Die Niedrigzinsphase und ihre disruptive Wirkung auf das Bankgeschäft

Dr. Laurenz Kohlleppel

Quelle: privat

Dr. Laurenz Kohlleppel, Friedrichsdorf - Schon vor vier Jahren wurden in dieser Zeitschrift die Chancen und Risiken einer anhaltenden Niedrigzinsphase und ihre Auswirkungen auf die Geschäftsmodelle der Verbundinstitute analysiert (ZfgK 1-2013). Seither haben die Ortsbanken beider großer Bankengruppen trotz aller Befürchtungen ihre Ertragslage vergleichsweise stabil halten können. Und die ersten Hinweise deuten darauf hin, dass dies auch für die Geschäftsentwicklung des Berichtsjahres 2016 gilt. Gleichwohl hält der Autor die aus der Niedrigzinsphase resultierenden Ergebniseffekte nicht für ein kurzfristiges, sondern um ein nachhaltiges Phänomen mit strukturellem Charakter. Anhand der Zahlen aus der Bundesbankstatistik analysiert er auf aggregierter Basis die notwendigen Einspareffekte auf der Kostenseite beziehungsweise die zu verkraftenden Einbußen auf der Erlösseite, um eine nachhaltige wirtschaftliche Absicherung der Verbundinstitute sicherzustellen. Seine These: Speziell im Retail Banking bedarf es bei anhaltender Niedrigzinsphase mit Blick auf das Thema Regionalität grundlegender struktureller Veränderungen der Verbünde in ihrem Auftritt. (Red.)

Inzwischen ist es eine Binsenweisheit, dass die Auswirkungen der Regulierung, der EZB-Niedrigzinspolitik und der Digitalisierung nicht in den tradierten Strukturen der Kreditwirtschaft bewältigt werden können. Der Begriff der Disruption taucht in diesem Zusammenhang immer wieder auf, wird aber in der Regel in erster Linie nur mit den Folgen der Digitalisierung in Verbindung gebracht. Dies ist nachvollziehbar und hat erhebliche Anstrengungen in der gesamten Kreditwirtschaft ausgelöst.

Die Geschäftsmodelle der Fintechs werden in diesem Kontext auf ihre Tauglichkeit hin analysiert, Lösungen für die etablierten Player, insbesondere, aber nicht ausschließlich, im Retail Banking, bereitzustellen.

Überprüfung der Geschäftsmodelle nur eine Folge der Digitalisierung?

Dabei ist zumindest in der öffentlichen Diskussion lange Zeit kaum zu erkennen gewesen, dass bereits ohne die digitale Revolution, das heißt in der tradierten Welt, allein durch die anhaltende Niedrigzinsphase, die etablierten Geschäftsmodelle an ihre Grenzen stoßen und für viele Kreditinstitute nicht oder nur schwer in den bestehenden Strukturen zu bewältigen sind. Dies wird bereits durch eine sehr einfache, zugegebenermaßen nicht vollständige, aber im Kern sehr robuste Betrachtung der Betriebsergebnisse im Retail Banking erkennbar.

Traditionell macht bei Sparkassen und Genossenschaftsbanken der Zinsüberschuss in Höhe von zirka 2,1 Prozent der DBS (Durchschnittsbilanzsumme) aus, in Zahlen gut 17 Milliarden Euro bei den Kreditgenossenschaften und bei den Sparkassen 23,3 Milliarden Euro. Damit beträgt der Zinsüberschuss etwa das 4-Fache des Provisionsüberschusses von gut 0,5 Prozent der DBS, eine in dieser Höhe seit vielen Jahren bestehende stabile Relation. Dies ist ein lange Zeit robustes und seit vielen Jahren stabiles Grundmuster der Ertragsstruktur im deutschen Kreditgewerbe, zumal bei Sparkassen und Kreditgenossenschaften. Auf Basis dieser Kennzahlen konnte in den vergangenen Jahrzehnten eine verlässliche G+V-Planung aufgebaut werden. Insbesondere lässt sich hieraus ableiten, welche Ergebnisbeiträge für die Risikovorsorge und die Stärkung der Kapitalrücklagen zur Verfügung stehen.

