Standard Chartered -Entscheidungsfindung zum EU-Hub Frankfurt

Heinz Hilger, CEO Germany und Niederlassungsleiter, Standard Chartered Bank Germany Branch, Frankfurt am Main

Quelle: Standard Chartered Bank

Heinz Hilger, CEO Germany und Niederlassungsleiter, Standard Chartered Bank Germany Branch, Frankfurt am Main - Das Brexit-Votum im vergangenen Jahr und dann auch noch einmal das Ergebnis der britischen Unterhauswahl lassen aus Sicht des Autors vielen in London ansässigen Bankhäusern mit Ambitionen im Europageschäft keine andere Möglichkeit als die künftige Handlungsfähigkeit mit einer Vollbanklizenz im Euroraum sicherzustellen. Dass für die Muttergesellschaft von Anfang an der Standort Deutschland infrage kam, führt er nicht zuletzt auf die Erfahrungen mit einer früheren Vollbanklizenz in Deutschland zurück, die erst vor sieben Jahren zugunsten des European Passportings aufgegeben worden war. Im jetzigen Entscheidungsprozess und der Wahl von Frankfurt als künftigem EU-Hub seines Hauses zur Sicherstellung der künftigen Handlungsfähigkeit im EU-Geschäft verweist er nicht zuletzt auf die wirtschaftliche Stärke Deutschlands, die vorhandene Infrastruktur und eine kompetente Begleitung durch die Aufsicht, die Politik und die Verbände bei allen Fragen rund um die Entscheidungsfindung. (Red.)

Eine Schrift über den Umgang mit den Folgen des Brexits zu schreiben, kommt nicht ohne einen Rückblick auf den Morgen des 24. Juni 2016 aus, an dem sich bestimmt ein jeder wirtschaftlich denkende Mensch gefragt hat, welche Auswirkungen diese überaschende Entscheidung der britischen Wähler haben wird. Etwas weniger drastisch in seiner Auswirkung, aber immer noch mit genügend Potenzial für zusätzliche Unsicherheit, kam dann noch das Ergebnis der Wahl des Unterhauses in Großbritanien Anfang Juni dieses Jahres hinzu - nur knapp 20 verbleibende Monate Verhandlungszeit vor dem unausweichlichen Austritts Großbritaniens aus der EU. Kurzum: Die Ausgangslage hatte alle Zutaten zu dem, was man in der Öknomie als "Entscheidungssituation unter Unsicherheit" definiert.

Sicherstellung der Handlungsfähigkeit im EU-Geschäft

Für die Standard Chartered Bank, die in der Vergangenheit aus Effizienzgründen sehr stark auf das Konzept des European Passportings für ihre EU-basierten Niederlassungen gebaut hat, war es sehr schnell klar, dass aus diesem Votum heraus ein unmittelbarer Handlungsbedarf entsteht. Obwohl die Bank aus operativen, aber auch aus historischen Gründen die Märkte Asiens, Afrikas und des Mittleren Ostens als ihre präsenzstarken Heimatmärkte definiert, ist doch der rechtliche Sitz der Konzernobergesellschaft in London angesiedelt. Von dort aus werden aktuell alle Niederlassungen innerhalb der EU mit einem solchen Passport, also einer von der Muttergesellschaft weitergereichten Banklizenz, versorgt.

Unter der wahrscheinlichen Annahme, dass dieses Konzept unter einem Brexit-Szenario so nicht mehr möglich sein wird, war schlicht und einfach die Handlungsfähigkeit des gesamten Geschäftes der Bank in der EU hiervon betroffen. Der wichtigste Geschäftsbereich der Standard Chartered Bank besteht darin, multinationale Unternehmen und Finanzinstitutionen (und hier verstärkt Kunden aus Europa und Amerika) mit deren Bedürfnissen in Asien, Afrika und dem Mittleren Osten zu betreuen. Insofern stellten die wahrscheinlichen Auswirkungen des Brexits eine wahrhafte Herausforderung dar.

