispiel Google Home oder Amazon Echo die Sorgenfalten auf die Stirn. Die Verbraucher können mittels dieser Geräte unter anderem Produkte bestellen. Es ist mit größter Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass die amerikanischen Firmen in Zukunft aber nicht mehr nur die Bestellung aufnehmen, an andere Unternehmen weiterleiten oder selbst bearbeiten und ausliefern. Sie werden sich auch direkt um die Abwicklung der Bezahlung kümmern. Die Folge: Der Kunde hätte mit seiner Bank gar keine Berührungspunkte mehr. Dieses Szenario wollen die Kreditinstitute mit aller Kraft vermeiden, da sie so zum reinen Infrastrukturanbieter herabgestuft würden.

IT und Simplicity

Für Banken ist es daher absolut notwendig, sich zu wandeln. Sie haben zwar keinen oder kaum Einfluss auf Entscheidungen aus Brüssel oder die Entstehung neuer Konkurrenten. Doch sie haben die Möglichkeit, zumindest in einem Bereich Komplexität zu reduzieren: bei ihren IT-Projekten.

Gerade bei den IT-Projekten gibt es Komplexitäts- und Kostentreiber, die hausgemacht beziehungsweise unnötig sind. Hierzu zählen unrealistische Planungen, sich während des Projekts verändernde Anforderungen, kurzfristiges Denken, fehlende oder schwierige Abstimmungen zwischen IT und Fachbereich. Dazu kommt die Neigung - gerade erfahrener Manager - zu Fehlentscheidungen, da sie aufgrund ihrer bereits erzielten Erfolge meinen, nicht mehr die gebotene Vorsicht walten lassen zu müssen. Fünf Beispiele, die dies verdeutlichen:

- Die Führungskräfte unterschätzen den Aufwand für ein Projekt, da sie den eigenen Experten nicht vertrauen.

- Die Manager haben einen Preis und einen Termin definiert, ohne die Anforderungen genau abgeschätzt zu haben.

- Qualitätsmanagementprozesse wie Tests werden unterschätzt oder sogar gestrichen.

- Eigene Schlüsselressourcen mit fachlichem und technischem Know-how sind überlastet oder werden durch Externe ersetzt, die dieses Wissen erst aufbauen müssen.

- Es gibt zu viele Vorhaben und damit Schnittstellen gleichzeitig. Auf Basis eigener Projekterfahrungen schätzen die Experten von PPI die vermeidbaren Komplexitätskosten in deutschen Kreditinstituten auf mindestens 20 Prozent der IT-Projektkosten. Das sind insgesamt rund 1,1 Milliarden Euro.

Komplexität aushebeln

Als Gegenmaßnahme zu empfehlen: Simplicity. Dazu gehört zunächst ein klares Projektscoping: Was ist Ziel des Projektes? Was ist Gegenstand des Projektes und was ist nicht Gegenstand des Projektes? Vorab sollte nicht zu detailliert geplant, sondern auch Raum für Unvorhergesehenes gelassen werden. Bei der Suche nach einem Anbieter gilt leicht abgewandelt die alte Regel: Wer günstig kauft, kauft zwei Mal.

Man kann den Anbieter wählen, der den niedrigsten Preis nennt. Jedoch ist es durchaus möglich, dass sich am Ende des Projekts herausstellt, dass er nicht der Günstigste war, da zum Beispiel die Qualität der Arbeit nicht gestimmt hat, ständig nachgebessert werden musste und so die Zahl der Projektstunden in die Höhe getrieben wurde. Darüber hinaus sollte eine Vielzahl von Externen mit unterschiedlichen Einzelinteressen in den Projekten vermieden werden. Werden diese auch noch rein nach Aufwand vergütet, also ohne Ergebnisverantwortung beschäftigt, entstehen häufig sich immer wieder verlängernde Aufträge.

"Gas geben" sollte man zu Beginn des Projektes. Wertvolle Zeit wird erfahrungsgemäß am Anfang eines Projektes verloren. Das Projekt sollte auch nicht in zu großen Zeitabschnitten betrachtet werden. Es geht nicht darum, nach einem Jahr eine perfekte Lösung vorzufinden. Sondern sich einen Geisteszustand anzueignen, der einer Lieferkette mit kurzer zeitlicher Taktung entspricht: Nach dem Motto "Denk es, bau es, verschiff es. Und wieder von vorn." Gesucht wird hier eine gute Lösung, die schnell umgesetzt und - falls nötig - immer weiter verbessert werden kann. Dabei ist es wichtig, dass die Arbeitsfortschritte und -ergebnisse gemessen und bewertet werden. Doch gilt es sich auf die wichtigsten Parameter zu konzentrieren und nicht schlicht alles zu messen, was möglich ist. Häufig werden "formale" Kriterien wie Zeit und Aufwand in vielen Ausprägungen gemessen. Bewertungen, ob auch die qualitativen Ziele erreicht werden, werden hingegen vernachlässigt.

Schlechte Nachrichten können letztlich gute sein. Klappt beim Projekt irgendetwas nicht, sollten die Mitarbeiter die Möglichkeit haben, dies ans Management zu melden. Das führt zu mehr Transparenz über den wirklichen Zustand des Projekts und eröffnet so die Gelegenheit, mögliche Fehlentwicklungen schnell zu korrigieren und Missstände zu beheben.

Schnelle Korrektur von Fehlentwicklungen ermöglichen

Dieses Vorgehen spart auf lange Sicht bares Geld. Sollten während des Projekts trotzdem kritische Situationen auftauchen, gilt für die Führungskräfte eine Grundregel: Vertrauen schenken! Es ist zielführend, dass die Mannschaft in Ruhe arbeiten und die Probleme lösen kann, ohne durch intensives Reporting Zeit und Nerven zu verlieren.

IT-Projekte sind ein Dreh- und Angelpunkt für die Reduktion von Komplexität und das Erreichen von Simplicity. Sie unterstützen die Umsetzung von regulatorischen Anforderungen und die Anpassung klassischer Geschäftsfelder an das veränderte Verhalten der Kunden. Darüber hinaus bilden sie die Grundlage für die Entwicklung neuer digitaler Produkte, die die Banken langfristig fit machen für den Wettbewerb mit Fintechs.

Exkurs: ein komplexes IT-Projekt - Die Projekt- oder Programmziele sind nur auf dem obersten Abstraktionslevel statisch und einfach verständlich. Bei einer weiteren Detaillierung erzwingen sie viele Entscheidungen, die nicht einfach zu treffen sind. So entsteht eine Dynamik, die zu Beginn des Projekts nicht vollständig vorhersehbar ist.- Es sind die zum Teil sich widersprechenden Interessen vieler Beteiligter zu berücksichtigen (auch von außerhalb des Projekts).- Die technische Umsetzung berührt mehrere Systeme, die jedes für sich genommen, oft schon schwer zu überschauen sind.- Die organisatorische Umsetzung kann nur von einer größeren Anzahl von verschiedenen Experten geleistet werden, die häufig in dieser Konstellation noch nicht zusammengearbeitet haben.

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