Vereinfacht gesagt und um die Ergebnismechanik zu illustrieren, reichte im Regelfall der Zinsüberschuss rein rechnerisch also aus, um den Verwaltungsaufwand in Höhe von zirka 1,8 Prozent der DBS zu decken und noch Potenzial für die Risikovorsorge und die Dotierung der Kapitalrücklagen bereitzuhalten. Bei einer weiter anhaltenden Niedrigzinsphase wird die Höhe des Zinsüberschusses bei einer Reihe von Kreditinstituten ceteris paribus diesen Beitrag nicht mehr leisten können.1) Hiernach ist davon auszugehen, dass der Zinsüberschuss gegenüber dem Niveau von 2014 bis 2019 signifikant um etwa 0,5 Prozent der DBS zurückgehen wird. Das hat gravierende Auswirkungen auf die vertraute Ergebnisstruktur der Kreditinstitute.

Konsequenzen für die Stärkung von Kapitalbasis und Risikovorsorge

Um die Konsequenzen zu verdeutlichen, hilft es, in diesem einfachen Bild zu bleiben. Eine unmittelbare Folge ist, dass zur Finanzierung des Verwaltungsaufwandes zukünftig ein Teil des Provisionsergebnisses benötigt wird. Dies bedeutet eine wesentliche Veränderung der betriebswirtschaftlichen Logik des bisherigen Ertragsmodells. Dadurch werden die Möglichkeiten zur Stärkung der Kapitalbasis und zur Risikovorsorge deutlich eingeschränkt. Um den Effekt für ein mittelgroßes Institut mit einer DBS von 1 Milliarde Euro zu konkretisieren, bedeutet ein Rückgang des Zinsüberschusses unter sonst gleichen Bedingungen in der Höhe von 0,5 Prozent der DBS einen Erlösausfall von 50 Millionen Euro.

Die Betriebsergebnisse des Jahres 2015 scheinen allerdings auf den ersten Blick eine andere Botschaft zu enthalten. Sie befinden sich durchweg auf dem Niveau der vergangenen Jahre. Schaut man allerdings genauer hin, zeigt sich, dass hierfür Effekte von Geschäften und Engagements aus der Zeit vor der Niedrigzinsphase verantwortlich sind, die mit Erreichen des Laufzeitendes ihre Wirkung verlieren.

Daher ist mit Blick auf die Dimension der Herausforderungen an der Eindeutigkeit und Robustheit der kaufmännischen Analysen kein ernst zu nehmender Zweifel zulässig. Verschärfend wirkt in diesem Zusammenhang, dass die gegenwärtige Ertragslage noch dadurch gekennzeichnet ist, dass sich die aktuelle Risikovorsorge auf einem historisch niedrigen Niveau befindet. Eine Rückkehr zu langfristig normalen Parametern bei der Risikovorsorge würde in Verbindung mit den zu erwartenden erheblichen Ertragseinbußen im zinstragenden Geschäft bei einer Reihe von Kreditinstituten unmittelbar Wirkung zeigen. Es ist daher offensichtlich sinnvoll, unter diesen Annahmen in einer Ceterisparibus-Analyse die massiven Auswirkungen auf das operative Ergebnis für ein durchschnittliches Institut zu ermitteln.