In einer solchen Situation empfiehlt es sich, die Komplexität auf ein Minimum zu reduzieren und sich auf die verfügbaren Fakten zu konzentrieren: Schnell war klar, dass eine neue Tochtergesellschaft zu gründen ist, die dann - ausgestattet mit einer Vollbanklizenz - die Funktion des EU-Passport-Gebers gegenüber den anderen EU-Niederlassungen erfüllen muss. Klar war auch, dass man sich als guter Kaufmann bei der Ausgestaltung dieser Lösung an den Leitgedanken "Prepare for the worst, hope for the best" orientieren sollte. Mit anderen Worten: Das Ergebnis musste einem Szenario standhalten, in dem Großbritannien per Ende März 2019 aus der EU ausscheidet und bis dahin keinerlei vereinfachenden Handelsabkommen definiert werden konnten.

Komplexe Standortfrage: zwei Länder in der engeren Wahl

Unter diesen Bedingungen war der Ablauf des Projektes ein recht logischer Prozess, an dessen Anfang allerdings die komplexe Standortfrage zu beantworten war. Beginnend mit einer längeren Liste von möglichen Standorten, die alle bestehenden Niederlassungen plus zwei weitere Länder umfasste, kristallisierten sich unter Anwendung diverser Bewertungs- und Ausschlusskriterien recht schnell zwei engere Kandidaten-Länder heraus - im vorliegenden Fall Irland und Deutschland.

Für diese Länder wurde dann eine tiefergehende Analyse erstellt, die Aspekte wie zum Beispiel das regulatorische und rechtliche Umfeld, die steuerliche Situation, die Arbeitsmarktsituation und das wirtschaftliche Gesamtumfeld beinhaltete. Auch die Attraktivität der infrage stehenden Standorte Dublin versus Frankfurt wurde aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet. Die hierbei getroffenen Annahmen wurden nachfolgend durch diverse Gespräche mit den verantwortlichen Institutionen validiert.

An dieser Stelle muss die äußerst konstruktive Hilfestellung der regulierenden Institutionen, allen voran BaFin, Bundesbank und auch Europäische Zentralbank, erwähnt werden. Mit der gleichen Ungewissheit über die Details der Brexit-Auswirkungen umgeben, waren alle geführten Gespräche geprägt von einem enormen Pragmatismus, um die unausweichliche Situation des Brexits so lösungsorientiert wie möglich zu meistern.

Gleichermaßen ist hier aber auch die Unterstützung aller relevanten Verbände zu nennen, die sich gleich von Beginn an als wertvolle Platformen für solche Diskussionen angeboten haben. Dem Verband der Auslandsbanken (VAB) kam hier eine besondere Bedeutung zu, da die hier angeschlossenen Institute, wie am beschriebenen Beispiel der Standard Chartered Bank Frankfurt Branch erkennbar, die Auswirkungen des Brexits unmittelbar zu spüren bekommen. Die Unterstützung durch den VAB reichte von der Organisation von Seminaren und Erfahrungsaustauschen über individuelle Beratungsgespräche bis hin zu direkter Einflussnahme in institutsübergreifende Diskussionen mit den entsprechenden Behörden und Regulatoren.

Ausschlaggebende Gründe für den Standort Frankfurt

Zu der in diesem Zusammenhang am häufigsten gestellten Frage, was denn letztendlich den Ausschlag für Frankfurt als Standort für den neu zu gründenen EU-Hub gegeben hat, kann man die folgenden, für die Standard Chartered Bank geltenden Gründe nennen:

Die bestehende Einheit in Frankfurt ist, abgesehen von der Londoner Konzernzentrale, schon heute die größte Niederlassung in Europa. Die deutsche Niederlassung besaß sogar noch bis vor zirka sieben Jahren eine Vollbanklizenz, die damals zugunsten des European Passportings zurückgegeben wurde. Insofern sind die Lücken, die für eine bankadäquate Infrastruktur zu schließen sind, sehr überschaubar.

Bei der Befragung der Kunden spielte insbesondere die Kreditbonität des zukünftigen Kontrahenten eine wichtige Rolle. Da in dieser Betrachtung sowohl das Länder-Rating bedeutsam ist (welches oft als Obergrenze zu dem Kontrahenten-Rating fungiert) als auch insbesondere im Interbankengeschäft die Summe aller in einem Land bestehenden Kreditrisiken genau limitierten, landesspezifischen Obergrenzen unterliegen, wurde auch hier eine Präferenz für Deutschland mit seinem starken AAA-Rating deutlich.

