Eine Währung, viele Bargeldkreisläufe: Deutschland als Muster für Europa?

Stefan Hardt Foto: Deutsche Bundesbank

Wenn Dinge gut laufen, finden sie im Wirtschaftsleben wie im privaten Umfeld gebührende Beachtung und es gibt eine Tendenz zur Nachahmung. In diesem Sinne geht der Autor der Frage nach, ob die Effizienz des deutschen Bargeldkreislaufes als Muster für Europa dienen könnte. Dass er diesen Ansatz klar verneint, liegt an der höchst unterschiedlichen Ausprägung der Bargeldkreisläufe in den einzelnen Ländern. So registriert er etwa in den nördlichen Ländern Europas einen ungleich höheren Einsatz von unbaren Zahlungsinstrumenten. Sein Tenor: Einzelne Elemente eines Bargeldkreislaufs, die sich im Ausland bewähren, kann man nicht isoliert bewerten und für den heimischen Kreislauf einfordern, sondern der Bargeldkreislauf sollte stets als ein "Gesamtpaket" betrachtet werden, das der spezifischen Situation des jeweiligen Landes gerecht wird. (Red.)

Seit mehr als 19 Jahren gibt es in Europa nun schon die einheitliche Währung "Euro"; und seit über 16 Jahren können wir den Euro auch als Bargeld anfassen und nutzen. Wir müssen uns nicht mehr Schillinge oder Peseten besorgen, wenn wir in die österreichischen Berge oder an die spanischen Strände in den Urlaub fahren wollen. Von den Azoren bis nach Lappland können wir mit dem Euro zahlen - mit einer Währung für derzeit 19 Länder.

Bargeldkreislauf - je nach Land ganz unterschiedlich

Doch bevor wir unser Euro-Bargeld ausgeben können, muss es erst einmal den Weg in unsere Portemonnaies finden. Wie die Banknoten und Münzen in unseren Geldbeutel gelangen, hängt ganz wesentlich vom eigenen Handeln, aber auch vom Agieren der unterschiedlichen Bargeldakteure ab, die in ihrer Gesamtheit und mit ihrem Zusammenspiel den Bargeldkreislauf bilden.

Dieser Bargeldkreislauf ist im Gegensatz zu unserer Währung nicht vereinheitlicht, sondern je nach Land ganz unterschiedlich ausgestaltet.

Den Ausgangspunkt bildet aber immer die Notenbank, die das Bargeld in Verkehr bringt. In Deutschland also die Deutsche Bundesbank, die einen gesetzlichen Sorgeauftrag für den Barzahlungsverkehr hat. Und unser Anspruch, diesen Sorgeauftrag zu erfüllen, ist hoch:

- Wir wollen eine hohe Qualität des Banknotenumlaufs gewährleisten,

- eine hohe Fälschungssicherheit erreichen,

- auch für Not- und Krisensituationen gewappnet sein

- und all diese Ziele effizient und sicher erreichen.

Dreh- und Angelpunkt der Bargeldaktivitäten ist das flächendeckende Filialnetz. Unsere 35 Filialen gehören zu den modernsten, sichersten und gleichzeitig effizientesten Notenbankstellen in Europa - ausgestattet mit schon heute äußerst leistungsfähigen Banknotenbearbeitungssystemen, wobei diese derzeit durch noch modernere, noch effizientere Maschinen ersetzt werden.

Nimmt man die Qualität der umlaufenden Banknoten sowie die Sicherheit und die Effizienz unseres Bargeldkreislaufs als Gradmesser für die Erfüllung unseres Sorgeauftrags für den baren Zahlungsverkehr, dann komme ich zu dem Ergebnis, dass wir sehr gut aufgestellt sind. Etwas zugespitzt könnte man dann aber doch durchaus fragen, ob der deutsche Bargeldkreislauf damit nicht ein Muster für Europa sein könnte? Wenn wir unseren Sorgeauftrag mit diesem Bargeldkreislauf als gut erfüllt ansehen, sollten es dann nicht alle anderen Länder uns eins zu eins gleichtun, um ebenso gut für die Herausforderungen des baren Zahlungsverkehrs gewappnet zu sein?

