Prozessoptimierung und IT - Kern des Digitalisierungswandels

Wolfgang Klotz, Vorsitzender des Vorstands, Vereinigte Volksbank eG, Böblingen, und Vorsitzender des BVR-Fachrats IT und Prozessorganisation

Wolfgang Klotz, Vorsitzender des Vorstands, Vereinigte Volksbank eG, Böblingen, und Vorsitzender des BVR-Fachrats IT und Prozessorganisation - Mit Blick auf die Renaissance der analogen Technik in der Musikbranche hält der Autor auch im Bankensektor eine Rückbesinnung auf die guten alten Beratungsangebote in den Filialen für möglich. Diese Zeitspanne aussitzen zu wollen, wertet er unter dem heutigen Wettbewerbsdruck jedoch als gewagt und plädiert für eine Überarbeitung aller Onlineangebote in der genossenschaftlichen Finanzgruppe in Richtung einfacher und technisch möglichst automatisch abzuwickelnder Produkte. Dabei hat er das Dilemma im Blick, dass die Kunden nur noch mit schwierigen Fällen in die Filiale kommen, die sie mangels Angebot oder Fähigkeit nicht online abschließen können und somit die Fallzahlen in den Filiale zwar sinken, während die Komplexität der Fälle deutlich steigt. Sein Ansatz ist anspruchsvoll: Er will nicht nur das Angebot der Direktbanken überflüssig machen, sondern auch die komplexen Prozesse so weit automatisieren, dass die Ortsbanken auch in Fällen überzeugen kann, in denen die Direktbanken versagen und letztlich der Kunde mit seinem gesamten Engagement wechselt. (Red.)

Digitalisierung ist nicht neu - in der Musikindustrie ist der Trend sogar bereits so alt, dass momentan ein kleiner Retrotrend zu analogen Schallplatten zu verzeichnen ist. Smartphones kamen gegen Ende des letzten Jahrtausends auf, das i-Phone gibt es seit 2008. Warum wird jetzt erst so groß von Digitalisierung in Banken geredet, wo doch die ersten elektronischen Überweisungen Anfang der neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts per BTX in Deutschland getätigt wurden? Weil der Trend so stark an Geschwindigkeit zugenommen hat, dass er die Banken überholt hat. Es sind keine Freaks mehr, die Überweisungen per BTX tätigen, Otto Normalbürger erwartet heute alle (!) seine Finanzgeschäfte ganz einfach per Handy oder im Internet tätigen zu können.

Lust- und ahnungslos

Die Werbung tut ein weiteres, um diesen Eindruck zu verstärken - wobei Otto Normalbürger in Deutschland kaum Finanzbildung besitzt. Er möchte sich auch mit seinen Bankgeschäften nicht wirklich beschäftigen und so ist diese Erwartungshaltung fatal: Lust- und ahnungslos will Otto Normalbürger seine Finanzgeschäfte schnell wegclicken.

Da sich diese Erwartungshaltung kaum ändern lässt und die Technik ja auch immer wieder gute Erfolgsbeispiele liefert, sind die Banken gezwungen, ihre Produkte vollständig - trotz aller regulatorischen Auflagen und sinnvollen Abwägungsfragen - einfach mit drei Clicks im Internet abschließbar zu machen. Insbesondere die Direktbanken zeigen, dass dies für Standardfälle vom Alltagsgeschäft bis zur Baufinanzierung recht gut gelingt.

In etwa zwanzig Jahren ist - wie bei den Schallplatten - mit einem Gegentrend zu rechnen, wo die Kunden sich lieber vom Menschen helfen lassen, statt unwissend selbst an der Maschine herumzuspielen. Vielleicht ließe sich hier auch darauf hoffen, dass der Kundschaft klar wird, dass die Produkte zwar einfach sind (und gegebenenfalls auch einfach online abzuschließen), dass der Mehrwert aber in der Auswahl der richtigen Produkte für die Lebenssituation und vor allem Lebensplanung des Kunden liegt. In zwanzig Jahren werden sich aber im derzeit beginnendem Thema des Robo-Advice solche Weiterentwicklungen ergeben, die diesen Retrotrend auch bereits mehrheitlich maschinell abfangen.