Ein nachhaltiges Phänomen mit strukturellem Charakter

Nun kann man der Auffassung sein, dass das in den letzten Jahren gestärkte Eigenkapital und bestehende stille Reserven die Mehrzahl der Institute in die Lage versetzt, diese Situation zumindest für eine gewisse Zeit zu überstehen. Dies wird vielfach durchaus zutreffen. Allerdings würde eine anschließende Rückkehr zu als "normal" angesehenen Zinsniveaus, sprich ein Zinsanstieg, auch nicht automatisch und unmittelbar eine Entspannung bedeuten. Denn in gleicher Weise, wie bislang die im Bestand befindlichen hochverzinslichen Engagements die Auswirkungen der Niedrigzinsen in positiver Hinsicht noch überdecken konnten, werden nach einem Zinsanstieg die dann bestehenden niedrigverzinsten Kreditgeschäfte und weitere Aktiva das Zinsergebnis bei den dann gestiegenen Einlagenzinsen in negativer Weise beeinflussen.

Des Weiteren werden die Bewertungen der niedrigverzinsten Aktiva im Depot A bei einem Zinsanstieg die Bankbilanzen belasten. Schließlich sei als drittes auf die Beobachtung der Bundesbank verwiesen,2) dass langfristig ausgelegte Kredite mit entsprechenden Zinsbindungsfristen insbesondere bei den beiden Verbünden zunehmend durch kurzfristige Einlagen refinanziert werden - mit einem entsprechend wachsenden Fristentransformationsrisiko. Der Anpassungsprozess wird also sehr viel länger dauern als die eigentliche Niedrigzinsphase und stellt hohe Anforderungen an die Belastbarkeit der Rücklagenbasis.

Diese Überlegungen müssen natürlich noch detaillierter ausgeführt werden und können die notwendige Einzelfallanalyse nicht ersetzen. Aber im Regelfall wird sich hieraus kein wesentlich anderes Bild ergeben. Dies zusammengefasst bedeutet, dass es sich bei den aus der Niedrigzinsphase resultierenden Ergebniseffekten nicht um ein kurzfristiges, sondern um ein nachhaltiges Phänomen mit strukturellem Charakter handelt.

Quantifizierung der Effekte und Reaktionsmöglichkeiten

Lassen sich diese Effekte zumindest näherungsweise quantifizieren? Auch hierzu genügt eine einfache Rechnung, um bei Fortschreibung der aktuellen Bedingungen die Auswirkungen auf das Betriebsergebnis deutlich zu machen. Unter Beibehaltung aller sonstigen Parameter würde sich das Betriebsergebnis der Kreditgenossenschaften bei einer Bilanzsumme von knapp 800 Milliarden Euro rechnerisch um zirka 4 Milliarden Euro per annum (Betriebsergebnis 2015 vor Bewertung: 7,3 Milliarden Euro), bei den Sparkassen mit einer Bilanzsumme von 1 130 Milliarden Euro um über 5 Milliarden Euro per annum (Betriebsergebnis 2015 vor Bewertung: 9,3 Milliarden Euro) reduzieren, in beiden Fällen also mehr als halbieren.3)

Wenn man von folgendem Ausgangspunkt ausgeht, dass das übliche Niveau des jährlichen Betriebsergebnisses vor Bewertung (9 bis 10 Milliarden Euro bei den Sparkassen, gut 7 Milliarden Euro bei den Kreditgenossenschaften), also des operativen Geschäftes, angemessen und erforderlich war, um sowohl die jeweils notwendige Risikovorsorge als auch eine ausreichende Stärkung des Eigenkapitals und Ausschüttung an die Eigentümer, unabhängig von außerordentlichen oder sonstigen Ergebnisbeiträgen, leisten zu können, dann gibt es angesichts des Zinsüberschussrückgangs auf der Ebene des operativen Bankgeschäftes zwei Stellschrauben, um die Auswirkungen des Zinsüberschusses zu kompensieren: die Verwaltungskosten und das Provisionsergebnis. Unter der Prämisse eines Erhalts des Ertragsniveaus müsste als Ziel angestrebt werden, mit diesen beiden Stellschrauben eine Kompensation des Zinsüberschussrückgangs in der Größenordnung von 0,5 Prozent DBS (bei den Kreditgenossenschaften entsprechend zirka 4 Milliarden Euro, bei den Sparkassen gut 5 Milliarden Euro) zu erreichen.