Um diese Frage beantworten zu können, wird zunächst näher beleuchtet, wie im Eurosystem überhaupt bezahlt wird. Für die Analyse von Bargeldkreisläufen spielt es durchaus eine Rolle, in welchem Umfang Bargeld für die Geschäfte des täglichen Lebens genutzt wird. Die EZB hat vor etwa drei Monaten die erste Studie zum Zahlungsverhalten im Eurosystem vorgelegt.* Sie knüpft dabei an langjährige Forschungstraditionen nationaler Zentralbanken an - so hat die Bundesbank erst Mitte Februar ihre vierte Zahlungsverhaltensstudie für Deutschland vorgelegt und kann damit auf eine Zeitreihe von fast einer Dekade zurückblicken. Die österreichische Nationalbank hat sogar eine über 20-jährige Erfahrung mit der Erforschung der Zahlungsgewohnheiten in ihrem Land. Die EZB-Studie ist allerdings ein Novum, da sie 19 europäische Staaten einschließt. Und wie sich herausstellte, ist das Zahlungsverhalten im Euroraum sehr heterogen.

Unbare Zahlungsinstrumente mit hohen Anteilen im nördlichen Europa

Betrachtet man die Barzahlungsanteile bezogen auf die getätigten Umsätze, so liegt dieser Anteil in den Niederlanden am niedrigsten - nur 27 Prozent aller Einkäufe werden dort mit Banknoten und Münzen bezahlt. Auch in Frankreich, Belgien, Luxemburg, Estland und Finnland wird ähnlich wenig bar bezahlt.

Der höchste Wert wird mit 75 Prozent in Griechenland verzeichnet; Malta und Zypern haben ähnlich hohe Anteile. Der Barzahlungsanteil für Deutschland liegt bei rund 55 Prozent, was genau dem Median entspricht: in neun Ländern wird häufiger und in neun Ländern seltener bar gezahlt. Die Zahlen für Deutschland entstammen übrigens der Bundesbank-Erhebung aus dem Jahr 2014 - unsere jetzt veröffentlichten Ergebnisse für 2017 liegen hinsichtlich des Barzahlungsanteils schon wieder ein Stückchen darunter.

Wenig überraschend: In Bezug auf die Barzahlungsanteile nach getätigten Transaktionen ergibt sich ein ähnliches Bild: Auch hier sind es die Niederländer, die nur für 45 Prozent ihrer Einkaufsvorgänge Scheine und Münzen verwenden, während Malta mit 92 Prozent den höchsten Wert aufweist, gefolgt von Griechenland und Zypern. Der deutsche Anteil liegt bei 80 Prozent, was dem oberen Mittelfeld entspricht. Auch Österreich, Italien, Spanien, Portugal oder Slowenien befinden sich in diesem Bereich.

Ganz grob kann man also feststellen, dass Länder in Süd- und Südosteuropa häufig Bargeld zum Bezahlen einsetzen, während nördlicher gelegene Länder den unbaren Zahlungsinstrumenten zugeneigt sind.

Viele Einflussfaktoren und Wechselwirkungen

Dies gilt übrigens auch für Länder außerhalb der Eurozone: So wurden in Schweden und Dänemark bereits vor Jahren nur noch etwa drei von zehn Zahlungen in bar ausgeführt. Sogar die Stockholmer Obdachlosenzeitung, die Spende in der Kirche oder die Tasse Kaffee in Kopenhagen lassen sich mit der Karte oder sogar dem Smartphone bezahlen. Vorgänge, die für uns in Deutschland - zumindest für die meisten - undenkbar sind. Aber warum eigentlich? Warum sind unsere Verhaltensweisen beim Bezahlen anders als die in den nördlichen Ländern und anders als die in den südlichen Ländern?

Nun, es gibt viele Umstände, die das Zahlungsverhalten beeinflussen: Neben den persönlichen Präferenzen der Menschen sind es unter anderem folgende Faktoren:

Erstens Kultur und Gewohnheit: Wenn es beispielsweise in einem Land starke Beharrungskräfte gibt, verbunden mit einem mangelnden Bedarf an Zahlungsalternativen, dann werden altbekannte Zahlungsmittel einfach weiter genutzt.

Zweitens Infrastruktur: Es ist ein Unterschied, ob jeder Bäcker oder jedes Café Karten akzeptiert oder nicht. Ebenso spielt es eine Rolle, ob man an jeder Ecke Bargeld abheben kann oder ob dies einen erheblichen Zusatzaufwand erfordert. Die Infrastruktur kann auch von geografischen Komponenten beeinflusst werden: So stellen wir durchaus fest, dass in dünn besiedelten Ländern Karten stärker akzeptiert werden, weil der Weg zum nächsten Geldausgabeautomaten weit ist und mit hohen Kosten verbunden ist.