Überarbeitung aller Onlineangebote

Es ist also nicht darauf zu hoffen, dass die Kunden andere Erwartungshaltungen entwickeln oder sich der Trend aussitzen ließe. Besonders gefährlich ist die Einschätzung vieler Kunden, dass die Banken gegenüber den Fintechs - und insbesondere die Genossenschaftsbanken - diesem Trend hinterherhinken würden, obwohl dies durch Marktuntersuchungen nicht gestützt wird. Die Genossenschaftsbanken müssen das Thema also besonders intensiv angehen.

Hierzu zählt die Überarbeitung aller Onlineangebote zu einfach abschließbaren Produkten. Dabei sind insbesondere die Unternehmen der genossenschaftlichen Finanzgruppe als Produktspezialisten gefragt. Es ist also darauf zu achten, dass sich diese Produktangebote mit den schlanken Prozessstrecken auch im Universalangebot der Banken wiederfinden, und nicht nur bei den Produktspezialisten des genossenschaftlichen Verbundes. Idealerweise für den Kunden als Bestandskunden der Volksbanken Raiffeisenbanken einfacher und günstiger abschließbar, als für den Neukunden beim Produktanbieter selbst. Ebenso müssen auch alle anderen Angebote - wie vom Kunden erwartet - einfach online zu erledigen sein. Dazu zählen sehr viele Verwaltungs- und Serviceprozesse von der Adressänderung bis zur Zusatz karte.

Dies ist ein gewaltiges Projektvolumen für die Gruppe als Universalanbieter und nicht mal mit Großprojekten wie "Kundenfokus" abzudecken. Viele komplexe Details werden hier vom (ahnungslosen) Kunden als einfache Prozesse erwartet: So erscheint es dem Kunden über Gebühr kompliziert, Änderungen bei Gemeinschaftskonten oder Vollmachten durchzuführen - während die meisten Direktbanken gar keine Gemeinschaftskonten oder nur sogenannte "Oder"-Konten anbieten. Die gewaltigen Mehrkosten für diese weniger genutzten Produkte sieht momentan niemand.

Aber nur hier ist das Rennen zu gewinnen. Die Direktbanken haben die einfachen Produkte bereits im Angebot; scheuen sich aber vor den Komplexen. Der Kunde probiert heute erstmal seine Baufinanzierung in einem Portal durchzukriegen - nur wenn dort seine Sicherheit nicht ausreicht oder andere Randbedingungen eine Finanzierung schwierig machen, kommt er noch in seiner Filiale vorbei. Dort kann ihm dann unter Einbeziehung weiterer Sicherheiten und Ähnlichem vielleicht die Finanzierung gestellt werden, er wird die Mehrkosten in Prozess und Risiko aber kaum tragen wollen. Deswegen sollte die genossenschaftliche Finanzgruppe nicht nur das Angebot der Direktbanken überflüssig machen, sondern auch die komplexen Prozesse so weit automatisieren, dass in diesen Fällen, in denen die Direktbank versagt, die Volksbanken Raiffeisenbanken überzeugen können und der Kunde mit seinem gesamten Engagement wechselt.

Möglichkeiten und Grenzen der Prozessoptimierung

Im Zuge steigender Akzeptanz bei den Kunden ist die fallabschließende Bearbeitung von Vorgängen im Finanzwesen deutlich angestiegen. Zum einen macht der Kunde selbst direkt Abschlüsse im Onlinekanal zum anderen haben die Abwicklungssysteme in diesem Zuge immer mehr Prozesse des Filialmitarbeiters fallabschließend möglich gemacht. Zunehmend zeigt sich, dass der Kunde nur noch mit den schwierigen Fällen in die Filiale kommt, die er mangels Angebot oder Fähigkeit nicht online abschließen kann. Die Fallzahlen in der Filiale sinken also, während die Komplexität der Fälle im Schnitt deutlich steigt.