Auch hier zunächst einige Zahlen4): Das Provisionsergebnis machte 2015 bei den Kreditgenossenschaften insgesamt etwa 4,6 Milliarden Euro aus, bei den Sparkassen im gleichen Jahr gut 6,8 Milliarden Euro. Der Verwaltungsaufwand belief sich auf 20,5 Milliarden Euro bei den Sparkassen, bei den Kreditgenossenschaften betrug er 14,5 Milliarden Euro.

Der Negativsaldo aus den beiden Positionen Provisionsergebnis und Verwaltungsaufwand bei den Kreditgenossenschaften in Höhe von minus 9,9 Milliarden Euro im Jahre 2015 müsste sich also um 4 Milliarden Euro auf minus 5,9 Milliarden Euro verbessern, wenn der Rückgang des Zinsüberschusses in voller Höhe kompensiert werden soll. Bei den Sparkassen belief sich der Negativsaldo im gleichen Jahr auf minus 13,7 Milliarden Euro und müsste sich um gut 5 Milliarden Euro auf dann minus 8,7 Milliarden Euro reduzieren, um eine ungeschmälerte Fähigkeit zur Dotierung der Rücklagen, zur Risikovorsorge und Reservenbildung und zur Ausschüttung zu gewährleisten.

Beitrag des Provisionsgeschäftes

Welchen Beitrag kann das Provisionsgeschäft leisten? Zur Illustration sei ein Blick auf das Privatkundengeschäft geworfen. Die Sparkassen haben nach eigenen Aussagen etwa 50 Millionen Kunden, die Kreditgenossenschaften etwa 30 Millionen. Wollte man eine Erlössteigerung im Privatkundengeschäft von jährlich durchschnittlich 50 Euro pro Kunden ausschließlich über Preiserhöhungen, das heißt ohne Mengeneffekte, ohne Kundenverluste, anstreben, erzielte man damit bei den genossenschaftlichen Banken ceteris paribus rechnerisch einen Effekt von 1,5 Milliarden Euro und bei den Sparkassen von 2,5 Milliarden Euro. Diese Beträge würden jedenfalls für die Kreditgenossenschaften eine Steigerung des Provisionsergebnisses um knapp ein Drittel und bei den Sparkassen sogar um ein gutes Drittel bedeuten. Inwieweit dies eine auch nur näherungsweise realisierbare Größe ist, die sich am Markt durchsetzen lässt, soll in diesem Rahmen nicht weiter analysiert werden.

Erwähnt sei an dieser Stelle nur, dass das Provisionsergebnis aus dem Zahlungsverkehr, welches für die Verbünde einen Anteil von nahe 50 Prozent am gesamten Provisionsüberschuss ausmacht, durch die Regulierung der Interchange im Kartengeschäft seit Ende 2015 und weitere Maßnahmen eine gegenüber der Vergangenheit deutliche Absenkung - die Größenordnung beträgt mehrere 100 Millionen Euro per annum - erfahren hat. Nachhaltige und ergiebige Steigerungen des Provisionsergebnisses konnten zumindest in der Vergangenheit nur sehr selten beobachtet werden und bewegten sich nie in die Nähe der hier genannten Zahlen. Das heißt, unter realistischen Annahmen ist davon auszugehen, dass das provisionstragende Geschäft nur einen Teil und im Vergleich zu der zweiten Bestimmungsgröße, den Verwaltungskosten, vermutlich nur den kleineren Beitrag leisten kann.

In jedem Fall ist aber in der jüngsten Vergangenheit bereits zum einen eine veränderte Konditionspolitik5) zu beobachten, die sich unter anderem in Gebührenerhöhungen und der Einschränkung beziehungsweise dem Wegfall gebührenfrei angebotener Leistungen niederschlägt. Zum anderen ist eine Verstärkung der Beratungsangebote festzustellen. Dies allein löst allerdings noch keine Neuformulierung des Geschäftsmodells aus.