Drittens aktive Beeinflussung der Menschen: Es wirkt sich auf das Zahlungsverhalten aus, wenn verschiedene Akteure des Bargeldkreislaufs andere ermutigen oder entmutigen, bestimmte Zahlungsmittel zu nutzen, sei es zum Beispiel durch Preis- und Konditionengestaltung oder durch Imagekampagnen. So hat eine Gruppe schwedischer Bargeldgegner den Slogan geprägt: "Bargeld braucht nur noch deine Oma - und der Bankräuber". Na, wer fühlt sich da nicht von der Bargeldnutzung abgeschreckt?

Zusammenfassend kann man festhalten, dass unser Zahlungsverhalten von ganz vielen unterschiedlichsten Faktoren beeinflusst wird. Und damit haben die genannten Faktoren auch Einfluss auf das konkrete Agieren der Bargeldakteure im Bargeldkreislauf. Wobei die Ausgestaltung des Bargeldkreislaufs auch wieder das Zahlungsverhalten beeinflusst. Es hängt - auch bei Bargeld - alles mit allem zusammen.

Vergleich von Bargeldkreisläufen im Eurosystem

Der Vergleich der Bargeldkreisläufe ausgewählter Länder in Europa zeigt, wie sich diese unterschiedlichen Faktoren in einem Land manifestieren. In den Niederlanden, dem Land mit dem niedrigsten Barzahlungsanteil im Eurosystem, ist das Bezahlen mit Karte, Smartphone oder anderen unbaren Verfahren ein wichtiges Thema. Das sogenannte "National Forum on the Payment System", dessen Vorsitz die niederländische Zentralbank innehat, beschäftigt sich mit der Einführung von Instant Payments, biometrischen Authentifizierungsverfahren oder den Auswirkungen von Debitkartenzahlungen auf die Umwelt. Ziel der dortigen Banken und Händler ist es, Kartenzahlungen zu fördern: konkret wird für 2018 ein Anteil von 60 Prozent Kartenzahlung versus 40 Prozent Barzahlung (heute 45 Prozent) angestrebt. Um den unbaren Zahlungsverkehr voranzubringen, wird die Öffentlichkeit mit Informationskampagnen - beispielsweise über das Bezahlen mit dem Smartphone - aktiv beeinflusst.

Hinsichtlich der Infrastruktur gibt es zwischen Deutschland und den Niederlanden (NL) gravierende Unterschiede, die nicht alleine mit dem Flächenunterschied (9:1) oder der unterschiedlichen Bevölkerungszahl (5:1) erklärt werden können: Es gibt in den NL relativ weniger Bargeldakteure (wie Banken oder Werttransporteure). Die Ein- und Auszahlung von Bargeld sind in den NL nur an einer Notenbankstelle möglich. Die Geldausgabeautomatendichte ist in Deutschland wesentlich höher. Dafür haben die Niederlande eine deutlich höhere Dichte an Bezahlterminals als Deutschland. Die Unterschiede im Stellenwert des baren und unbaren Zahlungsverkehrs kommen also deutlich zum Ausdruck.

Einfluss des Tourismus

Und so gibt es gravierende Unterschiede zwischen allen Euroländern: Auch die spanische Zentralbank unterhält mit 15 Niederlassungen ein wesentlich dünneres Filialnetz als die Deutsche Bundesbank, obwohl das Land fast anderthalb Mal so groß ist. Allerdings ist dort ein Notes-Held-to-Order-System etabliert, was die Notwendigkeit des Zugangs zur Notenbankfiliale reduziert. Der Banknotenumlauf in Spanien ist in den kleinen Transaktionsstückelungen negativ.

Hierzu dürfte nicht zuletzt der Tourismus beitragen, der in Spanien (auch für den Bargeldkreislauf) eine wichtige Rolle spielt - nach Spanien kommen pro Jahr genauso viele Touristen wie in die USA. Viele Urlauber bringen bereits Euro-Bargeld mit und verausgaben es dort, vor allem die deutschen und französischen Besucher, die zu den wichtigsten Herkunftsländern gehören.

Der Auslandsumlauf "deutscher" Euro- Banknoten ist mit circa 70 Prozent am "deutschen" Gesamtumlauf ohnehin der wichtigste Bargeldverwendungszweck und dieser hohe Prozentsatz resultiert eben auch aus den Reisetätigkeiten der Deutschen. Die spanischen Bargeldakteure und die spanische Zentralbank müssen dem enormen Zufluss an Bargeld aus der Tourismusbranche Rechnung tragen. Auch Österreich ist ein Land, in dem gerne bar bezahlt wird - Banknoten und Münzen haben dort eindeutig die Nase vorn. Dies dürfte an einer Mischung aus einer relativ geringen Kartenakzeptanz der Händler gepaart mit einer hohen Bargeldpräferenz der Privaten liegen.