In den Gesprächen mit BaFin und der Dutschen Bundesbank wurde schnell deutlich, wie vorausschauend man sich für die Herausforderungen, die der Brexit mit sich bringt, aufgestellt hat. Gerade bei komplexen Diskussion, zum Beispiel um Risikomodelle und Kapitalerfordernisse, war die Qualität des Dialoges auf oberstem Niveau. Auch für den erwarteten Anstieg des Antragsvolumens hat man schon dezidierte Planungen vorgenommen, sodass die notwendigen Kapazitäten gesichert erscheinen.

Vollbanklizenz als Basis für weitere Niederlassungen

Nicht zuletzt hat auch die Stärke der deutschen Volkswirtschaft eine Rolle gespielt, die - eingebettet in eine äußerst gesunde und diversifizierte Realwirtschaft - eine gute Basis auch für die zuletzt krisengeschüttelte Finanzwirtschaft darstellt. Andere Volkswirtschaften haben sich hier in der Finanzkrise anfälliger gezeigt.

So wurde dann auf der Hauptversammlung der Gesamtbank am 3. Mai 2017 verkündet, dass die Standard Chartered Bank im Zuge des Brexits den Standort Frankfurt als Basis für den neu zu etablierenden EU-Hub definiert hat. Da diese Aussage zu dieser Zeit anscheinend die erste öffentlich kommunizierte Festlegung auf Frankfurt war, gab es ein recht ausgeprägtes Medienecho, was sich wohl nur durch die hohe Erwartungshaltung der interessierten Öffentlichkeit an zufließender Wirtschaftsleistung erklären lässt.

Insofern ist die zweithäufigste, im Zusammenhang mit Brexit gestellte Frage, nämlich wie viel zusätzliche Arbeitsplätze hierdurch entstehen werden, nachvollziehbar. Die Antwort hierauf kann allerdings nicht abschließend gegeben werden. Viele Fragen und Definitionen über die EU- betreffenden Tätigkeiten sind schlicht und einfach noch nicht geklärt. Auch heute schon werden im Zuge einer arbeitsteiligen Weltwirtschaft diverse Abläufe des Bankgeschäftes, insbesondere sogenannte Backoffice-Tätigkeiten, in Ländern außerhalb der EU abgewickelt.

Natürlich gilt auch hier der oben zitierte Grundsatz, sich auf das Schlimmste vorzubereiten und insofern muss die zu etablierende Infrastruktur als eine Art Andockstation aufgestellt sein, die als Basis alle für den Bankbetrieb notwendigen Funktionen mit sich bringt und darüber hinaus Ausbaumöglichkeiten bietet für all die Funktionen, die zukünftig notwendigerweise innerhalb der EU abzuwickeln sind.

Im Falle der Standard Chartered Bank führt dies dazu, dass man eine Gesellschaft in der Rechtsform einer AG etablieren wird, für die dann die Vollbanklizenz beantragt wird und unter die man dann anschließend die Aktivitäten in den anderen EU-Staaten in Form von unselbstständigen Niederlassungen anhängen wird. Diese Rechtseinheit wird mit hinreichendem Kapital und externem Rating ausgestattet, sodass sie sich als attraktiver Geschäftspartner für unsere Kunden etablieren kann.

Die Meilensteine auf dem Weg - insbesondere die Beantragung der Banklizenz und der Genehmigungsprozess für die Risikomodelle, aber auch die erforderlichen internen Abläufe wie die Umschreibung von bestehenden Verträgen (neudeutsch: Repapering) sind klar definiert und werden mit internen und externen Ressourcen plangemäß angegangen.

Keine Gewinner

Abschließend kann man sagen, dass die Auswirkungen des Brexits - auch wenn sie komplex und vielschichtig erscheinen - durch ein straffes Projektmanagement gut beherrschbar sind. Die Unterstützung, die man von allen vorstellbaren Seiten angeboten bekommt, ist wahrhaft beeindruckend. Aber all dies darf letztendlich nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Brexit für Banken erst einmal eine Belastung darstellt, da durch notwendige Umstrukturierungen und Verlagerungen zusätzliche Kosten entstehen, denen keine unmittelbaren Erträge gegenüberstehen. Dieser letzte Gedanke lässt die häufig gestellte Frage nach "Gewinnern des Brexits" im Zuge einer globalen Wettbewerbslage insbesondere im Bankenbereich absurd erscheinen.

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