Erlösbedarf reduzieren

Eine auch nur näherungsweise Zielerreichung über die Steigerung des Provisionsergebnisses anzustreben, scheint demnach deutlich zu ambitioniert und wird für die Mehrzahl der Institute keine realistische Zielsetzung sein können. In diesem Fall wird also der Erlösbedarf zu reduzieren sein, um nachhaltig befriedigende und strukturell abgesicherte Betriebsergebnisse erzielen zu können. Die Größenordnungen, um die es hier geht, sind erheblich. Einsparungen, wie sie zum Beispiel durch Zusammenschluss von Rechenzentralen in den Verbünden erzielt werden konnten, sind unverzichtbar, können aber mit jährlichen Effekten von wenigen 100 Millionen Euro in dieser Hinsicht nur einen Bruchteil des anvisierten Betrages erbringen.

Auch an dieser Stelle sei eine Musterrechnung zur Illustration angeführt. Das Verhältnis Personalkosten/Sachkosten in den Verbünden liegt zwischen 1,7 (Sparkassen) und 1,5 (Kreditgenossenschaften), das heißt durchschnittlich bei etwa 1,6. Um ein Volumen von 1 Milliarde Euro an Personalkostensenkungen in den Verbünden zu erzeugen, spricht man bei durchschnittlichen jährlichen Personalkosten von etwa 56 000 Euro/Mitarbeiter von 18 000 betroffenen Arbeitsplätzen. Wenn man den kumulierten Kostensenkungsbedarf beider Verbünde auf 7 Milliarden Euro, das heißt etwa 20 Prozent des Verwaltungsaufwandes, beziffert - die übrigen 2 Milliarden Euro werden durch Erlössteigerungen im Provisionsgeschäft erbracht - und nimmt für den Augenblick einmal an, das Verhältnis Personalkosten/Sachkosten soll konstant bei 1,6 bleiben, dann müssten unter diesen Annahmen Personalkostensenkungen von 4,3 Milliarden Euro realisiert werden, mit anderen Worten, es geht um einen Wegfall von 77400 Arbeitsplätzen.

Der andere Teil von 2,7 Milliarden Euro an Kostensenkungen müsste durch Sachkostenreduktion erbracht werden. An dieser Stelle soll noch offenbleiben, ob die Konstanz des Verhältnisses von Personalkosten/ Sachkosten eine realistische Annahme ist. Falls nein, und die Sachkostenreduktion fällt relativ geringer aus, wäre der auf der Personalkostenseite zu erbringende Beitrag entsprechend höher. (Ein Blick auf die Strukturdaten der Direktbanken zeigt, dass dort der Personalkostenanteil deutlich niedriger ist, das heißt, eine Reduktion von Personalkosten wird voraussichtlich nur zu geringeren anteiligen Sachkostensenkungen führen.)

Ohne Präzedenz in der Geschichte der Kreditwirtschaft

Ein Wegfall in der Größenordnung von 77 400 Mitarbeiterplätzen entspräche bei einem heutigen Mitarbeiterbestand beider Verbünde von zusammen zirka 400000 Beschäftigten einem Anteil von fast 20 Prozent. Das heißt, ein Maßnahmenpaket, das kumuliert in beiden Verbünden zum einen eine Verbesserung des Provisionsergebnisses um etwa ein Drittel (in 2015er Zahlen 2 Milliarden Euro) und zum anderen eine Reduktion der Sachkosten um jährlich 2,7 Milliarden Euro erzielte, würde zusätzlich noch einen Stellenabbau von fast 20 Prozent erfordern, um das gewohnte Niveau des Betriebsergebnisses vor der Niedrigzinsphase zu erhalten. Hierfür gibt es keinen Präzedenzfall in der Geschichte der Kreditwirtschaft! Dies macht die disruptive Wirkung der sich aus der Niedrigzinsphase ergebenden Herausforderungen aus.