Der Bargeldkreislauf des Nachbarlandes Österreich wird - ebenso wie wir es bei Spanien gesehen haben - durch grenzüberschreitende Bargeldströme beeinflusst. Während sich die Auslandnachfrage nach Euro-Bargeld in Ost- und Südosteuropa vorwiegend aus deutschen Auszahlungen speist, fließen diese Banknoten über Österreich wieder zurück ins Eurosystem. Auch Österreich muss diesem enormen Netto-Zufluss an Euro-Banknoten Rechnung tragen und es verdeutlicht, dass sich eine einheitliche Währung länderübergreifend auf die Bargeldkreisläufe auswirkt. Ein weitere Besonderheit zeichnet die Bargeldlogistik in Österreich aus: Dort wird mit der Geldservice Austria ein Public-Private-Partnership-Modell betrieben, mit dem Ziel, Skaleneffekte in der Bargeldbearbeitung zu erzielen.

Dient der deutsche Bargeldkreislauf also als Muster für Europa? Es ist aufgezeigt worden, dass die Gegebenheiten in jedem Land anders sind. Markante Stichworte sind die Bevölkerungsdichte, Reisefreudigkeit, geografischen Besonderheit, Verhaltenspräferenzen der Bevölkerung, die für die Bargeldverfügbarkeit wesentliche Dichte an Geldausgabeautomaten oder eben auch die für den Karteneinsatz erforderliche Dichte von Akzeptanzstellen. Die Frage, ob Deutschland mit seinem sicheren und effizienten Bargeldkreis lauf ein Muster für Europa ist, muss eindeutig mit "Nein" beantwortet werden.

Denn es gibt nicht den einen idealen Bargeldkreislauf für alle Länder. Die 19 nationalen Bargeldkreisläufe im Euroraum stehen jeweils für sich, sie differieren erheblich, aber sie funktionieren - jeder auf seine Weise - sicher und effizient.

Optimierung und Effizienzsteigerung ist dementsprechend nicht in erster Linie ein europäisches Thema, sondern jede Nationale Zentralbank ist aufgefordert, ihren nationalen Bargeldkreislauf entsprechend den nationalen Gegebenheiten und im Zusammenspiel mit den nationalen Bargeldakteuren optimal zu gestalten. Diese nationale Herangehensweise hat sich bewährt und steht im Einklang mit dem europäischen Gedanken der Subsidiarität, der dezentrale Lösungen ja immer dann vorsieht, wenn diese von dezentraler Seite besser erbracht werden können.

Ein Gesamtpaket

Vor dem Hintergrund gilt aber auch, dass ein einzelnes Element eines Bargeldkreislaufs, das man im Ausland - zum Beispiel im Dienstleistungsangebot der dortigen Zentralbank - gesehen und für gut befunden hat, nicht isoliert bewerten und für den heimischen Kreislauf einfordern kann. Der Bargeldkreislauf ist ein "Gesamtpaket", angepasst an die spezifische Situation in einem Land. "Cherry Picking" beim Blick über die Grenzen hinweg hilft da nicht weiter. Allerdings ist Cherry Picking ohnehin nicht erforderlich, denn der Bargeldkreislauf in Deutschland läuft im wahrsten Sinne des Wortes "rund".

Das wird übrigens auch an einem Bargeldfilm deutlich, der im Auftrag der Bundesbank gedreht wurde. Der Fokus liegt dabei auf der Rolle der Bundesbank und der anderen Akteure im Bargeldkreislauf. Ziel ist es, herauszuarbeiten, welche Rolle Bargeld in unserer Gesellschaft nach wie vor spielt, und welche Prozesse dahinterstehen, damit alle Bürger unseres Landes jederzeit sauberes, geprüftes Geld in den Händen halten können.

* Vgl.: Esselink, H./Hernández, L., The use of cash by household in the euro area, ECB Occasional Paper Series No. 201, November 2017.

Der Beitrag basiert auf einer Rede des Autors anlässlich des 4. Bargeldsymposiums der Deutschen Bundesbank am 14. Februar 2018 in Frankfurt am Main.

Die Zwischenüberschriften sind teilweise von der Redaktion eingefügt.

Stefan Hardt

Leiter des Zentralbereichs Bargeld, Deutsche Bundesbank, Frankfurt am Main

Noch keine Bewertungen vorhanden


X