Noch radikaler zeigt sich diese Entwicklung im Backoffice; hier bleiben besonders die Fehlerfälle und Sonderfälle zur Bearbeitung, während das Massengeschäft vollautomatisiert abläuft. Die Qualität der vollautomatisierten Prozesse lässt sich vor Ort in der Volksbank oder Raiffeisenbank meist nur indirekt beeinflussen, weil diese Prozesse von den Partnern der Finanzgruppe oder dem IT-Dienstleister bereitgestellt wird. Das Prozessmanagement für die Standardprozesse lässt sich bereits an den IT-Dienstleister auslagern, deren Abwicklung an Servicegesellschaften übertragen, die hier neben der Prozessqualität die Economies of Scale heben können - andererseits aber mit der Umsatzsteuer kämpfen.

So verbleiben vor Ort derzeit die komplexen Sonderprozesse und die Individualfertigung ohne oder nur mit partieller Prozessunterstützung. Die nötige Expertise für Prozessoptimierer in diesen Qualitätsstufen vorzuhalten wird kleineren Banken mit der Zunahme dieses Trends immer schwerer fallen. Ob sich die nötigen Preise für Individualfertigung neben den durch den Standard-Massenmarkt geformten Erwartungen der Kunden durchsetzen lassen werden, wird die Zukunft zeigen müssen. Provokant gesagt, ist der Druck auf die Anpassungsgeschwindigkeit in der Marktfolge höher als im Markt.

Der Kostendruck ist mit der angespannten Lage im Bankensektor bereits groß und er wird vermutlich noch deutlich zunehmen. Es ist ein anspruchsvolles Rennen. Aber in der Marktfolge lässt sich der Kostenwettbewerb letztlich für die Volksbanken Raiffeisenbanken nicht gewinnen. Der Markt muss dem Kunden erklären, dass der Mehrwert der lokalen Bank nicht in den Produkten besteht, sondern in der Konfiguration der Produkte zu den Bedürfnissen und der Lebensplanung der Kunden. Hier liegt die Komplexität, die sich dem Kunden ehrlich abnehmen lässt und die der Markt derzeit wegdiskutiert (mit drei Clicks zum Produkt).

Die IT steht in der Nahrungskette noch hinter den Prozessen - hier ist diese Lage noch drastischer. Einerseits sollen die IT-Kosten gesenkt werden, andererseits sind die Anforderungen aus Markt und Regulatorik ohne massiven IT-Einsatz gar nicht mehr darstellbar. Ohne vertiefte Kenntnisse in der IT lässt sich nicht mehr sagen, wo Einsparungen sinnvoll sind, Technologiesprünge oder auch nur - kostensparende - Bereinigungen in der Infrastruktur (Cloud, Mobile) erfordern erstmal Investitionen und bringen vorerst keine Effekte, die vom Kunden bemerkbar sind. Die Erfordernis, möglichst alle Prozesse direkt für den Kunden zur Verfügung zu stellen, verlangt massive Erweiterungen, vor allem aber eine Umgestaltung der aktuellen Prozesse so, dass sie neben allen Erfordernissen rechtlicher Natur für den Kunden einfach bedienbar werden.

Herausforderungen für die IT

Das ist vielleicht an manchen Stellen sogar noch mehr Aufwand in der Arbeit an den Rechtspositionen und der User-Experience als in der technischen Umsetzung. Dazu fordert der Regulator beispielsweise im Meldewesen Prozesse, die ohne massive Automatisierung in der IT nicht umsetzbar sind. Der IT-Dienstleister sieht sich also in der Situation massiv in nicht von Kunden gesehene Infrastrukturumstellung zu investieren, dann massive Erweiterungen für den Regulator vornehmen zu müssen, die vom Kunden nicht wirklich goutiert werden (sondern nur kritisiert, wenn sie schief liegen) und mit den Restkapazitäten den massiven Umschwung der Digitalisierung schaffen zu sollen, wo der Kunde heute erwartet, jedes seiner Probleme mit wenigen Clicks aus der Welt schaffen zu können.

Vielleicht der größte Wandel und die damit einhergehen Schwierigkeiten im Zeitalter der Digitalisierung betreffen also die IT und die Prozesse/Organisation. Die Aufgabe im Markt, den Kunden von der Leistung der Bank zu überzeugen, mag sich nicht gewandelt haben - aber nur hier kann das Rennen für die einzelne Bank wie die genossenschaftliche Finanzgruppe gewonnen werden.

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