Falls man also unter den gegenwärtigen Umfeldbedingungen einen Kostensenkungsbedarf in dieser Größenordnung akzeptiert, und zwar, weil man die anvisierte Ertragsstärke vor dem Hintergrund der Eigenkapitalbildung und der Risikovorsorge für erforderlich hält, ergeben sich diese Konsequenzen - bereits ohne Detailanalyse - nahezu zwangsläufig. Damit wäre aus der Perspektive eines Erhalts der Ertragsstärke die quantitative Dimension eines Anforderungsszenarios zur strukturellen Absicherung der Wirtschaftlichkeit beschrieben, in dem sich die Kreditwirtschaft, speziell die Verbünde, infolge der Niedrigzinsphase befindet.

Ist dieses realisierbar, und wenn ja, unter welchen Bedingungen? Welche Anforderungen stellt das Erreichen der Sollprofitabilität an die Aufstellung der Primärbanken beider Verbünde?

Abhängigkeit von den strukturellen Merkmalen der jeweiligen Region

Es wird natürlich Institute geben, bei denen ein Einschnitt aufgrund konkreter lokaler Gegebenheiten geringer ausfällt als im Durchschnitt. Ebenfalls wird es auch solche mit massiv höherer Betroffenheit geben. Je nach Institutsgröße und Geschäftsportfolio kann ein solcher Einschnitt strukturell und organisatorisch in bestimmten Fällen eher verkraftet werden, in anderen nur mit hohem Aufwand, in manchen Fällen unter Umständen auch gar nicht. Die Strukturmerkmale der jeweiligen Region (Stadt/Land, in Abhängigkeit von der lokalen Wirtschaft konjunkturell belastbar/anfällig, wachsend/schrumpfend), in denen ein Institut arbeitet, werden sich deutlich bemerkbar machen.

Dies schlägt sich indirekt auch im Finanzstabilitätsbericht der Bundesbank aus dem Jahr 2015 nieder. Er zeigt eine deutliche Streuung der Betriebsergebnisse um den Mittelwert von 2,1 Prozent, das heißt, hier zeigen sich unter anderem strukturell bedingte signifikant unterschiedliche Belastbarkeiten und Widerstandsfähigkeiten der Einzelinstitute im Hinblick auf die Negativauswirkungen der Niedrigzinsphase. Es ist daher nicht unwahrscheinlich, dass ein lokal aufgestelltes Institut in einer strukturschwachen Region in vielen Fällen auf die solidarische Unterstützung seines Verbundes angewiesen sein wird. Das heißt, auch die Solidareinrichtungen der Verbünde werden in einem solchen Umfeld mit einer entsprechend hohen Beanspruchung zu rechnen haben.

Viele weitere Fragen

Natürlich schließen sich an dieser Stelle weitere Fragen an. Schon die aktuell wirksamen Regulierungsmaßnahmen haben gezeigt, dass kleine Institute unverhältnismäßig stark von den Vorgaben betroffen sind. Die Niedrigzinsphase wirkt, wie gezeigt, massiv und nachhaltig auf die generische Ertragskraft eines Kreditinstituts. Kleine Institute werden insgesamt überproportional hierunter zu leiden haben.

- Wie muss sich unter solchen Bedingungen das Geschäftsmodell einer dezentral aufgestellten Bankengruppe aus einer Vielzahl unabhängiger Institute weiterentwickeln?

- Kann das Vertriebsmodell eines im Kern filialzentrierten Retail Banking regional aufgestellter Kreditinstitute erhalten bleiben?

- Welche Rolle fällt medialen, das heißt direktbanknahen und filialarmen, Vertriebsstrukturen im Vergleich zum stationären Vertrieb in den Verbünden zu? Sind direktbanknahe (und darüber hinaus digitalisierte) Bankmodelle grundsätzlich eher in der Lage, wirtschaftlich tragfähige Lösungen für einen durch die Niedrigzinsphase bestimmten Markt bereitzustellen?

- Entsteht also allein aus wirtschaftlichen Erwägungen heraus Bedarf an einer Neubewertung überregionaler Lösungen, speziell im Retail Banking? Muss in diesem Zusammenhang nach einem neuen Gleichgewicht zwischen dezentralen und zentralen Strukturelementen der Verbünde gesucht werden?

Spätestens an dieser Stelle spielt das Thema der Digitalisierung konkret hinein. Im Retail Banking werden Direktbanken und ihre Erben, die Fintechs, aufgrund ihres strukturell bedingt deutlich geringeren Erlösbedarfs über einen erheblichen Vorteil verfügen.

- Wie wird sich also die Wettbewerbssituation gegenüber solchen Anbietern entwickeln?

- Welche Lösungen können die Verbünde bereitstellen, um zum einen ihre nachhaltige Ertragskraft auf dem erforderlichen Niveau zu halten und zum anderen ihre Marktposition in ihrem Kerngeschäftsfeld Retail Banking zu behaupten?

Die Größenordnung der aus dem Erhalt einer ausreichenden Profitabilität resultierenden betriebswirtschaftlichen Herausforderungen für einen Großteil der Kreditinstitute in Deutschland legt nahe, dass rein quantitative Anpassungen einer Organisation, das heißt linear wirkende und im wesentlichen strukturkonforme Anpassungen, wie eine Verringerung der Zahl der Zweigstellen eines Instituts und/oder ein voranschreitender Zusammenschluss regionaler Institute zu größeren Einheiten, kaum in der Lage sein werden, schon die nachhaltigen Herausforderungen aus der Niedrigzinsphase dauerhaft zu erfüllen. Allein hieraus ergeben sich deren langfristig disruptiv wirkenden Effekte.

Lassen sich also Senkungen des Erlösbedarfs oder des Kostenniveaus im Status quo in einer Größenordnung von durchschnittlich 20 Prozent noch im Rahmen der bestehenden Strukturen realisieren, und halten diese darüber hinaus weitergehendes Anpassungspotenzial bezüglich unvermeidlicher zukünftiger Kostensenkungen bereit? Oder ist man damit bereits aktuell an Grenzen gestoßen, sodass stattdessen schon jetzt tiefer greifende, eben disruptive Änderungen notwendig sind?

Natürlich lässt sich die Herausforderung aus der Niedrigzinsphase nicht isoliert lösen. Die darüber hinaus weisende Frage bleibt bestehen, inwieweit das bestehende Geschäftsmodell einer filialbasierten, lokal und nicht überregional angesiedelten Retailbank in einem Verbund über das Potenzial verfügt, auf das komplette aktuelle Anforderungsspektrum aus Niedrigzinsphase, Regulierung und Digitalisierung eine insgesamt tragfähige Antwort zu finden und welches die Merkmale dieser Antwort sein werden.

Elemente aus der Direktbankwelt

Falls es sich bestätigt, dass im Retail Banking der Charakter und wesentliche Einzelmerkmale der bestehenden Bankenlandschaft nicht mehr unter den Bedingungen der Niedrigzinsphase nachhaltig wettbewerbsfähig und profitabel aufrechtzuerhalten sind, wird also schon zur Sicherung der nachhaltigen Überlebensfähigkeit eine Struktur mit alternativen Charakteristika an die Stelle treten müssen. Diese wird - eine These - speziell im Retail Banking mit Blick auf das Thema Regionalität wesentliche Elemente aus der Direktbankwelt enthalten und damit grundlegende Veränderungen der Verbünde in ihrem Auftritt im Retail Banking nach sich ziehen.

Fußnoten

1) Siehe Finanzstabilitätsbericht der Deutschen Bundesbank 2015, Seite 34.

2) Siehe Monatsbericht der Deutschen Bundesbank, September 2016, Seite 72.

3) Siehe ebenda.

4) Siehe ebenda.

5) Siehe ebenda.

Laurenz Kohlleppel , Mitglied des Aufsichtsrates, GBS Software AG, Karlsruhe / Frankfurt am Main
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